Читать книгу Bücherdämmerung - Dietmar Dath - Страница 11

Bücher als Modekollektionen

Оглавление

Wie werden nun Verlage und Buchhandlungen diesem einzigartigen Charakter ihres Produkts gerecht? Die Antwort fällt ernüchternd aus – gar nicht. Bücher werden seit geraumer Zeit behandelt wie Modekollektionen. Es gibt Frühjahrskollektionen, es gibt Herbstkollektionen. Was nicht rechtzeitig verkauft wird, landet zum Sommer- oder Winterschlussverkauf auf den Ramschtischen oder in Einrichtungen, die – etwas verschämt und widersinnig – als »moderne Antiquariate« bezeichnet werden. Verlage scheinen sich ihrer vergangenen Produktion zu schämen; ein Buch, das nicht in den ersten Monaten nach seinem Erscheinen verkauft wird, gilt für den Markt bald als unverkäuflich; und ich warte nur noch auf den Augenblick, in dem Bücher nicht mehr bloß mit Preisschildern, sondern auch – wie Milchprodukte oder Konserven – mit einem Haltbarkeitsdatum beklebt werden: Empfohlen wird die Lektüre vor der Frühjahrsmesse 2014. Dabei sind Bücher die Alt-Erscheinungen schlechthin, gerade keine saisonabhängigen Waren; die Liste der Bücher, deren Bedeutung erst nach Jahrzehnten erkannt wurde, würde beispielsweise jedem Verlag zu höherer Ehre gereichen. Allen Kanon-Diskussionen und Editionsprojekten von Klassikern zum Trotz verschwinden dennoch respektable Werkausgaben immer häufiger und rascher auf den »Marktplätzen« des Internet-Buchhandels oder reüssieren zu Spottpreisen bei einem Discount-Versand. Die Schätze, die ein Verlag nur noch ausnahmsweise in seinen Lagern hortet, werden – im Vergleich mit den Neuerscheinungen – zurückhaltend beworben; die Vorschau blickt nur ausnahmsweise zurück. Im schlimmsten Fall wird das eigene kulturelle Kapital wie Lagerobst betrachtet, aus dem allenfalls Schnaps gebrannt werden kann: hoch konzentrierte, schmale Auswahlbändchen, die versprechen, das Werk von Autoren wie Platon, Machiavelli oder Sartre auch den gestressten Zeitgenossen, den lesemüden Managern und Politikern rasch zugänglich zu machen. Da bei ist es kein Branchengeheimnis, dass manche Verlage die zyklisch wiederkehrenden Krisenzeiten nur mithilfe ehemaliger Bestsellerautoren (wie beispielsweise Hermann Hesse) überlebt haben.

Im Zeitalter Turings müssen Bücher anders positioniert werden als im Zeitalter Gutenbergs. Die Qualitäten des Mediums Buch – etwa seine Langlebigkeit – erscheinen erst vor einem weiteren Horizont, der sich als Repräsentation des Wissens charakterisieren lässt. Bibliotheken und Archive sind in dieser Hinsicht nicht bloß Sammlungen von Texten und Büchern, in denen ein jeweils spezifisches Wissen verkörpert ist, sondern vor allem Klassifikations- und Ordnungssysteme, die ihrer eigenen Logik und Evolution folgen. Listen, Kataloge, Schemata, Tabellen oder Diagramme gliedern das verfügbare Wissen, und von ihnen hängt ab, welche Wissensmanifestationen überhaupt wahrgenommen werden können. Gewöhnlich achten wir auf diese Systeme viel weniger als auf die konkreten Inhalte, die uns interessieren, so wie wir auch die Anordnung von Kunstwerken erst reflektieren, wenn wir beispielsweise eine Ausstellung oder die Neugestaltung eines Museums planen.

Bücherdämmerung

Подняться наверх