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Bücher als Zeitmaschinen

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Doch anders gefragt: Wären die Bücher, die in den Zukunftswäldern Bradburys und Truffauts aus wendig gelernt werden, nicht hervorragende Kandidaten für E-Books: für Bücher, die wir nicht ständig mit uns herumtragen, aber auch nicht missen wollen? Ein Buch, das ich liebe, will ich als Objekt besitzen; ein Buch, das mir irgendwann nützlich sein könnte, ist mir auch als tragbares Dokument – als E-Book oder PDF-Datei – willkommen. Bücher sind Speichermedien wie viele andere Medien auch. Aber sie sind – abgesehen von Steinen, die bei hohem Eigengewicht nur wenige Zeichen aufbewahren können – die langlebigsten Speichermedien, die jemals erfunden wurden. Textseiten im Internet können täglich wechseln oder verschwinden (was sich bei jeder Bearbeitung der im Lauf der Zeit angelegten Bookmarks prompt bestätigt); ihre Archivierung wäre aufgrund der exponentiellen Wachstumsraten des Netzes ebenso sinnwidrig wie chancenlos. Nach wie vor wird diskutiert, wie man Internet-Seiten zitieren soll. Mit Web-Adresse und Datum? Aber wer könnte denn ein solches Zitat überprüfen? Das Internet ist gar nicht darauf angelegt, temporale Verdichtungen zu ermöglichen; es funktioniert als topologisches System, ganz anders als die Bücher und Bibliotheken, die gleichsam ein jahrtausendelanges Gespräch führen. Bücher sind Brücken zwischen entfernten Kulturräumen und Epochen; sie sind – nicht nur in Ray Bradburys Roman – Instrumente der Überlebenskunst. Niemand wird eine DVD-Sammlung vererben, erst recht nicht seine Homepage. Privatbibliotheken können dagegen leicht mehrere Generationen überdauern; unter günstigen Umständen werden sie sogar immer wertvoller. Kurzum, wir können also schwere und ortsfeste Speichermedien (wie etwa Steine), die sehr wenig Inhalt für sehr lange Zeit konservieren können, unterscheiden von den beweglicheren, leichteren Speichermedien (wie den Büchern), die deutlich mehr Inhalte, aber für gewöhnlich etwas kürzere Zeit – statt für Jahrtausende für Jahrhunderte – aufbewahren; und wir können diese Gutenberg-Speicher unterscheiden von den extrem mobilen und schnellen, ungeheuer leichten – ein USB-Stick mit einer Kapazität von 64 GB, auf dem Sie etwa viertausend Bücher speichern können, wiegt gerade noch 14 Gramm – Turing-Medien, die sehr viel mehr Inhalte, allerdings womöglich für erheblich kürzere Zeiträume – statt für Jahrhunderte für Jahrzehnte – aufheben.

Jacques Attali hat in seinem Buch Millennium behauptet, dass Bücher die ältesten »nomadischen Objekte« sind. In der Funktion eines mobilen Speichers werden sie inzwischen zwar von jedem Handy übertroffen; aber die nomadische Wanderlust der Bücher hat sich immer schon mehr auf die Zeit als auf den Raum bezogen: Bücher sind die einzigen Zeitmaschinen, die wir tatsächlich besitzen.

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