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2 Feminismus zwischen den Wellen

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Feminismus1 bezeichnet die Frauenbewegung als kulturelle und politische Kraft zur Veränderung von Gesellschaften, Beziehungen und individuellen Lebensentwürfen sowie die intellektuelle Tradition, diese Veränderungen voranzutreiben und zu reflektieren.2 Feminismus wirkt also auf der persönlichen Ebene in der alltäglichen Lebensgestaltung, auf der kollektiven Ebene als soziale und politische transformative Kraft sowie auf der Ebene der Wissensproduktion als Impuls für theoretische Ansätze und Bildungsinhalte.3 Systematisch wird eine Vielzahl von Feminismen unterschieden: liberaler, radikaler, sozialistischer, marxistischer oder anarchistischer Feminismus, Pop-Feminismus, Gleichstellungs- oder Differenzfeminismus, Ökofeminismus, intersektionaler und postkolonialer Feminismus, Womanism, Mujerista, Queer-Feminismus, psychoanalytischer oder poststrukturalistischer Feminismus und vieles mehr.4 Diese verschiedenen Positionen haben ihre je eigene historische Tradition und schließen einander nicht (immer) aus. Feminismus ist deshalb am besten als ein Kaleidoskop zu begreifen, das sich mit jedem Blick verschiebt und doch immer wieder dieselben oder verwandte Formen aufleuchten lässt. Es ist wichtig, die enorme Vielfalt der Kristalle im feministischen Kaleidoskop im Hinterkopf zu behalten, wenn dazu übergegangen wird, den Feminismus historisch darzustellen.

Die geschichtliche Entwicklung des Feminismus wird meistens in drei Kapiteln, sogenannten Drei Wellen, erzählt: die Alte Frauenbewegung oder Erste Welle im Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Neue Frauenbewegung oder Zweite Welle von 1960 bis 1980 sowie die Dritte Welle ab den 1990er Jahren.5 Diese Erzählung von den Drei Wellen ist problematisch.6 So schrieb die feministische Theologin Marga Bührig in ihrer Autobiografie Spät habe ich gelernt, gerne Frau zu sein (1987):

Es fiel mir auf, daß die Zeit zwischen dem Ende der »alten« Frauenbewegung und dem Beginn der »neuen« Frauenbewegung als eine Art Leerraum dargestellt oder eben nicht dargestellt wird. Es liest sich so, als hätten in dieser Zeit keine Frauen gelebt, als hätte es zum Beispiel keine Frauenorganisationen gegeben, die mit den Ansätzen der alten Frauenbewegung weitergearbeitet hätten. Natürlich war in Deutschland das Dritte Reich und überall der Zweite Weltkrieg ein tiefer Einschnitt. Aber die Jahre zwischen dem Ende des Krieges und dem Anrollen der neuen Frauenbewegung (gegen Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre) fehlen fast überall. Genau in diesen Jahren beschäftigen sich viele Frauen mit Problemen der Emanzipation, und es gab auch christlich geprägte Frauenorganisationen und Frauenwerke, die nirgends in der Frauengeschichte erwähnt werden.7

Mit der Darstellung ihres Lebensweges wollte Marga Bührig zeigen, dass auch zwischen der Ersten und der Zweiten Frauenbewegung Frauen um Selbstbestimmung, öffentliche Anerkennung und ein differenziertes Frauenbild rangen. Das heißt: Auch in Zeiten vermeintlicher Wellentäler wurde und wird feministisches Wissen tradiert und adaptiert. Dawn Llewellyn bringt dies auf den Punkt: »A strong adherence to the wave metaphor overlooks the cross-generational conversations that have taken place in feminism’s changing historical contexts.«8

Das Narrativ der Drei Wellen kann weiter in Bezug auf die Wellenberge kritisiert werden. Sie suggerieren, es habe jeweils ein dominantes feministisches Thema gegeben, zum Beispiel den Kampf fürs Frauenstimmrecht in der Ersten, für sexuelle Befreiung in der Zweiten und für die Anerkennung fluider Geschlechtsidentitäten in der Dritten Welle. Es erscheint dann so, als ob sich der Feminismus von Errungenschaft zu Errungenschaft weiterentwickelt und ein Thema nach dem anderen »abgehakt« hätte.9 Dabei geht vergessen, dass er stets von einer Vielzahl individueller und lokaler Initiativen geprägt wurde und wird, die nicht diesen hegemonialen Themensetzungen entsprechen.10 Es ist deshalb adäquater, die Gleichzeitigkeit der verschiedenen feministischen Ansätze und Themen zu betonen. Dies gilt umso mehr, wenn die feministische Perspektive über Europa und Nordamerika hinaus um postkoloniale und intersektionale Aspekte erweitert wird.11

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