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Kapitel 5

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Eine Weile passierte gar nichts, außer, dass ich mich beobachtet fühlte. Dann tauchte plötzlich ein großer, schöner, bunt schillernder Nachtfalter, am hellichten Tage, direkt vor mir auf. Eine Weile flatterte er um mich herum, bis er sich plötzlich in einen gutaussehenden Mann, schätzungsweise 27 Jahre alt, verwandelte. Seine Augen waren goldbraun, so wie Bernstein, er trug einen feinen, goldenen Anzug, mit dem er aussah wie ein Märchenprinz und strahlte hell wie die Sonne, nur dass mich sein Licht nicht blendete.

„Ich grüße dich. Dich habe ich ja noch nie hier gesehen... Für einen Hortenser siehst du ziemlich merkwürdig aus, muss ich sagen. - Aber fass das jetzt bitte nicht als Beleidigung auf. Merkwürdig auszusehen, schließt Schönheit nämlich nicht aus. Darf ich mich vorstellen? – Mein Name ist Luno. Und dürfte ich auch den Namen der seltenen Schönheit erfahren?“, fragte er mich höflich.

Über diesen Auftritt war ich sehr überrascht. „Ich heiße Lillian“, gab ich ihm zur Antwort. „Aber mach dich bitte nicht über mich lustig, denn von einer Schönheit ist bei mir nun wirklich nicht die Rede.“

Luno begann zu lachen. „Natürlich bist du hübsch, Lillian. Du weißt es nur noch nicht. Aber wenn du erlaubst würde ich es dir liebend gern beweisen... Darf ich?“

Ich erklärte mich mit einem Schulterzucken einverstanden, worauf er mich bat, meine Brille abzunehmen. Ich tat also, was er wollte und konnte gerade noch erkennen, wie er sich wieder in den Nachtfalter verwandelte. Dann setzte er sich auf meine Nase und flatterte heftig mit seinen Flügeln, wodurch mir etwas Staubartiges in die offenen Augen geweht wurde. Gleich darauf setzte mein Lidreflex ein, ich schloss die Augen und rieb sie mir mit den Fäusten aus, sobald ich spürte, dass der Nachtfalter von meiner Nase verschwunden war. Als ich sie danach wieder öffnete, sah ich so klar wie noch nie. Selbst meine Brille auf meinem Schoß konnte ich auf einmal deutlich erkennen, obwohl ich doch weitsichtig war. Als ich diese nun wieder aufsetzte, wurde alles verschwommen. Ich konnte es nicht glauben! Luno hatte doch tatsächlich meine Augen geheilt! Dieser schwirrte inzwischen über meinem Kopf herum, landete ab und zu darauf und legte sonderbaren Staub auf meinen Haaren ab. Danach verwandelte er sich wieder zurück.

„Du... du... du hast...“, stotterte ich ungläubig und begann schließlich einen neuen Satz: „Durch dich brauche ich keine Brille mehr! Oh danke, Luno, vielen herzlichen Dank!“

„Keine Ursache, Lillian“, sprach Luno, so als ob seine Tat selbstverständlich gewesen wäre. „Und diese hier“, dabei nahm er mir meine Brille aus der Hand, “wirst du auch nie mehr brauchen!“ Mit diesen Worten brach er sie in der Mitte entzwei. „So erstrahlen deine wunderschönen hellblauen Augen viel besser.“

„Aber ich habe noch eine Überraschung für dich“, fuhr er fort, reichte mir seine Hand, half mir vom Boden auf und trat ganz nah an mich heran. Dann legte er seine rechte Hand auf mein linkes Schulterblatt, so als ob er mich umarmen wollte. Mit der anderen fasste er an meinen Hinterkopf und zog mir langsam meinen Haargummi ab, wobei ich seinen Atem auf meiner Haut im Nacken spüren konnte. Mein Herz schlug wild, da mir ein so gutaussehender Mann noch nie so nah gekommen war ...bis auf Astor, vorhin, vielleicht... Doch den hatte ich für diesem Moment komplett vergessen. Erst als Luno mich wieder los ließ und mir meinen Haargummi überreichte, kam ich wieder zu mir.

„Warum bist du denn so nervös, Lillian? Komm mit mir zum Teich und sieh dir dein neues Spiegelbild an!“, forderte er mich freundlich auf.

Am liebsten wäre ich sofort, ohne zu zögern mit ihm mitgegangen, da er mich, im wahrsten Sinne der Wortes, verzaubert hatte und ich unbedingt sehen wollte, welches Wunder er diesmal an mir vollbracht hatte, doch da fielen mir Astors Worte wieder ein, dass ich hier auf ihn warten solle, also blieb ich stehen.

„Was ist?“, wollte Luno wissen, der mich inzwischen an der Hand genommen hatte und zum Losgehen ansetzte.

„Astor hat gesagt, ich soll hier auf ihn warten“, erklärte ich ihm. „...Vielleicht kennst du ihn ja...?“

„Ach, Astor, natürlich! Ein netter Bursche“, kam es darauf von ihm. „Aber es dauert doch nicht lange, ich werde dich gleich wieder hierher zurückbringen.“

„Und was, wenn Astor mich verpasst?“, fragte ich unsicher.

Nun legte er beide Hände auf meine Schultern und sah mir mit seinen Bernsteinaugen ins Gesicht. „Warum ist es denn so wichtig für dich, Astor nicht zu verpassen?“, interessierte es ihn. „Würde er denn nicht auf dich warten?“

„Naja...“, begann ich zu stocken. „Unter anderen Umständen vielleicht...“

„Lillian“, unterbrach er mich, „Ich würde immer auf dich warten. - Allein deswegen weil ich weiß, dass du es wert bist zu warten.“ Ich konnte es nicht glauben. Luno gab mir doch tatsächlich das Gefühl, etwas Besonderes zu sein! Das hatte bis jetzt noch keiner geschafft... bis auf meine Großmutter vielleicht... Doch bei der Familie ist das was anderes... „Warum wartest du denn auf Astor?“, unterbrach Luno meinen Gedanken.

Nun musste ich mir schnell etwas einfallen lassen. „Ähm... ich... ähm... Ich soll mit ihm Bäume pflanzen. Heute ist mein erster Tag in ihrer Gruppe“, log ich.

„Und du gehst freiwillig in diese furchtbare Welt?!“, fragte mich Luno ungläubig. „Also ich bleibe dort nicht länger als bis zum nächsten Portal.“

„...Es ist doch für einen guten Zweck...“, wandte ich vorsichtig ein.

„Aber leider wird das nicht viel helfen... Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen Emmerald vollständig zerstört haben. Sie haben Maschinen, um die Bäume zu fällen und wir nur unsere Hände, um sie zu pflanzen... Außerdem dauert es viel zu lange, bis aus dem Samen ein Baum wird und es pflanzen viel zu wenig Hortenser Bäume. Es ist sinnlos. Wir würden es nie schaffen, so viele Bäume zu sähen, wie die Menschen vernichten. Und wenn es so weit ist, dass es nicht mehr genug Bäume gibt und die Atemluft nicht mehr für alle Hortenser ausreicht, dann wird man sich um Sauerstoff streiten und ein Krieg um Leben und Tod wird unter uns ausbrechen“, schilderte mir Luno.

„Aber gerade deswegen muss jemand etwas unternehmen!“, fand ich.

„Ja“, stimmte er mir zu, „doch Emmerald ist nun mal dem Untergang geweiht... Es hat also keinen Zweck. Komm mit mir, Lillian und erfreue dich stattdessen an deiner bisher unerkannten Schönheit.“

Nun hatte ich wirklich keine Ausrede mehr parat und ich wollte ja unbedingt sehen, was Luno mit mir gemacht hatte. Es würde doch nur eine Minute dauern, also erklärte ich mich einverstanden. Luno nahm mich, wohl zufällig, an der Hand und führte mich durch den nächsten Baum in die Menschenwelt und sofort wieder nach Emmerald.

Dort war ein Teich, gleich in der Nähe. Langsam trat ich näher und betrachtete mein Spiegelbild darin. Ohne Brille hatte ich mich noch nie so deutlich gesehen. Ich konnte es nicht fassen! Meine Haare, die sonst immer platt und lose an meinem Kopf nach unten hingen, hatten plötzlich Kraft, Halt, Form, Fülle, Glanz und Volumen! Ich war richtig glücklich! – Und das zeigte ich Luno auch.

„Moment, da fehlt doch noch etwas...“, fand Luno. „Sieh mich mal an.“

Mein Blick wanderte von meinem Spiegelbild im Fluss hinüber zu Luno, der neben mir am Ufer kniete. Dann streifte er mir die Haare aus dem Gesicht, fuhr mir mit dem Handrücken an der Wange entlang, schloss die Augen und schien sich zu konzentrieren.

„Fertig“, meinte er schließlich, öffnete die Augen wieder und nahm seine Hand aus meinem Gesicht.

Erwartungsvoll blickte ich ins Wasser. All meine Hautunreinheiten waren vollkommen verschwunden und zum ersten Mal in meinem Leben erkannte ich, dass ich tatsächlich hübsch war! Luno hatte es die ganze Zeit über gewusst! Vor Freude umarmte ich ihn. Das war zu schön um wahr zu sein. Es kam mir alles wie in einem Traum vor – und genau das musste es auch sein. Ja, jeden Moment würde ich aufwachen und feststellen, dass ich noch immer die langweilige graue Maus bin, die ich immer war, ganz klein und unauffällig... Zauberei gibt es doch nur im Märchen! Langsam ließ ich Luno wieder los, der mich plötzlich ungläubig ansah.

„Was ist?“, fragte ich vorsichtig und sah mich um. „Hab ich was Falsches getan?“

„Nein, ich kann nur nicht glauben, was gerade geschehen ist“, sagte er so ruhig wie immer. „Du hast mich soeben umarmt!“

„Ja, als Zeichen meiner Dankbarkeit...“, sagte ich.

„Das hat bisher noch niemand gemacht, der nicht mit mir verwandt ist. Keiner ist mir dankbar, da mir alle misstrauen“, erklärte er.

„Wieso denn das?“, interessierte es mich. „Hat man denn einen Grund dafür?“

„Man glaubt zumindest einen zu haben... aber das tut jetzt nichts zur Sache, denn schon morgen wirst auch du mich hassen lernen, Lilly. – Doch im Gegensatz zu den anderen wirst du einen Grund haben...“, sprach er etwas traurig und mit gesenktem Blick. Es gefiel mir, wie er mich nannte.

Ich verstand nicht. „Warum sollte ich dich denn hassen? Du hast mir Schönheit verliehen!“

„Nicht ich, Lilly, das warst du selbst. Ich war nur der, der deine Kräfte steuerte. Du hast genügend Kraft um dir alle Wünsche zu erfüllen, du weißt nur nicht, wie du sie lenken kannst“, behauptete er.

„Aber wieso glaubst du, ich würde dich hassen?“, interessierte es mich noch immer.

„Das kann ich dir noch nicht sagen. Du wirst es feststellen, wenn es so weit ist“, antwortete er mir darauf nur, also hörte ich auf, dieser Frage nachzugehen. Nur eines stand für mich fest: Ich würde Luno niemals hassen!

„Wie lange hält der Zauber denn an?“, wollte ich schließlich wissen.

„Auf ewig, dem Alter entsprechend“, erklärte er mir. „Das ist übrigens eine schöne Halskette, die du da trägst“, fiel ihm auf.

„Danke, sie nennt sich Lebensbaum. Ich habe sie von meiner Großmutter...“, begann ich gerade zu erklären, bis mir plötzlich Astor wieder einfiel. „Oh je! Astor! Wie lange sind wir schon hier?“

„Ist ja gut, Lilly, es ist gleich der Baum da drüben“, versuchte mich Luno zu beruhigen.

Als wir jedoch wieder an den Ort ankamen, wo ich vorhin gesessen hatte, war dort niemand. „Hoffentlich war Astor noch nicht hier!“ Ich war sehr besorgt darüber, wie ich nun wieder nach Hause kommen sollte.

„Ich werde bei dir bleiben, bis er kommt“, bot mir Luno zuvorkommend an.

So setzten wir uns nebeneinander ins Gras. Keiner von uns wusste, über was wir nun reden sollten, schließlich kannte ich mich hier in Emmerald nicht aus und das sollte Luno natürlich nicht erfahren. Ich war aber auch irgendwie froh, dass er kein Gespräch begann, da ich wohl kaum hätte mitreden können.

Ich bemerkte, wie er mich die ganze Zeit über von der Seite ansah. „Was ist?“, wollte ich wissen.

Er lachte kurz. „Nichts, du bist nur so unglaublich schön.“ Ich wurde verlegen und sah zu Boden. „Nein, wirklich“, ergänzte er, „du bist überwältigend.“

„Ohne dich wäre ich es aber nicht“, merkte ich an.

„Was bist du nur für eine Rasse?“, überlegte er laut vor sich hin.

„Rate doch mal. Für was hältst du mich denn?“, ging ich geschickt vor, der Frage auszuweichen.

„Für eine Lichtgestalt“, hatte er sich entschieden. „Du musst eine Lichtgestalt sein, so wie ich. Liege ich richtig?“

„Wenn du dir sicher bist, dann wird es wohl so sein“, antwortete ich darauf nur.

„Du spielst mit mir...“, stellte Luno mit einem Kennerblick fest. „Das gefällt mir...“

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