Читать книгу Vom Wind verweht - Маргарет Митчелл - Страница 11

KAPITEL 3

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Ellen O’Hara war mit zweiunddreißig Jahren nach den Maßstäben ihrer Zeit eine Frau mittleren Alters, die sechs Kinder geboren und drei begraben hatte. Sie war hochgewachsen, um einen Kopf größer als ihr hitziger kleiner Mann, aber sie bewegte sich so graziös in ihren schwingenden Reifröcken, dass ihre Größe nicht weiter auffiel. Ihr wohlgerundeter und schlanker Hals mit seiner makellos blassen Haut, der sich aus dem schwarzen Taft ihres Mieders erhob, wirkte immer ein wenig zurückgebogen unter der Last ihrer Haarpracht, die hinten von einem Netz zusammengehalten wurde. Von ihrer französischen Mutter, deren Eltern während der Revolution von 1791 aus Haiti geflohen waren, hatte sie die schräggeschnittenen, von tiefschwarzen Wimpern umschatteten dunklen Augen und das schwarze Haar, und von ihrem Vater, einem Soldaten Napoleons, die lange gerade Nase und ihr eckiges Kinn, das durch die sanfte Wölbung ihrer Wangen abgemildert wurde. Doch allein das Leben hatte Ellens Gesicht seinen Ausdruck von Stolz ohne jeglichen Hochmut aufprägen können, seine Güte, seine Melancholie und seinen vollkommenen Mangel an Humor.

Sie wäre eine hinreißend schöne Frau gewesen, hätten ihre Augen auch nur ein Fünkchen Feuer besessen, ihr Lächeln eine Spur Warmherzigkeit oder ihre Stimme, die ihrer Familie und ihren Bediensteten melodisch und sanft in den Ohren klang, ein wenig Spontaneität. Sie sprach mit der leicht verschliffenen Artikulation der Küste Georgias, ihren fließenden Vokalen und weichen Konsonanten, verquickt mit dem Hauch eines französischen Akzents. Es war eine Stimme, die nie laut wurde, wenn sie einem Diener etwas befahl oder ein Kind zurechtwies, der aber auf Tara augenblicklich gehorcht wurde, während man das Poltern und Brüllen ihres Mannes geflissentlich ignorierte.

Soweit Scarletts Erinnerung zurückreichte, war ihre Mutter sich immer gleich geblieben. Ihre Stimme war sanft und liebenswürdig, ob sie lobte oder tadelte, ihr Auftreten tüchtig und unaufgeregt trotz der täglichen Katastrophen, die Geralds turbulenter Haushalt mit sich brachte; stets war sie gelassen und ihr Rücken ungebeugt, selbst beim frühen Tod ihrer drei kleinen Söhne. Nie hatte Scarlett erlebt, dass der Rücken ihrer Mutter die Lehne des Stuhls berührte, auf dem sie saß, oder dass sie sich ohne eine Handarbeit niedersetzte – außer zu Essenszeiten oder wenn sie sich um Kranke oder um die Buchführung der Plantage kümmerte. Wenn Besuch da war, arbeitete sie an feinen Stickereien, doch zu anderen Gelegenheiten war sie mit Geralds Rüschenhemden, den Kleidern der Mädchen oder Kleidungsstücken für die Sklaven beschäftigt. Scarlett konnte sich die Hand ihrer Mutter nicht ohne den goldenen Fingerhut vorstellen und ihre raschelnde Gestalt nicht ohne das kleine schwarze Mädchen, dessen einzige Aufgabe es war, Heftfäden herauszutrennen und den Nähkasten aus Rosenholz von Zimmer zu Zimmer zu tragen, während Ellen durchs Haus ging, um das Kochen, Putzen und die Schneiderwerkstatt der Plantage zu beaufsichtigen.

Nie hatte sie erlebt, dass ihre Mutter aus ihrer nüchternen Gelassenheit herausgetreten wäre; nie war ihr Äußeres anders als untadelig, gleichgültig zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Wenn Ellen sich für einen Ball oder für Gäste oder auch nur für den Gerichtstag in Jonesboro zurechtmachte, brauchte sie mit der Hilfe von zwei Dienstmädchen und von Mammy oft zwei Stunden, bis sie zufriedengestellt war; doch wie rasch sie sich in Notfällen herrichten konnte, war staunenswert.

Scarlett, deren Zimmer auf der anderen Seite des Flurs gegenüber dem ihrer Mutter lag, kannte von Kindheit an das Geräusch, wenn in früher Morgenstunde nackte schwarze Füße über die Holzdielen hasteten, das dringliche Klopfen an Mutters Tür und die gedämpften, angsterfüllten afrikanischen Stimmen, die von Krankheit, Geburt und Tod in der langen Reihe weißgetünchter Hütten im Sklavenquartier flüsterten. Als Kind war sie oft an die Tür geschlichen und hatte durch einen schmalen Spalt beobachtet, wie ihre Mutter aus dem dunklen Zimmer, in dem Gerald in ungestörter Regelmäßigkeit weiterschnarchte, ins flackernde Licht einer hochgehaltenen Kerze trat, ihre Arzneitasche unter dem Arm, das Haar glatt zurückgekämmt und jeder Haken ihres Mieders in seiner Öse.

Es war für Scarlett immer so besänftigend gewesen, wenn sie ihre Mutter bestimmt, aber teilnahmsvoll flüstern hörte, während sie auf Zehenspitzen den Flur entlangging: »Scht, nicht so laut. Ihr weckt noch Mr. O’Hara. So krank sind sie nicht, dass sie gleich sterben.«

Ja, es tat gut, wieder ins Bett zurückzukriechen und zu wissen, dass Ellen in der Nacht unterwegs war und dass alles seine Richtigkeit hatte.

Wenn sie die ganze Nacht bei Geburten oder Sterbefällen assistiert hatte, weil der alte und der junge Dr. Fontaine selbst Hausbesuche machten und nicht erreichbar waren, um ihr zu helfen, saß sie morgens wie gewöhnlich dem Frühstückstisch vor, die dunklen Augen von Müdigkeit umschattet, während Stimme und Benehmen keinerlei Erschöpfung verrieten. Es war etwas Stählernes unter ihrer gelassenen Sanftmut, das dem ganzen Haushalt Ehrfurcht einflößte, Gerald wie den Mädchen, auch wenn er eher gestorben wäre, als es zuzugeben.

Manchmal, wenn Scarlett sich abends auf die Zehen stellte, um ihrer großgewachsenen Mutter einen Kuss auf die Wange zu geben, betrachtete sie den Mund mit seiner zu kurzen, zu zarten Oberlippe, einen Mund, den die Welt allzu leicht verletzen konnte, und fragte sich, ob er sich wohl je zu einem albernen Mädchenkichern gebogen oder an langen Abenden mit Freundinnen über Geheimnisse geflüstert hatte. Aber nein, das war unmöglich. Mutter war immer genauso gewesen wie jetzt, eine Säule der Disziplin, eine Quelle der Klugheit – der eine Mensch, der auf alles eine Antwort wusste.

Doch Scarlett irrte sich, denn vor vielen Jahren hatte Ellen Robillard aus Savannah genauso sinnlos gekichert wie nur irgendein fünfzehnjähriges Mädchen in jener bezaubernden Küstenstadt und nächtelang mit Freundinnen geflüstert, Geständnisse ausgetauscht und alle Geheimnisse ausgeplaudert, bis auf eines. Das war das Jahr, als Gerald O’Hara, achtundzwanzig Jahre älter als sie, in ihr Leben trat – dasselbe Jahr, in dem die Jugend und ihr schwarzäugiger Cousin Philippe Robillard daraus verschwanden. Denn als Philippe mit seinen blitzenden Augen und seiner wilden Ausgelassenheit Savannah für immer verließ, nahm er die Glut in Ellens Herzen mit sich und überließ dem krummbeinigen kleinen Iren, der sie heiratete, nur eine sanfte Hülle.

Aber das genügte Gerald, der überwältigt war von dem unglaublichen Glück, sie tatsächlich heiraten zu dürfen. Und wenn ihr etwas abging, so vermisste er es nicht. Er besaß genug Verstand, um zu wissen, dass es einem Wunder gleichkam, wenn er als Ire, ohne die geringste Empfehlung durch Familie oder Besitz, die Tochter einer der reichsten und angesehensten Familien an der Küste für sich gewinnen konnte. Denn Gerald war ein Selfmademan.

Gerald war mit einundzwanzig Jahren aus Irland nach Amerika gekommen – fluchtartig, wie viele bessere und schlechtere Iren vor und nach ihm, mit nichts als den Kleidern, die er am Leibe trug, zwei Schilling mehr, als ihn die Überfahrt kostete, und einem Kopfgeld in seinem Steckbrief, das er im Verhältnis zu seinem Vergehen als deutlich übertrieben empfand. Kein irischer Oranier diesseits der Hölle wäre der britischen Regierung oder dem Teufel selbst einhundert Pfund wert gewesen; doch wenn die Regierung den Tod des Pachteintreibers eines englischen Großgrundbesitzers, der nicht einmal im Land lebte, so ernst nahm, dann war es für Gerald O’Hara Zeit aufzubrechen, und zwar Hals über Kopf. Zugegeben, er hatte den Pachteintreiber einen »Oranierbastard« gescholten, aber das gab dem Mann in Geralds Augen noch lange kein Recht, ihn zu beleidigen, indem er die ersten Takte von »The Boyne Water« pfiff.

Die Schlacht am Boyne war mehr als hundert Jahre her, aber für die O’Haras und ihre Nachbarn war es wie gestern, dass ihre Hoffnungen und ihre Träume, genauso wie ihr Land und ihr Wohlstand, zusammen mit der Staubwolke verschwanden, in der ein verängstigter Stuart-Prinz floh und Wilhelm von Oranien und seinen verhassten Truppen mit ihren orangefarbenen Kokarden freie Hand ließ, die irischen Anhänger der Stuarts abzuschlachten.

Aus diesem und anderen Gründen nahm Geralds Familie den tödlichen Ausgang seines Streits nicht sonderlich ernst, abgesehen von den schwerwiegenden Folgen, die er nach sich zog. Seit Jahren standen die O’Haras beim englischen Konstabler in schlechtem Ruf, weil er sie regierungsfeindlicher Umtriebe verdächtigte, und Gerald war nicht der erste O’Hara, der die Beine in die Hand nahm und Irland bei Nacht und Nebel Lebewohl sagte. An seine beiden ältesten Brüder, James und Andrew, konnte er sich kaum noch erinnern, es sei denn als zwei verschwiegene junge Männer, die zu nächtlicher Stunde auf geheimnisvollen Botengängen kamen und gingen oder wochenlang untertauchten, zur nagenden Angst ihrer Mutter. Sie waren schon vor Jahren nach Amerika getürmt, nach der Entdeckung eines kleinen Arsenals von Gewehren unter dem Schweinestall der O’Haras. Jetzt waren sie erfolgreiche Kaufleute in Savannah, »auch wenn nur der liebe Gott weiß, wo das liegen mag«, wie ihre Mutter immer einwarf, wenn die beiden ältesten ihrer Jungs erwähnt wurden. Zu ihnen wurde Gerald nun geschickt.

Er verließ sein Elternhaus mit einem hastigen Kuss seiner Mutter auf der Wange und ihrem inbrünstigen katholischen Segen im Ohr, sowie der väterlichen Ermahnung zum Abschied: »Denk immer daran, wer du bist, und nimm niemandem was weg!« Seine fünf großen Brüder nahmen mit einem anerkennenden, wenn auch leicht herablassenden Lächeln von ihm Abschied, denn Gerald war der Jüngste und Kleinste in dieser Familie von Kraftpaketen.

Seine fünf Brüder und ihr Vater waren über eins achtzig groß und breit gebaut, während der kleine Gerald mit einundzwanzig Jahren wusste, dass der HErr in seiner Weisheit ihm nicht mehr als etwas über eins fünfzig zuzubilligen gedachte. Es war typisch für Gerald, dass er nie mit seiner Körpergröße haderte und sich auch nie durch sie behindern ließ, das zu bekommen, was er wollte. Eigentlich machte Geralds gedrungene Gestalt ihn erst zu dem, was er war, denn er hatte früh gelernt, dass kleine Menschen zäh sein mussten, um unter großen überleben zu können. Und Gerald war zäh.

Seine großen Brüder waren grimmige, schweigsame Burschen, bei denen die Familienüberlieferung alter, für immer verlorener Herrlichkeit in schweigsamen Hass umgeschlagen war, der sich in galligem Humor Bahn brach. Wäre Gerald ein ebensolcher Hüne gewesen, wäre er den Weg der anderen O’Haras gegangen und hätte sich klammheimlich den regierungsfeindlichen Rebellen angeschlossen. Doch Gerald war ein »Großmaul und Dickkopf«, wie seine Mutter ihn liebevoll nannte, einer, dem schnell der Kragen platzte und der schnell die Fäuste gebrauchte, weil er beim nichtigsten Anlass in die Luft ging. Er stolzierte unter den großen O’Haras umher wie ein draufgängerischer Zwerghahn in einem Hühnerhof voll riesiger Cochinhähne, und sie liebten ihn, hänselten ihn zum Spaß, um sein Gebrüll zu hören, und traktierten ihn mit ihren großen Fäusten gerade nur so viel als nötig war, um ihren kleinen Bruder auf den ihm gebührenden Platz zu verweisen.

Was er an Bildung mit nach Amerika brachte, war so dürftig, dass er sich dessen nicht einmal bewusst war. Auch wäre es ihm gleichgültig gewesen, wenn man es ihm gesagt hätte. Seine Mutter hatte ihm Lesen und eine saubere Handschrift beigebracht. Er konnte gut rechnen. Und damit war sein Bücherwissen erschöpft. Latein kannte er nur aus den Responsorien der Messe, und an Geschichte lediglich das viele Unrecht, das Irland erlitten hatte. Er kannte keine Dichtung außer die von Moore, und an Musik nur die überlieferten irischen Volkslieder. Während er großen Respekt vor Menschen hatte, die belesener waren als er, empfand er bei sich selbst nie einen Mangel. Und wofür brauchte er diese Dinge auch in einem neuen Land, in dem die ungebildetsten Iren große Vermögen erworben hatten? In einem Land, das von einem Mann nur verlangte, dass er kräftig war und keine Arbeit scheute?

Ebenso wenig bedauerten James und Andrew, die ihn in ihr Geschäft in Savannah aufnahmen, seinen Mangel an Bildung. Seine gute Handschrift, seine Genauigkeit beim Rechnen und seine Gerissenheit beim Feilschen gewannen ihren Respekt, während sie über literarische Kenntnisse und ein feines Gespür für Musik, hätte der junge Gerald sie denn besessen, nur die Nase gerümpft hätten. Amerika war Anfang des Jahrhunderts den Iren wohlgesonnen. James und Andrew hatten ursprünglich Waren in Planwagen von Savannah aus in die Kleinstädte im Inland Georgias transportiert, doch ihr Geschäft prosperierte derartig, dass sie nun einen Laden ihr Eigen nannten, und Gerald prosperierte mit ihnen.

Er mochte den Süden, und bald wurde er seinem eigenen Empfinden nach ein waschechter Südstaatler. Vieles am Süden – und an den Südstaatlern – sollte ihm für immer verschlossen bleiben, doch mit der Unbedingtheit seines Naturells machte er sich die Ideen und Gebräuche des Landes, wie er sie verstand, zu eigen – Poker und Pferderennen, hitzige Politisiererei und Duellregeln, die Souveränität der Einzelstaaten und die Verurteilung aller Yankees, Sklaverei und König Baum wolle, Verachtung für die weiße Unterschicht und eine übermäßige Zuvorkommenheit gegenüber Frauen. Er lernte sogar, Tabak zu kauen. Die Liebe zum Whisky musste man ihm nicht beibringen, damit war er auf die Welt gekommen.

Aber Gerald blieb Gerald. Seine Lebensweise und seine Ansichten änderten sich, aber sein Verhalten hätte er niemals geändert, selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Er bewunderte die gedehnte Sprechweise und Eleganz der reichen Reis- und Baumwollpflanzer, die auf Vollblutpferden aus ihren von Spanischem Moos verhangenen Königreichen nach Savannah geritten kamen, gefolgt von den Kutschen ihrer ebenso eleganten Damen und den Wagen mit ihren Sklaven. Doch Gerald brachte es nie zu Eleganz. Ihre trägen, nuscheligen Stimmen klangen ihm angenehm im Ohr, aber seine eigene schroffe irische Sprechweise klebte ihm an der Zunge. Ihm imponierte die Lässigkeit, mit der sie wichtige Dinge regelten, ein Vermögen riskierten, eine Plantage oder einen Sklaven auf eine Karte setzten und ihre Verluste gut gelaunt und mit ebenso wenig Aufhebens abtaten, wie wenn sie Sklavenkindern eine Handvoll Pennys zuwarfen. Gerald kannte Armut, und er lernte nie, gute Laune oder Haltung zu bewahren, wenn er Geld verlor. Sie waren ein liebenswertes Völkchen, diese Küstenbewohner von Georgia, mit ihren leisen, raschen Wutanfällen und ihren charmanten Widersprüchen, und Gerald mochte sie. Doch der junge Ire, der frisch aus einem Land kam, wo nasse und kalte Winde wehten, wo der Nebel in den Mooren kein Fieber brütete, steckte voll entschiedener und rastloser Vitalität, die ihn von diesen ungerührten vornehmen Leuten mit ihrem subtropischen Wetter und ihren Malariasümpfen unterschied.

Er schaute sich von ihnen ab, was er für nützlich hielt, und den Rest überging er. Als nützlichste Sitte in den ganzen Südstaaten stellte sich Poker heraus, Poker und Trinkfestigkeit. Und es war seine natürliche Begabung für Kartenspiel und Whisky, die Gerald zwei der drei von ihm am höchsten geschätzten Besitztümer einbrachten, seinen Leibdiener und seine Plantage. Das dritte war seine Frau, und sie konnte er nur der unerforschlichen Güte Gottes zuschreiben.

Der Diener, der Pork hieß, glänzend schwarz, würdevoll und ausgebildet in allen Finessen modischer Eleganz, war das Ergebnis eines nächtlichen Pokerspiels mit einem Pflanzer von St. Simons Island, der genauso beherzt bluffte wie Gerald, jedoch nicht annähernd so viel vom New Orleans Rum vertrug. Porks ehemaliger Besitzer bot zwar später an, ihn für den doppelten Preis zurückzukaufen, doch Gerald lehnte hartnäckig ab, denn der Besitz seines ersten Sklaven – und noch dazu des »besten Leibdieners an der ganzen verdammten Küste« – war die erste Stufe zur Erfüllung seines Herzenswunschs. Gerald wollte Sklaven und Land besitzen wie ein Gentleman.

Er war entschlossen, nicht wie James und Andrew den Rest seiner Tage mit Feilschen zu verbringen oder an den Abenden bei Kerzenlicht über langen Zahlenreihen zu hocken. Im Unterschied zu seinen Brüdern empfand er deutlich den sozialen Makel, der Kaufleuten anhaftete. Gerald wollte Pflanzer werden. Mit der hungrigen Sehnsucht des Iren, der ein kleiner Pächter gewesen war auf dem Land, das einst seiner Familie gehört und als Jagdgrund gedient hatte, verlangte es ihn danach, die grüne Fläche seiner eigenen Felder vor sich zu sehen. Mit rücksichtsloser Zielstrebigkeit begehrte er ein eigenes Haus, eine eigene Plantage, eigene Pferde, eigene Sklaven. Und hier in diesem neuen Land, geschützt vor den beiden Bedrohungen in seiner alten Heimat – der Besteuerung, die Ernte und Scheuer auffraß, sowie der stets gegenwärtigen Möglichkeit, durch Pachtentzug plötzlich von Haus und Hof vertrieben zu werden –, würde er all dies besitzen. Aber Wunsch und Wirklichkeit lagen weit auseinander, wie er mit der Zeit feststellen musste. Die Küste von Georgia befand sich viel zu fest in den Händen der tief verwurzelten Aristokratie, als dass Gerald hätte hoffen können, den Besitz zu erwerben, der ihm vorschwebte.

Da tat sich das Schicksal mit einem Pokerblatt zusammen, um ihm die Plantage zuzuschanzen, die er später Tara nannte, und es verschlug ihn von der Küste ins Landesinnere im Norden Georgias.

Es geschah an einem heißen Frühlingsabend in einem Saloon in Savannah, als Gerald zufällig die Unterhaltung eines Fremden aufschnappte, der in der Nähe saß. Der Fremde, aus Savannah gebürtig, war gerade nach zwölf Jahren aus dem Landesinneren zurückgekehrt. Er war einer der Gewinner der Land-Lotterie gewesen, mit der der Staat das riesige Gebiet von Mittelgeorgia aufteilte, das die Indianer ein Jahr, bevor Gerald nach Amerika gekommen war, abgetreten hatten. Der Mann war dorthin gezogen und hatte eine Plantage gegründet; doch jetzt, da das Wohnhaus abgebrannt war, hatte er den »verfluchten Ort« satt und wollte ihn am liebsten loswerden.

Gerald, den der Gedanke an eine eigene Plantage ständig umtrieb, ließ sich dem Fremden vorstellen, und sein Interesse wuchs, als dieser erzählte, wie der Norden des Staates zunehmend von Neuankömmlingen aus North und South Carolina und Virginia bevölkert wurde. Gerald lebte schon lange genug in Savannah, um die Ansicht der Küstenbewohner zu teilen, der Rest des Staates bestünde aus Urwäldern, wo hinter jedem Busch ein Indianer lauerte. Auf Geschäftsreisen für die »Gebrüder O’Hara« hatte er Augusta besucht, hundert Meilen den Savannah River aufwärts, und war weit genug ins Landesinnere gereist, um sich die alten Städtchen westlich davon anzusehen. Er wusste, dass diese Gegend ebenso dicht besiedelt war wie die Küste, doch nach der Beschreibung des Fremden lag dessen Plantage mehr als zweihundertfünfzig Meilen nordwestlich von Savannah und nur wenige Meilen südlich des Chattahoochee River. Gerald wusste, dass das Land nördlich dieses Flusses immer noch den Cherokee gehörte, und er staunte nicht schlecht, als der Fremde nur spottete über Geralds Vermutung, es könne Probleme mit den Indianern geben. Stattdessen berichtete er, in dem neuen Land entstünden blühende Städte und prosperierende Plantagen.

Eine Stunde später, als das Gespräch zu versiegen begann, schlug Gerald mit einer Durchtriebenheit, die die unschuldige Offenheit seiner strahlend blauen Augen Lügen strafte, eine Partie Poker vor. Nachdem der Abend voranschritt und ein Drink den anderen gab, legten die anderen Mitspieler irgendwann ihre Karten nieder, und Gerald und der Fremde blieben allein als Kontrahenten übrig. Der Fremde setzte all seine Chips, und dazu die Besitzurkunde für seine Plantage. Gerald setzte all seine Chips und legte seine Brieftasche dazu. Zwar gehörte das Geld darin zufällig der Firma »Gebrüder O’Hara«, doch belastete das sein Gewissen so wenig, dass er am nächsten Morgen nicht einmal vor der Messe beichten ging. Er wusste, was er wollte, und wenn Gerald etwas wollte, dann nahm er den direktesten Weg. Mehr noch, das Vertrauen in sein Schicksal und in seinen Vierling mit Zweien war so groß, dass ihn der Gedanke nicht einmal streifte, wie er das Geld zurückzahlen sollte, falls der andere eine höhere Hand auf den Tisch legte.

»Sie machen kein Schnäppchen damit, und ich bin froh, dass ich keine Steuern mehr für das Ding zahlen muss«, seufzte der Besitzer eines Full House mit drei Assen und bestellte Feder und Tinte. »Das Wohnhaus ist vor einem Jahr abgebrannt, und die Felder sind überwuchert mit Gestrüpp und Piniensämlingen. Aber es gehört Ihnen.«

»Misch nie Karten und Whisky, wenn du nicht mit irischem Whiskey abgestillt worden bist«, erklärte Gerald noch am selben Abend ernsthaft, als Pork ihm beim Zubettgehen half. Und der Leibdiener, der sich aus Bewunderung für seinen neuen Herrn eines irischen Akzents befleißigte, machte eine Entgegnung, die in ihrem Kauderwelsch aus Geechee und dem Zungenschlag der Grafschaft Meath jeden außer den beiden Beteiligten vor Rätsel gestellt hätte.

Der schlammige Flint River, der still zwischen Wänden aus rankenüberwachsenen Pinien und Lorbeereichen dahinströmte, umschloss wie ein gebogener Arm Geralds neues Land auf zwei Seiten. Für Gerald, der auf der kleinen Anhöhe stand, auf der sich das Haus befunden hatte, war diese wuchtige grüne Barriere ein ebenso sichtbarer wie beglückender Beweis seines Besitztums, als sei sie ein Zaun, den er selbst errichtet hatte, um sein Eigentum zu markieren. Er stand auf den geschwärzten Grundsteinen des niedergebrannten Hauses, blickte die lange Allee entlang, die zur Straße führte, und fluchte herzhaft, denn für ein Dankgebet war seine Freude zu groß. Diese Zwillingsreihen dunkler Bäume gehörten ihm, ebenso die vernachlässigte Rasenfläche, auf der unter weißbesternten jungen Magnolienbäumen hüfthoch das Unkraut stand. Die brachliegenden, von kleinen Pinien und Gestrüppinseln übersäten Felder, die sich mit ihrer welligen, lehmroten Bodenkrume rundherum in die Ferne erstreckten, sie gehörten Gerald O’Hara – alles gehörte ihm, weil er einen trinkfesten irischen Schädel und den Mut hatte, alles auf ein Blatt Karten zu setzen.

Gerald schloss die Augen und spürte in der Stille des unbearbeiteten Landes, dass er nach Hause gekommen war. Hier, wo er stand, würde ein weißgestrichenes Backsteinhaus entstehen. Jenseits der Straße würden für fette Rinder und Vollblutpferde Lattenzäune um Weiden errichtet, und die rote Erde, die sich den Abhang hinunter bis zum fruchtbaren Talgrund am Fluss ausdehnte, würde im Sonnenlicht weiß wie Eiderdaunen leuchten – Baumwolle, Morgen über Morgen voller Baumwolle! Die O’Haras würden wieder zu Wohlstand kommen.

Mit seiner eigenen kleinen Barschaft, einem Darlehen seiner wenig begeisterten Brüder sowie einer hübschen Summe, die er sich mittels einer Hypothek auf das Land besorgte, kaufte Gerald seine ersten Feldarbeiter und ließ sich als einsamer Junggeselle im vierzimmerigen Haus des Aufsehers auf der Plantage nieder, bis die Zeit reif war, die weißen Mauern von Tara hochzuziehen.

Er rodete die Felder und pflanzte Baumwolle und lieh sich von James und Andrew zusätzliches Geld, um mehr Sklaven zu kaufen. Die O’Haras waren eine verschworene Sippe, die in guten wie in schlechten Tagen zusammenhielt, nicht aus überschäumender Familienliebe, sondern weil sie in langen, harten Jahren gelernt hatten, dass eine Familie, wenn sie überleben wollte, der Welt eine geschlossene Front entgegenstellen musste. Sie liehen Gerald das Geld, und in den nächsten Jahren bekamen sie es mit Zinsen zurück. Nach und nach vergrößerte sich die Plantage, Gerald kaufte Morgen hinzu, die an sein Land angrenzten, und bald wurde das weiße Haus vom Traum zur Wirklichkeit.

Es wurde mit Sklavenarbeit erbaut, ein klobiges, weitläufiges Gebäude, das den Hügel krönte und das grüne, zum Fluss hin abfallende Weideland überblickte. Und es gefiel Gerald ausnehmend, denn selbst, als es noch neu war, sah es wie von Patina geadelt aus. Die ausladenden Eichen, unter denen schon Indianer entlanggezogen waren, umstanden mit ihren mächtigen Stämmen das Haus und tauchten das Dach in dichte Schatten. Auf dem von Unkraut befreiten Rasen gediehen Klee und Bermudagras, und Gerald achtete darauf, dass er gut gepflegt wurde. Von der Zedernallee bis zu der Reihe weißer Hütten im Sklavenquartier strahlte alles auf Tara eine Atmosphäre der Gediegenheit und Beständigkeit aus. Und wann immer Gerald um die Straßenbiegung galoppiert kam und sein eigenes Dach durch die grünen Baumkronen schimmern sah, schwoll ihm das Herz vor Stolz, als sähe er es zum ersten Mal.

Er hatte das alles zuwege gebracht, der kleine, dickköpfige, polternde Gerald.

Mit all seinen Nachbarn im County stand Gerald auf sehr gutem Fuß, mit Ausnahme der MacIntoshs, deren Land links an seines angrenzte, und der Slatterys, deren ärmliche drei Morgen sich rechts davon entlang der Sumpfniederungen zwischen dem Fluss und der Plantage von John Wilkes erstreckten.

Die MacIntoshs waren schottisch-irisch und Oranier, und selbst wenn sie sämtliche Eigenschaften der Heiligen im katholischen Kalender auf sich vereinigt hätten, wären sie durch diese Abkunft in seinen Augen für immer desavouiert gewesen. Schon wahr, sie wohnten bereits seit siebzig Jahren in Georgia, und davor hatten sie eine Generation lang in den Carolinas gelebt; doch der erste der Familie, der seinen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte, stammte aus Ulster, und das genügte Gerald.

Sie waren eine zugeknöpfte und halsstarrige Familie, die strikt für sich blieb und nur innerhalb der Verwandtschaft in Carolina heiratete, und Gerald war nicht der einzige, der sie nicht leiden konnte, denn die Leute im County waren gute Nachbarn und gesellig und nicht allzu nachsichtig mit Leuten, denen es an diesen Eigenschaften gebrach. Gerüchte, sie sympathisierten mit den Abolitionisten, erhöhten die Beliebtheit der MacIntoshs nicht eben. Der alte Angus hatte zwar nie einen einzigen Sklaven freigelassen, und sogar den unverzeihlichen Fauxpas begangen, einige seiner Schwarzen an durchreisende Sklavenhändler zu verkaufen, die auf dem Weg zu den Zuckerrohrfeldern in Louisiana waren – gleichwohl hielten sich die Gerüchte standhaft.

»Er ist Abolitionist, kein Zweifel«, sagte Gerald zu John Wilkes. »Aber wenn die Grundsätze eines Oraniers mit seinem schottischen Geiz ins Gehege kommen, ziehen die Grundsätze den Kürzeren.«

Die Slatterys waren eine andere Kategorie. Als arme Weiße genossen sie nicht einmal den Respekt, den Angus MacIntoshs starrsinnige Unabhängigkeit den Nachbarfamilien abtrotzte. Der alte Slattery, der sich trotz wiederholter Angebote von Gerald und John Wilkes hartnäckig an seine paar Morgen klammerte, war ein wehleidiger Schwächling. Seine Frau mit ihren zerzausten Haaren wirkte kränklich und ausgelaugt. Sie war die Mutter einer Brut missgelaunter, kaninchenartiger Kinder – einer Brut, die pünktlich jedes Jahr vermehrt wurde. Tom Slattery besaß keine Sklaven. Er und seine zwei ältesten Jungs rackerten sich verbissen auf ihren paar Baumwollfeldern ab, während die Frau sich mit den kleineren Kindern um eine Art Gemüsegarten kümmerte. Doch irgendwie wurde aus der Baumwolle nie etwas, und der Garten warf wegen Mrs. Slatterys ständigen Wochenbetten kaum je genug ab, um die Familie zu ernähren.

Tom Slattery, der auf der Veranda eines Nachbarn herumlungerte und um Baumwollsamen oder eine Speckseite bettelte, um »über die Runden« zu kommen, war ein gewohnter Anblick. Slattery hasste seine Nachbarn mit dem wenigen an Energie, das er besaß; er spürte die Geringschätzung hinter ihrer Höflichkeit, und besonders hasste er die »hochnäsigen Nigger der Reichen«. Die Haussklaven im County fühlten sich dem »weißen Gesindel« überlegen, und ihre unverhohlene Verachtung verletzte ihn, während ihre sichere Lebensstellung seinen Neid erregte. Im Gegensatz zu seiner eigenen erbärmlichen Existenz waren sie wohlgenährt, gut gekleidet und bei Krankheit und im Alter versorgt. Sie waren stolz auf den guten Namen ihrer Besitzer und größtenteils stolz darauf, Leuten aus der Oberschicht zu gehören, während er von niemandem für voll genommen wurde.

Tom Slattery hätte seine Farm an jeden Pflanzer im County zum dreifachen Preis verkaufen können. Sie hätten das Geld gerne ausgegeben, um das County von einem Schandfleck zu befreien, er aber war es zufrieden, zu bleiben und sein Leben kärglich vom Ertrag eines Ballens Baumwolle pro Jahr und von den Almosen seiner Nachbarn zu fristen.

Mit allen anderen im County stand Gerald auf freundschaftlichem und bis zu einem gewissen Grad vertraulichem Fuß. Die Wilkes, die Calverts, die Tarletons, die Fontaines, alle lächelten, wenn die kleine Gestalt auf dem großen weißen Pferd ihre Auffahrt heraufgaloppiert kam; sie lächelten und ließen die hohen Gläser bringen, in die ein Gläschen Whisky über einen Teelöffel Zucker und einen zerdrückten Zweig Minze gegossen wurde. Gerald war liebenswürdig, und die Nachbarn bekamen mit der Zeit heraus, was Kinder, Schwarze und Hunde auf den ersten Blick bemerkten, dass hinter seiner lärmenden und rauhbeinigen Fassade ein gutes Herz steckte, ein offenes und zugewandtes Ohr und ein freigiebiger Geldbeutel.

Seine Ankunft wurde jedes Mal von einem Tumult bellender Hunde und kleiner schwarzer Kinder begleitet, die johlend zu ihm rannten und sich um die Ehre balgten, sein Pferd zu halten, und sich kichernd unter seinem gutmütigen Geschimpfe wanden. Die weißen Kinder verlangten lautstark, auf seinem Knie reiten zu dürfen, während er vor ihren Eltern die Niedertracht der Yankee-Politiker anprangerte. Die Töchter seiner Freunde vertrauten ihm ihre Liebesgeschichten an, und die jungen Männer aus der Nachbarschaft, die sich fürchteten, ihren Vätern ihre Spielschulden zu gestehen, fanden in ihm einen Freund in der Not.

»Das bist du jetzt also schon seit einem Monat schuldig, du kleiner Gauner!« rief er dann wohl. »Und warum in drei Teufels Namen kommst du damit erst jetzt zu mir?«

Seine ungehobelte Sprechweise war zu gut bekannt, als dass man sie ihm krummgenommen hätte; die jungen Männer grinsten dann nur dümmlich und antworteten kleinlaut: »Naja, Sir, ich wollte Sie nicht belästigen, aber mein Vater …«

»Dein Vater ist ein guter Mann, das kann man nicht bestreiten, aber er ist streng. Also nimm das hier, und dann Schwamm drüber.«

Die Damen der Pflanzer ergaben sich als letzte. Doch als Mrs. Wilkes – »eine große Dame mit der seltenen Gabe zu schweigen«, wie Gerald sie charakterisierte – eines Abends, nachdem Geralds Pferd die Auffahrt hinuntergaloppiert war, ihrem Mann erklärte: »Er hat ein grobes Mundwerk, aber er ist ein Gentleman«, war Gerald endgültig angekommen.

Es war ihm nicht bewusst, dass er fast zehn Jahre dazu gebraucht hatte, denn es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass seine Nachbarn ihn anfangs misstrauisch beäugt haben könnten. Er selbst hatte nie bezweifelt, dass er dazugehörte, und zwar ab dem Moment, da er Tara zum ersten Mal betreten hatte.

Als Gerald dreiundvierzig war – und so vierschrötig und rotgesichtig, dass er aussah wie ein jagender Gutsherr auf einem kolorierten Kupferstich –, wurde ihm bewusst, dass Tara, sosehr er daran hing, und auch die Leute im County mit ihrer Offenherzigkeit und Gastfreiheit ihm nicht genügten. Er brauchte eine Frau.

Tara schrie geradezu nach einer Herrin. Die dicke Köchin, eine Gartensklavin, die aus Not in die Küche befördert worden war, bekam das Essen nie pünktlich fertig, und das Kammermädchen, ehemals Pflückerin, ließ die Möbel einstauben und hatte nie saubere Bettwäsche zur Hand, so dass die Ankunft von Gästen jedes Mal für viel Wirbel sorgte. Pork, der einzige gelernte Haussklave auf der Plantage, hatte die Aufsicht über die anderen Bediensteten inne, aber sogar er war nach mehreren Jahren der Gewöhnung an Geralds unbekümmerten Lebensstil nachlässig und unachtsam geworden. Als Leibdiener hielt er Geralds Schlafzimmer in Ordnung, und als Butler trug er mit Würde und Stil die Mahlzeiten auf, doch ansonsten ließ er die Dinge schleifen.

Mit unfehlbarem Instinkt hatten die Schwarzen allesamt erkannt, dass Gerald wohl laut bellte, aber nicht bissig war, und sie nutzten ihn schamlos aus. Die Luft war zwar ständig von Drohungen erfüllt, Sklaven in den Süden zu verkaufen oder furchtbar auszupeitschen, aber aus Tara war nie ein Sklave verkauft und nur einmal war einer ausgepeitscht worden, weil er es versäumt hatte, Geralds Lieblingspferd nach einem langen Jagdtag abzureiben und zu striegeln.

Geralds scharfe blaue Augen erkannten, wie effektiv die Haushalte seiner Nachbarn geführt wurden und wie unangestrengt die wohlfrisierten Frauen in ihren raschelnden Kleidern die Dienstboten lenkten. Er hatte keine Ahnung davon, dass diese Frauen vom frühen Morgen bis zum späten Abend damit beschäftigt waren, Küche und Kinderstube, Näh- und Wascharbeiten zu beaufsichtigen. Er sah nur das äußerlich sichtbare Ergebnis, und dieses Ergebnis beeindruckte ihn.

Wie sehr ihm eine Frau fehlte, wurde ihm eines Morgens klar, als er sich ankleidete, um zum Gerichtstag in die Stadt zu reiten. Pork brachte ihm sein bevorzugtes Rüschenhemd, das vom Kammermädchen so stümperhaft geflickt worden war, dass niemand es mehr tragen konnte als sein Diener.

»Mister Gerald«, sagte Pork, und legte dankbar das Hemd zusammen, während Gerald tobte, »was Sie brauchen, is ne Frau, eine, die ne Menge Hausnigger mitbringt.«

Gerald verwies ihm zwar seine Dreistigkeit, aber er wusste, dass Pork recht hatte. Er brauchte eine Frau, und er wollte Kinder, und wenn er sie nicht bald bekam, wäre es zu spät. Doch er würde nicht irgendeine heiraten, wie Mr. Calvert, der die Yankee-Gouvernante seiner mutterlosen Kinder zur Frau genommen hatte. Geralds Frau musste eine Dame sein, und zwar eine Dame von Geblüt, mit genauso viel Eleganz und Allüren wie Mrs. Wilkes und mit der Fähigkeit, Tara genauso gut zu führen, wie Mrs. Wilkes ihr eigenes Reich bestellte.

Doch wenn man in eine County-Familie heiraten wollte, standen zwei Hindernisse im Weg. Das erste war der Mangel an Mädchen in heiratsfähigem Alter. Das zweite, gewichtigere, war, dass Gerald, obwohl er seit fast zehn Jahren hier lebte, ein »Neuankömmling« war und noch dazu ein Ausländer. Niemand wusste etwas über seine Familie. Zwar war die Gesellschaft im Norden Georgias nicht so undurchdringlich wie die Aristokratie an der Küste, aber keine Familie wollte ihre Tochter mit einem Mann verheiraten, über dessen Großvater nichts bekannt war.

Gerald wusste, dass es – trotz der echten Sympathie zwischen ihm und den Männern im County, mit denen er jagte, trank und politisierte – kaum einen gab, dessen Tochter er hätte heiraten können. Und er wollte nicht, dass an den Abendbrottischen darüber geschwatzt wurde, wie dieser oder jener Vater voller Bedauern Gerald O’Hara verwehrt habe, seiner Tochter den Hof zu machen. Trotz dieses Wissens fühlte sich Gerald seinen Nachbarn gegenüber keineswegs minderwertig. Nichts konnte Gerald je dazu bewegen, sich einem anderen unterlegen zu fühlen. Es war lediglich der altmodische Brauch im County, dass Töchter nur in Familien einheirateten, die sehr viel länger als zweiundzwanzig Jahre im Süden gelebt, Land und Sklaven besessen und sich ausschließlich den Lastern ergeben hatten, die gerade in Mode waren.

»Pack zusammen. Wir fahren nach Savannah«, erklärte er Pork. »Und wenn ich dich auch nur einmal ›Herrgott im Nachtgewand‹ oder ›meiner Treu‹ sagen höre, dann verkauf ich dich, denn das sind Ausdrücke, die ich selber fast nie in den Mund nehme.«

James und Andrew hatten in Sachen Ehe vielleicht den einen oder anderen Rat zu geben, und vielleicht gab es Töchter unter ihren alten Freunden, die einerseits seinen Ansprüchen gerecht und andererseits ihn als Ehemann akzeptabel finden würden. James und Andrew hörten sich seine Geschichte geduldig an, aber sie machten ihm nur wenig Hoffnung. Sie hatten in Savannah keine Verwandten, die sie um Unterstützung angehen konnten, denn sie waren als verheiratete Männer nach Amerika gekommen. Und die Töchter ihrer alten Freunde hatten längst geheiratet und zogen eigene Kinder groß.

»Du bist kein reicher Mann, und du hast keine Familie, die was hermacht«, sagte James.

»Ich hab mein Geld selbst verdient, und ich kann eine große Familie gründen, die was hermacht. Und ich werde nicht einfach irgendeine heiraten.«

»Du willst ziemlich hoch hinaus«, bemerkte Andrew trocken.

Doch sie gaben sich große Mühe für Gerald. James und Andrew waren schon alt und genossen in Savannah einen guten Ruf. Sie hatten viele Freunde, und einen Monat lang schleppten sie Gerald von Haus zu Haus, zu Dinners, zu Bällen und Picknicks.

»Mir gefällt nur eine«, sagte Gerald schließlich. »Und sie war noch nicht mal geboren, als ich hier an Land ging.«

»Und wer gefällt dir?«

»Miss Ellen Robillard«, sagte Gerald und versuchte, beiläufig zu klingen, denn die leicht schräggeschnittenen dunklen Augen von Ellen Robillard hatten weit mehr als nur sein Gefallen erregt. Trotz einer für ein fünfzehnjähriges Mädchen höchst seltsamen Lustlosigkeit im Betragen bezauberte sie ihn. Außerdem umgab sie eine Aura der Verzweiflung, die sein Herz rührte und ihn sanfter machte, als er es je zu einem anderen Wesen auf der Welt gewesen war.

»Du bist alt genug, um ihr Vater zu sein!«

»Aber in den besten Jahren!« rief Gerald gekränkt.

James sprach leise.

»Jerry, es gibt in Savannah kein Mädchen, bei dem du weniger Chancen hättest. Ihr Vater ist ein Robillard, und diese Franzosen sind arrogant wie Luzifer. Und ihre Mutter – sie ruhe in Frieden – war eine große Dame.«

»Mir doch egal«, sagte Gerald erregt. »Außerdem ist ihre Mutter tot, und der alte Robillard mag mich.«

»Ja, als Mann, aber nicht als Schwiegersohn.«

»Das Mädchen würde dich sowieso nicht nehmen«, warf Andrew ein. »Sie ist in diesen wilden Kerl, ihren Cousin Philippe Robillard, verknallt, ein ganzes Jahr schon, obwohl ihre Familie ihr von morgens bis abends in den Ohren liegt, dass sie ihn aufgeben soll.«

»Er ist schon seit einem Monat in Louisiana«, sagte Gerald.

»Und woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es eben«, erwiderte Gerald, der nicht preisgeben wollte, dass Pork ihm diese wertvolle Information gesteckt hatte, und dass Philippe auf den ausdrücklichen Wunsch seiner Familie gen Westen aufgebrochen war. »Und ich glaube nicht, dass sie so verliebt in ihn ist, dass sie ihn nicht vergessen würde. Fünfzehn ist zu jung, um viel über die Liebe zu wissen.«

»Sie hätten immer noch lieber diesen Draufgänger von Cousin als dich.«

So waren James und Andrew ebenso verblüfft wie alle anderen, als bekannt wurde, dass Pierre Robillards Tochter den kleinen Iren aus dem Norden heiraten würde. Hinter Savannahs Türen summte es vor Spekulationen über Philippe Robillard, der in den Westen gegangen war, doch das Getratsche brachte keine Antwort. Warum die schönste Tochter der Robillards einen lauten, rotgesichtigen Mann heiratete, der ihr kaum bis an die Ohren reichte, blieb allen ein Rätsel.

Gerald selbst durchschaute nie ganz, wie alles zustande kam. Er wusste nur, dass ein Wunder geschehen war. Und dieses eine Mal in seinem Leben empfand er tiefe Demut, als Ellen, sehr blass, aber sehr gefasst ihre leichte Hand auf seinen Arm legte und sagte: »Ich heirate Sie, Mr. O’Hara.«

Die Robillards, die wie vom Blitz getroffen waren, ahnten die Antwort wohl zum Teil, doch nur Ellen und ihre Mammy kannten die ganze Geschichte jener Nacht, als das Mädchen bis zum Morgen wie ein kleines Kind schluchzte und dann als Frau aufstand, die ihren Entschluss gefasst hatte.

Mit einem unguten Vorgefühl hatte Mammy ihrer jungen Herrin ein kleines Päckchen gebracht, in fremder Handschrift aus New Orleans adressiert. Es enthielt ein Medaillon von Ellen, das sie mit einem Schrei zu Boden schleuderte, vier Briefe in ihrer Handschrift an Philippe Robillard sowie den kurzen Brief eines Priesters aus New Orleans, der den Tod ihres Cousins in einer Kneipenschlägerei anzeigte.

»Sie haben ihn verjagt, Vater und Pauline und Eulalie. Sie haben ihn davongejagt. Ich hasse sie. Ich hasse sie alle. Ich will sie nie wieder sehen. Ich will weg von hier. Ich will irgendwohin, wo ich sie nie wieder sehe, und auch die Stadt nicht oder sonst jemanden, der mich an – an – ihn erinnert.«

Und als die Nacht fast um war, protestierte Mammy, die sich wegen des Grams ihrer Herrin die Augen ausgeweint hatte: »Aber, Schatz, das kannst du doch nich machen.«

»Doch, das mache ich. Er ist ein netter Mann. Entweder das, oder ich gehe nach Charleston ins Kloster.«

Es war die Drohung mit dem Kloster, die schließlich zur Einwilligung des bestürzten und tief getroffenen Pierre Robillard führte. Er war strenger Presbyterianer, obwohl er einer katholischen Familie entstammte, und die Vorstellung, seine Tochter könnte Nonne werden, war noch schlimmer als eine Heirat mit Gerald O’Hara. Schließlich sprach gegen den Mann nichts, außer dass er keine Familie vorweisen konnte.

Also kehrte Ellen, nun keine Robillard mehr, Savannah den Rücken, um es nie wieder zu sehen, und reiste mit einem Mann in mittleren Jahren, mit Mammy und zwanzig Haussklaven nach Tara.

Im nächsten Jahr kam ihr erstes Kind zur Welt, das sie nach Geralds Mutter Katie Scarlett nannten. Gerald war enttäuscht, weil er sich einen Sohn gewünscht hatte, aber er freute sich dann doch so sehr über seine kleine schwarzhaarige Tochter, dass er jedem Sklaven auf Tara Rum spendierte und sich selber laut und glücklich betrank.

Falls Ellen je die plötzliche Entscheidung, ihn zu heiraten, bereut hatte, so erfuhr niemand davon, vor allem Gerald nicht, der fast vor Stolz platzte, sooft er sie ansah. Sie hatte Savannah und ihre Erinnerungen hinter sich gelassen, als sie dieser liebenswürdigen Stadt am Meer Lebewohl sagte, und von dem Augenblick an, da sie im County ankam, war Nord-Georgia ihr Zuhause.

Als sie dem Anwesen ihres Vaters für immer den Rücken kehrte, verließ sie ein Haus, dessen Umrisse schön und fließend waren wie der Körper einer Frau, wie ein Schiff unter vollen Segeln; ein blassrosa verputztes Gebäude im französischen Kolonialstil, das vornehm auf einem Sockel thronte, mit geschwungenen Freitreppen, deren schmiedeeiserne Geländer an feine Spitze erinnerten; ein dämmriges, prächtiges Haus – anmutig, aber abweisend.

Sie hatte nicht nur diesen eleganten Wohnort verlassen, sondern die ganze Kultur, die dahinterstand, und sie fand sich in einer Welt wieder, die so fremd und anders war, als hätte sie einen Kontinent durchquert.

Der Norden Georgias war eine rauhe Gegend und bewohnt von einem abgehärteten Menschenschlag. Auf der Hochebene am Fuß der Blue Ridge Mountains sah sie, so weit das Auge reichte, Wellen roter Hügel, aus denen sich hier und da der darunterliegende Granit in riesigen Buckeln erhob, und überall ragten finster hagere Pinien in die Höhe. Ihren Augen, die an die Küste gewöhnt waren, an die stille Dschungelschönheit der Inseln, behangen mit grauem Moos und grünen Ranken, an die weißen Strände, die sich heiß unter der subtropischen Sonne erstreckten, die weiten Ausblicke über flaches sandiges Land, das von Palmetto- und anderen Palmen übersät war – ihren Augen erschien hier alles wild und ungezähmt.

Diese Gegend kannte frostige Winter ebenso wie glutheiße Sommer, und es steckte eine Lebens- und Tatkraft in den Menschen, die Ellen befremdete. Es waren freundliche Leute, höflich, großzügig, voller Gutmütigkeit, aber stämmig, vital und leicht zu erzürnen. Die Menschen an der Küste bildeten sich etwas darauf ein, all ihren Angelegenheiten, selbst ihren Duellen und Fehden, einen Anstrich von Sorglosigkeit zu geben, doch die Menschen hier im Norden Georgias hatten einen gewaltsamen Zug. An der Küste war das Leben gedämpft – hier war es jung und lustvoll und frisch.

Alle Leute, die Ellen unten in Savannah gekannt hatte, schienen aus derselben Gussform zu stammen, so ähnlich waren ihre Ansichten und Traditionen, doch hier gab es die unterschiedlichsten Typen. Die Siedler in Nord-Georgia kamen aus vielen verschiedenen Gegenden, aus anderen Teilen Georgias, aus den beiden Carolinas, aus Virginia, aus Europa und aus dem Norden. Manche, wie Gerald, waren Neuan kömmlinge und suchten ihr Glück. Andere, wie Ellen, kamen aus alten Familien, aber das Leben an ihrem vormaligen Wohnort war ihnen unerträglich geworden, und sie suchten Zuflucht in einem fernen Land. Viele waren ohne jeden Grund hergekommen, nur weil das rastlose Blut ihrer Pionier-Väter noch in ihren Adern pulsierte.

Diese Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und aus den verschiedensten Gegenden gaben dem Leben im County eine Ungezwungenheit, die Ellen neu war, eine Formlosigkeit, an die sie sich nie ganz gewöhnen konnte. Sie wusste intuitiv, wie ein Küstenbewohner sich in einer beliebigen Situation verhalten würde. Aber was jemand aus Nord-Georgia tun würde, ließ sich nie vorhersagen.

Zugleich wurde die Gegend von einer Woge des Wohlstands erfasst, die über den Süden hin flutete und das ganze Leben beschleunigte. Alle Welt verlangte nach Baumwolle, und der jungfräuliche Boden des County, unverbraucht und fruchtbar, produzierte sie im Überfluss. Baumwolle war der Herzschlag der Provinz, das Pflanzen und Pflücken waren Diastole und Systole der roten Erde. Aus den gewundenen Furchen stieg der Reichtum, und mit ihm kam der Hochmut – Hochmut, der auf grünen Büschen und weiten Flächen aus flauschigem Weiß gründete. Wenn Baumwolle sie in einer Generation reich machen konnte, um wie vieles reicher würden sie dann erst in der nächsten sein!

Diese Gewissheit einer sicheren Zukunft verlieh dem Leben Würze und Überschwang, und die Menschen im County genossen es mit einer Herzhaftigkeit, die Ellen nie begreifen konnte. Sie hatten genug Geld und genug Sklaven, um sich Zeit zum Spiel zu gönnen, und sie spielten gern. Sie waren nie zu beschäftigt, um die Arbeit für ein Fest mit gegrilltem Fisch, für eine Jagd oder ein Pferderennen liegen zu lassen, und kaum eine Woche verging ohne ein Barbecue oder einen Ball.

Ellen wollte oder konnte nie ganz eine von ihnen werden – dafür hatte sie zu viel von sich selbst in Savannah zurückgelassen –, aber sie achtete sie und lernte mit der Zeit, die Offenheit und Ehrlichkeit dieser Leute zu bewundern, die kaum Zurückhaltung kannten und einen Menschen für das schätzten, was er war.

Sie wurde zur beliebtesten Nachbarin im County. Sie war eine sparsame und freundliche Herrin und Haushälterin, eine gute Mutter und ihrem Mann eine hingebungsvolle Frau. Die Selbstlosigkeit eines gebrochenen Herzens, das sie der Kirche hatte weihen wollen, widmete sie nun ihrem Kind, dem Haushalt und dem Mann, der sie aus der Welt von Savannah mit ihren Erinnerungen herausgeholt und nie Fragen gestellt hatte.

Als Scarlett ein Jahr alt war und gesünder und kräftiger, als ein Mädchen nach Mammys Ansicht sein sollte, kam Ellens zweites Kind Susan Elinor zur Welt, die aber immer Suellen genannt wurde, und fristgemäß folgte Carreen, die in der Familienbibel als Caroline Irene eingetragen war. Dann kamen drei kleine Jungen, die alle starben, bevor sie gehen lernten – drei kleine Jungen, die jetzt unter den krummen Zedern auf dem Friedhof hundert Schritt vom Haus entfernt lagen, unter drei Steinen, auf denen jeweils »Gerald O’Hara, Jr.« zu lesen stand.

Kaum war Ellen in Tara angekommen, veränderte sich das Gut drastisch. Sie war zwar erst fünfzehn Jahre alt, doch gleichwohl in der Lage, die Verantwortung für eine Plantage zu übernehmen. Vor der Heirat mussten junge Mädchen vor allem lieb, charmant, schön und dekorativ sein, doch nach der Heirat erwartete man, dass sie einen Haushalt mit hundert oder mehr weißen und schwarzen Angehörigen führten, und im Hinblick darauf wurden sie ausgebildet.

Ellen hatte diese Vorbereitung auf die Ehe wie jede andere wohlerzogene junge Dame erhalten, und sie hatte außerdem Mammy an ihrer Seite, die selbst dem trägsten Sklaven Beine machen konnte. Sie brachte rasch Ordnung, Würde und Anmut in Geralds Haushalt, und sie machte Tara schön, was es zuvor nicht gewesen war.

Das Haus war ohne jeden Bauplan errichtet worden, zusätzliche Zimmer wurden hier und da nach Bedarf angebaut, doch durch Ellens sorgsame Eingriffe gewann es einen Reiz, der diesen Mangel wettmachte. Die Zedernallee, die von der Landstraße zum Haus führte – diese Zedernallee, ohne die kein Pflanzerhaus in Georgia vollständig war –, warf kühle dunkle Schatten, die das Grün der anderen Bäume um so lebhafter zur Geltung brachten. Die Glyzinien, die über die Veranden herabhingen, hoben sich prächtig vom Weiß des Hauses ab und halfen zusammen mit den violetten Kreppmyrtensträuchern neben der Eingangstür und den weißblühenden Magnolien im Garten die eher ungeschickten Umrisse des Hauses zu verbergen.

Im Frühling und Sommer wurden das Bermudagras und der Klee auf dem Rasen smaragdfarben, und zwar so verführerisch, dass sie eine unwiderstehliche Anziehung auf die Truthühner und die weißen Gänse ausübten, die eigentlich hinter dem Haus bleiben sollten. Unablässig führte das ältere Geflügel die heimlichen Vorstöße in den vorderen Gartenbereich an, verlockt durch das Grün des Rasens und das Versprechen köstlicher Jasminknospen und Zinnienbeete. Gegen das marodierende Hühnervolk wurde auf der vorderen Veranda ein kleiner Sklavenjunge als Wachtposten aufgestellt. Bewaffnet mit einem ausrangierten Handtuch, saß der Kleine auf den Stufen und gehörte gewissermaßen zur Fassade von Tara – doch zu seinem Kummer war es ihm verboten, das Federvieh zu schlagen, er durfte nur mit dem Handtuch wedeln und es verscheuchen.

Ellen betraute Dutzende von kleinen Schwarzen mit dieser Aufgabe, dem ersten verantwortungsvollen Posten, den ein Sklave auf Tara bekleidete. Wenn sie zehn Jahre alt waren, wurden sie zu Old Daddy, dem Plantagen-Schuster, geschickt, um sein Handwerk zu lernen, oder zu Amos, dem Stellmacher und Zimmermann, oder zu Phillip, dem Kuhknecht, oder zu Cuffee, dem Maultiertreiber. Wenn sie keinerlei Begabung für eines dieser Gewerbe zeigten, wurden sie Feldarbeiter und hatten damit nach Meinung der Schwarzen jeglichen Anspruch auf gesellschaftliches Ansehen verloren.

Ellens Leben war weder leicht noch glücklich, aber sie erwartete auch kein leichtes Leben, und wenn es ihr an Glück mangelte, nun, das war das Los der Frauen. Schließlich war es eine Männerwelt, und sie akzeptierte sie als solche. Dem Mann gehörte der Besitz, und die Frau verwaltete ihn. Der Mann erntete allgemeine Anerkennung für die gute Verwaltung, und die Frau pries seine Klugheit. Der Mann brüllte wie ein Stier, wenn er sich einen Splitter in den Finger zog, die Frau unterdrückte ihr Stöhnen bei der Geburt, um ihn nicht zu stören. Männer nahmen grobe Wörter in den Mund und waren oft betrunken. Frauen überhörten die Ausfälligkeiten und brachten die Säufer ohne ein vorwurfsvolles Wort ins Bett. Männer waren ungehobelt und hielten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg, Frauen waren immer liebenswürdig, vornehm und nachsichtig.

Sie war in der Tradition der großen Damen erzogen worden, die sie gelehrt hatten, wie man seine Bürde trägt und dennoch seinen Charme bewahrt, und sie hatte die Absicht, ihre drei Töchter ebenfalls zu großen Damen zu machen. Bei ihren jüngeren Töchtern hatte sie Erfolg damit, denn Suellen war so darauf erpicht, attraktiv zu sein, dass sie den Lehren ihrer Mutter aufmerksam zuhörte, während Carreen schüchtern und leicht zu lenken war. Aber Scarlett, ganz das Kind ihres Vaters, fand den Weg zum Damesein beschwerlich.

Zu Mammys Empörung wählte sie als Spielkameraden nicht ihre sittsamen Schwestern oder die wohlerzogenen Wilkes-Mädchen, sondern die Sklavenkinder auf der Plantage und die Jungen der Nachbarschaft, und sie konnte ebenso gut wie diese auf Bäume klettern und Steine werfen. Mammy bereitete es Sorgen, dass Ellens Tochter solche Eigenschaften an den Tag legte, und sie beschwor sie oft, sie solle sich »wie ne kleine Lady« benehmen. Ellen betrachtete die Sache etwas gelassener und weitsichtiger. Sie wusste, dass aus Spielkameraden in späteren Jahren Verehrer werden, und es war ja die erste Pflicht eines Mädchens, zu heiraten. Sie sagte sich, dass das Kind einfach sehr lebhaft sei und dass noch Zeit bliebe, um ihr die Künste und die Umgangsformen beizubringen, die sie für Männer attraktiv machten.

Zu diesem Behuf verbanden Ellen und Mammy ihre Anstrengungen, und als Scarlett heranwuchs, wurde sie eine begabte Schülerin in diesem Fach, während sie kaum etwas anderes lernte. Trotz einer Reihe von Gouvernanten und zwei Jahren auf der nahe gelegenen Fayetteville Female Academy war ihre Bildung oberflächlich, doch kein Mädchen im County konnte anmutiger tanzen als sie. Sie wusste, wie sie lächeln musste, damit ihre Grübchen zum Vorschein kamen, wie sie beim Gehen die Füße etwas einwärts stellen musste, um ihren Reifrock verlockend schwingen zu lassen, wie sie zu einem Mann aufschauen musste, um dann den Blick zu senken und mit den Lidern zu flattern, als bebte sie vor sanfter Erregung. Vor allem lernte sie, vor Männern ihre scharfe Intelligenz hinter einem Gesicht zu verbergen, das süß und unschuldig aussah wie das eines Babys.

Ellen, die mit sanfter Stimme mahnte, und Mammy, die im Gegensatz dazu ständig nörgelte, gaben sich alle Mühe, ihr jene Eigenschaften anzuerziehen, die sie als Frau wirklich begehrenswert machen würden.

»Du musst etwas zurückhaltender sein, Liebes, etwas gesetzter«, erklärte Ellen ihrer Tochter. »Du darfst Gentlemen nicht unterbrechen, wenn sie reden, selbst wenn du glaubst, dass du mehr von der Sache verstehst als sie. Gentlemen mögen keine vorlauten Mädchen.«

»Ne junge Frau, was die Stirn runzelt und ihr Kinn vorschiebt und sagt ›Ich will‹ und ›Ich will nich‹, kriegt fast nie nen Mann«, prophezeite Mammy düster. »Ne junge Frau muss die Augen runterschlagen und sagen: ›Ganz recht, Sir‹ und ›Sie sagen’s, Sir‹.«

Im Verein brachten sie ihr alles bei, was eine vornehme Dame wissen musste, aber Scarlett lernte nur die äußerlichen Merkmale der Vornehmheit. Die innere Anmut, der diese Merkmale entspringen, lernte sie nie, und sie sah auch keinen Grund dazu. Der äußere Schein war genug, denn der äußere Schein der Damenhaftigkeit machte sie beliebt, und das war alles, was sie wollte. Gerald prahlte – nicht ganz zu Unrecht –, sie würde von fünf Countys angebetet, denn sie hatte Anträge von fast allen jungen Männern in der Nachbarschaft erhalten und viele aus so fernen Orten wie Atlanta und Savannah.

Mit sechzehn sah sie dank Mammy und Ellen süß, bezaubernd und unbekümmert aus, in Wirklichkeit war sie aber eigensinnig, eitel und starrköpfig. Sie hatte das leicht erregbare Temperament ihres irischen Vaters und darüber nur einen hauchdünnen Firnis vom selbstlosen und duldsamen Wesen ihrer Mutter. Ellen durchschaute nie ganz, wie dünn dieser Firnis war, denn Scarlett zeigte sich ihrer Mutter immer von der besten Seite, verheimlichte ihre Eskapaden, dämpfte ihr Naturell und erschien in Ellens Gegenwart so gutartig, wie sie nur konnte, denn die Mutter konnte sie mit einem tadelnden Blick bis zu Tränen beschämen.

Mammy hingegen machte sich keine Illusionen über sie und passte auf wie ein Schießhund, dass der Firnis keine Risse bekam. Mammy hatte schärfere Augen als Ellen, und Scarlett konnte sich nicht daran erinnern, Mammy jemals allzu lange hinters Licht geführt zu haben.

Es war nicht so, dass diese beiden liebevollen Erzieherinnen Scarletts Ausgelassenheit, ihre Lebendigkeit und ihren Charme missbilligt hätten. Solche Eigenschaften erfüllten Südstaatlerinnen mit Stolz. Beunruhigend war, dass Geralds halsstarriges und impulsives Wesen in ihr zum Vorschein kam, und zuweilen fürchteten sie, es würde ihnen nicht gelingen, ihre negativen Eigenschaften zu verbergen, bevor sie eine gute Partie gemacht hatte. Doch Scarlett hatte sich vorgenommen zu heiraten – und zwar Ashley –, und sie war bereit, sittsam, gefügig und kopflos zu erscheinen, wenn diese Eigenschaften auf Männer anziehend wirkten. Warum die Männer allerdings solche Vorlieben hatten, erschloss sich ihr nicht. Sie wusste nur, dass diese Methoden wirkten. Es interessierte sie nicht, den Grund dafür herauszufinden, denn sie verstand nichts von den inneren Mechanismen der menschlichen Seele, auch nicht ihrer eigenen. Sie wusste nur, wenn sie sich so und so verhielt und dieses und jenes sagte, reagierten die Männer unfehlbar mit dem entsprechenden Verhalten. Es war nicht schwieriger als eine mathematische Formel, und Mathematik war das einzige Schulfach, das Scarlett leichtgefallen war.

Wusste sie schon kaum etwas über das Innenleben der Männer, so war ihr das der Frauen noch fremder, weil diese sie weniger beschäftigten. Sie hatte nie eine Freundin gehabt und empfand in dieser Hinsicht auch keinerlei Mangel. Sie sah in allen Frauen, einschließlich ihrer beiden Schwestern, natürliche Feindinnen bei der Jagd nach der gleichen Beute – dem Mann.

Alle Frauen mit Ausnahme ihrer Mutter.

Ellen O’Hara war anders, und Scarlett betrachtete sie als etwas Heiliges, vom Rest der Menschheit Unterschiedenes. Als Kind hatte Scarlett ihre Mutter mit der Jungfrau Maria verwechselt, und jetzt, da sie älter war, sah sie keinen Grund, ihre Meinung zu ändern. Für sie verkörperte Ellen die vollkommene Sicherheit und Geborgenheit, die nur der Himmel oder eine Mutter schenken kann. Sie wusste, ihre Mutter war das Inbild von Gerechtigkeit, Wahrheit, zärtlicher Liebe und tiefer Weisheit – eine große Dame.

Scarlett wollte liebend gern so sein wie ihre Mutter. Die Schwierigkeit dabei war nur, dass einem, wenn man gerecht und ehrlich und liebevoll und selbstlos war, die meisten Freuden des Lebens entgingen – und mit Sicherheit jede Menge Verehrer. Und das Leben war zu kurz, um sich solch angenehme Dinge entgehen zu lassen. Eines Tages, wenn sie mit Ashley verheiratet und alt wäre, eines Tages, wenn sie Zeit dazu hätte, wollte sie wie Ellen sein. Aber bis dahin …

Vom Wind verweht

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