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Kapitel 9

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Ich wollte es einfach nicht glauben, dass Luno so etwas tun könnte, wo er doch so nett zu mir war. Doch es stand außer Zweifel, dass er der einzige war, der mich verzaubert hatte. „Mir ist zwar schon aufgefallen, dass du so komisch leuchtest, aber noch dachte ich mir nichts dabei. ...Oh nein! Jetzt ist einer von ihnen auf die kleine Eiche getreten!“, stellte Astor unglücklich fest, fuhr dann aber weiter fort: „Probier doch nochmal aus, ob du nun ohne meine Hilfe durch Bäume gehen kannst.“

Langsam trat ich an die Trauerweide heran und berührte sie. Nun wurden auch meine Finger von jenem seltsamen Licht umrandet, so wie ich es von Astor gesehen hatte und ich konnte das Portal ohne Schwierigkeiten betreten.

„Da haben wir’s! Der Mondmann hat es irgendwie geschafft, dich in einen Hortenser zu verwandeln...“, stellte Astor fest, der gleich nachgekommen war.

„Aber woher sollte Luno denn gewusst haben, dass ich ein Mensch war?“, fiel mir plötzlich auf. „Ich habe ihm nicht davon erzählt und ich denke auch nicht, dass ich mich versehentlich verraten haben könnte.“

„Das musstest du auch gar nicht. Er hat es nämlich die ganze Zeit über gewusst. – Von Drako, denn dieser hat uns nicht so lange verfolgt, wie ich es erst vermutet hatte. In Wirklichkeit hat er, gleich nachdem er uns aus den Augen verloren hatte, den Mondmann aufgesucht und ihm von dir erzählt. Und genau in dem Moment, als ich dich allein gelassen hatte, machte sich der Mondmann auf den Weg zu dir“, erklärte mir Astor.

Das konnte ich mir nun nicht erklären. „Aber wie hat er mich denn so schnell gefunden? Und woher wusste er, dass ich allein sein würde?“

„Weil er die Gabe hat, in die Zukunft zu sehen“, wusste Astor.

Das verstand ich nun nicht. Wie konnte jemand so eine Fähigkeit haben? Ich kam wohl ganz schön unbeholfen rüber, als ich meine Frage an Astor beginnen wollte: „Aber wie...“

Weiter kam ich nicht, denn er hatte bereits verstanden und unterbrach mich: „Ich muss dir da mal was über Hortenser erklären. Weißt du, jeder Hortenser kann sich von Kindheit an in ein Tier oder eine Pflanze verwandeln und hat eine bestimmte nützliche Fähigkeit. Du erinnerst dich an Drako, der Krallen aus seinen Fingern ausfahren kann? Und du hast doch Waldo gesehen, der sich in einen Baum verwandeln kann. Ab seinem 15. Lebensjahr, da man in Emmerald im Alter von 15 Jahren die Volljährigkeit erreicht hat, bekommt man dann noch einen eigenen einzigartigen Fluch, den man jemanden einmalig auferlegen kann. Verflucht man jemanden, geht die Fähigkeit, diesen Fluch einmal auferlegen zu können, auf den vom Fluch getroffenen über, sollte dieser den Fluch überlebt haben. So ist es auch möglich, dass Hortenser mehr als nur einen Fluch besitzen können. Nur der Herrscher über Emmerald kann all seine Flüche zweimal anwenden und kann außerdem noch ein paar andere Dinge zaubern, die mit der Natur zu tun haben – außer Bäume wachsen lassen. Der Fluch selbst kann dann nur von dem Hortenser aufgehoben werden, der ihn ausgesprochen hat. Sollte aber jemand durch den Fluch des anderen sterben, geht der Fluch für immer verloren...

Auch ich habe meine Zauberkräfte. Aber wenn du jetzt ebenfalls ein Hortenser bist, müsstest du eigentlich auch über einige Zauber verfügen und die Zeremonie erlebt haben, in der dir dein Fluch verliehen wurde.“

Nun erinnerte ich mich an die Nacht zurück, die ich in Lunos Haus verbracht hatte und erzählte Astor davon, wie er mich geweckt und dieses komische Zeugs gemurmelt hatte, von dem ich nichts begriffen habe.

„Ja, das war die Zeremonie!“, bestätigte mir Astor. „Lillian, erinnere dich, was hat er gesagt?“

Also trug ich Astor vor, was ich noch wusste: „Er sagte so etwas wie: Mit dem Einverständnis von Lillian werde ihr Wunsch erhört und die Zeremonie von mir vollzogen. Und irgendwas von: Hortenser, von der Rasse eine Lichtgestalt, die die Gestalt eines Zitronenfalters annehmen kann... An dieser Stelle ist mir was entfallen... Und: Im Namen von Emmerald verleihe ich der Volljährigen hiermit den Fluch der Wahrheit.“

„Sehr gut, du weißt das Wichtigste noch!“, stellte Astor fest. „Und deine Gabe finden wir schon noch heraus.“

„Stimmt, ich habe meine Gabe vergessen. Astor, kann es sein, dass du bei Einbruch der Dunkelheit nochmal zu dem Ort gekommen bist, an dem du mich zurückgelassen hast?“, wollte ich nun von ihm wissen.

Astor bejahte. „Wieso fragst du?“

„Jetzt weiß ich auch, warum Luno es plötzlich so eilig hatte, mich von dort wegzuschaffen! – Damit du mich nicht vor heute Morgen findest und er genügend Zeit hat, die Zeremonie an mir zu vollziehen. Aber warum hat er mich zuvor geweckt?“, wunderte ich mich.

Diese Frage konnte mir Astor beantworten: „Die Zeremonie funktioniert nur, wenn du seine Worte hörst und zustimmst.“

„Du sagst, du hast auch Zauberkräfte. Kannst du mich denn nicht zurückverwandeln, Astor?“, interessierte es mich.

„Ich würde ja, wenn ich könnte. Aber so wie es aussieht, hat nur der Mondmann diese Fähigkeit“, bedauerte Astor. „Vielleicht war es ja ein Fluch?... Ich wusste ja noch nicht mal, dass das geht, einen Menschen in einen Hortenser zu verwandeln...“

„Warum nennen ihn eigentlich alle den Mondmann?“, wollte ich wissen.

„Weil wir die zwölf Monde über Emmerald, die für die zwölf Rassen der Hortenser stehen, als unsere Götter verehren, da es heißt, durch sie wäre Emmerald erschaffen worden und der Mondmann leider der Herrscher über Emmerald ist. Und dieser hat eine besondere und wichtige Aufgabe: Wie gesagt, mit 15 bekommt ein Hortenser irgendeinen Fluch verliehen, der von der letzten prägenden Tätigkeit abhängt, die er vor seinem 15. Lebensjahr gemacht hat. Diese entscheidet, was sein Fluch bewirken wird. Aber wenn ein Hortenser nun ganz und gar nicht mit seinem Fluch zufrieden ist, kann er innerhalb der ersten Woche, in der er 15 geworden ist, zum Herrscher kommen, sich seiner Zeremonie unterziehen und sich damit einen neuen Fluch geben lassen.

Von des Mondmanns Laune ist sogar das Wetter hier in Emmerald abhängig. Wenn er gut gelaunt ist, haben wir schönes Wetter, wenn er traurig ist, regnet es in Strömen, wenn er verärgert ist, brennt die Sonne vom Himmel oder es gibt ein starkes Gewitter und wenn er beleidigt, gekränkt oder verbittert ist, wird es eiskalt. Die Gewässer frieren zu, die Bäume verlieren ihre Blätter und manchmal schneit es dann sogar“, erklärte er mir. „Der Herrscher wird aber nicht von uns gewählt, sondern vom letzten Herrscher vor dessen Tod bestimmt. Ja, Pendragon, der Herrscher vor dem Mondmann, zeigte tatsächlich mal ein besonderes Interesse an ihm, wurde mir erzählt. Aber er war nicht für den Herrschertitel vorgesehen. Der Mondmann war auch der letzte, der Pendragon lebend gesehen hat. Dieser wurde nämlich verflucht und starb einen langsamen, grausamen Tod. Bestimmt hat ihn der Mondmann verflucht und erpresste Pendragon, er solle ihm den Herrschertitel nach seinem Tod überlassen, dann würde er den Fluch von ihm nehmen. Pendragon hielt wohl sein Wort, aber der Mondmann nicht... Doch im Gegensatz zu der Menschenwelt ist Mord in Emmerald kein Verbrechen. Und das größte Unglück ist, dass er von der Rasse eine Lichtgestalt ist und diese werden bis zu 500 Jahre alt!“

Da staunte ich. Doch ich hatte keine Angst vor Luno, da er keinen Grund hatte, mich umzubringen. „Was?! Luno ist der Herrscher von Emmerald, er ist höchstwahrscheinlich ein Mörder und er wird 500 Jahre alt?! Das hieße ja, als Lichtgestalt würde ich auch 500 Jahre alt werden! Wie alt ist Luno denn?“, interessierte es mich.

„Ich weiß auch nicht so genau...“, antwortete Astor. „Ich denke... so 170 um den Dreh...“

Der hat sich aber gut gehalten... „Astor, wie alt bist du eigentlich und wie alt werden Waldelfen?“, wollte ich nun wissen.

„Ich bin jetzt 26 und werde etwa 200 Jahre alt“, gab er mir zur Antwort.

„Es ist also egal, wie alt man durch seine Rasse wird, volljährig ist man immer mit 15?“, wunderte ich mich, worauf Astor bejahte. „Aber wie sieht es denn in Emmerald mit dem Alterungsprozess aus?“, fragte ich.

„Die ersten 21 Jahre altert ein Hortenser ziemlich genau so schnell wie ein Mensch. Dann erst mal einige Jahre gar nicht mehr. Dieser Zeitraum ist je nachdem, wie alt die Rasse werden kann, bestimmt. Und ab da altert man dann der Rasse entsprechend “, klärte er mich auf.

„Was heißt der Rasse entsprechend? Kannst du mir das anhand eines Beispiels erklären?“, bat ich ihn.

„Das ist reine Mathematik“, erklärte er. „Ein Mensch wird durchschnittlich 80 Jahre alt. Du als Lichtgestalt wirst durchschnittlich 500. Also dividierst du die 500 durch die 80. Diesen Quotienten mit deinem Menschenalter multipliziert ergibt dein Alter als Hortenser. Oder dein Hortenseralter dividiert durch den Quotienten ergibt dein Menschenalter. Aber diese Rechnung funktioniert erst ab einem bestimmten Alter, ebenfalls der Rasse entsprechend. Dieses Alter kannst du dir wiederum ausrechnen, wenn du den Quotienten mit 21, also dem Alter, ab dem du einige Jahre nicht mehr alterst, multiplizierst. Du bist also genau in der Blüte deiner Jahre, Lillian. Über 130 Jahre kannst du alt werden, ohne äußerlich zu altern. Ich hingegen altere schon wieder wenn ich 53 bin, da meine Rasse nicht so alt wird wie deine.“ Als Mensch kommt einem das ziemlich lange vor...

Inzwischen waren wir so weit gegangen, dass ich das kleine Dorf von gestern wieder sehen konnte. „Versuch doch mal, dich in einen Zitronenfalter zu verwandeln!“, lenkte er nun das Thema um. „Keine Angst, es ist wirklich nicht schwer. Stell es dir einfach vor. Konzentriere dich.“

Ich versuchte, es so zu machen, wie er es mir erklärt hatte, stellte mir vor, mich in einen kleinen, gelben Schmetterling zu verwandeln und tatsächlich flatterte ich, als ich die Augen wieder öffnete, in der Luft herum.

„Gut gemacht!“, lobte mich Astor.

Dann verwandelte ich mich wieder zurück, was genau so einfach war.

„In was kannst du dich eigentlich verwandeln?“, fragte ich Astor.

Anstelle mir eine Antwort zu geben, war plötzlich an der Stelle, wo gerade eben noch Astor gestanden hatte, ein prächtiger Hirsch mit großem Geweih. Dann wurde er wieder zum Waldelf.

„Was kannst du sonst noch?“, wollte ich begeistert wissen.

„Ich habe die Gabe, mich für ein Weilchen unsichtbar zu machen und besitze den Fluch des Todgeweihten.“ Das hörte sich ganz schön gruselig an.

Plötzlich bemerkte ich, dass ich hungrig und durstig war. „Gibt es hier auch was zu Essen?“, wich ich vom eigentlichen Thema ab.

„Nein, wir Hortenser essen nicht. Wir ernähren uns folgendermaßen:“ Astor hob seine linke Hand und eine dicke, lange Wurzel erschien unter seiner Handfläche, wuchs blitzschnell und bohrte sich schließlich in die Erde. „Das kannst du auch. Wir Hortenser sind zum Teil auch wie Pflanzen ausgestattet. Und wenn du durstig bist, dann machst du dasselbe einfach bei einer Wasserstelle.“ Ich machte es ihm nach und es klappte! Tatsächlich wurde man davon satt!

„Und wie scheide ich den unbrauchbaren Rest der Nahrung hier wieder aus?“, wollte ich währenddessen wissen.

„Es gibt hier keinen unbrauchbaren Rest, da sich der Körper nur das nimmt, was er braucht“, erklärte Astor. „Als Hortenser brauchst du übrigens auch nicht zu schlafen. Rasten bringt nämlich genau dasselbe. Du wirst hier nicht leicht müde, es sei denn, du bist erschöpft durch einen Kampf oder durch einen Fluch verletzt worden. Es gibt hier fast keine menschlichen Bedürfnisse. So brauchen Hortenser auch keine Unterkunft, wenn sie sich nicht vor den Rassen der Nacht fürchten, es sei denn, sie sind durch einen Fluch verwundet.“ Nun verstand ich auch, warum Lunos Haus so leer stand. Als Hortenser brauchte man ja kaum etwas.

„Gibt es hier denn auch sowas wie Geld? – Ein Zahlungsmittel?“, fragte ich.

„Nein, wir Hortenser geben Leistung gegen Gegenleistung oder machen Tauschgeschäfte“, stellte er klar.

Ich merkte immer mehr, dass sich Emmerald sehr von der Menschenwelt unterschied. „Ich muss wohl noch sehr viel über Emmerald lernen...“, überlegte ich laut, doch Astor schüttelte den Kopf. „Die wesentlichen Fragen hast du schon gestellt. Jetzt sind es nur noch Kleinigkeiten, die unsere Welten unterscheiden. Außerdem sind sich die Welten andererseits auch wieder sehr ähnlich, da sich die Hortenser schon seit Urzeiten vieles von den Menschen abschauten. Zum Beispiel sprechen wir zum Teil beinahe exakt die gleiche Sprache, haben dieselbe Zeitrechnung und die gleichen Schriftzeichen. Die Kinder spielen zum Teil auch die Spiele aus eurer Welt, ...“

Nachdem ich satt war, entfernte sich meine Wurzel automatisch wieder aus dem Erdboden und zog sich in meinen Arm zurück. Dann setzte ich zum Gehen an.

„Hey! Wo willst du denn hin?“, wollte Astor wissen.

„Zu dem, der mich hier festhält“, gab ich ihm zur Antwort.

Pinienträne

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