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Ausgrabungen in Lahnau-Waldgirmes

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Für die Okkupation Germaniens rechts des Rhein und den skizzierten archäologischen Belegen einer sich auch von Osten verändernden Bevölkerung im Mittelgebirgsraum erbrachte in den letzten Jahren besonders die Ausgrabung in Lahnau-Waldgirmes (Abb. 2) weiterführende Erkenntnisse, denn dort gelang es erstmals, eine neu gegründete Siedlung der Römer durch eine wissenschaftliche Ausgrabung zu untersuchen.5 Diese Siedlung war von Beginn an geplant als zivile Siedlung, die wohl, das lässt die Ausstattung vermuten, der Verwaltung eines größeren Umfeldes diente. Diese neuen Zentren sind als coloniae novae zwar bei Tacitus überliefert, bis zur Untersuchung der Siedlung in Waldgirmes aber wurde an dieser Überlieferung gezweifelt, fehlte doch ein archäologischer Beweis.

Entgegen den Erwartungen gab der Boden des mittelhessischen Waldgirmes an der Lahn kein Militärlager der Okkupationszeit frei, wie die Lesefunde zu Beginn vermuten ließen, sondern die Grundrisse von zivilen Wohnhäusern, Läden entlang der Straßen und als zentraler Bau die Steinfundamente eines in Fachwerk errichteten antiken Forums. Im Römischen Reich bildeten die Städte und ihre Territorien das Rückgrat der römischen Verwaltung und Rechtsprechung. Dort wurden die Steuern gesammelt, die zum Aufbau und Erhalt der Infrastruktur und Sicherung notwendig waren. In Gallien konnten die Römer – wie geschildert – praktisch nahtlos das vorhandene Siedlungsgefüge mit den zentralen oppida übernehmen, in Germanien mussten sie diese, für die Verwaltung und die Durchdringung des neu eroberten Raumes notwendigen Strukturen erst anlegen. Zwar geben manche Militärlager dieser Zeit erste Hinweise auf eine zivile Übergangsphase wie beispielsweise im Legionslager von Haltern an der Lippe, in Waldgirmes stand jedoch der Aufbau der Zivilstrukturen von Beginn an im Mittelpunkt. Es bildet hierfür den ersten archäologischen Beleg und an diesem Platz ist in beeindruckender Weise nachvollziehbar, mit welchem Aufwand diese coloniae novae ausgestattet wurden. Aus weit entfernten Regionen gelangten nicht nur Wein, Öl und Würzsauce in das Lahntal, sondern auch Bausteine aus Lothringen und Mühlsteine aus der Eifel zeigen die Einbindung des Ortes in das Fernwegenetz des Römischen Reiches. Aus denselben Befunden wie die römischen Fundstücke stammen aber auch Objekte der „Gegenseite“. Rohbernstein von der Ostsee, Fibeln aus dem Norden West- und Ostdeutschlands bis hin nach Nordpolen oder ins Böhmische Becken zeigen im Gegensatz auch, dass der Ort in das existierende nichtrömische Fernwegenetz integriert war. Die Römer bedienten sich offenbar in der ersten Okkupationsphase der einheimischen Infrastruktur, die römische Herrschaft erreichte jedoch in weiten Teilen der neu eroberten Gebiete in der Germania niemals die Phase, in der ein eigenes – typisch römisches – Kunststraßennetz aufgebaut wurde, wie es aus den Provinzen gut bekannt ist. Wichtiger als alle Landwege waren den Römern die Flussverbindungen. Sie bildeten die Hauptverkehrswege für den Nachschub beziehungsweise auch den Nachschub an westlichen und südlichen Importwaren. Über das Netz von Landwegen und Flüssen wurden auch die Territorien der neuen Städte verwaltet. Der dafür wichtigste Platz am Ort war das Forum als Sitz der Verwaltung. Dieses 2200 m2 große Gebäude war auf Steinfundamenten errichtet, eine für die Zeit und den Ort völlig ungewöhnliche Bauweise, bestanden doch alle anderen Häuser der Siedlung ausschließlich aus Holz(fachwerk). Diese Bauweise allein zeigt die Bedeutung, die die Römer diesem Gebäude und seiner Aufgabe beimaßen. Im Innenhof des Forums fanden sich die ausgeraubten Steinfundamente von fünf Statuenpostamenten, die dort als Sinnbilder des Staates – der neuen Macht – und seiner Fürsorge den neuen Untertanen gegenüber errichtet waren beziehungsweise errichtet werden sollten. Dabei wendete sich die augusteische Propaganda nicht nur an die Einwohner, sondern – vielleicht sogar besonders – an die im Umfeld oder vereinzelt auch in der neuen römischen Siedlung wohnende einheimische Bevölkerung. Zahlreiche in Waldgirmes geborgene Funde können der germanischen Bevölkerung zugewiesen werden; die neu errichtete römische Siedlung diente damit der einheimischen wie der römischen Bevölkerung als zentraler, politischer Kommunikationsraum. In dieser Siedlung kulminierten die Bemühungen der Römer zur Einbindung der indigenen Bevölkerung und zur wirtschaftlichen Wertschöpfung aus dem Umfeld; beide Elemente politischen Handels fanden aber bald ein abruptes Ende.


Abb. 2 Gesamtplan Waldgirmes, Stand 2009

Während der Ausgrabungen der letzten Jahre waren immer wieder Fragmente vergoldeter Gussbronze zutage gekommen. Die aktuellen Untersuchungen der über 160 Bruchstücke bestätigen die Vermutung, dass sich darunter mindestens die Reste von zwei etwa lebensgroßen Bronzestatuen befinden.


Abb. 3 Photogrammetrisches Bild des Brunnens 2 von 2009.

Dank der aufgefundenen Münzen konnte die römische Siedlung von Waldgirmes gut in den Okkupationshorizont der Zeit um Christi Geburt bis etwa 9 n. Chr. eingeordnet werden. Die letzten Münzen, die nach Waldgirmes gelangt waren, waren Bronzemünzen, die zwischen 7 und 3 v. Chr. im römischen Lugdunum geprägt worden waren. Einige Stücke sind zusätzlich mit einem Gegenstempel VAR versehen, dem Namen des Publius Quinctilius Varus (Abb. 3). Er war von 7 bis 9 n. Chr. Statthalter des Augustus in Germanien und unterlag 9 n. Chr. einer Koalition germanischer Stämme in der sogenannten „Schlacht im Teutoburger Wald“. In Folge dieser Niederlage, so nahm man lange Zeit an, hätten die Römer sich weitgehend auf die linke Rheinseite zurückgezogen und Germanicus hätte rechtsrheinisch durch Militäraktionen versucht, die Rheinfront zu schützen und Rache zu nehmen. Doch neueste Erkenntnisse lassen ein differenzierteres Bild dieser Jahre entstehen: Denn offenbar reagierten die über die Niederlage bestürzten Römer sehr individuell auf die jeweilige Situation am Ort. Im Grunde beschreibt dies auch Cassius Dio (56,24):

Damals aber, als Augustus von dem Unglück des Varus unterrichtet wurde, zerriss er, wie einige behaupten, seine Kleider und fühlte tiefe Trauer, nicht nur wegen der gefallenen Soldaten, sondern aus Furcht für die germanischen und gallischen Provinzen, besonders aber deshalb, weil er mit einem feindlichen Angriff auf Italien und Rom selbst rechnete. Bürger wehrfähigen Alters waren ja in kaum nennenswerter Zahl mehr übrig, und außerdem hatten die verbündeten Streitkräfte, soweit sie einigermaßen brauchbar waren, schwer gelitten. (…) Später, als er vernahm, dass einige Soldaten gerettet und die beiden Germanien militärisch gesichert seien, außerdem dass der Feind nicht einmal bis zum Rheine vorzudringen gewagt habe, fühlte er sich nicht mehr beunruhigt und legte der Sache auch weiterhin keine besondere Bedeutung mehr bei.

In Waldgirmes ist möglicherweise indirekt ein Beleg für dieses Verhalten der Römer zu finden, denn einige Befunde lassen auf einen Rückgang der Besiedlung schließen, der mit einem Rückzug von einem Bevölkerungsteil – eventuell nach Mainz – gut zu erklären wäre.

Viel bedeutsamer aber ist die Tatsache, dass die Siedlung in Waldgirmes über das Jahr 9 n. Chr. hinaus kontinuierlich Bestand hatte. Diese Erkenntnisse sind unter anderem der detaillierten Untersuchung eines der Brunnen zu verdanken (Abb. 4). Im Jahr 2009 konnte der 11 m tiefe Brunnenschacht systematisch untersucht werden. Dank der guten Erhaltungsbedingungen für organische Reste – besonders zu nennen ist Holz – konnte eine umfangreiche Serie dendrochronologischer Daten gewonnen werden. Daraus ergab sich, dass die Eichen, aus denen die Spaltbohlen für den Brunnenkasten gewonnen wurden, im Jahr 4 v. Chr. geschlagen wurden. Insgesamt konnten aus sechs Metern erhaltenem Brunnenkasten 68 Spaltbohlen bestimmt werden, die alle ein einheitliches Datum ergaben. Da in römischer Zeit in der Regel Holz frisch verbaut wurde, ergibt sich daraus das Gründungsdatum für die Siedlung. Denn die Sicherung der Wasserversorgung gehörte zu den wichtigsten Aufgaben bei der Gründung einer Siedlung. Überraschenderweise war der Brunnen am Ende der Besiedlung mit Holzgegenständen aus den umliegenden römischen Häusern und Lagerhallen verstopft und damit unbrauchbar gemacht worden. Darunter befanden sich sowohl Architekturteile wie ein Pfeiler oder Bruchstücke von anderen Konstruktionsteilen, der Brunnendeckel und Bruchstücke von Holzgefäßen. Mit als Erstes war jedoch eine Leiter in den Brunnen geworfen worden, deren Ständer den ausgebildeten Jahresring des Winters 9 n. Chr. aufwies. Somit konnte der Nachweis erbracht werden, dass im Spätherbst oder im Winter des Jahres 9/10 n. Chr. Menschen in Waldgirmes Stangenholz geschlagen haben, um eine Leiter zu bauen. Dieses Datum beziehungsweise den naturwissenschaftlichen Beleg für eine Dauer der Besiedlung am Ort über das Jahr 9 n. Chr. hinaus bestätigten einige Befunde, die schon zuvor in diesem Sinne interpretiert worden waren. Denn im Jahr 2008 konnte im Areal zwischen Westtor und Forum eine Baumaßnahme an der Ost-West-verlaufenden Straße aufgedeckt werden. Dort war die Straße durch ein hölzernes Kastenwerk und eine neue Kiesdecke ausgebaut worden, wozu der Straßengraben verfüllt worden war. Aus dieser Verfüllung konnte ein kleines Fragment einer der Statuen geborgen werden, was die Baumaßnahme in eine Zeit einordnete, nachdem die Statuen zerschlagen worden waren.


Abb. 4 Bronzemünze aus Lugdunum mit dem Gegenstempel des Publius Quinctilius Varus und einem zusätzlichen Radstempel.


Abb. 5 Pferdekopf einer der Statuen aus Waldgirmes.

In dem bereits angesprochenen Brunnen stand als Brunnenstube ein in zweiter Verwendung eingebautes Fass. Es diente als ein Kasten, in dem sich die Trübstoffe aus dem Brunnenwasser absetzen konnten. Aus diesem Fass – also den untersten Schichten des Brunnens – wurden acht Mühlsteine geborgen, zwischen denen ein lebensgroßer vergoldeter Pferdekopf aus Bronze deponiert war (Abb. 5). Aus derselben Schicht stammt eine Bronzemünze mit einem Gegenstempel des Varus; die Mühlsteine und der Pferdekopf können also frühestens 7 n. Chr. niedergelegt worden sein, als Varus die Statthalterschaft in Germanien übernommen hatte.

Aus dem Brunnen kamen noch weitere Fragmente von Statuen zutage. Besonders hervorzuheben ist der Schuh, das bisher einzige sicher ansprechbare Teil eines Reiters (Abb. 6). Auffallend war, dass an dieser senatorischen Schuhtracht – dem calceus – keinerlei Reste einer Blattvergoldung erkennbar sind. Da eine Blattvergoldung praktisch nicht flächendeckend reversibel ist, ist damit ein deutlicher Hinweis darauf gegeben, dass es sich um Reste von mindestens zwei Statuen handelt.


Abb. 6 Schuh des Reiters einer der Statuen aus Waldgirmes.

Die Ikonographie der Medaillons, die die Schirrung des Pferdekopfes an den Kreuzungspunkten schmücken, zeigt die politische Situation am Ort, wie sie sich uns zurzeit darstellt. Die runden Medaillons an den Seiten des Kopfes zeigen Bilder der geflügelten Siegesgöttin Victoria, während die ovale Schmuckscheibe auf dem Nasenrücken des Pferdes das Bild eines ruhenden Kriegsgottes Mars zeigt. Die beiden anderen Darstellungen sind momentan noch nicht näher einzuordnen, hierfür müssen weitere Untersuchungen abgewartet werden. Die Stellung der Medaillons zum Kopf legt die Vermutung nahe, dass der Reiter den Kopf des Pferdes zu sich herangezogen hat. Dadurch standen die seitlichen Bilder waagerecht zum Betrachter und auch die ovale Schmuckscheibe war für den Betrachter gut zu erkennen.

Die Statuen, vielleicht in Mainz hergestellt, gelangten sicher ebenso wie die Steine der Postamente über die Flüsse Rhein und Lahn im Ganzen nach Waldgirmes. Dies wie auch die Herkunft der Mühlsteine aus der Eifel, von Keramik aus Italien und der Champagne, Öl und Oliven aus Spanien oder Wein aus dem Rhônetal führen vor Augen, dass die Römer mit der Okkupation der Region diese in das weitreichende wirtschaftliche und verkehrstechnische Netz eingebunden haben. Die Wirkung, die sie mit diesem Vorgehen erzielten, zeigen beispielsweise Keramikfunde aus Niederweimar an der Lahn, wo aus einer einheimischen zeitgleichen Siedlung ebenfalls Keramik aus der Champagne zutage gekommen ist.

Mit Blick auf die historische Überlieferung wäre vorstellbar, dass die Bevölkerung des Ortes die Statuen bei einem Zornesausbruch im Zuge der verlorenen „Schlacht im Teutoburger Wald“ 9 n. Chr. zerschlagen hat. Ein weiteres Ereignis, das diese Konsequenzen hätte haben können, ist für das Jahr 14 n. Chr. überliefert, als am Rhein das Militär nach dem Tod des Augustus rebellierte. Die Niederschlagung dieser Unruhen wurde durch das gegenüber Tiberius solidarische Verhalten des Germanicus ermöglicht. Die Chronologie, die in Waldgirmes aus den archäologischen Befunden abzulesen ist, ist aber nicht eindeutig mit der überlieferten Ereignisgeschichte zu verbinden; dazu fehlen der Geisteswissenschaft Archäologie die exakten Parameter der Naturwissenschaften. Beschädigungen von Porträts des Augustus sind jedoch auch auf Münzen belegt, die aus okkupationszeitlichen Fundzusammenhängen stammen. Dort ist das Bild des Kaisers in nicht seltenen Fällen durch intentionelle Einhiebe beschädigt, die sicher nicht der Prüfung des Metalls dienten, sondern als kultische Beschädigung zu interpretieren sind. Aber auch bei diesen Stücken ist unbekannt, aufgrund welchen Ereignisses diese Handlungen vorgenommen wurden.

Für das Ende der römischen Besiedlung in Waldgirmes geben die dendrochronologischen Daten des Brunnens mit der Leiter einen Hinweis, ein weiterer ist das Fehlen von Terra Sigillata aus La Graufesenque, die als Massenware sicherlich in das römische Waldgirmes gelangt wäre. Die Töpfereien begannen dort um 20 n. Chr. zu arbeiten. Beide Indizien sprechen dafür, dass Waldgirmes vermutlich im Zuge der Aufgabe der rechtsrheinischen Germania 16 n. Chr. aufgelassen und systematisch zerstört wurde.

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