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Lehrzeit

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Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen und gleichzeitig steckte ich noch im alten Schulleben, doch nicht mehr lange. Ich traf Dieter nun öfter und eines Abends, als er bei mir zu Besuch war, heckten wir den Plan aus, dass er so tun würde, als ginge er nach Hause, aber dann heimlich wiederkommen würde. Er verabschiedete sich dann auch bei meiner Mutter und fuhr mit seinem Mofa los, doch weiter unten kehrte er und fuhr wieder die Strasse hinauf, ein ganzes Stück an unserem Haus vorbei, stellte den Motor ab und rollte auf dem Mofa im Leerlauf bis zu unserm Haus. Er stellte sein Gefährt hinter das Haus, wo es niemand sah. Dann wollte er an der Fassade hochklettern, am Küchenfenster vorbei auf das Garagendach und an meinem Fenster anklopfen, wo ich ihn dann empfangen sollte. Ich ging dann ins Wohnzimmer und sagte Mutter gute Nacht, mit einer eigentlich sehr auffälligen Bemerkung, dass ich jetzt schlafen ginge. Wieder in meinem Zimmer liess ich ihn zum Fenster herein und wir gingen zu Bett. Wir schmusten miteinander aber sonst waren wir ganz brav. In den folgenden Nächten fummelte er mehr als sonst. Ich spürte zum ersten Mal seinen, na ja, ihr wisst schon und erschrak einwenig, wie gross dieser sich anfühlte. Er bedrängte mich und ich vermute, ich gab so beim dritten Mal nach und wir schliefen miteinander. Es war sehr schön und intensiv. Ich fühlte mich bei ihm in sicheren Händen und war darum entspannt. Ich war überzeugt, dass er Erfahrung mitbringt in diesen Dingen. Ich hatte sogar einen Orgasmus und dachte danach, „also so ist das“ und wunderte mich einwenig, über das viele Aufheben darum. Am Morgen, nachdem sich Dieter hinaus geschlichen hatte, betrachtete ich mich im Nebenzimmer vor dem Kastenspiegel und erkundete spielerisch, ob man es mir wohl ansieht, dass ich nun keine Jungfrau mehr war. Von nun an wollte er jedes Mal Sex, wenn wir uns trafen. Ich hingegen nicht und es wurde mir zu viel. Kaum in meinem Zimmer, bedrängte er mich. Ich aber wehrte mich und setzte mich gegenüber auf meinen Sessel. Wochen später ging ich zum Arzt und bekam das Rezept für die Pille. Ein Wunder, dass bis dahin nichts passierte und ich nicht schwanger wurde. Ich litt immer wieder unter einer Pilzinfektion und dachte so langsam, dass das doch nicht normal sei.

Meine Lehre begann und Claudia ging ins Welschland, irgendwo Nähe Neuchâtel und so sah ich sie nicht mehr. Wir schrieben uns keine Briefe. Dieter fuhr derzeit immer noch in die Berufsschule in Uzwil. Eines Morgens verunfallte er mit seinem 125er Motorrad. Er stiess an einer Kreuzung mit einem Lastwagen zusammen und lag danach im Spital in Flawil. Martin benachrichtigte mich sofort und ich besuchte ihn noch am selben Tag. Er erlitt eine starke Hirnerschütterung und sein Schädelknochen war angerissen. Ansonsten hatte er viel Glück. Als ich auf dem Nachhauseweg am Bahnhof auf den Zug wartete, verspürte ich so was wie Liebe, ja ich denke es war Liebe.

Meine Lehrstelle gefiel mir sehr gut. Meine „Oberstiftin“ hiess Sara Felice und war Italienerin. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen und kam von Arbon. Sie spielte sich etwas zu sehr auf, doch sie war soweit ganz nett und fair zu mir, deshalb hatte ich kein Problem damit. Ich fuhr jeweils mit dem Postauto nach Waldstatt und dort wartete ich auf das Appenzellerbähnchen und fuhr über Herisau nach Gossau, ohne umzusteigen. In Gossau angekommen, ging ich der Bahnhofsstrasse entlang ins Städtchen, zum Bijouteriegeschäft von „Waldner“. Mittags blieb ich in Gossau, wie auch Sara und eine Verkäuferin, die für die Lehrausbildung der Verkäuferinnen zuständig war und nebenbei für die Buchhaltung. Diese Frau war sehr gross gewachsen und wenn ich mal so urteilen darf von Kopf bis Fuss keine Schönheit. Sara und diese Frau, ich weiss ihren Namen nicht mehr, sorry, kamen sehr gut miteinander aus. Beide strickten gerne und das fast jeden Mittag. Wenn im Laden nichts lief und der Chef weg war, holte Sara ihre Handarbeit hervor. Ich ass und trank jeden Mittag das Gleiche, jeweils ein belegtes Thon- und ein Eierbrötchen, dazu ein Glas Cola. Manchmal leistete ich mir einen Champignontoast im „City Café“. Doch meistens sassen wir im „Städtli Café“. Wenn ich mit meinem Chef und Lehrmeister unterwegs war und wir kehrten ein, lief das immer ganz eigen ab. Beim ersten Mal kam ich etwas in Not, weil ich seine Eigenart noch nicht kannte. Wir sassen im Restautant und ich bestellte eine warme Ovomaltine. Wir redeten ein wenig und er nahm ab und zu einen Schluck von seinem Getränk, ich tat es ihm in etwa gleich. Plötzlich nahm er sein Glas, trank es in einem Zug leer und rief: „Zahlen, bitte!“ Ich, immer noch vor der etwas zu warmen Ovomaltine, kam ins Schwitzen. Bei zukünftigen Restaurantbesuchen war ich gewarnt. Ich amüsierte mich immer wieder über seine Eigenart. Ich ging sehr gerne arbeiten. In Waldner`s Betrieb gab es vier Lehrlinge. Zwei davon im Verkauf. Eine im ersten Lehrjahr und eine im Zweiten. Ich kam immer mit allen sehr gut aus. Man muss sich vorstellen: Ich sitze da und repariere Uhren und kann nicht weglaufen und so kommt einmal diese Verkäuferin und einmal jene und alle schütten mir ihr Herz aus. Ich mochte dies, alle hatten Vertrauen zu mir. Zu Anfang hatte ich meinem Lehrmeister gegenüber väterliche Gefühle. Doch leider entpuppte sich der Chef und Ersatzvater, wenn man so will, als Lustmolch. Das machte mich ganz fertig und belastete mich. Wenigstens war ich nicht die einzige in diesem Betrieb, der es so erging und wir Mädchen sprachen auch gegenseitig darüber. Nur Sara sagte keinen Ton. Wir hatten auch nie beobachtet, dass er es auch bei ihr versuchte, das war seltsam. Von der Lehrausbildnerin wollte er hingegen nichts und dabei hatte sie so darauf gewartet. In meinem dritten Lehrjahr hatte sie gekündigt oder wurde gekündigt. Dann kam Evi. Vor Jahren schloss sie bei Waldner die Lehre ab und übernahm nun den freigewordenen Job. Ich mochte sie. Evi war eine herzige, kleine junge Frau mit Sommersprossen und „Radlerwädchen“.

Bevor mein Chef in die Ferien nach Spanien fuhr, war es meine Aufgabe sein Auto innen und aussen zu reinigen. Einmal im Jahr war aufräumen im Schopf nebenan angesagt. Schachteln sortieren und nach Grösse ordnen. Im Schopf befand sich eine Uhrengalerie mit über 150 Uhren, davon waren fast alles Grossuhren. Meine Arbeit war somit gesichert, falls je zu wenige Reparaturen hereinkommen würden. Jede 6. Woche musste ich eine Woche lang nach Solothurn in die Gewerbeschule, von montags bis und mit freitags. Wir mussten am Sonntagabend schon anreisen. Am ersten Schultag fuhr ich mit dem Bus vom Bahnhof bis zur Uhrmacherschule und von dort lief ich in Richtung Weissenstein in die Mädchenunterkunft. Eine Internatsschule für angehende Handarbeitslehrerinnen, das konträre zu uns Uhrmacherinnen. Ich kam dort also an und mir wurden zwei mögliche Zimmer gezeigt, die man beziehen durfte. Ein ebenfalls anwesendes Mädchen fragte mich, ob wir zusammen ein Zimmer teilen. Sie hiess Marion Amiguet und kam vom Albis im Kanton Zürich. In unserer Klasse waren wir Mädchen zu dritt. Pascale Stickel später genannt der „Pickel“, war die Dritte im Bunde. Insgesamt waren wir elf Schüler. Von den Jungs, vier Zürcher, ein Wiler, ein St.Galler und zwei Bündner. Bei uns entwickelte sich in all den Jahren nie ein Klassengeist. Ich quälte mich in Sachen Noten gerade so durch. Nun gut, es war ja auch Sekundarniveau. Doch ich muss auch gestehen, dass ich mich nie fleissig eingesetzt habe, ausser bei einem Vortrag, übrigens mein erster! Ich wählte das Thema „Aufzucht der weiblichen Kücken“. Unser Deutschlehrer, der mich eh nicht mochte, kritisierte meinen Vortrag und ich wurde wütend. Er - keine Ahnung von der Thematik - wollte mich belehren. Ich hingegen wusste, wovon ich sprach! Ich sass gewohnter Weise zuhinterst. Ich wehrte mich und wurde laut, ja sogar ein wenig aufsässig! Plötzlich bemerkte ich, wie alle zu mir nach hinten schauten, mit halb offnen Mündern. Tja, diese Seite kannten sie wohl noch nicht von mir. Marion und ich kamen auf eine glorreiche Idee. Wir fanden, dass das Turnen einmal im Monat doch ein völliger Blödsinn sei, ja sogar ungesund! Wir meldeten uns beim Rektor und sprachen mit ihm. Unser Ziel war klar, wir wollten vom Turnunterricht befreit werden und somit mussten wir ihn für unser Anliegen überzeugen. Wir waren mutig aber auch etwas naiv. An den Mittwochnachmittagen gingen wir lieber in die Stadt shopen, anstatt zu lernen. Und wer hätte das gedacht, Jahre später machte Marion bei Waldner ihre Lehre zu Ende, weil sie sich mit ihrem Lehrmeister zerstritten hatte und mein damaliger Unterstift Sandro, seine Lehre abbrach. Die langen Zugreisen nach Solothurn genoss ich sehr und hörte mit Dieter`s ausgeliehenem Walkman meistens Barclay James Harvest. In der Uhrmacherschule gab es einen Jungen, der sich für mich interessierte. Er war Grieche und sah eigentlich noch ganz gut aus. Er gehörte zu den internen Schülern. Das bedeutete, dass er immer in Solothurn war. Es gab und gibt eine interne und eine externe Ausbildungsmöglichkeit, die man so wie ich in einer Bijouterie, einem Uhrengeschäft oder in einer Uhrenfabrik praktiziert. Darum wohnten zwei Mädchen, die eine Interne Lehre machten immer in diesem Handarbeitsinternat. Die eine war Italienerin und die andere hatte am selben Tag Geburtstag wie ich, war jedoch ein Jahr älter. Sie lud mich ein mit ihr auszugehen, ohne Marion. Die Uhrmacher trafen sich meistens im Solothurner Städtchen im „Tea Rom“. Wir gingen also dort hin und die Jungs spielten Billard. Etwas später fragte sie mich, ob wir etwas spazieren gehen wollten: “Ja, warum nicht“,sagte ich. Wir waren plötzlich zu viert und gingen am Fluss spazieren. Meine Kollegin und der eine Junge verschwanden irgendwo im Gebüsch oder so, ich und der Grieche wandelten allein am Fluss entlang, in einer sternenklaren und lauen Sommernacht. Wir redeten und redeten und ich erwähnte ihm gegenüber bestimmt mehr als dreimal, dass ich einen Freund hätte und ich mit ihm in die Ferien, nach Spanien fahren würde. Ich denke, dies hat ihn nicht beeindruckt, denn er flirtete weiter. Es war spät geworden und die beiden wollten uns unbedingt bis zu unserer Unterkunft begleiten. Er nahm meine Hand und so spazierten wir Hand in Hand der Strasse entlang durch Solothurn. Irgendwie fand ich es reizvoll und spannend und doch plagten mich Gewissensbisse. Immer wenn wir uns im Schulhaus sahen, machte er sich bemerkbar, doch ich wich ihm aus und zeigte kein Interesse. Schliesslich war ich ja ein anständiges und braves Mädchen. Einige Wochen später ging ich mit demselben Mädchen an eine Party unter Uhrmachern, doch weil ich nicht gesprächig war, machten sie Bemerkung über mich wie: „Die Allensbach ist gleich stumm wie der Hauser.“ Ich hatte an diesem Abend keinen Spass, aber wo hatte ich schon meinen Spass, denn ich hasste es unter vielen Menschen zu sein. Mehr als drei Personen überforderten mich und ich hörte viel lieber zu, als das ich sprach.

Unser Lehrer für Mathe und Fachrechnen hiess Herr Stalder. Herr Nutt war für die Elektronik und die Materialkunde zuständig. Der Lehrer für das Deutsch und die Staatskunde mochte mich nicht und umgekehrt, darum weiss ich auch seinen Namen nicht mehr. Ab und zu sprang der Rektor, Herr Straumann ein, der mich sehr faszinierte. Er war eine Respektsperson und machte sich auch gut als Lehrer. Er erzählte uns gerne von seinen Russlandreisen. Herr Stalder trug meistens braune Kordhosen und Flanellhemden, einfach scheusslich! Eines Tages präsentierte er uns stolz sein brandneues hellbeige Hemd, das keine Knöpfe hatte, sondern einen Reissverschluss, igitt! Ich habe erst kürzlich erfahren, dass er nun seit einigen Jahren der neue Rektor der Uhrmacherschule ist, wer hätte das gedacht. Einmal im Jahr gab es zwei Praktikumswochen. Im dritten Lehrjahr konnte ich nicht teilnehmen, weil ich mir mein Handgelenk gebrochen hatte. Das Unglück passierte während der Mittagspause in Gossau. Louisa, eine der Lehrlingsverkäuferinnen wollte, dass ich sie zum Mittagessen in die Migros begleite und weil es zu Fuss zu weit weg war, wollten wir mit ihrem Mofa dorthin fahren. Sie wagte nicht zu fahren, also fuhr ich und sie sass hinten auf. Auf dem Rückweg ulkte ich herum und machte absichtliche enge Schwenker bis wir stürzten. Ich blutete aus meinem Kinn. Ich achtete darauf, dass ich meine Wildlederjacke nicht beschmutze. Es ging nicht lange, bis ein älterer Mann gelaufen kam, der da wohnte und bat uns zu sich herein. Louisa hatte sich zum dritten Mal ihr Knie aufgeschlagen und hinkte ins Haus. Ich lag auf einem fremden Sofa und der Mann benachrichtigte unseren Chef. Der kam sofort und begutachtete uns. Von einer Minute auf die andere schwoll mein Handgelenk an und schmerzte immer mehr. Ich weiss nicht mehr wie ich nach Herisau ins Spital kam und wer mich von dort nach Hause fuhr. Im Spital sogen sie mir die angesammelte Flüssigkeit aus dem Handgelenk. Sie stachen mit einer dicken Nadel mitten ins Gelenk und zogen an der Spritze. Das fühlte sich an, als würden sie mir die Knochen durch die Nadel hinaussaugen. Danach bekam ich an die Finger, lustig aussehende Hütchen gesteckt und mein Arm wurde im rechten Winkel, an den Fingern aufgehängt. Ich konnte meine Knochen in einem Fernsehbildschirm ansehen, gleich wie ein Röntgenbild. Sie hängten mir so viele Gewichte wie nötig an meinen Oberarm, bis die Knochen so lagen, wie sie sollten und fingen an zu gipsen. Wieder zu Hause, realisierte ich so langsam was passiert war. Ich sass in meinem Zimmer und heulte, weil mein Arm nicht mehr ganz war. Auch wenn er jemals wieder geheilt sein sollte, nie wird er je wieder so unversehrt sein wie früher. Ich hatte wohl einen Anflug von Selbstmitleid. Dieter war schon anwesend als ich nach Hause kam. Er war sauer auf mich und ich verstand nicht, warum. Ich erfuhr von Sascha, dass er die Geschichte vom Unfall so verstanden habe, dass ich jemandem hinten auf ein Motorrad gestiegen sei und mit diesem den Unfall hatte. Sascha erzählte mir, dass er dann gesagt haben soll: „Hoffentlich hat sie sich auch wehgetan“. Dieter konnte mich an diesem Nachmittag zum Sex überreden. Ich habe mich einfach gefügt, denn Lust hatte ich nicht. Tage oder Wochen später, stritten wir uns auf einem Spaziergang durchs Dorf, wegen seiner damaligen Aussage. Ich hatte das Thema, wieder aufgegriffen und ihm vorgeworfen, wie mies ich das fände, dass er sich wünschte, dass ich mir wehgetan hätte und das aus einem Gefühl der Eifersucht. Er wurde wütend, verwarf seine Hände und wir gingen getrennte Wege. Ich ging nach Hause und als ich dort ankam, sah ich durch das Fenster, dass er schon da war und auf mich wartete. Ich versteckte mich weiter unten bei der Metzgerei. Ich stellte mich dort unter, weil es zu regnen begann. Nur Minuten später sah ich Hansjörg`s Auto zu uns hochfahren und dann wieder hinunter. Die Luft war rein und ich ging heim. Mutter schimpfte mit mir, warum ich nicht gekommen sei und sie sich gezwungenermassen um ihn kümmern musste. Am nächsten oder übernächsten Tag kam er wieder und wir versöhnten uns. Selten kam es vor, dass ich auf seinem Mofa mitfuhr. Auf solch einer Fahrt, kam ich versehentlich mit meinem Fuss an das Benzinschläuchchen und das Mofa blieb stehen. Ich stieg ab. Er untersuchte, was los war und fing an zu fluchen und zu toben. Mir wurde ganz unbehaglich und ich wollte mich „dünn“ machen und versuchte mich unauffällig zu entfernen. Dieter bemerkte das schnell und schnauzte mich an, ich solle herkommen, was ich widerwillig tat und wir setzten die Mofa-Reise zu ihm nach Hause fort, nachdem er den Fehler gefunden und behoben hatte.

Monate später fuhren wir zu zweit auf dem 125er Cross-Motorrad in den Süden. Um ein Haar wurden wir von der Polizei angehalten, die eine Kontrolle durchführten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Dieter gar keine zugelassene Prüfung hatte. Er fiel durch und wollte es kein weiteres Mal versuchen. In Locarno, im Ferienhaus von seinen Eltern angekommen, glaubte ich im falschen Film zu sein. Kaum eingetreten, sagte Dieter zu mir: “ Mach Kaffee!“ Ich sagte: „Was?“ Und er wiederholte es. Ich stellte klar, dass ich keine Dienerin oder eine seiner Schwestern sei und er mir das schon etwas anständiger sagen könne. Bei ihnen zu Hause gab es klare Rollenteilung. Bei ihm zu Hause lief so manches ab, was mir fremd und ungewohnt war. Ich besuchte ihn äusserst ungern. Meinen ersten offiziellen Besuch als seine Freundin werde ich nie vergessen. Sie behandelten mich wie Luft und es herrschte immerzu eine kühle, überhebliche und abweisende Stimmung. Wenn ich ihn dann doch besuchte, wich ich möglichst den Bewohnern aus. Vor allem seinen Eltern. Von den noch zu Hause wohnenden Geschwistern kannte ich fast alle, ausser seinen älteren Bruder nicht. Weil wir die meiste Zeit in seinem Zimmer verbrachten, kamen auch schon zweideutige Bemerkungen seitens der Eltern. Ich half Eier einschachteln, wenn die Familie gerade am Einschachteln war und das waren sie fast jedes Mal. Seine Mutter besass eine scharfe Schäferhündin namens „Cora“, die auch schon mal zubiss. Diese Hündin entwickelte der Mutter gegenüber einen übertriebenen Beschützerinstinkt und ihr gefiel dies auch noch. Auf dem Hof war eine zweite Hündin. Die wohnte aber nicht im Wohnhaus, sondern unten im Stallgebäude. Sie drehte sich immerzu im Kreis. Nach Dieter`s Erzählung hatte sie sich über ein Huhn hergemacht und dabei ist ihr ein Hühnerknochen im Hals stecken geblieben und darum hält sie ihren Kopf schräg.

Die Eltern von Dieter besassen in Südspanien zwei Bungalows. Auf dem Hin- oder Rückweg verunfallten die beiden, weil seine Mutter am Steuer einschlief. Der Sportwagen fuhr in einen französischen Graben der Autobahn und überschlug sich. Vater Fischer, der ebenfalls schlief, schleuderte es aus dem Dachfenster. Im Schock und ganz benommen ging er umher und suchte nach seiner Frau. Sie sass noch im Wagen, eingeklemmt hinter dem Steuer. Noch auf der Unfallstelle mussten die Rettungsärzte ihr einen Luftröhrenschnitt machen. Ihre Lungen waren durch die Rippen schwer verletzt, verursacht durch den Aufprall am Steuerrad. Ein Hubschrauber flog sie in ein Spital. Lange Zeit musste sie in Spitälern verbringen, zuerst in Frankreich und dann in Herisau. Vater Fischer war geradezu hilflos ohne seine Frau. Dieter wollte ihn etwas ablenken und lud ihn in ein Restaurant ein, doch er wollte nicht. Martin traf es am heftigsten, was ich nicht mitbekam, aber meine Freundin Claudia. Nach vielen Wochen wurde Mutter Fischer nach Hause entlassen.

Dieter bestand die Autoprüfung. Er lud mich ins Kino ein und lehnte sich zu diesem Anlass, von einem ihm bekannten Garagisten ein Auto aus. Nach dem Film, als wir ins Auto stiegen und abfahren wollten, fuhr er beim Rückwärtsfahren in einen Betonsockel. Das kam teuer! Er kaufte sich einen weissen Toyota. Dieter kam mich etwa zwei oder drei Mal überraschend in Solothurn besuchen. Ich deutete das als Leidenschaft, weil er mich bestimmt vermisste, doch böse Zungen behaupteten, er täte mich nur kontrollieren. Oft kam er freitags nach der Schulwoche nach Solothurn und wir fuhren übers Wochenende ins Tessin, dass gefiel mir immer sehr gut. Ich liebte das Tessin. Wir sind die verschiedensten Täler hinauf und hinab gefahren und dazu hörten wir „Genesis“.

Grüwig das Buch

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