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Differenzen, oder: Zur Genealogie der Identität. Gender Trouble

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Judith Butler, deren Studie Gender Trouble die Geschlechterforschung der 1990er-Jahre maßgeblich geprägt hat, kritisiert Irigarays ,monolithische und monologische männ­liche Ökonomie‘ nicht zuletzt dafür, dass sie die kulturelle und historische Spezifizität geschlechtlicher Unterdrückungsmechanismen nicht erfassen kann.43 An die Stelle solcher ,totalisierenden feministischen‘ Gesten soll eine Analyse treten, die danach fragt, wie einander überlagernde Differenzkategorien (neben gender z. B. race und class) soziale Prozesse des Ausschlusses, der Diskriminierung und Hierarchisierung organisieren.44 Butler rekurriert hier auf die Kritik an den universalisierenden Konzepten des mainstream-Feminismus, die schon seit den 1970er-Jahren von schwarzen, lesbischen und anderen minorisierten Frauen geäußert worden war. Nicht als Erste, aber mit nachhaltigerem Erfolg als ihre Vorgängerinnen, ruft Butler dazu auf, die Kategorie „Frauen“, die die feministische Theorie zu lange vorausgesetzt hat, kritisch auf ihre Entstehung und Funktionsweise hin zu befragen. Im Rekurs auf Michel Foucault verwendet Butler für dieses Projekt den Begriff der Genealogie, der ein Gegenmodell zu hegemonialen Formen der Geschichtsschreibung bezeichnet. ,Genealogie‘ geht nicht von einer ursprünglichen Identität (z. B. einem geschichtsmächtigen Subjekt oder auch einem abstrakten Funktionsprinzip à la Hegelschem Weltgeist aus), sondern befragt die ,verstreuten‘ Ereignisse und Praktiken, Diskurse und institutionellen Bedingungen, durch die Identitätsformationen entstehen.45 Im Hintergrund dieses Konzepts deutet sich das Modell von Macht an, das Foucault in Der Wille zum Wissen ausformuliert hat: Herrschaftsbeziehungen sind nicht die Folge einer zentralen, gesetzgebenden Autorität, sondern das – veränderliche, notwendig instabile – Resultat andauernder, vielschichtiger und plural gerichteter Kraftvektoren.46 Diese ,produktive‘ Macht ,jenseits‘ der Identität aber strukturiert laut Foucault das gesamte soziale Feld; auch Subjektivitäten sind als ihr Effekt zu beschreiben.

Butler verknüpft diese foucaultschen Theoreme mit den Modellen der Psychoanalyse und Dekonstruktion, um die von ihr angestrebte ,radikale Kritik der Kategorien [<< 66] der Identität‘ zu entwerfen.47 So gerät gender als ein soziosymbolischer Apparat der Produktion von Subjektivität in den Blick.48 Butler zufolge wird er maßgeblich – aber, siehe die foucaultsche Komplexitätsvorgabe, nicht allein – von den institutionalisierten Mächten des ,Phallogozentrismus‘ und der ,Zwangsheterosexualität‘ strukturiert. Die Argumentationsbewegung, mit der Butler die Identität des Geschlechts zersetzt, ist eine doppelte: Erstens problematisiert sie die Voraussetzung notwendiger Kohärenz zwischen den verschiedenen Dimensionen des Geschlechts. Nach den Vorgaben hegemonialer Norm / alität folgt aus sex (dem ,biologischen‘ Geschlecht) notwendig (ein entsprechendes, sprich: identisches) gender, und aus diesen beiden notwendig das Begehren nach einem Objekt entgegengesetzten Geschlechts. Sexualität wird hier also als zentraler Bestandteil des Geschlechts reflektiert. Potentiell ,subversiver‘ Gender Trouble beginnt, wo die ,metaphysische‘ Dreieinigkeit des Geschlechts aufgelöst wird. Zweitens aber greift Butler die Geste der Fundierung an, die sex als ,natürliche‘ Grundlage des Geschlechts voraussetzt: Im Rekurs auf feministische Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte fragt sie, ob die ,natürliche Zweigeschlechtlichkeit‘ nicht als ebenso kulturell produzierte zu denken ist wie gender – womit die Unterscheidung zwischen sex und gender potentiell kollabiert. Die Kategorie des Geschlechts insgesamt erweist sich dann als performativ, d. h.: sie erzeugt erst die Identität, die sie vorgibt zu ,sein‘.49

Butler-Exegetinnen haben nicht zuletzt darüber gestritten, wie radikal die hier formulierte Auflösung der ,natürlichen‘ Grundlage von Identität zu lesen ist. Auch im Hinblick auf die Produktion von Identität selbst aber sind zwei – komplementäre – Lektüren möglich: Einerseits insistiert Butler, u. a. mit Lacan, darauf, dass Identität immer phantasmatisch ist; die Performanz des Geschlechts führt notwendig zu Effekten ,komödiantischen Scheiterns‘.50 Andererseits beschreibt sie, im Anschluss nicht zuletzt an den freudschen Begriff der Identifizierung, die Zwangsmechanismen, die die Kohärenz und Kontinuität einer Person effektiv herstellen.51 Die Zielrichtung von Gender Trouble jedoch ist eindeutig: Als Gegenentwurf zu den ,­Identitätspolitiken‘, die feste Einheiten voraussetzen, schlägt Butler vor, gerade die Inkohärenzen und Uneindeutigkeiten unserer Selbstwahrnehmungen und Zugehörigkeiten politisch produktiv [<< 67] zu machen. Auf der kollektiven Ebene kann dies eine Koalitionspolitik bedeuten, die auf der Akzeptanz von Divergenzen und Brüchen beruht, auf der individuellen – aber nicht weniger politischen – Ebene theatralische Inszenierungen von Geschlechts,identität‘ (z. B. durch Praktiken des drag), die deren Grundlosigkeit und Inkohärenz sichtbar machen.52

Butlers Gender Trouble ist – nicht zuletzt in Deutschland – kontrovers diskutiert worden: Ihre Auflösung der (,natürlichen‘ und vermeintlich auch körperlichen Fundamente von) Identität wurde von vielen Autorinnen als Bedrohung feministischer und anderer fortschrittlicher Politik wahrgenommen. Eine für unseren Zusammenhang zentrale Linie der Debatte ist in dem Band Der Streit um Differenz dokumentiert. Seyla Benhabib plädiert hier für das Festhalten an einem Identitätsideal (im Sinne von Kontinuität und Kohärenz), weil nur dieses ihrer Ansicht nach politische Handlungsfähigkeit ermöglicht. Im Anschluss an die besprochene philosophische Tradition von Hegel bis zur Kritischen Theorie werden „Autonomie und […] Ich-Identität“ noch einmal eng verknüpft und mit dem zeitgenössischen Begriff der „Handlungsfähigkeit“ zu einer Trias zusammengebunden, die als „regulatives Prinzip“ nachgerade angesichts der Zerbrechlichkeit des „Selbstgefühl[s] von Frauen“ unverzichtbar sei.53 In mancher Hinsicht allerdings modifiziert Benhabib das ,alte‘ Konzept der Identität auch. Im Rekurs auf – maßgeblich von Paul Ricœur inspirierte – neuere Erzähltheorien schlägt sie vor, „Kohärenz“ als „narrative Einheit“ zu verstehen: „Ich-Identität“ ist nicht nach dem Modell physikalischer Gleichheit, sondern als Leistung des Zusammenfügens jener (vielfältigen) Geschichten zu verstehen, in die wir verstrickt sind.54 Außerdem visiert sie im Hinblick auf die Identitätskritik der Kritischen wie feministischen Theo­rie ein Subjektkonzept an, in dem „autonome[…] Individualität“ mit „fließenden Ich-Grenzen“ vereinbar und ohne „Angst vor der Andersheit“ möglich ist.55

Butler akzeptiert den von Benhabib behaupteten Zusammenhang zwischen Handlungsfähigkeit und Identität nicht: Schon in Gender Trouble hatte sie betont, dass die performative Konstruktion des Geschlechts nicht im Gegensatz zu politischer agency [<< 68] steht. Dekonstruktion der Identität ist ihr zufolge nicht die Dekonstruktion der Politik, sondern die Voraussetzung neuer Politikformen.56 In ihrer Antwort auf Benhabibs Vorwürfe akzentuiert Butler dann, dass es ihr nicht um eine Verabschiedung des Subjektbegriffs zu tun ist – auch wenn ihre dekonstruktivistische Rhetorik das zuweilen nahelegen mag.57 Vielmehr sei das Subjekt als „die stets vorhandene Möglichkeit eines bestimmten Prozesses der Umdeutung (resignifying process)“ zu verstehen.58 Was genau damit gemeint ist, hat Butler in späteren Publikationen – insbesondere Excitable ­Speech (1997) – ausgeführt. Hier steht nicht länger das – oft als Kostümspiel missverstandene – Konzept theatralischer Geschlechtsperformanz im Zentrum ihrer Ausführungen, sondern ein linguistisch-rhetorisches Modell der Performativität. Im Anschluss an J. L. Austin wie Derrida betont Butler, dass Sprechakte in der Regel nicht vollständig erfolgreich sind. Dieser Umstand aber macht auch hegemoniale Regimes der Macht ,verletzlich‘; in den ,Lücken‘ ihres Funktionierens kann das marginalisierte Subjekt als kritischer Agent Handlungsfähigkeit erlangen. Im Rekurs auf Gayatri Spivak (und in der Sprache der Rhetorik) beschreibt Butler diesen Prozess des ,Zurücksprechens‘ als ,Katachrese‘, d. h. metaphorische Ersetzung einer fehlenden ‚wörtlichen‘ Bedeutung bzw. ‚missbräuchliche‘, d. h. umdeutende Verwendung von (hegemonialen, ausgrenzenden) Identitätskonzepten.59

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