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2 Rechtliche Grundlagen/fachliche Orientierungen

[26] Die KOSS-Methodik orientiert sich an einer Reihe von Handlungsmaximen, die von übergeordneter Bedeutung sind. Diese Maximen bilden die verbindliche Basis für die Kontakte mit Familien, Kindern und Jugendlichen und sind Richtschnur für die Beurteilung des Kindeswohls sowie für die Indikation für eine außerfamiliäre Platzierung. Alle Arbeitsschritte, Verfahren und Instrumente der KOSS sind auf der Basis dieser Handlungsorientierungen ausgestaltet. Es sind dies

• Rechtliche Grundlagen, im Speziellen die Rechte des Kindes (2.1)

• fachliche Orientierungen, welche die Haltung der Professionellen in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien prägen (2.2)

2.1 Die Rechte des Kindes

Für jene Kinder, deren Entwicklung im familiären Umfeld – auch mit Unterstützung durch ein privates und/ oder professionelles Netzwerk – nicht genügend gewährleistet werden kann, ist der Aufenthalt in einem stationären Setting indiziert. Die Platzierung in einer stationären Einrichtung ist die am tiefsten eingreifende und teuerste Intervention in der Kinder- und Jugendhilfe. Eine solch einschneidende Maßnahme setzt als Standard einen Diagnoseprozess voraus, in dem geklärt wird, ob eine außerfamiliäre Unterbringung notwendig und geeignet ist, den festgestellten Belastungen resp. Gefährdungen im Entwicklungsprozess des Kindes wirksam zu begegnen.

Wenn immer eine solche Platzierung erfolgt, stehen die Rechte des Kindes (UNO, 1989) an oberster Stelle. Spezielle Aufmerksamkeit erhielten die Rechte von Kindern in außerfamiliärer Betreuung, indem die UN-Kommission für die Rechte des Kindes im Jahre 2004 forderte, Richtlinien zum Schutz von Kindern in außerfamiliärer Betreuung zu entwickeln. In der Folge verabschiedete das Ministerkomitee im Europarat eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten über die Rechte von Kindern, die in Heimen leben. Drei international tätige Organisationen (IFCO, FICE und SOS-Kinderdorf International, vgl. www.quality4children.info) entwickelten auf dieser Grundlage gemeinsam eine Reihe von Standards für die außerfamiliäre Betreuung in Europa, die unter der Bezeichnung «Quality4Children (Q4C)» einem breiten Fachpublikum zur Umsetzung empfohlen wurden (Quality4children. Standards, o. J.). KOSS will die in dieser Publikation eingeforderten Standards konkret und fachlich fundiert umsetzen.

In der UN-Kinderrechtskonvention vom November 1989 werden die Rechte des Kindes in insgesamt 54 Artikeln beschrieben. Speziell bedeutsam für stationäre Settings sind:

• Das Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause

• Das Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung unabhängig von Rasse, Religion, Herkommen und Geschlecht

• Das Recht auf Bildung, Ausbildung und Gesundheit

• Das Recht auf eine Privatsphäre

• [27] Das Recht, bei allen Angelegenheiten, die es betreffen, unmittelbar oder über einen Vertreter angehört zu werden

Quality4Children hat 18 Standards für die Umsetzung der Kinderrechte für jene Kinder entwickelt, die nicht bei ihren Eltern leben können (Quality4Children, o. J., S. 14–18). Die Standards werden nachfolgend in Kurzform dargestellt (vgl. ausführlicher Quality4Children, o. J.).

• Standardbereich 1: Entscheidungsfindung und Aufnahmeprozess

– Standard 1:

Das Kind und seine Herkunftsfamilie werden während des Entscheidungsfindungsprozesses unterstützt.

– Standard 2:

Das Kind wird befähigt, am Entscheidungsprozess teilzunehmen.

– Standard 3:

Ein professionell gestalteter Entscheidungsfindungsprozess stellt die bestmögliche Betreuung für das Kind sicher.

– Standard 4:

Geschwister werden gemeinsam betreut.

– Standard 5:

Der Übergang in das neue Zuhause wird gut vorbereitet und sensibel durchgeführt.

– Standard 6:

Der außerfamiliäre Betreuungsprozess folgt einem individuellen Betreuungsplan.

• Standardbereich 2: Betreuungsprozess

– Standard 7:

Die Betreuung des Kindes entspricht seinen Bedürfnissen, seiner Lebenssituation und berücksichtigt sein ursprüngliches soziales Umfeld.

– Standard 8:

Das Kind hält zu seiner Herkunftsfamilie Kontakt.

– Standard 9:

Die Betreuer/innen sind qualifiziert und haben adäquate Arbeitsbedingungen.

– Standard 10:

Die Beziehung des Betreuers/der Betreuerin zum Kind basiert auf Verständnis und Respekt.

– Standard 11:

Das Kind wird befähigt, Entscheidungen aktiv mitzutreffen, die direkten Einfluss auf sein Leben haben.

– Standard 12:

Das Kind wird in angemessenen Lebensverhältnissen betreut.

– Standard 13:

Kinder mit speziellen Bedürfnissen werden adäquat betreut.

– Standard 14:

Das Kind, der/die junge Erwachsene wird kontinuierlich auf ein selbständiges Leben vorbereitet.

• [28] Standardbereich 3: Austrittsprozess

– Standard 15:

Der Austrittsprozess wird sorgfältig geplant und durchgeführt.

– Standard 16:

Die Kommunikation im Austrittsprozess wird auf verständliche und angemessene Weise geführt.

– Standard 17:

Das Kind, der/die junge Erwachsene wird befähigt, sich am Austrittsprozess zu beteiligen.

– Standard 18:

Nachbetreuung, kontinuierliche Unterstützung und Kontaktmöglichkeiten werden sichergestellt.

KOSS hat die Standards in ihrer Prozessgestaltung konsequent umgesetzt. Verantwortliche für Platzierungsentscheide sowie Fachpersonen für die Gestaltung stationärer Settings sind aufgefordert, diesen Standards Nachachtung zu verschaffen.

2.2 Fachliche Orientierungen

KOSS konkretisiert aktuelle Orientierungen, die für Professionelle der Sozialen Arbeit handlungsleitend sind. Diese Orientierungen bilden die fachliche Basis der Profession, wodurch sich das sozialarbeiterisch/ sozialpädagogische Handeln von anderen Professionen unterscheidet.

Lebensweltorientierung/Sozialraumorientierung

Aktuelle Handlungskonzepte der Sozialen Arbeit – Lebenswelt- und Sozialraumorientierung – betonen den sozialen Kontext, in dem sich das Verhalten von Individuum präsentiert. Die Lebensweltorientierung stellt das Einbeziehen und Sich-Einlassen auf die jeweilige Lebensrealität von Kindern und deren Eltern ins Zentrum. Bei der Analyse und Indikationsstellung gilt es, aus einer sozialökologischen und sozialräumlichen Perspektive (Bronfenbrenner, 1982 und 1983, Hinte & Treeß, 2006), die Schutz- und Risikofaktoren in der Lebenswelt der Familie zu ermitteln und in der Handlungsplanung zu berücksichtigen. Dies geschieht in Partizipation mit den Kindern und Jugendlichen und ihrer Herkunftsfamilie und setzt Achtung für andere Lebensentwürfe voraus (vgl. Blandow et al., 1999, Grunwald & Thiers, 2004).

Die Netzwerkanalyse nimmt die Perspektiven Lebenswelt und Sozialraum auf und bildet einen zentralen Arbeitsschritt in der Diagnostik. Auf Möglichkeiten und Methoden der Aktivierung von Netzwerkressourcen gehen wir in der Interventionsphase (Kap. 9) und Austrittsphase (Kap. 10) vertiefter ein.

Empowerment und Partizipation

Für die Arbeit mit Kindern und Familien ist die Orientierung an Empowerment und Partizipation zentral (Herriger, 2014, Hansbauer, 2002). Diese Konzepte legen den Akzent stärker auf Aktivierung und Dialog als auf Disziplinierung, Eingriff und Einmischung. In stationären Settings haben diese Orientierungen sowohl Bedeutung für die Gestaltung des Alltags mit den Kindern als auch im Kontakt mit den Eltern.

Empowerment und Partizipation betonen:

• [29] Autonomie und Selbstbestimmung

Die Kinder bewältigen – unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und Ressourcen – ihren Alltag so autonom und selbstbestimmt wie möglich.

• Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen

Alltagssituationen in stationären Settings sind so zu konzipieren, dass die Kinder ihre Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen im Alltag nutzen und erweitern können.

• Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten

Die Schaffung gezielter Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten im Alltag der Lebensgruppe reduziert Gefühle von Hilflosigkeit, Machtlosigkeit und Fremdbestimmung bei den Kindern und deren Eltern.

• Prozesse der Selbstgestaltung

Durch die Art der Alltagsgestaltung werden Selbstgestaltungsprozesse angeregt, gefördert und unterstützt, und der (Wieder-)Aufbau und die Stärkung des Vertrauens in die eigenen Handlungsmöglichkeiten werden gefördert (Erhöhung der Selbstwirksamkeit).

Psychosoziale Hilfen in stationären Settings, die sich an Empowerment/Partizipation orientieren, betonen nicht die Problembelastung und Abhängigkeit der Kinder und deren Eltern, sondern stellen Bedürfnisse und Rechte, Fähigkeiten und Ressourcen in den Mittelpunkt.1

Damit diese bedeutsamen Handlungsorientierungen wirksam umgesetzt werden können, braucht es Transparenz in der Prozessgestaltung. Nur wenn Kinder, Jugendliche und deren Eltern wissen, welche Arbeitsschritte geplant sind, wer dafür verantwortlich ist und bis wann was von wem getan wird, ist Partizipation möglich.

Bei der Umsetzung des Empowerment-Ansatzes, der Transparenz und der Partizipation im Alltag stationärer Settings sehen wir uns auch mit Grenzen konfrontiert:

• Grenzen bei Selbst- und Fremdgefährdung

Wenn andere Personen bedroht, eingeschüchtert oder erpresst werden, wenn offene Gewalt angewendet wird oder eine Selbstgefährdung vorliegt, müssen deutliche Grenzen gesetzt und Übergriffe abgewehrt werden (siehe Kap. 9.6). Empowerment und Partizipation enden an diesem Punkt, und soziale Kontrolle und schützende Interventionen setzen ein, weil nur so das Kindeswohl und die Sicherheit in der Organisation gewährleistet werden können.

• Grenzen bei behördlicher Anordnung

Nicht immer erfolgt eine Fremdplatzierung auf der Basis von Freiwilligkeit. So entsteht eine nur schwer zu lösende paradoxe Situation: Prozesse der Emanzipation und der sozialen Inklusion anregen zu wollen in einer Situation des Zwangs und der Restriktion. Entsprechend anspruchsvoll ist die Balance zwischen der behördlichen Anordnung resp. der Unfreiwilligkeit und dem Aufbau einer tragfähigen [30] Arbeitsbeziehung mit den Kindern, den Jugendlichen und deren Eltern. Gerade in diesen Fällen ist die Transparenz eine entscheidende Bedingung für gelingende Kooperation.

2.3 Methodiktreue/Qualitätssicherung

Die Arbeit mit KOSS setzt bei den Leitenden der jeweiligen KOSS-Organisationen sowie bei den einzelnen Fachpersonen voraus, dass die Methodik möglichst gemäß der manualisierten Prozessgestaltung umgesetzt wird. Das bedeutet, dass in den Praxisorganisationen eine Kultur der gemeinsamen Fachlichkeit gelebt und gefördert wird. Die Zusammenarbeit mit der Entwicklungsstelle und die Beteiligung an Trainings, Weiterbildungen, Coachings sowie regelmäßigen Evaluationen sind notwendige Bausteine der Qualitätssicherung.

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