Читать книгу Gender@Wissen - Группа авторов - Страница 34

Zeugung des Lebens aus sich selbst heraus als Akt des Widerstands:
Urzeugung, Autopoiese und Parthenogenese in der Moderne

Оглавление

Jenseits der Fragen der Vererbung erlebte die Epigenese-Theorie immer wieder Renaissancen,50 nicht zuletzt als theoretischer Bestandteil von Konzepten der nicht-geschlechtlichen Zeugung, in den Konzepten der Urzeugung oder später Autopoiese. Theorien der Epigenese, die also die Entwicklung zu Formen, die nicht bereits in einer Anlage vorgegeben wird, voraussetzt, finden sich besonders in Reaktion auf den Mechanizismus des 18. Jahrhunderts im Wechselfeld zwischen Naturforschung und Philosophie. Sie beziehen sich auf Phänomene der Selbstorganisation und meinen die kreative und unvorhersagbar lebendige Hervorbringung von komplexen Strukturen in der Natur ebenso wie durch den Menschen. So wandte Kant beispielsweise das Prinzip der „Selbstgebärung“ 51 unseres Verstehens gegen Humes Idee der empirischen Vorprägung unserer Ideen und sprach vom natürlichen Körper als sich selbst organisierendes Wesen,52 während zur gleichen Zeit naturforschende Präformisten und Anhänger der Epigenese-Theorie um die Erklärung der Zeugungsphänomene rangen. Auch Schelling,53 Fichte und Goethe schreiben der Epigenese das Wort,54 bei Herder und Humboldt 55 ist sie das Prinzip der Hervorbringung der Sprache selbst und bei Beaumarchais findet sie sich in der Kritik aristokratischen Präformationismus.56 Neuerlich prägte im 20. Jahrhundert der Neurobiologe Humberto Maturana den Begriff der Autopoiese (altgriech. für Selbsterschaffung)57 für das Phänomen, dass Lebewesen sich selbst hervorbringen und erhalten könnten,58 indem „das Pr [<< 106] odukt ihrer Organisation sie selbst sind, das heißt, es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis. Das Sein und das Tun einer autopoietischen Einheit sind untrennbar, und dies bildet ihre spezifische Art von Organisation.“ 59 Das Konzept fand schnell Verbreitung auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen, so fand etwa Niklas Luhman es rasch anwendbar auch für die Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse.60 Interessant schien dieses Konzept von Selbstzeugung oder Autopoiesis für die feministische Theorie durch einen darin enthaltenen veränderten Lebensbegriff,61 mit dem eine Veränderung der Vergesellschaftung von Natur reflektiert wird: Produktion und Reproduktion fallen so in eins, Reproduktion wird also aus Produktion nicht mehr ausgeklammert.62

Dasselbe gilt auch für die Entstehung des Lebens an sich: Die Theorie der Urzeugung oder Spontanzeugung von Leben aus unbelebter Materie wurde zunächst mit der Sichtung von Maden in faulendem Fleisch, später mit den im Mikroskop entdeckten Bakterien bewiesen.63 Mit Sterilisierungstechniken wurde sie zwar in dieser Form widerlegt, jedoch wurde gezeigt, dass die chemische Evolution die Genese von biotischen Zellen aus der sogenannten Ursuppe möglich machte.64 Von hier aus führt der Weg in die Selbstorganisationstheorie, Chaosforschung und Systemtheorie,65 an die die Hoffnung geknüpft wird, sowohl das Biotische als auch das Technische weniger mechanistisch und deterministisch fassen zu können.66 Die binäre Grenzziehung zwischen ‚toter Materie‘ einerseits und ‚lebendigen Organismen‘ wurde dabei zunehmend [<< 107] in Frage gestellt.67 Die Selbstgenerationsfähigkeit und ‚Unbändigkeit‘ der Natur (teils im Sinne von Organizismus oder Vitalismus) im Kontrast zu Determinismus und Mechanizismus sowie etwa zunehmende Naturausbeutung adäquat beschreiben zu können, war ein grundsätzliches Anliegen feministischer Theorie zu Lebenskonzepten in den 1970er- und 80er-Jahren.68 Später dagegen überwogen Ansätze, die versuchten, Technik und Natur als miteinander vereinbar zu denken, sie begrüßten daher z. T. die Idee der Selbstorganisation.69 Elvira Scheichs Untersuchung der historischen Debatten um Selbstorganisation kommt allerdings zu dem Schluss, dass, indem eine übergeordnete, abstrakte Reproduktionseinheit gewählt wird, Geschlechtlichkeit und damit auch die weibliche Rolle in der Generativität ausgeklammert würde, während das Prinzip des Wandels ein Männliches bleibe.70

Gegenüber der (scheinbar) nicht-geschlechtlichen Zeugung von Lebendigem aus toter Materie, als Autopoiese oder Urzeugung, wurde die Selbstzeugung aus (dann weiblich definierten) Lebewesen heraus zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein problematisches Politikum. Diese Art der Fortpflanzung, die nach heutigem biologischen Verständnis in allen Tiergruppen vereinzelt oder verbreitet vorkommt und ledigliche für Säuge- und Beuteltiere ausgeschlossen wird, war bereits Aristoteles vertraut 71 und Erzählungen von rein weiblicher Fortpflanzung in Mittelmeerraum und Orient sowie in frühen christlichen Schriften weit verbreitet.72 Seit den ersten mikros­kopischen Beobachtungen der Entwicklung unbefruchteter Eizellen durch Marcello Malpighi 1675 mehrten [<< 108] sich die Berichte von Jungfernzeugungen im Tierreich über die Jahrhunderte.73 In der Debatte zwischen Ovisten und Animakulisten stärkte die Parthenogenese die Position der Ovisten.74 Nachdem nicht einmal der Geschlechtsakt als Impuls der Eientwicklung beobachtet wurde, wurde die Parthenogenese einerseits als willkommenes Argument für die Position verwendet, Zellen und Lebewesen seien grundsätzlich hermaphroditisch und eine dichotome Zweigeschlechtlichkeit als These abzulehnen,75 andererseits wurde sie aus demselben Grund als eine Bedrohung der Rolle der beiden Geschlechter beschrieben.76 Die Lösung dieser Bedrohung wurde über die aristotelische Vorstellung der größeren (energetischen) Bedeutung des männlichen Beitrags herbeigeführt: Diese trug zur sexuellen Ordnung der Moderne bei, indem schließlich, in einem nach der Ansicht des Historikers Frederick Churchill grundlegenden Schritt, die sexuelle Fortpflanzung als höherwertig gegenüber der asexuellen gesehen wurde.77 So beschrieb etwa Johan Japetus Steenstrup 1845 erstmals den Wechsel von sexueller zu asexueller (parthenogenetischer) Generation 78 und begründete die Höherwertigkeit Ersterer mit ökonomischen Begriffen des Verbrauchs der sperma­tischen Kräfte im Lauf der asexuellen Generationen.79

Auch Ende des 20. Jahrhunderts reflektieren Theorien zur Parthenogenese sowie die Geschichtsschreibung zu früheren Theorien über sie, wie die Biologin Smilla Ebeling feststellt, die gesellschaftlich aktuellen „diskursiven Aushandlungen um die ‚Fortpflanzungsmacht‘“.80 Evolutionsbiologische Texte problematisierten die eingeschlechtliche Fortpflanzung etwa als evolutionäre „Sackgasse“,81 während der ­zweigeschlechtlichen Zeugung höhere genetische Flexibilität zugeschrieben würde.82 Wie Ebeling feststellt, diskutierten populärwissenschaftliche Texte zur Parthenogenese die „,Freiheitsbestr [<< 109] ebungen der Frauen‘“, die „die Männchen abschaffen“.83 Ein ähnliches Motiv, Frauen könnten mittels künstlicher Befruchtung gänzlich ohne Männer leben, wird zur gleichen Zeit, Ende des 20. Jahrhunderts, von manchen wissenschaftlichen Befürwortern der breiten Anwendung von Gen- und Reproduktionstechnologien als emanzipato­risches Argument ebenfalls in die Öffentlichkeit gebracht.84

Gender@Wissen

Подняться наверх