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1.3 KOSS ist kompetenzorientiert

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KOSS richtet sich als Handlungsmodell kompetenzorientiert aus. Die Kompetenzorientierung ist die auf den deutschsprachigen Kontext adaptierte und erweiterte Version des Kompetenzmodells, wie es vor allem vom PI-Research – einem Institut für die Entwicklung und Evaluation von Programmen für die Kinder- und Jugendhilfe in den Niederlanden – entwickelt wurde. Das Kompetenzmodell hat sich in den Niederlanden in den letzten 30 Jahren als fachliche Grundlage für eine Reihe von Methodiken durchgesetzt. Das Modell ist theoretisch fundiert in einer entwicklungstheoretischen, systemischen sowie kognitivverhaltenstheoretischen Tradition und hat sich – neben anderen Theorieansätzen, die sich sinnvoll verknüpfen lassen – in der Praxis bewährt, wie viele niederländische Evaluationsstudien zeigen (siehe www.nji.nl). Aus unserer Sicht stellt die Kompetenzorientierung die Arbeit in stationären Settings auf eine neue Basis, die uns im deutschsprachigen Raum bisher gefehlt hat. Die im Modell verwendeten Begriffe und Theoriebausteine werden nachfolgend eingeführt. Die Grundlagen des Modells finden sich in Slot & Spanjaard (2009, S. 39–61) – die Bearbeitung und Erweiterung für den deutschsprachigen Raum erfolgte durch Cassée (3. Auflage 2019b).

Was ist Kompetenz?

Der Begriff Kompetenz wird in der Fachliteratur nicht einheitlich definiert. Die Kompetenzorientierung hat in der deutschsprachigen Schweiz eine neue Aktualität erhalten, weil die Lehrpläne für den Schulbereich neu kompetenzorientiert gestaltet sein werden. Der so genannte Lehrplan 21 bezieht sich dabei auf den Kompetenzbegriff von Weinert.

Definition 1

[22] Die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert, 2001, S. 27 ).

In der holländischen Literatur finden wir sehr «einfache» Definitionen – die folgende übernehmen wir für dieses Manual.

Definition 2

Kompetenz heißt: Personen verfügen über genügende Fähigkeiten und nutzen diese, um die Aufgaben, mit denen sie im Alltag konfrontiert sind, adäquat zu bewältigen (nach Slot & Spanjaard, 2009, S. 40). Kompetenz ist gelingendes Tun in konkreten Situationen.

Kompetenz hat demnach eine normative Komponente: Kompetenz bemisst sich an der Beurteilung der Angemessenheit von Verhalten in konkreten Situationen des alltäglichen Lebens. Was adäquat und inadäquat ist, ist keine Eigenschaft einer Person und ist nicht objektiv festgelegt. Kompetenz hat demnach mit den Normen und Erwartungen der Gesellschaft, der sozialen Umgebung und den Besonderheiten der jeweiligen Situation zu tun. Jemand wird als kompetent beurteilt, wenn ein Gleichgewicht besteht zwischen den Aufgaben, vor die er gestellt wird, und den Fähigkeiten und Ressourcen, die er besitzt, um diese gelingend zu bewältigen (vgl. ausführlich dazu Cassée, 2019b, S. 28–42).

Kompetenz als gelingendes Tun kann gut als Balance zwischen Aufgaben und Fähigkeiten dargestellt werden – eine Darstellung, die von Kindern und Jugendlichen sowie von deren Eltern gut nachvollzogen werden kann.


Abbildung 1: Grundmodell der Kompetenz

Fähigkeiten

Unter Fähigkeiten verstehen wir alles, was eine Person denken, fühlen, wollen und tun kann. Darunter sind auch Begriffe wie Fertigkeiten und Motivation subsumiert. Wir unterscheiden soziale, emotionale, kognitive, volitive und physische Fähigkeiten, die in den KOSS-Instrumenten ausdifferenziert und in der [23] Diagnostikphase auf Seite der Eltern und der Kinder nach Entwicklungsalter erfasst werden. In der nachfolgenden Tabelle sind die Fähigkeiten anhand von Beispielen konkretisiert. Diese müssen pro Altersphase weiter ausdifferenziert werden: die Denkfähigkeit eines Dreijährigen wird an anderen Indikatoren sichtbar als jene eines 15-Jährigen, die physischen Fähigkeiten eines Schulkindes unterscheiden sich von jenen eines Jugendlichen.

Tabelle 2: Konkretisierung von Fähigkeiten


Aufgaben – Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben

Für die Aufgabenseite greift der Kompetenzbegriff auf das Konzept der Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben zurück (siehe Kap. 4.2). Damit das Modell im Alltag einer Wohngruppe vergleichbar eingesetzt werden kann, sind die Entwicklungsaufgaben für verschiedene Altersabschnitte sowohl für die Kinder als auch – als Erziehungsaufgaben – für die Eltern in den so genannten Kompetenzprofilen konkret beschrieben. Diese Kompetenzprofile (KP) sind mit Hilfe von Leitfragen konkretisiert, welche im direkten Klientenkontakt für Gespräche oder Beobachtungen genutzt werden können. Die auf Karten visualisierten Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben mit den Leitfragen sind Bestandteil des kompetenzorientierten Werkzeugkoffers (siehe www.kompetenzhoch3.ch)

Kompetenz als gelingendes Tun

[24] Unter Kompetenz verstehen wir den Gebrauch von Fähigkeiten in konkreten Situationen, um anfallende Aufgaben zu bewältigen, so dass die Art der Aufgabenbewältigung für die Umgebung akzeptabel ist. Kompetenz kann kurz als «gelingendes Tun» bezeichnet werden. Kompetenzorientierung beinhaltet folglich alle Bestrebungen, Kinder und deren Eltern zu gelingendem Tun zu befähigen.

Das Zusammenspiel von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenz ist ein dynamischer Kreislauf: aus in der Grundausstattung vorhandenen Ressourcen entwickeln sich in einer konkreten Umwelt und unter Einfluss externer Schutz- und Risikofaktoren Fähigkeiten, die sich als Kompetenz manifestieren können. Erlebte Kompetenz wird als Ressource über Bahnungen und neue Verdrahtungen der neuronalen Netze im Gehirn abgespeichert. Das Gleiche gilt für misslingendes Tun: fehlende Kompetenz wird als Scheitern abgespeichert und kann entmutigen und die Selbstwirksamkeit beeinträchtigen.

Die nachfolgende Abbildung illustriert den dynamischen Prozess der Kompetenzentwicklung unter den vorhandenen Umweltbedingungen im Lebenslauf.


Abbildung 2: Zusammenhang von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenz

Ein Kompetenzproblem – misslingendes Tun bzw. problematisches Verhalten – kann demzufolge aus ganz unterschiedlichen Gründen entstehen resp. aufrechterhalten werden:

• Neben Ressourcen bzw. Schutzfaktoren können in der Grundausstattung einer Person Belastungen und Einschränkungen (Risikofaktoren) existieren. Ein Kind, das z. B. mit leichten hirnorganischen Beeinträchtigungen geboren wird, hat u. U. größere Schwierigkeiten, seine kognitiven und emotionalen Ressourcen zu Fähigkeiten zu entwickeln.

• Vorhandene Ressourcen können nicht zu Fähigkeiten werden, weil geeignete Lernanregungen fehlen. So können gute Intelligenz und Lernmotivation unter ungünstigen Bedingungen nicht zu schulisch [25] relevanten Fähigkeiten werden, weil externe Ressourcen weitestgehend fehlen (z. B. Unterstützung durch Eltern und Lehrpersonen).

• Vorhandene Fähigkeiten können aus internen oder externen Gründen nicht als Kompetenz manifest werden. Gute Fähigkeiten in einer Fremdsprache können z. B. dann nicht als Kompetenz erkannt werden, wenn ein Schüler sich im Unterricht nicht beteiligt, oder wenn eine Lehrperson ihn nicht zu Wort kommen lässt.

• Fehlende Kompetenzerfahrungen resp. Erfahrungen von Kompetenzmängeln werden als Entmutigung bzw. als Versagen abgespeichert und belasten als Risikofaktor die weitere Entwicklung. Auch das Gegenteil gilt: Kompetenzerfahrungen werden als Schutzfaktoren gespeichert.

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