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Erinnerungen an Goldach

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Woran ich mich gut erinnern kann, ist der riesige, in U-Form gebaute Wohnblock gegenüber dem Bahnhof Goldach. Unten eingemietet war die Post und daneben der Coop. Gleich neben dem Block befanden sich die Postautohaltestellen, die Zuggeleise und der Bahnhof. An die Wohnung selbst, kann ich mir nur noch teilweise erinnern, eigentlich nur noch an die Küche und an das Wohnzimmer und den Blick aus jenen Fenstern. Im Treppenhaus, sprich an den oft benutzten Lift, erinnere ich mich sehr wohl. Draussen vor dem Coop-Laden, stand ein elektronisches Pferd und ich ritt darauf regelmässig mit meinem „Schlunggi“, ohne Geldeinwurf versteht sich, denn das brauchte meine Fantasie nicht. Mein „Schlunggi“ war fast so gross wie ich und darum auch mein bester Kumpel. Erst viel später erfuhr ich, dass er ein Seeräuber war. Ich hingegen dachte bis zu jenem Zeitpunkt er wäre ein Clown. Seine Augenklappe schien mir nicht aufgefallen zu sein, nur seine roten Haare. Der Spielplatz hinter dem grossen Wohnblock war ebenfalls ein beliebter Ort von mir. Begehrt war die rot bemalte Holzschaukel, aufgehängt an Eisenketten. Dem Bericht meiner Mutter zufolge, verliess ich diese Schaukel kaum. Nicht einmal als ich „gross“ musste, zum Ärger der Hausabwartin. Im Sandkasten machte ich die erste Bekanntschaft mit einem Mädchen, das mir nicht positiv gesinnt war. Ich bekam von ihr eine Portion Sand an den Kopf geworfen und schmeckte im Mund dessen hässlichen Geschmack und das Kratzen in den Augen tat schrecklich weh. Weinend lief ich zur Mutter. Sie nahm mich bei der Hand und wir gingen zum Tatort. Das Mädchen mit Unschuldsmiene am Sandkuchen backen, wurde von Mutters Hand desgleichen mit Sand beworfen. Ich sah sie weinend über den Zaun steigen und zu ihrem Elternhaus laufen. Was meine Mutter als rechtens und Genugtuung empfand, war für mich selbst nicht sehr hilfreich, wie es sich viel später in meiner Zukunft zeigte.

Ich stahl die Flugzeugbildchen meines Bruders, die er von den Kaugummipäckchen gesammelt hatte und tauschte sie ein, gegen mir nützliche Dinge, wie zum Beispiel Murmeln. Ich kommunizierte von Balkon zu Balkon mit dem italienisch sprechenden Nachbarsjungen und tauschte mit ihm Autos von meinem Bruder. Er gab mir alte und ich ihm neue. Zu dieser Zeit musste mein kleiner Bruder Sascha zur Welt gekommen sein. Ich kann mich nicht mehr bewusst daran erinnern. Aber erinnern kann ich mich noch ganz genau an mein erstes Velo, das ich von meinem Opa Paul zu Weihnachten bekommen hatte. Es war weiss mit einer blauen Hupe und Stützrädern. Philip, sein Freund Bruno Knellwolf und ich, kurvten in der Tiefgarage umher, das war abenteuerlich. In der Post spielten wir Verstecken in den Postsäcken. Ich kam da weder allein hinein noch hinaus, gut haben die beiden mich nie vergessen. Ich glaubte damals zu wissen, wie man sich am Besten einen Mann angelt, nämlich lauernd vor dem Coop, weil ein jeder Mensch mal irgendwann einkaufen gehen muss. Meine Mutter erzählte mir, dass ich damals unerlaubt den Laden von innen betrachtete und sie mich nach langem Suchen fand, mit einem mit Süssigkeiten gefüllten Einkaufswagen. Zu meinem heutigen Erstaunen befanden sich auch etliche Panetonekuchen darunter. Peinliches Erleben war, als ich mit Röckchen draussen spielend feststellte, dass ich keine Unterwäsche trug und sich darum der Stein auf dem ich sass so schrecklich kalt anfühlte. Ebenfalls peinlich war, wie mich meine Mutter für die Fasnachtsparty im Kindergarten schminkte. Sie kleidete mich als Frau und schminkte mich, als hätte ich nur knapp eine Schlägerei überlebt. Philip, der auf demselben Weg zur Schule war, hatte so seine Mühe mich zu überzeugen die letzten 20 Meter zu gehen um mich so zu zeigen wie ich aussah.

Meine Mutter ist Coiffeuse und damals empfing sie in unserer Wohnung so manche Kundin. Ich habe die Zeit genutzt, der Tochter einer solchen Kundin das Gesicht einzucremen, was sich sehr bald als ungünstig erwies, weil die verwendete Creme leider Zahnpasta war. Eines Tages lag ich krank im Bett. Der Onkel Doktor kam ins Haus und sie wollten mich im Badezimmer mit einer riesigen, schwarzen Tablette umbringen, denn sie bestanden alle darauf, dass ich das riesige Ding zu schlucken hätte. Bis zum heutigen Tag kann ich keine Tabletten schlucken, ausser sie sind winzig. Der Hund meiner Oma Emma schnappte mich während des Streichelns in mein Gesicht. Wütend und traurig zugleich, lag ich im Bett mit einem riesigem Pflaster auf meiner Gesichtsbacke, nur gut das der Biss keine bleibenden optischen Spuren hinterliess.

Ich habe natürlich auch schöne Erinnerungen an diese Zeit. Nie vergessen werde ich, als mein Vater mir einen weiss gepunkteten, roten Ball schenkte, den er mir in der gegenüberliegenden Drogerie kaufte. Zu den bleibenden und intensivsten Momenten gehörten die Blicke aus den Küchen- und Wohnzimmerfenstern, aus denen ich oft die Schwalben fliegen sah. Stolz brachte ich einen Marienkäfer mit nach Hause, mein erstes, eigenes Haustier, das ich selbst gepflückt hatte. Nach einigen Tagen wunderte ich mich, dass er nicht mehr in seinem Konfitürenglas hauste. Erstaunt war ich auch, als ich in einem Stück „Sagex“ zufällig ein Briefchen Streichhölzer fand, das auf unserem Balkon lag. Jahrelang dachte ich, das sei normal und machte ab und zu Kontrollzerstückelungen, in der Hoffnung irgendeine Überraschung zu finden. In der Küche hing ein Teppich an der Wand, auf dem zwei Pferde abgebildet waren, die unter funkelndem Sternenhimmel durch die Wüste galoppierten. Auf dem hinteren Pferd ritten ein Mann mit Säbel und Turban und eine Frau mit Schleier. Für mich sah die Frau aus wie eine Prinzessin. Auf dem vorderen Pferd sass ein Mann, ebenfalls mit Säbel und Turban. Klar war auch, dass die drei sich auf der Flucht befanden.

Ich glaube zu wissen, dass solche Bilder uns ein Leben lang in Erinnerung bleiben.

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