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Auf der Suche nach (weiblicher) Identität: Die neue Frauenbewegung

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Die Frauenbewegung der späten 60er und 70er, die sich in den USA nicht zuletzt im Kontext der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in der Bundesrepublik etwas später aus der Studentenbewegung heraus entwickelte, wird in der feministischen [<< 59] Historiographie in der Regel in zwei Phasen eingeteilt: Zuerst stand (radikale) Gleichheit, dann (radikale) Differenz im Zentrum der Aufmerksamkeit. In beiden Kontexten aber waren Identitätsfragen von zentraler Bedeutung – wenn auch auf unterschied­liche Weise: Während ,weibliche Identität‘ zum prägenden Konzept der zweiten Phase werden sollte, waren die Gleichheitsforderungen der ersten Phase – im Anschluss an Beauvoir – eher auf Vorstellungen ,menschlicher Identität‘ bezogen. Zu kritisieren aber waren zunächst die ,gewordenen‘ Identitäten: In jener Rede von Helke Sanders im September 1968, die als Auftakt der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik gilt, war von der „Identität“ die Rede, die Männer „durch das Patriarchat“ gewonnen und durch die Abtrennung des ,Privaten‘ vom ,Politischen‘ bewahrt haben.20 ,Das Private ist politisch‘: Mit diesem Leitslogan konzentrierte sich die neue Frauenbewegung auf Fragen der Repräsentation, Rollenverteilung und sexistischen Gewalt, der Sexualität und Reproduktion. Einen zentralen theoretischen Referenzpunkt bildeten dabei – neben Beauvoir und anderen frühen Feministinnen – verschiedene Versionen der Kritischen Theorie (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Wilhelm Reich etc.). Ihre Verknüpfung marxistischer mit psychoanalytischen Ideen brachte wiederum Hegel ins Spiel – wenn auch in neuer kritischer Wendung. ,Identität‘ fungierte dabei als ebenso zentraler wie ambivalenter Begriff.

Berühmt geworden sind Horkheimer und Adorno für ihre scharfe Kritik der Identität: „Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“ 21 In der während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil geschriebenen Dialektik der Aufklärung, die zu erklären versucht, wie Faschismus und Holocaust möglich werden konnten, wird der Prozess der Geschichte ,posthegelianisch‘ als Herrschaftsprozess beschrieben. Das Selbst erscheint hier als Produkt einer gewaltsamen Unterwerfung von Natur, Körperlichkeit und der mit ihr assoziierten Weiblichkeit (ebenso wie ethnischen Minderheiten). Der ,Zwangseinheit‘ dieses Selbst gegenüber besetzen Horkheimer und Adorno das ,Nicht-Identische‘, Vielfalt und Individualität positiv. Dabei halten sie allerdings auch normativ an dem Begriff einer (,anderen‘, eben individuellen sowie ,natürlichen‘) Identität fest.22 Gegen die „Selbstbehauptung“ wird – frei nach Hegel – die (positiv konnotierte) [<< 60] „­Selbstbesinnung“ gesetzt,23 und auf der psychologischen Ebene akzentuiert Adorno in The Authoritarian Personality, dass ein entwickeltes ,Ich‘ und ein ,starker Sinn für persönliche Autonomie‘ Bollwerke gegen Antisemitismus und Rassismus bilden.24 An dieser Stelle wird ein weiterer theoretischer Einfluss sichtbar: der der zeitgenössischen amerikanischen ,Ich-Psychologie‘. Hier wurde die ,(Ich-)Identität‘, wie paradigmatisch von Erik Erikson ausformuliert, als subjektive „Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit“ 25 ins Zentrum psychoanalytischer Theorie gestellt. (Freud hingegen arbeitete mit dem Begriff der ,Identifizierung‘, der den Prozess der Identitätsbildung akzentuiert: Durch ihn wird das Ich als „Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen“ gebildet.26) Zusammen mit ähnlichen Entwicklungen in der Soziologie – insbesondere bei Herbert Mead, der in Deutschland z. B. von Habermas rezipiert wurde – hat die Ich-Psychologie dazu beigetragen, dass die Grundannahme, derzufolge es „für menschliche Wesen von grundsätzlichem Interesse“ ist, „sich selbst als ,eins‘ zu verstehen“, in weiten Teilen der Sozialwissenschaft auch des späteren 20. Jahrhunderts mehr oder minder explizit vorausgesetzt wurde.27

Zusammen mit der Kritik der Identität als Herrschaftsprozess haben diese sozialwissenschaftlichen Neuformulierungen identitätsphilosophischer Grundsätze auch die neue Frauenbewegung geprägt: Sie wurde durch das doppelte Projekt der Kritik ,patriarchaler‘ Identitäten einerseits, der Entwicklung ,befreiter‘ Identität von Frauen andererseits geprägt.28 Mit der Veränderung der politischen Kultur im Laufe der 1970er-Jahre – die Studentenbewegung zersplitterte sich; Frieden und Ökologie wurden zu neuen Schwerpunktthemen – verschob sich dabei der Akzent zunehmend vom ,Subjekt Frau‘ auf das ,weibliche Subjekt‘. Die ,Neue Subjektivität‘, die nun im Zentrum des feministischen Projekts stand, sollte im Zeichen der Differenz von den herrschenden Standards der Zerstörung gesucht werden. So orientierte sich der ­cultural feminism an einer als universal imaginierten – und teilweise biologisch fundierten – Weiblichkeitsvorstellung, derzufolge Frauen friedlicher und mehr im Einklang mit [<< 61] der Natur seien als Männer (z. B. bei Mary Daly). Wie kritisch eingewandt worden ist, beruhten diese Vorstellungen allerdings im Wesentlichen auf einer Aneignung hegemonialer Konzepte, die weibliche Identität schon im 19. Jahrhundert genau so definierten.29 Anspruchsvollere Versionen dieser Theorieströmung wurden von psychoanalytischen, Moral- und Erkenntnistheoretikerinnen (Nancy Chodorow, Carol Gilligan, Nancy Hartsock) entworfen.30 In den Literaturwissenschaften prägte sie das Konzept der gynocritics (Elaine Showalter) und die frühe deutsche Diskussion um eine ,weibliche Ästhetik‘.31 Diese Suche nach ,der‘ Weiblichkeit macht nicht den ,ganzen‘ Feminismus der 1970er und frühen 1980er aus: Schon bald protestierten Schwarze und andere minorisierte Frauen gegen die Verallgemeinerungen, die dem Reden von ,der Frau / den Frauen‘ eingeschrieben waren, und einzelne Autorinnen und Künstlerinnen wandten sich mit ihren Projekten gegen den feministischen mainstream. Nichtsdestotrotz ist im deutschsprachigen Raum insbesondere ein – literarischer – Text zum Signum dieser Zeit geworden: Verena Stefans Häutungen, die Geschichte einer Frau, die sich in der Erkundung ,ihres‘ Körpers ,selbst findet‘.32

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