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Downton Abbey: Der Roman der Zukunft?

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Für das Drehbuch eines Spielfilms wird der Oscar in zwei Kategorien vergeben: seit 1929 für das beste adaptierte Drehbuch und seit 1941 für das beste Originaldrehbuch. Die ältere Auszeichnung wird für das beste Drehbuch vergeben, das eine bereits veröffentlichte Geschichte filmisch neu erzählt. Die später eingeführte Verleihung eines Oscars für ein Originaldrehbuch ist ein Hinweis darauf, dass Hollywood damit begonnen hatte, eigene Geschichten erfinden zu lassen. Obwohl die sehr unterschiedlichen Medien Film und Buch seit vielen Jahrzehnten und auch heute noch in friedlicher Koexistenz leben, basiert die Mehrzahl der Spielfilme nicht mehr auf einer Buchvorlage.

Der seit Jahren andauernde und offensichtlich weiter zunehmende globale Erfolg meist amerikanischer TV-Serien könnte die Bedeutung des Romans als Erzählform tangieren, denn im Bereich des filmischen Erzählens stellen sie erstmals eine ernsthafte Konkurrenz zu ihm dar. The Sopranos, The Wire, Mad Men, Breaking Bad, Downton Abbey oder Boardwalk Empire, die hier nur beispielhaft für das Gros der modernen TV-Serien stehen, unterscheiden sich ganz erheblich von den herkömmlichen Serienformaten wie Bonanza, Columbo oder In aller Freundschaft.

Die meisten dieser neuen Serien kennen einen Anfang und ein Ende, und sie nehmen sich viel Zeit, um eine Geschichte zu erzählen, innerhalb derer sich die Figuren jenseits herkömmlicher Klischees entwickeln. Während in den alten Serien die gleiche Geschichte immer neu erzählt wird, in Colombo die Aufklärung eines ausgeklügelten, scheinbar perfekten Verbrechens durch einen schrulligen Kommissar mit seinen immer gleichen Verhaltensweisen, erzählt Breaking Bad die tragische Geschichte seines Protagonisten, der sich im Verlauf der fünf Staffeln vom biederen Chemielehrer in einen skrupellosen Drogenhändler verwandelt. Auch in anderen modernen Serien ist gut oder böse nicht eindeutig den agierenden Chararakteren zuzuordnen. Die Cartwrights in Bonanza dagegen waren immer die Guten, ihre wechselnden Widersacher immer die Bösen. Diese klare Rollenverteilung ist in den modernen TV-Serien aufgehoben, ihre Erzählweise realistischer. Ein weiterer Unterschied zu den »klassischen« Serien besteht darin, dass man dort Musik zumeist nicht nur spärlicher, sondern vor allem gezielt einsetzt. Musik ertönt, wenn jemand im Auto das Radio einschaltet. Das Hauptaugenmerk liegt auf Bild und Text.

Der Roman und die modernen TV-Serien ähneln sich nicht nur in ihrer Erzählstruktur, als Kolportageroman kannte die »Langform der schriftlichen Erzählung« sogar die Auslieferung in – modern ausgedrückt – Staffeln und Folgen. Im Kolportagevertrieb wurden Romane gewissermaßen kapitelweise gedruckt und durch Hausierer von Tür zu Tür verkauft. Karl May schrieb mit Waldröschen den erfolgreichsten Kolportageroman des 19. Jahrhunderts. Der Roman erschien von Dezember 1882 bis August 1884 in 109 Fortsetzungen. Das Format des Kolportageromans existiert in der Buchbranche nicht mehr, es wird heute von den modernen TV-Serien mit riesigem Erfolg fortgesetzt.

Ob die Rezeption der Leserschaft einen Einfluss auf den Inhalt der während der Auslieferungen entstehenden Teile des Kolportageromans hatte, ist unwahrscheinlich. Bei den meisten modernen TV-Serien ist dagegen anzunehmen, dass die Produzenten sehr wohl auf die Meinung des Publikums reagieren und den Fortgang der Serien entsprechend steuern.

Im Unterschied zu den 90-minütigen Spielfilmen und den klassischen TV-Serien, die immer noch ein dankbares Publikum finden, erzählen moderne Serien komplexe Geschichten, teilweise auf hohem sprachlichem Niveau. Sie gleichen darin dem Roman und es bleibt abzuwarten, ob die Buchbranche das irgendwann spüren wird. Wenn man Party- und Restaurantgespräche mit durchaus buchaffinen Menschen zum Maßstab nimmt, hat bereits ein erheblicher Paradigmenwechsel stattgefunden. Man kann sicher sein, dass fast alle Anwesenden die letzte Staffel von Downton Abbey oder Breaking Bad gesehen haben und sich gern darüber austauschen, bei dieser Gelegenheit auch von anderen Serien erzählen, die sie entdeckt haben. Gespräche über neue Romane sind, jedenfalls nach meiner Beobachtung, bei solchen Anlässen seltener geworden.

Und die Qualität der Serien nimmt weiter zu. Das Internetportal Netflix hat sich die ersten beiden Staffeln von House of Cards mit Kevin Spacey 100 Millionen Dollar kosten lassen, Ende 2014 soll das Science-Fiction-Drama Sense8 starten, für das Netflix keine Geringeren als die Matrix-Schöpfer Lana und Andy Wachowski für die Regie verpflichten konnte.

Die Website Serienjunkies.de listete im November 2013 insgesamt 1.234 Serien aus aller Welt auf; über Downton Abbey war jüngst zu lesen, dass die Serie in über 140 Ländern ausgestrahlt wird. Die dem Roman ähnliche Erzählweise vieler Fernseh- oder Internet-Serien ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

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