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Die Bedeutung von Mainz für die Rhein-Main-Region in römischer Zeit

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Mit Konstituierung der Bundesländer in Folge der französischen und amerikanischen Besatzungszonen legten die westalliierten Siegermächte den Mittelrhein als Grenze der Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz fest. Die Jahrhunderte währende Entwicklung einer engen Beziehung zwischen linksrheinischen und rechtsrheinischen Gebieten im Erzbistum Mainz wurde damit organisatorisch abrupt beendet. Mainz-Amöneburg, Mainz-Kostheim und Mainz-Kastel (A–K–K) sind heute Vororte von Wiesbaden. Als Modell dieser Neugliederung, welche die Interessen Frankreichs befriedigte, mochte den Amerikanern auch die einst von Caesar (bell. Gall. 1,2,3; 1,28,4; 4,16,3–4) propagierte Behauptung gedient haben, der Rhein markiere die Grenze zwischen friedlichen Kelten im Westen und aggressiven Germanen im Osten.

Um die Zeitwende konzentrierten sich die Offensivpläne des Kaisers Augustus gegen die Germania libera auf die nördliche Rheingrenze im Bereich der untergermanischen Heeresgruppe. Mit der Varus-Katastrophe des Jahres 9 n. Chr. war diese Konzeption endgültig gescheitert, und Rom begnügte sich unter den folgenden Herrschern der julisch-claudischen Dynastie mit seiner indirekten Herrschaft in einem rechtsrheinischen cordon sanitaire zur Sicherung der Rheingrenze. Eine kurzfristige Offensive des Caligula hat die Situation nicht geändert. Für unsere Region von Bedeutung ist die Anlage des Erdlagers Hofheim als östliche Bastion der Mainzer Legionen und ihrer Hilfstruppen bis zur Herrschaft Vespasians.

Am Unterlauf des Mains siedelten damals die Mattiacer (Plin., nat. hist. 31,20; Tac., Germ. 29,3), die dem Ausbau des Mainzer Brückenkopfes in Kastel und einzelner Befestigungsanlagen in Wiesbaden keinen Widerstand leisteten. Die Initiative des obergermanischen Militärbefehlshabers – des leg(atus) Aug(usti) pro praet(ore) – Q. Curtius Rufus, in agro Mattiaco Soldaten zum Abbau von Silbererz abzustellen, scheiterte allerdings am geringen Ertrag der Minen (Tac., ann. 11,20,3).

Das Vier-Kaiser-Jahr 69 n. Chr. mit dem anschließenden Bataver-Aufstand unter Führung des Iulius Civilis führte zur Destabilisierung der Rheingrenze. In Allianz mit den nördlichen Usipetern und Chatten vernichteten die Mattiacer die Kastelle Hofheim und Wiesbaden, belagerten sogar das Mainzer Legionslager – allerdings ohne Erfolg (Tac., hist. 4,37,2–3). Im Gegenzug ließ Vespasian die rechtsrheinische Sicherheitszone nach Norden bis in die fruchtbare Wetterau erweitern und durch Kastelle im rückwärtigen Raum sichern: Frankfurt-Heddernheim, Okarben und Friedberg. Mit dessen jüngeren Sohn Domitian endete die Phase militärischer Offensiven in unserem Raum. Den Chattenkrieg der Jahre 83–85 n. Chr. eröffnete der Kaiser im Frühjahr 83 mit einem massiven Truppenaufgebot persönlich. Die Ergebnisse wurden von den antiken Autoren unterschiedlich beurteilt: Tacitus (Agr. 39,1–3), der jüngere Plinius (pan. 16,3) und Cassius Dio (67,4,2) mokierten sich über den „falschen Triumph“, Frontin (strat. 2,11,7), Martial (epigr. 2,2,3–6) und Statius (silv. 1,1,6–7) priesen den Erfolg, Sueton (Dom. 6,1–2) enthielt sich persönlicher Wertung. Unterstellen wir Domitian eine begrenzte Zielsetzung seiner Operationen, die bereits unter römischer Kontrolle stehenden Territorien nördlich des Mains (Rheingau/Wetterau) dauerhaft zu schützen, so ist dies durch die Anlage von Grenzkastellen – Holzhausen, Zugmantel, Saalburg, Butzbach – und den Ausbau des Limes durchaus gelungen. Die südlich des Mains gelegenen Gebiete im Odenwald wurden wenig später gleichermaßen gesichert.

Domitians Annahme des Siegernamens Germanicus (AE 1976,504; HCC I 284, Nr. 13), sein in Folge gefeierter Triumph de Germanis in Rom (Suet., Dom. 6,1) und die zahlreichen Siegesmonumente (Suet., Dom. 13,2; „Trofei di Mario“) mögen angesichts der tatsächlichen Ergebnisse etwas überzogen erscheinen. Wenn sein Triumphbogen in Kastel auch das jetzt gesicherte rechtsrheinische Operationsgebiet schmückte, bedarf dies keiner tiefsinnigen Begründung. Natürlich wurde der Erfolg propagiert, gleichermaßen handelte es sich aber um einen programmatischen Kurswechsel in der Politik. Wie die Münzlegende GERMANIA CAPTA (BMC Emp. II 362, Nr. 294) oder das Bild der trauernden Germania (ebd. 329, Nr. 143) verdeutlicht, war die offensive Phase gegen das freie Germanien zum Abschluss gelangt. Germanien war besiegt, die bisherigen Militärbezirke wurden als römische Provinzen konstituiert. Als Statthalter fungierten nach wie vor die leg(ati) Aug(usti) pro praet(ore) mit identischen Kompetenzen in Militär- und Zivilverwaltung. Die Neuformation erfolgte vermutlich bereits nach Abschluss des Ersten Chattenkrieges 85 n. Chr. Erstmals bezeugt ist die Provinz Germania superior durch das Mainzer Militärdiplom vom 27. Oktober 90 n. Chr. (CIL XVI 36). Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts hat sich der Limes dann als Verteidigungskonzept bewährt, zumal sich die militärischen Operationen in den Donauraum verlagerten.

Römische Herrschaft kennzeichneten vor allem klare Verwaltungsstrukturen. Auf unterster Ebene der peregrinen Reichsbevölkerung bildeten ländliche Verwaltungsbezirke (civitates peregrinae) mit ihren Vororten (vici) die klassischen Organisationsformen mit weitgehender Selbstverwaltung. Rechtsrheinisch waren dies die civitas Mattiacorum mit dem Vorort Wiesbaden (Aquae Mattiacorum) und die nördlich angrenzende civitas Taunensium mit dem Vorort Nida (Frankfurt-Heddernheim). Südlich des Mains lag die civitas Auderiensium mit ihrem Zentrum Dieburg (vicus MED[---]).Über Einzelheiten der Verwaltung sind wir kaum informiert. Analog zu städtischen Gemeinden gab es einen kommunalen Rat (ordo decurionum) und Magistrate der Exekutive: Bürgermeister (Ilviri iure dicundo), Kämmerer (quaestores) oder Baudezernenten (aediles). Hauptaufgaben waren Steuerveranlagung und Stellung von Auxiliartruppen (census). Die linksrheinischen civitates der Aresaces (CIL XIII 7252) und der Cairacates (Tac., hist. 4,70; AE 1965,247 = 1972,354) im Umkreis von Mainz sind nur dem Namen nach bekannt. Der Zivilverwaltung unterstand abgesehen von direkt militärisch genutzten Weiden auch das sogenannte „Militärterritorium“ am Limes und im Umfeld der Kastelle und des Legionslagers. Militärische Belange blieben natürlich immer den Interessen ziviler Verwaltung in den civitates, vici und canabae übergeordnet.

Aufgabe des Militärs blieb in erster Linie die Sicherung der Grenzen. Kurzfristig schien hier Gefahr in Verzug als der obergermanische Statthalter L. Antonius Saturninus im Winter 88/89 n. Chr. einen Putschversuch gegen Domitian wagte und auch die Chatten für die Rebellion gewann (Suet., Dom. 6,2; Dio 67,11,1–2). Die in der neueren Forschung immer wieder behauptete „Senatsverschwörung“ resultiert vermutlich aus Vorstellungen von senatorischer Freiheit im Konflikt mit kaiserlicher Gewaltherrschaft. Im Unterschied zum Aufstand des Gaetulicus gegen Caligula (39 n. Chr.) entbehrt die These meines Erachtens in Bezug auf Saturninus der Grundlage. Mit seinen zwei Legionen – der legio XIV Gemina und der legio XXI Rapax – hatte Saturninus keine Chance, zumal die Chatten aufgrund plötzlichen Tauwetters den Rhein in der Höhe von Remagen nicht überqueren konnten. Die benachbarten Statthalter von Untergermanien – A. Bucius Lappius Maximus (CIL VI 1347 mit add. p. 4684) – und Raetien – T. Flavius Norbanus (AE 2007, 1782) – hatten den Putsch schon niedergeschlagen, bevor der spätere Kaiser Traian mit seiner spanischen Legion zu ihrer Unterstützung eintraf (Plin., pan. 14,2–5). Die siegreichen Truppen wurden alle mit den Ehrentiteln P(ia) F(idelis) D(omitiana) ausgezeichnet, die untergermanische Heeresgruppe, der exercitus Germaniae inferioris, sogar in ihrer Gesamtheit.

Auch als Domitian das Mainzer Doppellager auf eine Legion reduzierte (Suet., Dom. 7,3), genügte deren Präsenz der Grenzsicherung bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Die in Mainz zunächst verbliebene legio XIV Gemina wurde vermutlich 97 n. Chr. durch die seitherige „Hauslegion“, die legio XXII Primigenia Pia Fidelis, ersetzt. Damals amtierte Traian nach Domitians Ermordung als Statthalter Obergermaniens. Nach seiner Adoption und Ernennung zum Caesar durch Kaiser Nerva im Oktober 97 n. Chr. (Dio 68,3,4; Plin., pan. 8,6) überbrachte ihm sein weitläufiger Verwandter Hadrian die Glückwünsche der Truppen Untermösiens nach Mainz (HA Hadr. 2,5). Wenig später ist Nerva verstorben, und Traian trat am 28. Januar 98 die Herrschaft an (Fer. Dur. I 14f.). Wiederum war es Hadrian, der ihm die Anerkennung durch den Senat übermittelte (HA Hadr. 2,6; Eutrop., brev. 8,2,1) – dieses Mal nach Köln, wo Traian als Statthalter Untergermaniens residierte und auch noch als Kaiser in dieser Funktion am 20. Februar 98 nachgewiesen ist.7

Falls die kürzlich in Frankfurt-Niedereschbach gefundenen 57 Fragmente einer bronzenen Reiterstatue auf den Kaiser Traian zu beziehen sind, hätte die Ehrung auf die Erhebung des obergermanischen Statthalters zunächst zum Caesar, dann zum Augustus Bezug genommen. Das Monument dürfte vor seiner Zerstörung in Nida, dem Zentrum der civitas Taunensium, gestanden haben. Indessen bleibt seine Rekonstruktion abzuwarten, da das bezeichnete Fragment einerseits zur typischen Frisur des Kaisers, andererseits aber auch zum Fesselbehang des Pferdes oberhalb der Hufe gehören könnte. Als Stifter des Standbildes kommen eventuell vermögende Kaufleute in Betracht – ein Indiz für die wirtschaftliche Blüte unserer Region im Schutz des Mainzer Legionslagers bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr.

Nicht nur der Limes, auch sein Hinterland verlangte den Schutz der Verkehrswege gegen Räuber und Überfälle. Diese Aufgabe erfüllten sogenannte beneficiarii – Soldaten, die durch Privileg des Statthalters oder anderer hoher Offiziere vom üblichen Lagerdienst befreit waren, um neuralgische Punkte der Region zu sichern: Straßenstationen sind in unserem Gebiet bislang allerdings nur im Taunus auf der „Platte“ und im südlichen Obernburg bekannt. Einzelne Funktionäre sind für Mainz, den Brückenkopf Kastel, Frankfurt-Heddernheim (Nida) und Friedberg nachgewiesen.

Voraussetzung und Garant für den wirtschaftlichen Aufschwung war der Ausbau des Verkehrsnetzes. Eine Hauptstraße führte von Mainz über die Rheinbrücke nach Kastel (CIL XIII 7263/64), von dort weiter über Hofheim nach Nida (Frankfurt-Heddernheim). Hier stifteten 230 n. Chr. im Westen des vicus drei Brüder, die sich stolz als römische Bürger und Bürger der civitas Taunensium bezeichneten, zusammen mit ihrer Mutter eine Kapelle mit Altar für den Genius der Straße (platea) des neuen Stadtviertels (vicus novus). Außer dem Sockel mit der Inschrift (CIL XIII 7335) ist auch die Statue des jugendlichen Genius mit Füllhorn (cornucopiae) erhalten; der rechte Arm mit der Opferschale (patera) ist ergänzt. Über Okarben erreichte die Hauptstraße der Wetterau schließlich Friedberg. Ein Meilenstein des Jahres 249 (CIL XIII 9123) bezeichnet die Entfernung von Nida mit zehn Leugen (22,5 km). Nach ihrer Gabelung verlief eine Trasse nach Butzbach, die andere nach Arnsburg. Auf eine weitere Abzweigung nach Echzell deutet die Weihung für die keltischen Vier-Wege-Göttinnen (Viae Quadriviae: CIL XIII 7398). Diese Hauptstraße wurde bei Kastel von einer Nord-Süd-Verbindung gekreuzt. Der nördliche Verlauf führte nach Wiesbaden. Durch einen Meilenstein Hadrians (CIL XIII 9124) ist die Strecke zusätzlich dokumentiert. Die Entfernung nach Wiesbaden (Aquae Mattiacorum) ist mit sechs römischen Meilen (9 km) angegeben. Ein in unmittelbarer Nähe gefundener Stein severischer Zeit (CIL XIII 9125) bezeichnet die Entfernung (9 km) mit vier Leugen. Die nach Süden verlaufende Straße überquerte bei Kostheim den Main und führte rechtsrheinisch über Groß-Gerau nach Ladenburg (Lopodunum), Vorort der civitas Ulpia Sueborum Nicrensium am Neckar. Für den nördlichen Abschnitt unserer Region hatte schließlich die Verbindung der beiden civitas-Hauptorte Dieburg und Nida-Heddernheim besondere Bedeutung, weil dadurch die civitas Auderiensium über die Frankfurter Main-Furt mit dem Flusssystem Rhein-Main verbunden war. Eine weitere Straße führte südlich des Mains von Dieburg über Groß-Gerau nach Mainz-Kastel. Deren östliche Verlängerung nach Stockstadt ist durch einen bei Groß-Umstadt (Kleeberg) gefundenen Leugenstein bezeugt (CIL XVII 2, Nr. 630).

Der Ausbau des Straßennetzes einschließlich der erforderlichen Brücken erfolgte seit 85 bis etwa in die 40er Jahre des 2. Jahrhunderts kontinuierlich. An den Straßen ist durchweg auch mit einfachen Herbergen (mansiones) und Stationen für den Pferde- beziehungsweise Gespannwechsel (mutationes) zu rechnen. Deren Nutzung erfolgte in erster Linie durch den kaiserlichen Nachrichtendienst, wie die Straßen selbst vor allem militärischen Zwecken dienten. Ihre Anlage erfolgte im Auftrag des Statthalters durch die Mainzer Legionen, die auch die Baumaterialien für die Kastelle und zugehörigen Thermen produzierten. Ob Überschüsse der Ziegelproduktion in Frankfurt-Nied oder des Abbaus der Steinbrüche im Odenwald auch für private Bauten genutzt wurden, entzieht sich immer noch der Beantwortung.

Jedenfalls dürfen wir sowohl auf den Wasserwegen als auch im Straßenverkehr im Gefolge militärischer Transporte ein bedeutendes ziviles Handelsvolumen voraussetzen. Zahlreich bezeugt sind für unsere Region die Fernhändler (negotiatores). In Wiesbaden stifteten sie sich 212 n. Chr. ein Vereinskontor (CIL XIII 7587). Secundius Agricola handelte mit Keramik (CIL XIII 7588), zu seinem Warenangebot gehörte vermutlich ebenso Terra Sigillata aus Rheinzabern oder Trier wie die einheimische „Wetterauer“ Ware aus den zahlreichen Töpfereien in Nida und dem Hinterland. Aus Mainz kennen wir einen Veteranen, der als negotiator gladiarius (CIL XIII 6677)mit Waffen handelte. Dem Britannien-Handel widmete sich Fufidius aus Kastel (CIL XIII 7300). Als Bürger der civitas Taunensium mit zahlreichen Funktionen in Mainz löste 198 n. Chr. der fahrende Händler L. Senilius Decmanus ein Gelübde ein (CIL XIII 7222). In Nida stifteten die Taunenses dem Mercurius Negotiator eine Weihung (CIL XIII 7360). Zu nennen ist auch der Treverer Ibliomarius Placidus, der bei Groß-Gerau ebenfalls dem Merkur ein Gelübde einlöste. Er handelte von Kastel (castellum Mattiacorum) aus mit Fleischwaren (AE 1997, 1187).

Die Erschließung des Raumes förderte auch den Zuzug rechtsrheinischer Kelten in unser Gebiet, so dass wir von einer germanisch-keltisch-römischen Mischbevölkerung ausgehen dürfen. Die landwirtschaftliche Grundstruktur unserer Region dokumentieren die zahlreichen Guts- und Bauernhöfe, die gewöhnlich unter den Sammelbegriff der villae rusticae subsumiert werden. Die soziale Struktur dieser Siedler entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Teils dürfte es sich um Veteranen der Mainzer Legion (CIL XIII 7577; 7609) beziehungsweise der Hilfstruppen (AE 1929, 113; 1978, 536) handeln, denen bei ihrer Entlassung vom Kaiser Parzellen zugewiesen wurden, teils werden aber auch zugewanderte Galloromanen Ländereien gepachtet haben.

Die Bewirtschaftung der Gutsbetriebe musste sich an den lokalen Voraussetzungen orientieren. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten empfahl sich jedenfalls eine Mischung von Feld- und Viehwirtschaft. Die fruchtbaren Ebenen der Wetterau eigneten sich mehr für den Getreideanbau, die Hügel und Niederungen des Rheingaus eher für eine paritätische Bewirtschaftung, jeweils ergänzt um anteiligen Gemüse- und Gartenanbau. Dass in den unterschiedlichen Bereichen der Landwirtschaft auch Sklaven eingesetzt waren, halte ich für sicher.8 Eines der wenigen schriftlichen Zeugnisse zu diesem Kontext stammt aus Mainz: Der Grabstein des M. Terentius Iucundus (CIL XIII 7070) bezeichnet ihn als freigelassenen Viehzüchter (pecuarius). Im Alter von 30 Jahren war er von seinem Sklaven (servus) ermordet worden. Der Täter stürzte sich dann in den Main und ertrank – „so hat der Fluss ihm genommen, was er seinem Herrn geraubt hatte“.

Hauptabnehmer der Produkte war das Militär, das zumindest überwiegend aus den Stationierungsgebieten versorgt werden musste. Auch in dieser Hinsicht waren die Verkehrswege von zentraler Bedeutung. „In keinem der obergermanischen oder rätischen Provinzialgebiete“, urteilte Ernst Fabricius 1936,9 „war das römische Straßennetz so eng wie in der unteren Mainebene und in der Wetterau.“ Die Begründung für diesen Befund lag natürlich in den zahlreichen Groß- und Kleinkastellen am Limes, die alle aus den zentralen Anbaugebieten zu versorgen waren. Durch gestempelte Amphoren-Scherben sind zudem Ölimporte hauptsächlich aus Spanien, Weinlieferungen aus Gallien und die Einfuhr der beliebten Fischsauce (garum) gut bezeugt.

Die Importe dieser und anderer Luxusgüter wie Austern vom Atlantik oder Gewürze aus dem Orient sind sozusagen der materiellen Seite der Romanisierung zuzuordnen. Als bestimmende Faktoren dieses Prozesses sind Sprache, Kultur und Religion zu nennen. In allen drei Bereichen dominiert das römische beziehungsweise lateinische Element. Lateinisch war die lingua franca in Militär, Verwaltung, Geschäften und Handel. Als Substrat mag daneben das Keltische fortbestanden haben. Als Indizien sind etwa keltische Personennamen (CIL XIII 7352; AE 1923, 113) oder Beinamen römischer Gottheiten (CIL XIII 7359; 11944) zu werten. Der bereits genannte Fleischhändler Ibliomarius Placidus löste bei Groß-Gerau dem Mercurius Quillenius sein Gelübde ein (AE 1977, 1187). Als Reminiszenz keltischer Tradition werte ich auch das „gallische“ E mit zwei senkrechten Hasten auf dem Mainzer Grabstein des Reeders (nauta) Blussus (CIL XIII 7067) und dem silbernen Votivblech für Iuppiter Dolichenus aus Frankfurt-Heddernheim (CIL XIII 7342b).

Begünstigt wurden Romanisierung und wirtschaftlicher Aufschwung auch durch das einheitliche römische Geldsystem, das den Zahlungsverkehr im Binnenland erleichterte, sich aber auch auf den Außenhandel mit dem „Freien Germanien“ positiv auswirkte. In Bezug auf die kulturelle Entwicklung unserer Region stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Badewesen und Theateraufführungen. Praktisch verfügte jedes Kastell am Limes über ein Badehaus, größere Stützpunkte und Zivilsiedlungen auch über Thermen-Anlagen. Nida verfügte sogar über zwei dieser Einrichtungen: die Ost-Thermen beim praetorium und die jüngeren, aber größeren West-Thermen am Forum. Beide Komplexe boten die übliche Abfolge von Umkleideraum (apodyterium), Becken mit lauwarmem und warmem Wasser (tepidarium bzw. caldarium), Schwitzbad (sudatorium) und Kaltbad (frigidarium), die West-Thermen sogar in doppelter Ausführung für Frauen und Männer.

Besondere Bedeutung hatten natürlich die Thermalquellen von Wiesbaden und Bad Vilbel. Plinius (nat. hist. 31,20) bezog sich vermutlich aus eigener Anschauung auf die heißen Quellen von Wiesbaden, jenseits des Rheins in Germanien: „Das daraus geschöpfte Wasser dampft drei Tage lang, an den Rändern setzt sich rotbrauner Sinter ab.“ Die Heilquellen („Kochbrunnen“ und „Schützenhofquelle“) wurden sowohl vom Militär als auch von der Zivilbevölkerung genutzt. Dem Apollo Toutiorix, der in seiner Funktion als Heilgott dem Apollo Grannus (Dio 77,15,6) entspricht, löste L. Marinius Marinianus, Hauptmann (centurio) der legio VII Gemina Pia Fidelis aus Spanien, unter Kaiser Severus Alexander ein Gelübde ein (CIL XIII 7465). An Diana Mattiaca wandte sich Antonia Postuma, Gemahlin des Mainzer Legionslegaten T. Porcius Rufianus, mit einem Gelübde für die Genesung der gemeinsamen Tochter Porcia Rufiana (CIL XIII 7565). Der Quellgottheit Sirona stiftete C. Iulius Restitutus als Aufseher ihres Tempels in Wiesbaden eine Weihung aus eigenen Mitteln (CIL XIII 7570).

Der zweite kulturelle Aspekt im Rahmen der Romanisierung ist für unsere Region praktisch nur durch ein in Holzkonstruktion errichtetes Bühnentheater im Süden der römischen Siedlung Frankfurt-Heddernheim bezeugt. Es bot etwa Platz für 1000 bis 1500 Personen. Ein vermutetes Amphitheater ließ sich bislang nicht nachweisen. Die nächste Gelegenheit zum Besuch von Schauspielen bot das Mainzer Theater am ehemaligen Südbahnhof (heute: „Römisches Theater“).

Ein vielfältigeres Bild bietet die Entwicklung von Religion und Kult in unserer Region. Als die Römer seit der Zeitwende nach Germanien vorstießen, brachten sie eine Götterwelt mit, die längst durch griechisch-hellenistische Vorstellungen geprägt war. Lateinischen Bezeichnungen wie Iuppiter, Iuno, Minerva oder Apollo, Diana, Mars, Venus und Mercurius blieben zwar unverändert, doch hatte griechischer Einfluss die Funktionen der Götter weitgehend überlagert. Zusätzlich fanden auf ihrem Weg durch Gallien weitere Assimilationen mit keltischen Vorstellungen statt, wie sie sich in entsprechenden Beinamen dokumentierten: Apollo Tutiorix oder Diana Mattiaca wurden bereits genannt, doch ließen sich die Beispiele beliebig vermehren. Weihungen für Mars Camulus (CIL XIII 11818) oder Mercurius Cissonius (CIL XIII 7359) gehören in diesen Kontext. Die zahlreichen Zeugnisse der bildenden Kunst (Reliefs und Votivstatuetten) bezeichnen die Gottheiten allerdings nicht mit ihren Namen, sondern durch signifikante Attribute: Minerva mit Helm und Waffen, Fortuna mit Füllhorn und Steuerruder, Merkur mit Kerykeion und Geldbeutel. Monumentale Stiftungen wie die Jupitersäulen von Wiesbaden-Schierstein und Frankfurt-Heddernheim (CIL XIII 7352; AE 1929, 113) bieten ganze Bildprogramme, die sich am Vorbild der um 65 n. Chr. errichteten Mainzer Jupitersäule (CIL XIII 11806) orientierten.

Auch genuin keltische Gottheiten sind in unserem Raum durch Stiftungen römischer Bürger oder Körperschaften bezeugt: So wurde Epona, Göttin des vegetativen Wachstums und Patronin der Pferde, im Kastell Zugmantel geehrt (CIL XIII 7610a), in Mainz stiftete ihr der Militärtribun T. Flavius Claudianus einen Altar (CIL XIII 11801). Funktionen anderer Gottheiten sind bislang unbekannt wie die der Virodact(h)is oder Lucena, für deren Wirken Augustius Iustus ein Gelübde in Mainz einlöste (CIL XIII 6761). Eine Inschrift in Trebur, die ursprünglich aus Frankfurt-Heddernheim stammte (CIL XIII 11944), wurde der Göttin Virodacthis auf öffentlichen Beschluss (publice) dediziert durch Nida, den Vorort (vicus) der civitas Taunensium, auf Initiative des Stadtviertels der Augustani (vicus Augustanus). Ebenso unbekannt sind die Funktionen der Dea Candida Regina. In Frankfurt-Heddernheim löste ihr L. Augustanius Iustus, Kommandeur (centurio) der zweiten Räter-Kohorte, sein Gelübde ein (AE 1978,535). Außer dem Inschrift-Sockel ist auch die zugehörige Sitzstatue der Gottheit erhalten. Im Weihebezirk von Osterburken war ihr ein kleiner Holztempel errichtet worden. Dort stifteten ihr zwei Benefiziarier – C. Paulinius Iustus und L. Traianius Ibliomarus – Votivsteine (AE 1985,685 und 695). Davon abgesehen ist die Gottheit nur noch durch zwei Weihinschriften aus Ingwiller (nordwestlich von Straßburg) bezeugt (CIL XIII 6021/22).

Wie im gesamten Römischen Reich gewannen die Mysterienkulte zunehmend an Attraktivität – sowohl beim Militär als auch in der Zivilbevölkerung. Im Unterschied zu Mainz sind die ägyptischen Gottheiten Isis und Serapis rechtsrheinisch allerdings nur durch Votivstatuetten vertreten. Dominant war Mithras: Allein für Frankfurt-Heddernheim sind mindestens vier Mithräen bezeugt. Ein Felsentempel am Ostabhang des Wiesbadener Schulberges war ebenfalls dem Mithras geweiht. Ein weiteres Heiligtum des Gottes findet sich in Dieburg. Alle Hauptorte unserer drei civitates der Mattiaci, Taunenses und Auderienses verfügten somit über zentrale Kultstätten des Unbesiegbaren Sonnengottes Mithras, des Deus Sol Invictus Mithras, wie ihn Votivinschriften bezeichnen (CIL XIII 6576; 7416; 7570b). Zwei der bekanntesten doppelseitigen Kultreliefs des Gottes stammen aus Frankfurt-Heddernheim (Nida: Mithräum I) und Dieburg. Die Vorderseite aus Nida (jetzt im Museum Wiesbaden) zeigt im zentralen Bild Mithras bei der Tötung des Weltenstieres, flankiert von Cautes und Cautopates. Die Vorderseite des Dieburger Reliefs zeigt Mithras bei der Jagd. Bemerkenswerter scheint indessen seine Rückseite mit einer Darstellung des Phaëthon-Mythos. Phaëthon, der sich von seinem Vater, dem Sonnengott, dessen Gespann erbeten hatte, löste beim Absturz den Weltenbrand aus und symbolisierte mit seinem Ende den Beginn der Erneuerung der Welt durch Mithras.

Der weniger gut bezeugte Kult der Mater Magna (Kybele) strahlte von seinem Zentrum in Mainz, dem mit Isis gemeinsamen Heiligtum, direkt nach Kastel und Wiesbaden aus. Dort ist die Gottheit mit der kappadokischen Mâ Bellona – der römischen Dea Virtus Bellona – verbunden. Namentlich genannte hastiferi („Lanzenträger“), die zu ihrem Kultpersonal der civitas Mattiacorum gehörten, stifteten in Kastel die Restaurierung eines Taurobolien-Heiligtums (CIL XIII 7281). Auch für den Brückenkopf selbst sind solche hastiferi bezeugt (CIL XIII 7317). Eine andere Gruppe ihrer Kultdiener, die „Baumträger“ (dendrophori) aus Dieburg und Frankfurt-Heddernheim, finanzierte in Nida aus eigenen Mitteln ein gemeinsames Vereinslokal (schola), dessen Baugrund die Bürger von Nida zur Verfügung stellten (AE 1962,232).

Die bedeutendsten Zeugnisse für den Kult des Iuppiter Optimus Maximus Dolichenus (Baal/Hadad), der nach seinem Haupttempel in Doliche (Nordsyrien) bezeichnet wird, stammen aus Frankfurt-Heddernheim (Nida). Seine Beliebtheit beim Militär wird auch durch Tempel und Stiftungen in den Limeskastellen Zugmantel, Saalburg oder Stockstadt dokumentiert. Die typische Darstellung einer Bronze-Votivplatte aus dem Dolichenum von Frankfurt-Heddernheim zeigt den gepanzerten Gott mit Doppelaxt und Blitzbündel stehend auf dem Rücken eines Stieres, bekränzt von einer Siegesgöttin (Victoria). In der Spitze der Platte erscheint der Sonnengott (Sol). Im unteren Bildregister wird Isis von den „Gallischen Castores“ mit Sol- beziehungsweise Luna-Büste flankiert. Aus demselben Depot stammt ein silbernes Votivblech, das im Zentrum eine römische Version des Gottes mit Zepter, Blitzbündel und Adler bietet. Die punktierte Stiftungsinschrift des Flavius Fidelis und des Q. Iulius Postimus (!) bezeichnet den Adressaten als IOM Dolichenus (CIL XIII 7342b). Die Erklärung von Doliche als der Gegend, „wo das Eisen geboren wird“ (ubi ferrum nascitur), bezieht sich auf die kriegerische Funktion des Gottes.

Fast zwei Jahrhunderte hatten die römischen Legionen in Mainz und ihre Hilfstruppen Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung unserer Region garantiert. Infrastruktur, politische und administrative Ordnung wurden durch das Militär und die mit ihm in enger Wechselbeziehung stehende Zivilbevölkerung maßgeblich geprägt. Kulturelle und religiöse Entwicklungen unserer drei lokalstaatlichen Gebietskörperschaften (civitates) mit ihren Vororten Wiesbaden, Frankfurt-Heddernheim und Dieburg dokumentieren vergleichbare Grundtendenzen. Als um die Mitte des 3. Jahrhunderts der Schutz der bisherigen Reichsgrenze die Truppen dauerhaft überforderte, mussten die Territorien rechts des Rheins aufgegeben werden. Selbst der Brückenkopf Kastel konnte nicht auf Dauer gehalten werden. Die in jüngster Zeit gestartete Imagekampagne zur Stärkung der regionalen Identität des Rhein-Main-Gebiets betrifft natürlich nur die rechtsrheinischen Territorien des Imperium Romanum.

Die Römer im Rhein-Main-Gebiet

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