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Corpus fictum und organischer Körper

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Die Art, wie Theologie, Säkularisierungsprozess und Etablierung der Wissensordnung ineinandergreifen, offenbart sich besonders deutlich an den wechselnden Theorien über den Körper. Diese werden zwar in jeder Epoche neu formuliert und dennoch zu unveränderbarer biologischer Wirklichkeit erklärt. Am deutlichsten wird das, wenn man die Bilder vom kollektiven (oder sozialen) Körper mit denen vom geschlechtlichen Körper vergleicht. Ganz unbestreitbar ist der soziale Körper ein imaginärer Körper: ein corpus fictum oder imaginatum, wie die Theologen die Kirche und die Juristen den Staat nannten.28 Durch die Analogie zum menschlichen Körper sollte dem imaginären sozialen Körper der Anschein von Unteilbarkeit und Leibhaftigkeit verliehen werden. Das heißt, der kollektive Körper hatte sich im individuellen zu spiegeln – und umgekehrt. Da sich aber die Bilder des corpus fictum von einer Epoche zur anderen veränderten, erfuhren auch die dazugehörigen medizinischen, biologischen und juristischen Konzepte des organischen Körpers immer wieder neue Definitionen.29 Das heißt, die Selbst-Konzepte des sozialen Körpers bestimmten über das ‚Wissen‘ von ‚dem Körper‘. Diese Spiegelbildlichkeit bildet eines der wichtigsten Scharniere zwischen der Geschichte der Wissensordnung und der Geschichte der Geschlechterordnung, und sie offenbart zugleich den engen Zusammenhang zwischen Physik und Metaphysik.

Die wandelbaren Bilder des corpus fictum hängen ihrerseits eng mit den medialen Techniken zusammen, über die eine Epoche verfügt und die das Gesicht und die Wissensordnung dieser Epoche prägen. Da die Medien sowohl über die Form der kommunikativen Vernetzung einer Gemeinschaft als auch über das gespeicherte Wissen ihrer Epoche bestimmen, sind sie auch ‚formatierend‘ für die Gestalt des sozialen Körpers [<< 29] und seines Spiegelbildes, des menschlichen Körpers. Deutlich ist die Interdependenz von Medien und Wissensordnung im Bezug zum Körper nachzuvollziehen an den aufeinanderfolgenden Vorstellungen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Als der elektrische Strom aufkam, wurde die Tätigkeit des Gehirns mit dem elektrischen Netz und Stromstößen verglichen; dieses Erklärungsmuster wurde abgelöst vom Bild des Telegrafennetzes, auf dieses folgte das Modell des Rechners, und heute beruft sich die moderne Hirnforschung gerne auf die Analogie zum Internet. Indem die Kommunikationskanäle und Übertragungsmechanismen, die Speicher- und Reproduktionssysteme über das kollektive Gedächtnis die Entscheidung darüber treffen, was als ‚wissenswürdig‘ zu gelten hat, verwalten sie auch die Art, wie eine Gemeinschaft als Körper ‚funktioniert‘. So entsteht eine Wechselwirkung: ‚Die Wissenschaft‘ erfindet Techniken, die ihrerseits über die Gestalt des sozialen Körpers bestimmen. Der soziale Körper wiederum bringt eine bestimmte Wissensordnung hervor, der das Wissen über den menschlichen Körper unterliegt.

Die Vorstellung von der Ähnlichkeit des sozialen und des menschlichen Körpers wirkt sich aus auf die Geschlechterordnung und die geschlechtlich codierte ‚Gestaltung‘ des Sozialkörpers. Ein Beispiel: Paulus beschreibt das Verhältnis von Christus und Glaubensgemeinschaft, indem er sich auf die Analogie von Gemeinschaft und Leib beruft: „Weil es ein einziges Brot gibt“, so sagt er, „sind wir Vielen ein einziger Leib.“ 30 Die einzelnen Gläubigen bezeichnet er als ,Glieder‘, die in Christus einen unteilbaren Körper bilden.31 In dieser Konstruktion ist Christus wiederum das ‚Haupt‘ der Gemeinde und diese sein ‚Leib‘.32 Diese Körpermetaphorik überträgt er auf die Geschlechterordnung und die Rolle von Mann und Frau in der ehelichen Verbindung. Ebenso wie Christus das Haupt der Gemeinde sei, so solle auch in der Ehe der Mann das Haupt der Frau und sie seinen Leib bilden. Paulus: „So sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.“ 33 Deutlicher als in diesem Bild eines Hauptes, das seinen eigenen Leib heiratet, lässt sich das Gesetz von der Unauflösbarkeit der Ehe, das von allen Religionen der Welt nur das Christentum kennt, kaum benennen. Augustinus übertrug diese Vorstellung auf das Verhältnis von Geist und Fleisch, das es zu domestizieren, aber nicht zu verachten gelte. „Hassen wir aber nun wirklich das Fleisch, wenn wir wünschen, dass es [<< 30] uns gehorche? In der Regel weist ein jeder in seinem Hause seine Gattin zurecht und macht sie gefügig, falls sie widerspenstig ist, aber er verfolgt sie nicht als seine Feindin.“ 34

Das Bild des Hauptes, das seinen eigenen Leib heiratet, wurde zu Beginn der Neuzeit von englischen Kronjuristen aufgegriffen, um das Verhältnis von Souverän und Reich zu charakterisieren; es wurde also aus der theologischen Sphäre in jene des Staates übertragen.35 Auch die sexuelle Codierung wurde übernommen: So wie Christus als ‚Bräutigam‘ der Glaubensgemeinschaft galt und der Bischof bei seiner Ordination zum sponsus der Kirche wurde – der Ring, den er über seinen Finger streifte, besiegelte die Ehe 36 –, so wurde im Spätmittelalter auch der König bei seiner Krönung zum ‚Gatten‘ des Reichs ernannt, zum maritus rei publicae.37 Diese Ehemetaphorik wirkte ihrerseits auf die Geschlechterordnung zurück und prägte die Vorstellung von der ‚Natur‘ der Geschlechterordnung.38 An das Haupt-Leib-Modell für Ehe und Gemeinschaft schlossen noch die Pädagogen der Aufklärung wie Theodor Gottfried von Hippel an, der 1774 schrieb: „Der Mann soll über das Weib herrschen wie die Seele über den Leib.“ 39 Solche Ehemetaphern verdankten ihre Überzeugungskraft der Tatsache, dass sie an die alte Dichotomie anschlossen, die Männlichkeit mit Geist und Weiblichkeit mit Leiblichkeit assoziierte. Und sie wirkten zurück auf die Wissensordnung.

Der soziale Körper als corpus fictum erschafft sich also im physiologischen Körper sein Spiegelbild – und umgekehrt. Genwissenschaftlich gesprochen könnte man auch sagen: Sozialer Körper und menschlicher Körper klonen sich gegenseitig – und zwar so, dass zuletzt niemand mehr weiß, welcher das Original und welcher die Reproduktion ist. Geleitet wird dieser Prozess von einer Wissenschaft, die das Produkt medialer Techniken ist, die sich ihrerseits wissenschaftlichen Errungenschaften verdanken. [<< 31]

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