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Baldige Geburt unseres dritten Kindes

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Wir erwarteten anfangs Februar 1991 die Geburt unseres dritten Kindes, was nicht stimmt, doch wenn ich unser zweites schreibe, stimmt das auch nicht. Jan war etwa zweieinhalb Jahre alt und bekam schon mit, was in meinem Bauch vor sich ging. Ich erzählte ihm auch immer wieder davon und versuchte ihn so gut wie möglich auf sein Geschwisterchen vorzubereiten. Ich war nicht der Typ, der schon Wochen vorher das Bettchen richtete und die Kleidchen einräumte. Das erledigte ich alles immer zwei Wochen vorher. Mir war wichtig das Jan auf sein Töpfchen ging, bevor ich das Baby zur Welt brachte. Ich puschte Jan, doch mit geringem Erfolg. Er bemerkte schnell, dass er ein Druckmittel in der Hand hatte und benahm sich dementsprechend. Ich war müder als sonst und brauchte mein Mittagsschläfchen. Doch weil Jan mehr Energie als nötig besass und untertags nicht mehr schlafen wollte, musste ich mir etwas einfallen lassen. Ich holte seine kleinen Spielzeugautos und liess ihn damit auf meinen Beinen spielen. Das war gleichzeitig eine Beschäftigung für Jan und wohltuende Streicheleinheiten für mich, denn das kitzelte so angenehm. Bald fand der letzte Arzttermin vor dem errechneten Geburtstermin statt. Zwei Tage davor, an einem Mittwoch fiel mir auf, dass sich das Baby eine gewisse Zeit nicht mehr bewegt hatte. Schnell legte ich schlimme Gedanken zur Seite und suchte mir banale Gründe, warum das so war. Ich achtete mich nun sehr darauf und versuchte eine Bewegung zu spüren. Am Donnerstag war ich echt besorgt. Ich legte mich bäuchlings auf das Bett um dem Baby eine Bewegung zu entlocken. Am Abend fuhren wir zum Abendverkauf nach St.Gallen und ich kaufte noch drei Bodys für unser Baby. Am selben Abend nahm ich mit Jan zusammen in der Wanne ein Bad. Am Freitagmorgen, am darauf folgenden Tag, hatte ich meinen Untersuchungstermin beim Hausarzt. Ich erzählte ihm meine Bedenken und er suchte die Herztöne. Er fand keine, beruhigte mich und meinte, das könne verschiedene Ursachen haben, doch ich solle besser zur Kontrolle gleich nach Münsterlingen und meldete mich gleich dort an. Ich hatte ein ungutes Gefühl und verdrängte es. Dieter fuhr mich hin. Im Gebärzimmer waren nur ich und die Hebamme, die nach den Herztönen des Kleinen Wesens suchte und zuerst nichts fand, dann etwas schwaches und dann fand sie mit Genugtuung doch noch welche. Ich meinte jedoch sie seien zu langsam. Sie lächelte und sagte, es gehe dem Kleinen gut und verliess das Zimmer. Die Hebamme schien so zuversichtlich, sollte ich mich nun freuen? Ich hatte ein ungutes Gefühl und dann schöpfte ich doch wieder Hoffnung und es liefen mir Tränen der Erleichterung über meine Wangen! Minuten später kam dann endlich Dieter. Ich weiss nicht mehr was wir redeten. Kurz darauf traten einige Ärzte ein, die ein grosses Gerät mit Bildschirm mitbrachten. Nun machte einer der Ärzte eine Ultraschalluntersuchung und ich konnte auf dem Monitor das Baby erkennen. Er mass dieses und jenes Organ aus und dann bemerkte ich ein Tuscheln hinter mir und anhand der Stimmung im Raum spürte ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Arzt sagte uns dann, dass er keine „Dingsda“ feststellen könne mittels Fachbegriff, den ich und Dieter nicht verstanden. Ich wusste jedoch was er damit meinte. Dieter verstand immer noch nicht und fragte nach, worauf ich ihm die Antwort gab, dass das Kind tot sei. Eine unangenehme Ruhe breitete sich im Raum aus. Ich sass ganz ruhig da und in meinem Kopf rotierten die Gedanken wie verrückt. Was nun! Mein Kind ist tot, tot in meinem Bauch! Was jetzt? Was passiert weiter? Ich fragte, was nun geschehe, ob sie Kaiserschnitt machen würden? Der Arzt sagte: „Nein“, das würden sie zu meiner Sicherheit nicht tun. Ich müsse das Kind auf normalem Wege gebären. Mein Herz verkrampfte sich und mein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Das bedeutete, ich hatte eine anstrengende Geburt vor mir, für nichts. Es vergingen einige Minuten und mir wurde klar, dass es nun um was ganz wichtiges ging, nämlich um mein Überleben und das wurde mir nun plötzlich ganz bewusst. Das Kind musste raus aus meinem Körper. Ich fragte den Arzt, warum ich nichts spüre, das Kind sei doch nun schon seit Tagen tot, warum sendet der Körper keine Signale? Er meinte, dass genau das, sehr bald passieren würde und wir nun darum die Geburt mit Wehenmittel sofort einleiten müssten. Ich fragte wiederum, ob ich wenigstens Schmerzmittel bekommen würde und er sagte: „Ja natürlich“, das sei kein Problem, weil wir in diesem Fall auf das Kind keinerlei Rücksicht nehmen müssten. Ich war ein wenig erleichtert und wartete nach dem Wehenmittel auf die Kontraktionen. Als wir allein gelassen in dem Zimmer sassen, sagte Dieter, er wolle kein Kind mehr, nun sei genug! Ich fing an zu weinen und sagte, das er keine Angst zu haben brauche, denn auch ich hätte genug. Wir gingen zur Cafeteria um etwas zu trinken. Dort sassen überall schwangere Frauen und am Nebentisch sass eine hochschwangere mit ihrer Verwandtschaft. Sie freuten sich und lachten über die Fusstritte, die ihr das Kleine verpasste und nannten es einen werdenden Fussballer. Die Gefühle, die ich in diesem Moment hatte sind schwer zu beschreiben. Ich fühlte eine Dumpfheit in mir, weder Neid, noch Wut oder sonst was in der Art. Als ich mich entschied ins Café zu gehen, habe ich diesen Aspekt einfach völlig ausser Acht gelassen, dass dort auch Leute sind und im speziellen auch schwangere Frauen. Für meine Umwelt sah ich hochschwanger aus, doch man sah nicht, dass das Kind in meinem Bauch nicht mehr lebte und auch mir sah man nichts an, überhaupt nichts. Dieter ging nach Hause und ich ging auf mein Zimmer. Das Zimmer teilte ich mit drei anderen Frauen, alle so um die 40 bis 50 Jahre alt. Meine Bettnachbarin plauderte mit mir und erzählte mir, dass sie sich ihre Gebärmutter entfernen lassen müsse. Sie fragte nach meinem Kind und ich erzählte ihr, dass es nicht mehr lebe. Sie wünschte mir viel Kraft für die Geburt. Als die Schmerzen so langsam unerträglich wurden, läutete ich der Schwester und bat um ein Schmerzmittel. Es nützte nach meinem Empfinden gar nichts und ich wurde in den Kreissaal gebracht. Dort hängten sie mich an den Tropf und ich bekam weitere Schmerzmittel verabreicht. Ich machte mit Dieter ab, der nun wieder da war, dass ich das Kind nicht zwingend anschauen wolle, wenn er es betrachten möchte, sei das für mich so in Ordnung. Und wenn nicht, dann schaue ich es mir an. Er wollte das Kind sehen und so besprachen wir das zusammen mit der Hebamme. Sie meinte, ich könne es mir ja immer noch überlegen. Das Baby sei dann noch ein, zwei Tage im Spital und wenn ich es mir doch noch anschauen möchte, könne ich das problemlos. Ich hatte mir nach Cyrill`s Tod geschworen, dass ich keines meiner Kinder je wieder tot sehen möchte. Gott ist schlau und hört gut zu, denn nun hatte ich die Wahl. Für mich stimmte die Entscheidung von damals bis heute. Ich habe dieses Kind viele Monate über gespürt und Dieter`s Augen hatten es betrachtet. Als die Geburt voranging und ich immer ärgerlicher wurde, weil das Schmerzmittel überhaupt nicht wirkte, haben sie den Tropf erhöht. Doch ich wurde nur müde und belämmert, doch die Schmerzen blieben. Dieter wurde es übel, es war zu viel für ihn. Auch er hatte erwartet, dass ich wenigstens nicht zu leiden brauchte, so wie es der Arzt eigentlich versprochen hatte. Es war eine seltsame Geburt, die ganze Stimmung in diesem Raum! Die noch junge Hebamme wollte mich trösten, indem sie sagte, wie ungerecht das sie es fände, was ich hier erleben müsse. Sie erzählte mir, dass im Nebenzimmer eine werdende Mutter liege, die ihr Kind nicht haben möchte. Ich empfand kein Gefühl der Ungerechtigkeit, nur körperlichen und vor allem seelischen Schmerz! Im Gebärsaal spürte ich gegen Ende der Geburt etwas fast unbeschreibliches. Ich fühlte eine Anwesenheit von jemand Unsichtbarem, der mir beistand und mich unglaublich beruhigte. Ich fühlte mich umarmt, unterstützt und getröstet von einer mir fremden Energie, die mich wie in Watte gepackt umhüllte. Ich kann nicht sagen was oder wer es sein konnte, doch das war eine sehr ungewöhnliche und auch schöne Erfahrung. Die Hebamme erklärte mir, dass sie den Durchtritt vom Kopf verzögern würde und massierte wie verrückt meinen Damm, damit wir nicht schneiden müssten und ich es dann besser haben würde. Es hat dann doch etwas gerissen und ich musste genäht werden. Als das Kind geboren war, fragte ich nach dem Geschlecht und als mir gesagt wurde, dass es ein Junge war, war ich schon etwas erstaunt. Wir hatten, wie die vorherigen Male mühe, einen schönen Knabennamen zu finden, der uns beiden gefiel und so nannten wir ihn Joe. Ich sagte zu Dieter: „Du wolltest immer einen Joe, also geben wir ihm diesen Namen.“ Mir wurde gesagt, dass er sehr friedlich aussehe und er sehr, sehr hübsch sei. Auch er hatte viele dunkle Härchen und sogar einen süssen Kussmund, so beschrieb ihn mir Dieter. Ich habe es bis heute nicht bereut, dass ich ihn mir nicht angeschaut habe, so habe ich ein Bild weniger, das mich mein Leben lang verfolgt. Die Tage auf der Station waren grässlich. Ich bekam eine Spritze gegen den Milcheinschuss und soweit lief körperlich alles gut. Ich sah schrecklich aus, denn ich bekam viele Pickel. Ich sah aus, als hätte ich einen Ausschlag. Meine Mutter und Philip kamen mich besuchen. Ob Sascha dabei war, weiss ich nicht mehr. Ich blieb nicht lange und ging am dritten Tag nach Hause. Wir haben Joe kremieren lassen. Ich wollte das eigentlich nicht, doch es war eine Entscheidung der Vernunft, weil wir ihn so dem Grab von Cyrill beilegen konnten, was sonst nicht möglich gewesen wäre. Die Beerdigung fand im kleinen Rahmen statt, nur die Eltern und wir. Ich weiss gar nicht mehr, ob Jan dabei war oder nicht. Wir trafen uns auf dem Friedhof mit dem Pfarrer, schritten zum Grab und dort hielt er eine Grabrede. Sie liessen die Urne hinab und dann war es vorbei. Danach gingen wir alle in der Nähe des Friedhofes in einem Café etwas trinken und dann nach Hause. Ich war froh an der Beerdigung teilgenommen zu haben, denn der Akt gehört zur Verarbeitung dazu. Jan hatte sehr wohl unsere Traurigkeit über den Verlust wahrgenommen und benahm sich irgendwie aggressiv. An einem Nachmittag schauten wir „Daktari“ und während dieses Filmes, konnte ich erstmal wieder loslassen und vergessen. An demselben Tag kam der Grabsteinmensch um die neuen Daten aufzunehmen und zu besprechen, wie und wo auf dem bestehenden Stein von Cyrill eingraviert werden sollte. Der Mann war unzufrieden mir der Sachlage, weil nur wenig Platz für das neue Datum vorhanden war und meinte: „…wenn man das vorher gewusst hätte….“ Es gibt Menschen die arbeiten einfach am falschen Ort. Denise und Wolfgang kamen uns besuchen und das tat ja so gut. Wir plauderten und lachten. Wir konnten für einige Stunden einfach abschalten und allen Schmerz vergessen. Ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die keine Berührungsängste haben oder zumindest diese überwinden können.

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