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1.1 Einleitung

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Wenn man die Begriffe »Theorie« und »Praxis« hört, dann denkt man an unterschiedliche Dinge – je nach Standpunkt. Seitens der Theorie (das sei an dieser Stelle einmal unzulässiger Weise mit Wissenschaft und/oder Forschung gleichgesetzt) geht es darum, ein bestimmtes Phänomen oder einen Sachverhalt möglichst genau zu beschreiben, die beeinflussenden Faktoren herauszuarbeiten und möglicherweise Aussagen über weitere Verläufe zu treffen, d. h. Prognosen aufzustellen. Und die Praxis beschreibt ein breites Feld, dazu gehört nicht nur die Aufgaben direkt am Patienten bzw. Bewohner. Praxis wird bestimmt durch organisatorisch-personelle Bedingungen vor Ort, ist eingebettet in institutionelle Logiken und wird bestimmt durch externe finanzielle und politische Rahmenbedingungen.

Schauen wir uns einmal das Spannungsfeld von Theorie und Praxis genauer an. Als Beispiel beziehen wir uns auf die Beziehungsgestaltung bei der Pflege von Menschen mit Demenz. Von der Gerontologin Naomi Feil wurde hierzu die in der Altenpflege bekannte Methode der Validation entwickelt, die für jedes Stadium der Demenz eine passende Kommunikationstechnik beschreibt (Feil 2000). Wie Dammert et al. (2016) in einer Studie feststellen mussten, lässt sich diese in Schulungen so einfach erscheinende Technik in der Praxis jedoch kaum umsetzen. Die Gründe hierfür, welche die Pflegepersonen angaben, waren vielschichtig. Neben einschränkenden, institutionellen Rahmenbedingungen wie Personal- und Zeitmangel und fehlender Unterstützung durch die Leitungsebene, erwies sich die Validation als nicht vereinbar mit der Aufgabenstellung und den Arbeitsgewohnheiten der Pflegenden. Verweigerte zum Beispiel ein Bewohner die Körperpflege, so konnte darauf nicht validierend eingegangen werden, da der Arbeitsauftrag der Pflegenden und die Erwartungen der Angehörigen darin bestanden, die Körperpflege und Hygiene des Bewohners sicherzustellen. Aber neben diesen konkreten praktischen Problemen lassen sich auch im Hinblick auf die Theorie gewisse Rückfragen stellen. Denn man kann durchaus darüber diskutieren, ob die These von Feil, dass die Demenz letztlich nur die Auseinandersetzung mit unerledigten biografischen Themen darstellt und ihr letztlich kein neurologisch bedingtes Substrat zugrunde liegt, haltbar ist (vgl. ausführlicher Boggatz 2022). Wir sehen also bereits an diesem einfachen Beispiel, dass die einfache »Übersetzung« von theoretischen Überlegungen in die Praxis nicht ganz so einfach ist. Zum einen kommt es natürlich auf den theoretisch-wissenschaftlichen Hintergrund an, der muss stimmen und zumindest keine grundlegenden Fragen aufwerfen. Das gilt auch für die Praxis, welche für die Aufnahme neuer Ansätze und Strategien offen sein muss. Und schließlich – drittens – muss man Überlegungen darüber anstellen, was man tun kann, um den »gap« von Theorie und Praxis zu reduzieren. Man könnte sagen, dass die entsprechenden Versuche legendär sind und die vor allem US-amerikanisch beeinflusste Debatte die Pflegewissenschaft über Jahrzehnte befruchtet haben (vgl. die mittlerweile klassischen Texte von Dickhoff et al. 1968 a, b; Beckstrand 1978, Mars & Lowry 2006).

Auf zwei Aspekte möchte ich im Folgenden etwas genauer eingehen. Der eine bezieht sich darauf, wie in der Pflegewissenschaft das Verhältnis der beiden genannten Pole (sind es wirklich zwei Pole?) bestimmt wurde; hier kann man grob zwischen Positionen unterscheiden, welche einerseits die Unterschiede betonen oder anderseits die gegenseitigen Verbindungen stark machen. Neben dieser wissenschaftstheoretisch imprägnierten Perspektive (vgl. Brandenburg 2016) möchte ich – zweitens – auf die Empirie blicken. Denn unser Verhalten im Alltag wird (sowohl bei Wissenschaftlern wie auch bei Pragmatikern) durch die Eigenlogik der jeweiligen Systeme bestimmt, in denen wir uns bewegen (vgl. hierzu grundlegend Schulz-Nieswandt 2020). Inwieweit erlauben es uns die damit verbundenen Zwänge und Arbeitskulturen eigentlich, den Blick über den Tellerrand hinaus zu wagen? Und zwar sowohl von Seiten der Theorie wie von jener der Praxis. Das alles klingt schon recht skeptisch, mein Ausblick ist aber positiv und stellt zwei Begriffe ins Zentrum: Pragmatik und Kritik.

Praxisentwicklung und Akademisierung in der Pflege

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