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Identität, ,postdekonstruktiv‘? Reformulierungen und Perspektiven

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Nicht allein die von Butler genutzte Rhetorik bietet Möglichkeiten identitätskritischer Reformulierung von Subjektivität. So lässt sich z. B. auch Benhabibs Modell der Erzählung über ihre Vorgabe hinaus diesbezüglich weiterdenken:60 Literaturwissenschaftlerinnen wissen, dass Erzählungen nur streng normativen Ästhetiken zufolge [<< 69] allein im Zeichen der Kohärenz stehen. Ergänzend zu ihren Leistungen identitätsstiftender Verknüpfung lassen sich auch die offenen Fäden und Mehrdeutigkeiten von Erzählungen akzentuieren – ganz besonders im Hinblick auf die Erzählexperimente post / moderner Literatur. Entscheidend aber ist die Frage, ob bzw. in welchem Maße das Subjekt der Theorie (und politischen Praxis) weiterhin als kohärentes und kontinuierliches gedacht werden muss.61 Inwieweit stimmt es, dass Handlungsfähigkeit Kohärenz erfordert, inwieweit ist diese Annahme einfach der philosophischen Tradition verpflichtet, die beide verbindet? Und, andersherum gefragt: Inwieweit muss das Kohärenzparadigma relativiert werden, damit wir die Komplexität unserer Selbstwahrnehmungen und Zugehörigkeiten gedanklich fassen können?

• Letztere Überlegung bildet den Ausgangspunkt zahlreicher neuerer Überlegungen zu ,Identitäten‘. Ein Großteil von ihnen ist nicht im Rahmen der Geschlechterforschung selbst, sondern in angrenzenden Feldern entwickelt worden, doch – wie z. B. Butlers Bezugnahme auf Spivaks postkoloniale Theorie zeigt – auf vielfältige Weise in Dialog mit dieser getreten und für sie produktiv gemacht worden. Im gegebenen Rahmen kann nur schlagwortartig auf einzelne dieser Überlegungen verwiesen werden:

• Im Rahmen der queer studies ist Butlers Kritik der Kohärenz von ,Geschlechts-identität‘ z. B. von Eve K. Sedgwick ausgeweitet worden. Sie differenziert die Trias von sex, gender und Begehren noch einmal, indem sie u. a. zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung unterscheidet und die ,sexuelle Orientierung‘ einer Person in Fragen der Objektwahl, der Vorliebe für bestimmte Praktiken und Phantasien aufspaltet. Der Begriff queer, der in der Moderne nicht zuletzt als Gegenbegriff zu ,normal‘ funktioniert hat, bezeichnet das Feld der bei Sedgwick schier unendlichen Möglichkeiten, dass sich im Spiel dieser zahlreichen Ebenen Dissonanzen und Inkohärenzen einschleichen.62 Neben dieser Multiplikation von Identitätsfacetten akzentuiert der Begriff, der etymologisch zunächst Bewegungen des Durchquerens bezeichnet, auch die Beweglichkeit und Prozessualität von Identität.63

• Im Rahmen der postcolonial studies ist z. B. von Homi Bhabha die Performativität kollektiver, maßgeblich nationaler und kultureller Identitätsbildung verfolgt worden. [<< 70] Bhabha akzentuiert hier insbesondere das Moment der notwendigen ,Hybridität‘, d. h. das konflikthafte Ineinander von gegensätzlichen Elementen in ,Identitäts‘-Formationen.64 In der kontroversen Diskussion um die Nützlichkeit dieses Begriffes ist u. a. darauf verwiesen worden, dass die Produktion von ,Hybriditäten‘ noch kein Garant für ,Subversion‘, sondern auch als aktuelle Strategie der Herrschaftssicherung im Raum der Globalisierung zu begreifen ist.65 Darüberhinaus wird der Begriff von seiner problematischen Geschichte belastet: In den Rassetheorien des 19. Jahrhunderts bezeichnet Hybridität das – in der Regel als unfruchtbar imaginierte – Produkt der Verbindung zweier ,Rassen‘.66 Eine Alternative kann möglicherweise der religionshistorische Begriff des ,Synkretismus‘ bilden. Mit seinen Konnotationen der ,Verschmelzung‘ scheint er allerdings wieder in Richtung einer Zielvorgabe von Kohärenz zu führen,67 der gegenüber Bhabha gerade die Irreduzibilität von Differenz in der ,Identität‘ zu akzentuieren sucht: Jeglicher Versuch, unsere kollektiven Formationen als einheitlich zu begreifen, erweist sich als Gewalt gegenüber denen, die nicht der (in Deutschland z. B. weißen, christlichen) Norm entsprechen.

• Das bedeutet nicht, dass in den neueren Reformulierungen von ,Identität‘ allein das Moment der Differenz maßgeblich wäre. Im Rahmen der politischen Theorie z. B. hat Chantal Mouffe eine Verknüpfung beider Aspekte vorgeschlagen: Das Funktionieren eines Gemeinwesens erfordert, wie sie betont, Momente einer kollektiven Identität im Sinne von gemeinsamer Identifikation und Konsens (z. B. hinsichtlich der Gültigkeit von ethisch-politischen Grundsätzen moderner Demokratie).68 Das muss jedoch nicht heißen, dass das Gemeinwesen als homogener oder konfliktfreier Raum zu denken wäre. Im Gegenteil: Die Artikulation konfligierender Interessen sozialer Gruppen ist ein essentieller Bestandteil des von ihr – und Ernesto Laclau – imaginierten (radikal)demokratischen Prozesses.69 [<< 71]

Fragen lässt sich, inwieweit der Identitätsbegriff noch eine sinnvolle Bezeichnung solcher Rekonzeptualisierungen von Subjektivität und Gesellschaft darstellt. Zu konstatieren ist, dass er in der gegenwärtigen Diskussion nicht nur zur Beschreibung der – relativ – effektiven Schließungsprozesse genutzt wird, mit denen hegemoniale Diskurse Kohärenz und Kontinuität erzeugen, sondern darüber hinaus auch zur Markierung von diversen Spielarten der ,Nicht-Identität‘.70 Vielleicht wird dieser – in Butlers Sinne resignifizierende – Gebrauch im Laufe der Zeit dazu beitragen, Identität neu zu definieren, d. h. ihre etymologische Verknüpfung mit Einheits- oder wenigstens Kohärenzvorstellungen zu relativieren. Zu verweisen ist aber auch auf Alternativbegriffe, z. B. den der ,Positionalität‘, der in der gender-Theorie entwickelt wurde und die Vielschichtigkeit wie Veränderlichkeit von Subjektivität und sozialer Zugehörigkeit akzentuiert: In Leslie Adelsons Definition bezeichnet Positionalität das Set spezifischer sozialer und diskursiver Beziehungen, durch das die (verkörperte) agency eines Subjekts zu einem gegebenen Zeitpunkt konstituiert wird.71 Wie dieses – im Rekurs auf die Metaphorik des Raums gewonnene – Konzept für die world-wide-web-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ggf. zu reformulieren wäre, ist eine, soweit ich sehe, derzeit noch offene Frage. Untersuchungen zu Internet-Inszenierungen von geschlechtlicher und ethnischer Zugehörigkeit haben allerdings gezeigt, dass die soziosymbolischen ,Platzzuschreibungen‘ der europäischen Moderne auch unter den Vorzeichen der Virtualität auf komplexe Weise ,weiterspuken‘.72

Wie eingangs angedeutet, kann die Frage nach den Perspektiven von ,Identität(en)‘ seit der Jahrtausendwende gegensätzliche Antworten provozieren. Im Zuge der europäischen Einigung und der vielbeschworenen Globalisierung scheinen kollektive Identitäten in ihrer klassischen modernen Form, der (ethnisch definierten) Nation, kaum noch eine Zukunft zu haben. Allerdings haben gerade diese im Zuge des Auseinanderfallens des alten Osteuropa nach 1989 neue tödliche Konjunkturen erlebt; und die Ereignisse nach dem 11. September 2001 haben gezeigt, dass die moderne Diskursstrategie der Behauptung grundsätzlicher ,kultureller‘ Gegensätze (zwischen z. B. ,westlichem Liberalismus‘ und ,islamischem Fundamentalismus‘) im 21. Jahrhundert weiterhin effektiv funktioniert. Im theoretischen Feld differenzieren sich diese Bewegungen aus. Die weitverbreitete Abkehr von postmodernen Differenzparadigmen [<< 72] hat zu einer Renaissance universalistischer Paradigmen menschlicher Gemeinsamkeit geführt, die (z. B. in der kognitiven und Evolutionstheorie, aber auch in linkspolitischen Entwürfen wie denen Alain Badious) streckenweise Gefahr laufen, die ungebrochene Wirkmächtigkeit soziosymbolischer Differenzierungsprozesse qua Geschlecht oder race aus dem Blick zu verlieren.73 Unter Berücksichtigung ebendieser Wirkmächtigkeit sind alternative Universalismusentwürfe allerdings auch dezidiert als Kontrapunkt zu den ethnischen Schließungen des 21. Jahrhunderts entworfen worden.74 In den affect studies, die zu einem einflussreichen Paradigma der gender- und queer-Theorie geworden sind, hat sich die teilanaloge Abwendung von postmoderner Diskurstheorie demgegenüber als Weiterentwicklung dezidiert identitätskritischer Paradigmen im Zeichen von Prozess und Fluidität artikuliert, sei es im (antihumanistischen) Zeichen Deleuzianischer assemblage, sei es in dem phänomenologischer Kategorien z. B. der Orientierung.75 Zugleich verweisen Vermittlungsversuche (z. B. zwischen assemblage und dem – als statisch kritisierten – Konzept der Intersektionalität 76) auf die vielleicht zunehmende Bereitschaft, sich den Komplexitäten andauernder (Dis-)Identifizierungsprozesse zu stellen. Zu solchen Vermittlungen hat nicht zuletzt die transgender-Theorie mit vielschichtigen Konzeptualisierungen geschlechtlicher Identifizierung zwischen medizinischer, rechtlicher und sozialer Regulierung, subjektivem Erleben und politischer Artikulationsstrategie beigetragen.77 Im Zeichen solcher Komplexität kann die Geschlechterforschung weiterhin eine Menge produktiver Arbeit an der Identität – und ihrer andauernden Wirkmächtigkeit in hegemonialen, noch immer diskriminierenden und ausschließenden ebenso wie ermächtigenden alternativen Artikulationen – leisten. [<< 73]

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