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Kapitel 11

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Bis Sonnenuntergang waren wir von Hütte zu Hütte unterwegs gewesen. Bei anbrechender Dunkelheit brachte mich Astor dann in sein Baumhaus am Waldrand. Er sagte, dass nun die Rassen der Nacht unterwegs wären, also hauptsächlich Dämonen und ihre bessere Hälfte, die Irrnächtler, zu denen auch Drako zählte, einige Gnome, Trolle und Kobolde... und dass diese nicht gerade freundlich wären. Das wunderte mich nicht, nachdem ich Drakos Bekanntschaft ja bereits gemacht hatte. Aber wenn Drako noch ein Irrnächtler ist, wie sind dann erst Dämonen gesinnt...? Drako war eine der Ausnahmen seiner Rasse, die sich auch tagsüber heraus trauten, da die meisten Irrnächtler das Sonnenlicht meiden, wie mir Astor erklärte. Darum wären die Rassen der Nacht am Tag fast ausschließlich in dunklen Stellen des Waldes anzutreffen.

In dem kleinen Baumhaus war es recht schön, ja irgendwie sogar romantisch. Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Dabei kam mir eine Kindheitserinnerung: Einige meiner Klassenkameraden hatten auch ein Baumhaus. Zu gern wäre ich auch mal hinaufgestiegen, hätte die wunderbare Aussicht bewundert und mir vorgestellt, ich wäre ein Vogel, so frei und unabhängig... Ich hätte zu gern darin gespielt und in warmen Sommernächten dort oben übernachtet... hätten sie mich in ihr Reich gelassen. Leider besaß ich selbst nie ein Baumhaus... Aber jetzt, in diesem Moment, war ich nun endlich auch mal in einem! So lange musste ich warten... Gedankenversunken träumte ich vor mich hin.

„Lillian? – Lillian, ich hab dich was gefragt“, hörte ich Astor plötzlich neben mir, worauf ich wieder in die Gegenwart zurückkehrte.

„Oh! Tut mir leid, ich habe nicht zugehört“, gab ich zu.

„Schon gut, war nicht so wichtig. An was denkst du gerade?“, wollte er nun wissen.

„An meine Kindheit, denn da wollte ich auch immer ein Baumhaus haben“, gab ich ihm zur Antwort.

„War sie schön, deine Kindheit?“, kam die Frage an mich.

„Nein, nicht immer. Meine Eltern starben, als ich sechs Jahre alt war. Von da an kümmerte sich meine Großmutter um mich. Außerdem hatte ich keine Freunde. Kinder wollten nicht mit mir spielen, als ich selbst noch eines war, stattdessen wurde ich von ihnen ausgeschlossen und verspottet... Um ehrlich zu sein, ich hasse meine Kindheitserinnerungen...“, gestand ich.

„Dann denk doch einfach nicht mehr daran. Wirf die Sorgen weg. Was vorbei ist, ist vorbei. Das kann man nicht mehr ändern. – Und das ist auch gut, so. Denn all deine Taten machen deinen Charakter aus und hättest du damals etwas anders gemacht, wärst du heute nicht genau so, wie du bist“, erklärte er mir, während er eine Kerze anzündete, die er aufs Fensterbrett stellte.

„Hast ja Recht...“, meinte ich, noch etwas betrübt von meinen Erinnerungen.

Dann nahm Astor einen Stuhl aus der Ecke und stellte ihn vors Fenster. „Setz dich doch!“, bot er mir freundlich an.

Nun durchfuhr mich ein kalter Schauer und mich fröstelte.

„Oh, ist dir kalt?“, fragte Astor.

Ich nickte nur stumm. Darauf holte er eine große dicke Decke aus einer Holzkiste und warf sie mir um die Schultern. Sie war schwer, aber warm. Ich schlang mich darin ein und zog sie mir bis über den Hals, sodass nur noch mein Kopf heraussah. Die Decke duftete angenehm nach Nadelwald. Dann setzte ich mich und betrachtete weiterhin die herrliche Aussicht. Nun sah ich zu Astor hinüber, der rechts neben mir auf der Holzkiste saß, aus der er die Decke geholt hatte, da ich seinen einzigen Stuhl besetzte.

„Friert dich denn nicht?“, interessierte es mich, worauf mir Astor rasch antwortete: „Nein, nein...“

In seiner Stimme war ein leichtes Zittern zu vernehmen, das sich an seiner Unterlippe noch deutlicher zeigte und sein Atem, mit dem er diese Worte aussprach, ergab eine Art Nebelschleier in der Kälte. Ich spürte an meinen Wangen, dass es in dieser kurzen Zeitspanne noch kälter geworden war. Astor zitterte beinahe schon, riss sich aber zusammen. Also nahm ich das eine Ende der Decke in meine rechte Hand und streckte den rechten Arm aus, wie eine Fledermaus, die einen Flügel ausbreitet.

„Du bist ein schlechter Lügner, Astor“, stellte ich fest, während ich ihm den Arm um die Schultern legte, um ihn auch in die Decke zu wickeln und dabei seine kalte Haut berührte. „Die ist groß genug für uns beide.“

„Danke. Ich habe leider nur diese eine Decke. Auf Besuch bin ich nicht vorbereitet“, erklärte er etwas beschämt.

„Ich muss danken, immerhin ist es deine Decke und du warst nicht dazu verpflichtet, sie mir zu überlassen“, bedachte ich. „Ich will ja nicht, dass du dich erkältest.“

„Erkälten? Was ist das? Ach, das ist eine Krankheit in der Menschenwelt, richtig? In Emmerald gibt es keine Krankheiten. Die Kälte oder auch die Hitze hier ist nur sehr unangenehm. Der Mondmann scheint nicht gerade gut gelaunt zu sein... Es ist normal, dass es nachts ein bisschen kühl wird. Aber sowas...“, er beendete den Satz nicht.

Wir blickten gemeinsam hinaus auf den Sonnenuntergang, wie er sich in den wundervollen Sternenhimmel mit den zwölf Monden verwandelte. Und ich erinnerte mich an letzte Nacht, wie Luno mir den Mond hergeholt hatte. Heute war es etwas neblig, doch trotzdem fanden die Glühwürmchen zu uns. Wahrscheinlich lag das daran, dass ich heute Nacht auch leuchtete. Dann beachtete ich erstmals das Dorf darunter. Dunkle, rotäugige, unheimliche Gestalten trieben sich etwas außerhalb herum. Dämonen und Irrnächtler.

„Unheimlich...“, meinte ich.

„Normal“, sagte Astor.

„Schon ein komisches Gefühl, nicht müde zu werden... Ewig wach sein, ewig andauernde Freizeit... Es gibt doch nichts, zu was ihr Hortenser notwendiger Weise verpflichtet seid... Ihr braucht nicht kochen oder essen, denn die Nährstoffe holt ihr euch durch Wurzeln aus dem Boden, ihr braucht nicht waschen, denn ihr könnt nicht schmutzig werden und auch nicht schwitzen, somit braucht ihr die Wäsche auch nicht zu trocknen und zu bügeln, putzen braucht ihr auch nicht, weil es, wie ich sehe, hier noch nicht mal Staub gibt, ihr müsst kaum etwas aufräumen, weil die meisten von euch so gut wie nichts besitzen, manche von euch brauchen ja noch nicht mal ein Haus, weil jeder Hortenser ab seinem 15. Lebensjahr selbständig ist,... Ihr müsst ja noch nicht mal aufs Klo! Sag mal, Astor, was macht ihr Hortenser eigentlich den ganzen Tag?“, interessierte es mich.

„Wieso immer ihr Hortenser? Du bist doch jetzt auch einer von uns“, rief mir Astor ins Gedächtnis zurück.

„Erinnere mich erst gar nicht daran... beinahe hätte ich es wieder vergessen...“, murrte ich.

„Verdrängung hilft nichts. Wenn, dann müssen wir es ändern. Aber du hast gut aufgepasst. Ja, es stimmt, wir Hortenser brauchen wirklich kaum etwas zum Leben und haben ewige Freizeit. Meistens spielen wir verschiedene Spiele miteinander. Und wenn ein Spiel langweilig wird, erfinden wir einfach ein neues. Kartenspiele sind dabei besonders beliebt, oder auch Brettspiele. Wir veranstalten auch sehr oft Wettkämpfe. Manche davon sogar mit einem Preis für den ersten Platz. Ansonsten unterhalten wir uns anders, sprechen miteinander, erzählen uns Witze, reden miteinander über Erlebnisse, erklären und zeigen uns gegenseitig etwas, wir lesen Bücher und so... Aber du hast ja Recht. Alles wird auf Dauer langweilig und dann gibt es bald auch nichts mehr zu erzählen, weil es schon jeder weiß. Darum bin ich sehr oft in der Menschenwelt unterwegs und beobachte. Ich finde es jedesmal wieder faszinierend, wenn ich einem Menschen zusehe, der etwas macht, was ich noch nie zuvor gesehen habe. Dann versuche ich immer herauszubekommen, für was das gut sein könnte. Oder wenn ich einen Gegenstand entdecke, von dem ich nicht weiß, für was man ihn gebrauchen kann. Dann warte ich immer ab, dass der Gegenstand benutzt wird. Dabei fällt mir ein, es ist schon toll, dich hier zu haben. Ich habe doch noch so viele Fragen über die Menschen und ihre Erfindungen an dich...“

„Dann schieß los“, erklärte ich mich bereit.

„In Ordnung. Also... wieso habt ihr so viel verschiedenes Essen, wie ihr es nennt, wechselt das Essen ab und mischt es euch jedesmal anders zusammen? Versucht ihr die ultimative Nahrung für euch zu finden?“, wollte er wissen.

Ich musste kichern. „Naja, so kann man das nicht sagen. Es ist so: Jedes Essen schmeckt anders.“

„Es hat einen Geschmack?!“, wunderte sich Astor. „Auf die Idee wäre ich nun echt nicht gekommen.“

„Ja, es hat einen Geschmack, im Gegensatz zu euren Nährstoffen“, bestätigte ich es ihm nochmal. „Und manches mag man eben lieber als das andere, doch immer dasselbe schmeckt auf Dauer auch nicht gut. Es ist eigentlich wie eine Art Langeweile. Wenn man ein Spiel sehr gerne mag, aber immer nur dieses eine spielt, gefällt es einem mit der Zeit auch nicht mehr.“

„Haben eure Flüssigkeiten auch einen Geschmack? Und hat das auch etwas mit dem Geschmack zu tun, ob Essen warm oder kalt ist?“, fragte er nun, worauf ich bejahte.

„Faszinierend!“, begeisterte sich Astor. Aber ich fand es nur noch witzig, was er mir für Fragen stellte.

„Für was sind eigentlich diese riesigen Holzpfosten mit den Schnüren daran? Manchmal sind sie auch aus Metall und dann führen ganz viele Schnüre von ihnen weg. Von einem Pfosten zum anderen“, stellte er die nächste Frage.

Ich überlegte. „Meinst du Zäune? – Nein, du meinst sicher Strommasten!“

„Strom?“, fragte Astor. „Was ist Strom?“

„Das ist die Energie, die man aus einem Blitz gewinnen kann“, erklärte ich ihm. „Durch diese Pfosten wird sie an jedes Haus weitergeleitet. Dadurch können wir im Dunkeln Licht machen.“

„Wie ihr Licht macht, wäre gleich meine nächste Frage gewesen. Und was hat es eigentlich mit diesen komischen Dingern auf sich, die ganz verschieden ertönen, dann nimmt man sie, drückt manchmal auf einen Knopf, es sei denn, sie haben eine Schnur, hält sie ans Ohr und spricht damit. Ich habe auch schon gehört, dass Stimmen heraus kamen. Kann dieses Ding etwa sprechen? Ist das eine Art Haustier?“, wurde Astor neugierig.

„Nein, es ist nicht lebendig. Das ist ein Telefon. Man kann damit mit einem anderen Menschen sprechen, obwohl dieser gerade woanders ist. Da wählt man verschiedene Nummern, um bestimmte Orte, wo ein weiteres Telefon ist, erreichen zu können und dann klingelt es dort, damit der Mensch weiß, dass jemand mit ihm oder einem anderen Menschen in seiner Nähe sprechen will“, erklärte ich.

„Und warum habt ihr einen Kasten, in dem kleine Menschen eingesperrt sind? Viele verbringen Stunden damit, ihnen zuzusehen. Mich wundert nur, dass da so viel rein passt...“, kam es von Astor.

„Ach, das ist der Fernseher. Darin ist niemand eingesperrt. Es werden nur Bilder übertragen“, konnte ich ihn beruhigen.

„Ist das wie in einem Spiegel?“, fragte er.

„Nein, die Bilder sind viel weiter weg. Leider kann ich dir nicht erklären, wie das alles genau funktioniert, denn das weiß ich selbst nicht immer so genau. Dafür gibt es Spezialisten und keiner ist ein Spezialist in allem“, wies ich ihn darauf hin.

„Und in was bist du ein Spezialist?“, interessierte es ihn nun.

Ich dachte nach, doch mir fiel nichts ein. „Astor, ich denke, ich bin kein Spezialist... Ich kenne mich vielleicht in Rechtschreibung und Mathematik aus, kann Englisch, Lateinisch, Französisch, ein bisschen Spanisch und weiß von allem ein wenig, von manchem mehr, von anderem wieder weniger. Aber ich bin niemand, der über irgendein Thema alles weiß“, musste ich ihn enttäuschen. „Frag mich lieber was anderes.“

Über diese Erkenntnis war ich etwas betrübt. Astor merkte das bestimmt. Doch dann fragte er mich: „Warum kaufen sich Menschen, meist dort, wo es Medizin oder Reinigungsmittel gibt, diese kleinen Tütchen in denen so ein glitschiger Gummiring ist, den man zu einer Art Schlauch ausrollen kann?“

Ich wurde rot. Natürlich wusste ich sofort, was er mit seiner Erklärung meinte. Ja, ja, die Ware in Apotheken und Drogerien umfasste so Einiges...

„Naja...“, begann ich etwas verlegen, „die braucht man für... ähm..., nennen wir es mal eine Fortpflanzungszeremonie. Damit schützt man sich vor bestimmten Krankheiten, die man während der Zeremonie bekommen könnte und verhindert, sich dabei fortzupflanzen.“

„Aber das ist doch Unsinn. Warum sollte jemand eine Fortpflanzungszeremonie machen, wenn er sich gar nicht fortpflanzen will und noch dazu dabei krank werden könnte?“, wunderte sich Astor.

„Naja... es heißt, eine solche Fortpflanzungszeremonie wäre sehr schön...“, stammelte ich nur.

„Ach ja? Hast du so eine Fortpflanzungszeremonie schon mal gemacht? Was passiert da?“, interessierte es ihn nun.

Ich wurde immer röter im Gesicht, das spürte ich. Was sollte ich Astor jetzt bloß erzählen? „Nein, ich habe die Zeremonie noch nicht gemacht. Wie gesagt, ich bin kein Spezialist in sowas. Ich bin unerfahren, also kann ich dir dazu auch nicht mehr sagen“, schloß ich das Thema kurz und bündig ab.

Nun lachte Astor laut auf. „Ach, Lillian... Man pflanzt sich in Emmerald nicht anders fort, als in eurer Welt. Nur hier gibt es keine Krankheiten und darum auch keine Tütchen mit glitschigen Gummiringen darin. Und jeder Hortenser kann durch einen Zauber verhindern, sich fortzupflanzen, wenn er das nicht will.“

„Warum fragst du mich dann sowas?!“, wollte ich entrüstet wissen.

„Also wozu die Dinger sind, wusste ich ja wirklich nicht. Ich wusste nur, wie sie die Menschen benutzen. Und die Fragen über diese Fortpflanzungszeremonie stellte ich, weil ich dich necken wollte“, gestand er lächelnd.

„Du Schuft!“, stieß ich empört aus. Dann musste sogar ich lachen. Astor stimmte mit ein. Und wir konnten mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören.

Pinienträne

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