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Rebellion gegen die Logik der Ökonomie

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Wie zeitraubend und kräftezehrend allerdings, gesetzt den Fall, es gelänge ihnen, dieser Interessen zunächst einmal überhaupt innezuwerden, dann deren Verteidigung werden könnte, wie viele Fronten dann Wachsamkeit verlangen dürften und wie oft man dabei wird umlernen müssen, zeigen die juristischen Erfahrungen eines Schriftstellers, dessen Werke auf meine eigenen Versuche den größten denkbaren Einfluss hatten, der sein Recht auf eine für ihn erträgliche Entlohnung seiner Bemühungen aber seit Jahrzehnten mit einer Energie und einer Hartnäckigkeit verfolgt, über die man nur staunen kann: der Amerikaner Harlan Ellison.

Als Autor von Romanen und Erzählungen, Herausgeber von stilbildenden Anthologien und Verfasser von Drehbüchern fürs Fernsehen und den Film gehört er zu den einflussreichsten Figuren im Science-Fiction-Genre, seit es das gibt – und zu den besten Stilisten dieser Gattung. Als Aktivist einer Gewerkschaft für Leute, die schreiben, was dann als Film oder Fernsehspiel die Massen erreicht, hat er gegen Zensurzumutungen, niedrige Honorarsätze und anderen Ärger unermüdlich die träge Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen mobilisiert, wann immer das nötig war. Einem Verleger, der in Ellisons Bücher Anzeigen von Zigarettenfirmen druckte, obwohl Ellison sich vertraglich ausbedungen hatte, dass nichts dergleichen geschehen durfte, hat er so lange mit brieflichen, halböffentlichen und anderen außergerichtlichen Mitteln zugesetzt, bis der ihm die Rechte am betreffenden Werk zurückgab. Einen anderen, der Ellisons Bücher zu unverantwortlichen Dumpingpreisen verramschte, trickste er über geschickte Nachforschungen bei dem Versandhaus, das die Mehrzahl der Remittenden erworben hatte, elegant aus: Da der Verleger eine Vertragsklausel übersehen hatte, die Ellison das Ersteinkaufsrecht an Restexemplaren zum besten auf dem freien Markt erzielbaren Preis zusicherte, musste dieser Verleger die Bücher vom Versandhandel mit dem dort üblichen Aufschlag zurückkaufen, sie dann aber Ellison zu dem niedrigeren Preis überlassen, die der Versandhändler beim Verleger dafür bezahlt hatte. In wieder einem anderen Fall verklagte Ellison einen Verlag erfolgreich auf Schadensersatz, weil dieser in seinen Standardverträgen die Bestimmung als reine Floskel stehen hatte, man werde für das jeweilige Buch den größten und effektivsten Werbeaufwand treiben, zu dem man in der Lage sei – Ellison hatte keine Schwierigkeiten, nachzuweisen, dass die Werbeanstrengungen dieses Verlages, wie diejenigen von Verlagen überhaupt, natürlich je nach Profiterwartung hierarchisch gestaffelt sind, man also für potenzielle und mit hohen Vorschüssen finanzierte Beststeller wesentlich mehr in die Propaganda investiert als für das, was seinerzeit noch die »mid-list« hieß, also das große Mittelfeld von Werken, die sich zwar leidlich bezahlt machen und keine Zuschussgeschäfte für die Verlage sind, aber auch keine Quellen ungeheuren Reichtums – an dieser Stelle etwas mehr Klarheit erzwungen zu haben, gehört zu den beispielhaftesten Taten Ellisons, denn aus der »mid-list« ist unter den Bedingungen zunehmend netzgestützter und netzgeformter Vermarktung unterdessen der vielberedete »long tail« geworden, also eine riesige Anzahl von Titeln, die sich selbst, der Mund- oder Social-Network-Propaganda und anderen Imponderabilien überlassen bleiben. Das alles aber, die Händel wegen vereinbarungswidriger Überschreibung des »Contents« zu irgendwelchen außerliterarischen Zwecken (die Zigarettengeschichte: So etwas wird häufiger werden, Literatur als Dreingabe, als Prämiengeschäft, als »Buch zu …« ist ein Geschäftsmodell on the rise), unkontrollierbarem Ausverkauf, nicht hinreichender Werbeunterstützung, konstituiert zusammen nur eine der mehreren Fronten, an denen Ellison sich nichts gefallen ließ – als der Regisseur James Cameron für seinen Terminator-Film alte Ellison-Stoffe und -Texte bestahl, bekam auch er es mit dem Unermüdlichen zu tun, und wurde schließlich gezwungen, für das Plagiat zu bezahlen und öffentlich Abbitte zu leisten. Und als der noch weitgehend gesetzlose, nicht deregulierte, sondern noch außerhalb und vor jeder Regulierung zu sich selbst findende Online-Textmarkt entstand, legte sich Ellison – was ihn finanziell fast ruinierte – mit dem Online-Giganten AOL/Time Warner an, weil auf einer Website dieses Weltkonzerns kostenlos zugängliche Kopien alter Ellisontexte zu haben waren – hier gelang es dem Schriftsteller schließlich, einen nicht öffentlichen Ausgleich zu erzwingen, über den aufgrund wechselseitiger Schweigeverpflichtungen nichts weiter bekannt wurde, als dass die unentgeltliche Textverbreitung eingestellt wurde und Ellison vermutlich eine halbwegs vertretbare Zahlung erhalten hat.

Menschen wie er, die grundsätzlich nichts hinnehmen, was ein von gigantischen Umwälzungen ergriffener Markt ihnen an Kränkungen und Entbehrungen zumutet, dürften eine seltene Erscheinung sein – ich weiß jedenfalls von mir selbst, dass mir das Durchhaltevermögen fehlt, ungefähr die Hälfte der Zeit, die ich für meine Arbeit aufwende, über Jahre hinaus in Streitigkeiten zu verbrennen, wie sie Ellison nie gescheut hat. Dass dieser Mann kein sensibler Dichter ist, der auf einem einsamen Berg mit silbernen Händen an ätherischen Glasbläsereien arbeitet, sondern – wenn auch mit ästhetischem Ehrgeiz und bewunderungswürdig schönen Ergebnissen – sein Handwerk wie seine Kunst in einem populären Genre gelernt hat, dürfte kein Zufall sein: Die Science-Fiction, wie lange Zeit der Krimi und andere Gattungen, denen das Wort »Pop-Literatur« wesentlich angemessener wäre als der öden Nabelschau einiger Gymnasiasten, die man hierzulande darunter verstanden hat, war immer ein Fach, in dem man schnell und viel schreiben musste, wenn man von der Sache (oder, bei einigen besonders hingebungsvollen Leuten: für die Sache) leben wollte; das Genre fing als wenig geachteter Content von Pulp-Heftchen an, die einen Cent pro Wort zahlten. Vor allem aber konnte über lange Jahrzehnte seit Entstehung dieser Gattung in den Zwanzigerjahren von »im Druck bleiben«, »Backlist« und ähnlichen langfristigen Einnahmequellen für die Schreibenden keine Rede sein – die Sachen wurden zwar von Aficionados gesammelt, verschwanden aber bald vom offiziellen Markt und generierten damit auch kein Einkommen für die Urheberinnen und Urheber mehr.

In Zeiten des großräumigen Abbaus von Lagerkosten unterm Konkurrenzzwang und dem Druck internationaler Medienkonglomerate verschwinden Titel selbst in Liebhabersparten wie der anspruchsvollen Lyrik als physische Bücher in ähnlicher Rate, ähnlicher Taktung, ähnlichem Ausmaß wie früher nur in den vom Bildungsbürgertum verachteten Genres, und so muss ich etwa, wenn ich in Amerika ältere (was bedeutet: eben mal zehn Jahre alte) Werke etwa des Australiers Greg Egan lesen will, der gewiss zu den literarisch beeindruckenden und intellektuell fordernden, also den besseren Leuten in der Phantastik der Gegenwart zählt, auf seiner Website nachsehen, die mir den Weg zu E-Book-Editionen weist, wenn es mir nicht gelingt, über amazon und andere Netzeinrichtungen Menschen zu finden, die sich für Geld von gebrauchten Egan-Büchern trennen wollen. Schon wieder vorbei sind also die Zeiten zwischen 1970 und 2005, als zumindest die Größen des Genres, das ich liebe und in dem ich auch selbst ein paar Arbeiten riskiert habe, im Alter dank ihrer Backlist ein erträgliches Auskommen fanden. Immerhin macht sich die Avantgarde ihre Gedanken dazu und leistet etwas, das wohl in absehbarer Zukunft für Schreibende noch weit notwendiger werden wird als die Wachsamkeit und Intransigenz, die Harlan Ellison im Kampf mit denen bewiesen hat, die ihm seine Entlohnung schmälern und seine Rechte streitig machen wollen: Das Erkennen und systematische Erforschen neuer Möglichkeiten, unterhalb der Zulassungsschwellen zum traditionellen Literaturmarkt an Publikum und Geld zu kommen. Im Internet findet man bei jüngeren Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren wie Linda Nagata oder Cory Doctorow zahlreiche in Blogs, Forenbeiträgen und klassischen Essays formulierte Überlegungen zu neuen Literaturfinanzierungsmodellen, von Micropayments und elektronischen Subskriptionen seitens der Leserinnen und Leser bis zu parallelen Veröffentlichungsmodi zwischen traditionellem Buch und elektronischen Verbreitungsformen.

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