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3.1 Theoretische Fundierung

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Eine Methodik ist ein Handlungsmodell, in dem Inhalte aus verschiedenen Theorien integriert und aufeinander bezogen werden. Die Theorieauswahl erfolgt pragmatisch: gefragt sind Theorieansätze, die geeignet sind, familiale Belastungen und Entwicklungsthemen des platzierten Kindes im aktuellen Lebenskontext und auf dem Hintergrund biographischer Erfahrungen zu verstehen und zu beeinflussen. Die eingebundenen Objekttheorien dienen der Beschreibung und Deutung von Alltagsituationen in Familien und in weiteren bedeutsamen Sozialisationssystemen, die als Schutz- oder Risikofaktoren für Entwicklung und Lernen wirksam werden können: multisystemische Ansätze, Theorien zur Struktur und Dynamik in Familien, Sozialisations- und Entwicklungstheorien sowie Lerntheorien. Andererseits werden Handlungsorientierungen und Handlungstheorien (Transparenz und Partizipation, Lebensweltorientierung, Gesprächstechniken und Beobachtungsmethoden) integriert, die geeignet sind, Lernprozesse in stationären Einrichtungen und in Familien zu begründen und zu gestalten. In den Kapiteln 4 und 5 werden die zentralen theoretischen Grundlagen im Überblick dargestellt.

Wieviel Theorie in einem Manual?

Ein Handbuch für die praktische Arbeit kann die ausgewählten Theoriebezüge nur in knapper Form darstellen. Das Manual will die Grundlagen benennen und ihre Bedeutung für KOSS so darstellen, dass sie von den Fachpersonen vergleichbar genutzt und mit eigenem Wissen und Können angereichert werden können. Die Auswahl erfolgt forschungsbasiert und pragmatisch – sie muss und kann in der Weiterentwicklung von KOSS immer wieder erweitert resp. modifiziert werden.

Erweiterung der Theoriebasis

Für die Arbeit in stationären Settings gilt, dass wir es mit Kindern und Jugendlichen mit erheblichen Entwicklungsbelastungen und -risiken zu tun haben. Aus diesem Grund werden die Entwicklungstheorien im KOSS-Manual ergänzt um Ausführungen zu Bindung und Traumatisierung (Kap. 4.3). Das Thema Risikoeinschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung resp. bei Gewaltrisiken wird im KOSS-Manual nicht [32] weiter erörtert (siehe Cassée & Bruderer, 2019). Für das Thema Risikoeinschätzung haben wir spezielle Instrumente für den deutschen Sprachraum adaptiert und in Organisationen (KOFA-Fachstellen und Jugendanwaltschaften) implementiert. Für die Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung handelt es sich um das Instrument CARE (Child-Abuse-Risk-Evaluation, Cassée & Bruderer, 2019), für das Gewaltrisiko um SAVRY (Structured Assessment of Violence Risk in Youth, Rieger et al., 2006). KOSS-Organisationen, die das Thema Risikoorientierung vertiefen möchten, können dazu die entsprechenden Vertiefungstrainings im Institut nutzen (vgl. Cassée, 2016).

Die oben erwähnten theoretischen Grundlagen, die als Standard gelten für alle Methodiken, können und müssen je nach Problemstellung mit anderen Theoriebausteinen ergänzt werden (z. B. Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters, psychische Störungen im Erwachsenenalter, Theorien zu Interkulturalität/ Migration, Dissozialität), die für ausgewählte Praxisfelder einbezogen werden. Das Modell ist für solche Ergänzungen offen und anschlussfähig.

Forschungsbasierung

Das Modell orientiert sich an Forschungsergebnissen zur Wirksamkeit von Interventionen in der Kinder- und Jugendhilfe.2 Amerikanische Studien belegen, dass Jugendliche mit schwerwiegenden Verhaltensauffälligkeiten sich durch erhebliche Defizite in emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten kennzeichnen (Dishion et al., 1984, Simonian et al., 1991, Palmer, 1999). In Verlaufsstudien konnte ermittelt werden, dass Jugendliche ihr Problemverhalten einstellen, wenn sie in der Lage sind, zentrale Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (z. B. bezogen auf Beziehungen oder Schule/Beruf) zu bewältigen. In Holland konnte die Wirksamkeit ambulanter Trainings in sozialer Kompetenz nachgewiesen werden (Bartels, 1986). Die Wirksamkeit der Kompetenzorientierung in stationären Settings wurde erstmals von Slot (1988) nachgewiesen. Bereits in dieser Studie wurde klar, dass die Implementierung des Modells einhergehen muss mit einer sorgfältigen Einbettung in der Organisation. Mit einem klaren Fokus auf innerorganisationelle Prozesse berichten Spanjaard et al. (2003) über wirksame Implementierungen in verschiedenen Jugendeinrichtungen in den Niederlanden.

Im Lichte dieser Studien drängt sich auf, Kinder in der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und in der Entwicklung sozialer, emotionaler, volitiver und kognitiver Fähigkeiten zu unterstützen. Hier setzt die Kompetenzorientierung an. Die Kompetenzorientierung lenkt den Blick konsequent auf Entwicklung und Lernen sowie auf die Schutz- und Risikofaktoren in der Lebenswelt, welche für Veränderungsprozesse genutzt resp. beeinflusst werden können. Dieser Blickwinkel verlangt eine umfassende Abklärung, inwiefern und mit welchem Entwicklungsbedarf die Herausnahme eines Kindes aus seiner Lebenswelt gerechtfertigt erscheint.

KOSS-Manual

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