Читать книгу Pinienträne - Christina Schwarzfischer - Страница 3

Kapitel 1

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Ein Glück bringender Talisman,

der jeden Wunsch erfüllen kann.

Pinienträne wird er genannt,

doch wenn man ihn sieht, so wird er nicht erkannt…“

*

Mit einem Stapel Papierkram in den Händen, der so hoch war, dass ich nichts sehen konnte, bog ich im Büro um eine Ecke und stieß plötzlich mit jemandem zusammen. Ich fiel hin und es regnete Blätter. Während des Gelächters meiner Arbeitskollegen stammelte ich ein „Entschuldigung“, obwohl ich mein Gegenüber durch die fliegenden Blätter noch nicht erkannt hatte, weil zusätzlich meine Brille verrutscht war. Darauf sprach eine freundliche Stimme mit französischem Akzent zu mir: „Aber Sie müssen sich doch nicht entschuldigen, Fräulein Rieder. Immerhin war es für Sie unmöglich, mich zu sehen. Ich bin derjenige, der Sie um Verzeihung bitten muss. Ich habe zur Seite gesehen, als ich um die Ecke bog. Es war meine Schuld, ich hätte besser aufpassen müssen. Ihnen ist doch nicht etwa was passiert?“

„...Nein...“, stockte ich, als ich erkannte, dass es mein junger, gutaussehender Chef, Pascal Lamour, war. - Der Mann, in den ich nun schon seit zwei Jahren verliebt war, der mich bis jetzt aber noch nie wahrgenommen hatte. ...Und er kannte sogar meinen Namen: Lillian Rieder!

Dann half er mir vom Boden auf. Ich rückte meine Brille wieder zurecht, überprüfte, ob mein Haarschopf noch saß und streifte meinen grau karierten halblangen Rock mit den Händen glatt. Dann wollte ich anfangen, meine fallen gelassenen Akten wieder einzusammeln, doch er war schon fast fertig damit. Gleichzeitig ergriffen wir das letzte Blatt und lächelten uns gegenseitig an, als sich dabei unsere Hände berührten.

„Wenn Sie erlauben werde ich das für Sie tragen. Das ist doch viel zu schwer für so eine zarte Dame, wie Sie es sind“, merkte er an. „Wieso sind sie mir nur nie zuvor aufgefallen? Ich muss blind gewesen sein, das Strahlen Ihrer blauen Augen übersehen zu haben.“ Nachdem er die Akten an ihrem Platz abgesetzt hatte, sah er mir nochmals in die Augen. „Sie haben da was“, sagte er ruhig, während er mir sanft eine Haarsträhne hinters Ohr streifte, die sich durch den Sturz aus meinen Haarschopf gelöst hatte. Dann näherten sich unsere Lippen und ich schloss meine Augen... - Plötzlich klingelte das Telefon. Ich schreckte aus meinem Tagtraum, hob ab und sagte meinen gewohnten Text auf: „Versandhaus Lamour, Ihre Bestellung bitte?“

Ich war Telefonistin in einem Großraumbüro eines riesigen Versandhauses für französische Mode. Aber eine schöne Stimme war auch schon alles, was ich hatte, denn mein Aussehen ließ stark zu wünschen übrig. Wahrscheinlich war ich meinem Chef deswegen nie aufgefallen, da Franzosen ja angeblich Geschmack haben und Bewunderer von Schönheit sind. Meine Mutter sah doch auch hübsch aus, warum ich nicht? Ich war zwar nicht dick, ganz im Gegenteil, ich stand sogar an der Grenze zum Untergewicht, da ich in meinem Zustand der unglücklichen Verliebtheit kaum etwas essen konnte. Aber ich war nicht groß, gerade mal knappe 1,60 Meter und meine dünnen, matt–braunen Haare reichten mir offen etwas über die Schultern und waren immer platt und kraftlos, ohne jeglichen Halt. Darum machte ich mir immer einen Zopf daraus. Außerdem hatte ich, im Alter von 21 Jahren noch immer Akne. Zusätzlich trug ich wegen meiner vererbten Weitsichtigkeit eine schmale Brille. Ich besaß keine modernen Klamotten, das würde mir nicht stehen, trug selten Schmuck, schminkte mich kaum und ging auch nicht aus. Ich war nie beliebt, hatte nicht einmal mehr jemanden, den ich wirklich als Freund bezeichnen konnte und Familie hatte ich auch nicht mehr. Meine Eltern, beides Einzelkinder, so wie ich, starben, als ich sechs Jahre alt war, an einem Autounfall. So wurde ich seitdem von meiner Großmutter, mütterlicherseits, aufgezogen. Meine anderen Großeltern waren alle schon verstorben, so war sie meine einzige, noch lebende, Verwandte. Doch vor nicht all zu langer Zeit segnete auch sie das Zeitliche und nun wohne ich, als einzige Erbin, ganz allein in ihrer großen, alten, düsteren, aber doch auch irgendwie schönen Villa.

Pascal war also der einzige lebendige Mensch, der mir noch etwas bedeutete und darum war mir meine Arbeit auch das Wichtigste. Ich erledigte sie zuverlässig, fleißig und immer fehlerlos. Schon in der Schule war ich immer Klassenbeste. Man nannte mich eine Streberin, bezeichnete mich als Lehrerliebling, da ich nie Ärger machte und mobbte mich, nicht zuletzt wegen meines Aussehens. Mein Spitzname damals war das hässliche Entlein. Sie waren grausam zu mir, doch ich ließ das alles über mich ergehen. Und letzten Endes hatten mir meine guten Noten einen tollen Job eingebracht. Monsieur Lamour war schon ein toller Chef... Er war ja so nett, charmant und zuvorkommend... ein richtiger Gentleman. - Zumindest zu meinen hübschen Arbeitskolleginnen, mit denen ich nicht viel gemeinsam hatte... Erst vor ein paar Tagen konnte ich etwas derartiges beobachten:

Während ich nach einem Telefongespräch an meinem Computer die Bestellung abspeicherte, beobachtete ich, wie meine Arbeitskollegin Sandrina Derber, eine große, schlanke, hübsche Blondine mit perfekter Figur und viel Oberweite, einen fast leeren Ordner an meiner offenen Büroseite vorbei trug. Dabei kam ihr Monsieur Lamour entgegen und nahm ihr sofort den Ordner ab mit den Worten: „Aber Fräulein Derber, das ist doch viel zu schwer für Sie. Lassen Sie mich das tragen.“ Das machte bestimmt seine gute Abstammung aus. Er kam schließlich aus Paris, der Stadt der Liebe...

Doch bald darauf nahm mir mein ach so lieber Chef alles, was mir wichtig war. Er, höchstpersönlich, war es nämlich, der mir fristlos gekündigt hatte! Angeblich hätte ich immer in meinen Mittagspausen von meinem Arbeitsplatz aus teure Auslandsgespräche geführt, was der Firma eine riesige Menge an Geld kostete. Aber das war ich nicht! In meinen Mittagspausen verließ ich immer das Gebäude und mein Arbeitsplatz stand dann leer. Jeder in der Firma hätte darauf Zugriff gehabt. Doch leider glaubte man mir nicht, da ich immer allein zum Essen ging, weil ich keine Freunde hatte und es darum keine Zeugen dafür gab. Außerdem hätte niemals jemand für mich die Hand ins Feuer gelegt. An diesem Tag war Monsieur Lamour furchtbar wütend auf mich und schrie mich vor allen anderen Mitarbeitern an! So hatte ich ihn noch nie erlebt! Ich war so enttäuscht über sein Verhalten... Das zerbrach mir das Herz wie altes Porzellan. Ich hätte am liebsten sofort losgeheult, doch ich wusste, dass ich das jetzt noch nicht konnte.

Nach meiner Kündigung zu Hause angekommen, kaum die Haustür hinter mir geschlossen, kamen mir auch schon die Tränen. Zu lange hatte ich sie verstecken müssen. Ich stellte meine Tasche im Hausflur ab, obwohl mein Blickfeld bereits verschwommen war, lehnte mich anschließend kraftlos mit dem Rücken gegen die Tür, schloss die Augen und sank daran verzweifelt zu Boden, während ich spürte, wie mir Tränen die Wangen hinunter liefen. Dann begann ich zu weinen.

Nach einer Weile schleppte ich mich ins Wohnzimmer, ließ mich auf die Couch plumpsen und kauerte mich darauf zusammen, kuschelte mich in die vielen, dicken, weichen, Kissen, die meine Oma mit verschiedenen Bildern und Mustern bestickt hatte und heulte. Ich bekam den eiskalten Blick, den Monsieur Lamour in den Augen hatte, als er mich anschrie, einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Pinienträne

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