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1.3 Wissenschaft und Praxis – empirisch beobachtbare Systemlogiken

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Wer in der Wissenschaft arbeitet (und dort Karriere machen möchte), der muss sich an die Regeln halten. Die bedeuten, dass Drittmittel eingeworben werden müssen, Publikationen (in ausländischen Journals) erwartet werden, die Zumutungen und Anstrengungen innerhalb des wissenschaftlichen »Zirkus« ausgehalten werden (müssen). Und dabei gilt es folgendes zu beachten, so der langjährige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft: »Wissenschaftliches Wissen ist revisionsoffen auf falsifikatorische Selbstüberholung hin angelegt. Forschung erzeugt vorbehaltliche Erkenntnis. Und die darf nicht mit jener Form des Weisheitswissens verwechselt werden, welche zwischen Erkenntnis und Normativität, zwischen Wissen und Werten, zwischen Epistemischem und Axiologischem nicht zu unterscheiden weiß« (Strohschneider 2020, S. 152). Nun, nicht nur in der Pflegewelt werden von Theoretikern und Wissenschaftlern klare Antworten, Handlungsstrategien und Umsetzungsschritte erwartet – dies können sie aber häufig nicht leisten, dürfen oder wollen das auch nicht. Institutionelle Zwänge, Arbeitsprioritäten und fehlende Kenntnis und Sensibilität für die Komplexität von Transferprozessen hindern sie daran. Warum? Weil das Wissenschaftssystem nach anderen Logiken funktioniert als die Praxis. Hier geht es um Reflexion und Erkenntnis, dort um Machbarkeit und Umsetzung. Zugegeben, das mag etwas grobschlächtig formuliert sein, denn es gibt natürlich Wissenschaft, deren Reflexionsniveau begrenzt ist und Praxis, welche die Grenzen ihrer Machbarkeit systematisch problematisiert. Aber eins ist klar: Durch Appelle und Engagements allein sind diese beiden Welten nicht einfach miteinander in Verbindung zu bringen.

Es bedarf eines Zwischenschritts, d. h. eines Facilitators. Das hat man in der britischen Diskussion durch Forschung generiert und immer wieder betont. Konsequenz: Wir brauchen sog. »Transferagenten« (vgl. z. B. Harvey et al. 2002; Rycroft-Malone 2007). Aber bevor ich dazu komme, soll noch auf die Logik der Praxis verwiesen werden.

Um die zu verstehen, sollten wir die uns vorliegenden Erkenntnisse zum Arbeitsalltag in der Pflege zur Kenntnis nehmen – jenseits der idealistischen Verkürzungen. Der »Studies of work«-Ansatz wäre hier in Anschlag zu bringen (Bergmann 2005), praxeologische Ansätze sind weiterführend (für einen Überblick siehe: Jonas 2020; weiterführend: Mol 2008, Mol et al. 2010). Diese Zugänge fragen danach, wie die Arbeitswirklichkeit in der Pflege konstituiert wird, nach welchen Imperativen sie funktioniert, durch welche habituellen Konfigurationen sie geprägt wird, welche Emotionsarbeit dort geleistet wird (vgl. insgesamt hierzu: Dunkel 1994, Böhle & Glaser 2006). Erst dann wird einsichtig, dass die Praxis in der Regel gegenüber der wissenschaftlichen Arbeit ein instrumentelles Verhältnis aufweist. Es geht darum, bestimmte Erkenntnisse für die Bewältigung und das Funktionieren der Routinen vor Ort nutzbar zu machen. Daher auch der Hinweis auf »praxisrelevante Befunde« – was auch immer dies sein mag.

Das vorläufige Resümee lautet also: Beide Systeme – Wissenschaft und Praxis – arbeiten mit naiven Reduktionismen. Während die eine Seite häufig ein Transfermodell in den Vordergrund rückt, das davon ausgeht, dass die bloße Information allein einen Unterschied macht, so dominiert auf der anderen Seite häufig ein instrumentalistischer Ansatz, der ausgewählte Befunde im Sinne der Machbarkeit vor Ort nutzen möchte.

Praxisentwicklung und Akademisierung in der Pflege

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