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Querverbindungen zu anderen politischen Feldern

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Am Beginn des 21. Jahrhunderts kommen die möglicherweise grundlegendsten Anfragen an herrschende Körper- und gender-Vorstellungen aus den Bereichen der Medien­wissenschaften sowie der Medizin-, Bio- und Reproduktionstechnologien. Bereits Marshall McLuhans Bestimmung der Medien als Prothesen des menschlichen Körpers hat die Aufmerksamkeit für die visuellen Repräsentationen des Körpers sowie die mediale Erzeugung von (geschlechtsspezifischen) Körperbildern und Leibesempfindungen geweckt. Gegenwärtig werfen digitale Medien und virtuelle Räume des Cyberspace, aber auch medizinische Möglichkeiten der Sichtbarmachung innerer Körpervorgänge sowie – im Kontext des genetic screening – potentieller zukünftiger Veränderungen des Körpers neue Fragen nach körperlicher Selbst- und Fremdwahrnehmung auf. So analysiert die Medientheoretikerin Marie-Luise Angerer den Ort des Körpers zwischen Realität und Virtualität und argumentiert, dass trotz der neuen Flexibilität von Identitätsentwürfen die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich kulturell weiterhin prägend bleibt.47

Jüngere Entwicklungen am Schnittpunkt von Medien-, Informations- und Medizintechnologie haben auch zu einer Auflösung zahlreicher auf den Körper bezogener kultureller Grenzziehungen geführt, sei es die Unterscheidung zwischen Innen und Außen (und deren Veränderung z. B. durch Röntgenstrahlen, Ultraschallaufnahmen oder die Präimplantationsdiagnostik),48 die Grenzziehung zwischen Tod und Leben (und deren Neudefinitionen z. B. durch das Hirntodkonzept und die Möglichkeiten postmortaler Fertilisation)49 oder die Abgrenzung zwischen Mensch und Maschine (und deren Unterlaufung z. B. durch Prothesen und Neuroimplantate)50. Während Philosophen wie Paul Virilio die technische ‚Kolonisierung des Körpers‘ kritisieren,51 rufen feministische Wissenschaftshistorikerinnen wie Donna Haraway und Katherine Hayles dazu auf, die Entstehung von ‚Cyborgs‘, also Hybriden zwischen Mensch und [<< 88] Maschine, als Chance zu begreifen, auch andere vergeschlechtlichte Grenzziehungen (wie diejenige zwischen Natur und Kultur, Tier und Mensch, Subjekt und Objekt, Männlichem und Weib­lichem) aufzulösen und auf diese Weise jene Herrschaftsstrukturen aufzubrechen, die mit diesen Dichotomien verbunden sind.52 Die Denkfigur des Cyborg hat sich für die Theoretisierung des Körpers als fruchtbar erwiesen, wenngleich jüngere Arbeiten auch die ökonomischen und epistemologischen Gefahren der damit verbundenen Grenzverwischung bzw. Vereinheitlichung thematisieren und daran erinnern, dass eine Entnaturalisierung von Körper und Geschlecht nicht mit deren Entmaterialisierung einhergehe.53

Andere gender-orientierte Analysen werfen einen kritischen Blick auf die neu entwickelten Verfahren der life sciences, Biowissenschaften und -technologien, in denen Geschlechtskörper kulturell entworfen, aber auch ganz praktisch verändert werden.54 So verdeutlichen z. B. Analysen von naturwissenschaftlich-medizinischen Techniken der digitalen Bilderzeugung (wie Computer- und Kernspintomographie), dass es sich bei den auf diese Weise erzeugten Einblicken in den Körper nicht um Abbilder, sondern um physikalisch-mathematische Konstrukte handelt, deren Erstellung besonderen Selektionsprozessen (z. B. bei der Eliminierung von Streudaten) unterliegen.55 Gerade weil der Konstruktions- und Kunstcharakter solcher Visualisierungen meist nur unzureichend reflektiert wird, tragen diese Körperbilder zur Verwischung der Unterscheidung zwischen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ bei und führen dort zu Standardisierung und Stereotypisierung, wo sie beobachtete individuelle Geschlechterdifferenzen zu biologischen Realitäten bzw. Normen erklären.

Die besondere Aufmerksamkeit aktueller transdisziplinärer Untersuchungen gilt den Entwicklungen der Reproduktionsmedizin, die an einer weit reichenden Entkopplung von Fortpflanzung und Sexualität arbeitet und gegenwärtige Körpervorstellungen – z. B. von ‚natürlicher‘ bzw. ‚technischer‘ Fortpflanzung, männlicher Zeugungs- und [<< 89] weiblicher Gebärfähigkeit sowie körperlicher Integrität und Identität – grundlegend verändert.56 Gerade die Reproduktions-, aber auch die Transplantations- und ­Gentechnologien sind aus gender-theoretischer Perspektive weiterhin kritisch darauf zu befragen, welche Körperkonzepte den neuen Forschungsfeldern zugrunde liegen bzw. von ihnen propagiert werden.57

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