Читать книгу Bücherdämmerung - Dietmar Dath - Страница 14

Dichtung gegen Dumpinglohn
Von der Ökonomie des Schreibens

Оглавление

Es fing schon ziemlich ungesund an, wurde dann aber nicht besser. Lange, bevor ich Gelegenheit bekam, zu erfahren, welche kopflosen Kurzschlussreaktionen die Existenz elektronischer Speicher- und Übermittlungsmöglichkeiten für Texte in der Buchbranche auslösen sollte, musste ich mit ansehen, was Verleger manchmal meinen, wenn sie sagen, dass irgendeine sogenannte Innovation den sogenannten Kreativen »mehr Freiheiten« verschaffe.

Ende der Neunzigerjahre, auch noch zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte ich wenig Erfahrung und noch weniger Glück mit Büchern, konnte dafür aber im Zeitschriftenwesen die eine oder andere Mark, bald darauf den einen oder anderen Euro verdienen. Das war die Zeit, da mehr und mehr der betreffenden Magazine – meist monatlich erscheinende Hefte für Musik, Film oder überhaupt Kulturelles von Pop bis Oper – sich einen, wie das damals gerade neu hieß, Auftritt im WWW einfallen ließen, und dafür wurden nicht nur Autorinnen und Autoren gesucht – die nahm man einfach aus dem vorhandenen Stamm, und ihre Texte wurden aus dem gedruckten Angebot geholt, manchmal erzählte man ihnen auch, sie wären jetzt in der glücklichen Lage, sich nicht mehr an vorgegebene Längen halten zu müssen, die Honorare freilich waren dieselben wie vorher, sollten jetzt aber die Netzveröffentlichung mitfinanzieren –, sondern auch Gestalterinnen und Gestalter. Mehr als einmal nun begegnete mir in diesem Zusammenhang der erstaunliche Fall, dass diese Web-Fachkräfte, frisch von allerlei öffentlichen oder auch privaten Hochschulen für Gestaltung auf den Markt gepurzelt, manchmal mit Fertigkeiten im Bereich Programmierung, manchmal auch ohne, mit sanftem Druck dazu genötigt wurden, eine ganz merkwürdige Bedingung anzunehmen, wenn sie die jeweilige Anstellung auf neu geschaffenen Mischposten als Webmaster, Webdesigner, Webmoderator und Webredakteur zugleich besetzen wollten – eine Ballung von Zuständigkeiten, die vor allem bei kleinen, kämpfenden, subversiven, bohèmistischen und politisch oft irgendwie »linken« Magazinen damit begründet wurde, dass man sich mehr als einen Menschen für dieses vom Himmel gefallene neue Internet-Zeug jedenfalls nicht würde leisten können, bei der schwierigen Anzeigenlage, und wo doch demnächst auch noch die Werbung der Tabakindustrie ausfallen würde, die so manches kleine Blatt über so manchen klammen Monat hinweggerettet hatte.

Anzeigen, das war auch das Stichwort für die seltsame Vereinbarung, die erstaunlich viele der neuen Web-Verantwortlichen mit erstaunlich vielen der kleinen Zeitschriften, die sie liebten und für die sie arbeiten wollten, überraschend bereitwillig eingingen: Sie sollten außer der kreativen und administrativen Arbeit am Webauftritt auch die im neuen Medium mögliche, erwartete, na, sagen wir: flehentlich erhoffte Werbung steuern, sie sollten, kurz gesagt, das Geld über Akquise von Dingen wie Bannerwerbung und sonstigem Reklamekram selbst heranschaffen, das man brauchen würde, um sie zu bezahlen. Der Zeitschriftenverlag stellte also im Grunde den Namen und ein paar Texte und Bilder – »Content« –, die neuen Webleute aber sollten sich verhalten, als wären sie Selbstständige.

Das war vor rund fünfzehn Jahren. Heute begegnen mir häufig Studierende schöngeistiger und literaturnaher Fächer – besonders oft habe ich es mit der Theaterwissenschaft zu tun, als Saisonlehrer verdiene ich mir da ein Zubrot –, die mir von ihren Minijobs im Kulturmanagement erzählen: Veranstaltungsorganisation von Symposium bis Festspiele, wobei ihnen als Einstellungsvoraussetzung bereits die Frage gestellt wird, ob sie in den sozialen Netzwerken aktiv seien und bereit, die dort geknüpften Verbindungen in den Dienst der Zeitarbeit zu stellen, im Sinne des viralen Marketings. Was also die Akademien, Sender, Vereine sparen, ist zunächst mal Werbeaufwand – und so wollte man denn auch bei jedem der Buchverlage, die in den letzten 15 Jahren meine Romane, Essays oder sonstigen Bändchen und Bände publiziert haben, sofort wissen, ob ich denn eine eigene Website hätte, also mein eigener Werber sei, und wie man das gegebenenfalls für – so drückten es die Lebhaftesten aus – Synergien nutzen könnte. Ich habe keine Website, plane aber schon lange eine. Dafür haben einige meiner Bücher welche, eine Unterscheidung, auf die ich Wert lege – denn dass ich für meine Bücher werben soll, das ist wenigstens keine Verschlechterung des Betriebsklimas, das mussten die Kolleginnen und Kollegen früher auch, per Interviewbereitschaft, Lesung oder Anwesenheit in Zusammenhängen wie der Gruppe 47 oder auf dem Klagenfurter Wettsingen.

Das Problem ist, dass viele Kolleginnen und Kollegen ihre Interessen nicht begreifen. Wenn man ihnen Angst vor Raubdrucken, heute: Raubkopien in der E-Sphäre macht, kuscheln sie sich an ihre Vervielfältiger, also vor allem Verlage, weil sie denken, ihre Interessen deckten sich mit deren Interessen. Dabei ist die Schnittmenge gar nicht mal so groß. Natürlich wollen die Verlage auch keine Raubkopien. Natürlich wollen die Verlage mit den Büchern Geld verdienen, wie die Verfasserinnen und Verfasser auch. Aber die Verlage haben eine Buchhaltung, und die sagt ihnen, was ihnen die betriebswirtschaftliche Zweckrationalität sagt: Wenn es einen Weg gibt, für die Herstellung, die Lagerung und den Vertrieb der Bücher weniger Geld auszugeben, werden Verlage den beschreiten. Wenn es einen Weg gibt, den Anteil der Grossisten, der kleinen Buchhändler und der Online-Versender der Sorte Amazon am Erlös der Bücher zu verringern, werden Verlage den beschreiten. Und wenn es schließlich einen Weg gibt, den Anteil der Verfasserinnen und Verfasser am Erlös der Bücher zu verringern, werden die Verlage auch den beschreiten. Nicht aus Bosheit oder Blutsaugerei. Aus Vernunft: Wenn es ein Verlag aus ethischen Bedenken nicht täte, ein anderer aber schon, hätte der skrupulösere einen Marktnachteil, und das kann er einfach nicht wollen. Der Weg, den ich meine, existiert bekanntlich, er heißt E-Publishing. Er wird noch nicht für all die schönen Dinge, von denen in den Sätzen, die ich eben geschrieben habe, steht, dass die Verlage sie wollen müssen, genutzt – der relative Anteil der Autorinnen und Autoren an den Erlösen etwa ist hier und da sogar gestiegen. Aber das sind Testläufe; wenn es anders geht, wird es anders sein. Dass ihre Interessen sich mit denen der Vervielfältiger also keineswegs rundweg decken, müssen Autorinnen und Autoren schnell lernen, sonst werden sie sich auf eine Art wundern, die schmerzhaft und peinlich zugleich ist.

Bücherdämmerung

Подняться наверх