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KAPITEL 13

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Angestachelt von Mrs. Merriwether wurde Dr. Meade aktiv und schickte einen Leserbrief an die Zeitung, in dem er Rhett zwar nicht namentlich erwähnte, aber deutlich durchblicken ließ, wen er meinte. Der Herausgeber erkannte die gesellschaftspolitische Sprengkraft des Briefs und setzte ihn auf die zweite Seite der Zeitung, was eine enorme Neuerung darstellte, da die ersten beiden Seiten sonst ausschließlich Annoncen für Sklaven, Maultiere, Pflüge, Särge, Häuser zum Kaufen oder Mieten, Heilmittel für Geschlechtskrankheiten, Abtreibungs- und Potenzmittel vorbehalten waren.

Der Brief des Arztes richtete sich gegen Spekulanten, es war der erste eines ganzen Chors der Empörung gegen Kriegsgewinnler und Armeelieferanten, der sich allmählich im ganzen Süden erhob. Nachdem der Hafen von Charleston von den Kriegsschiffen der Yankees so gut wie abgeriegelt war, hatten die Zustände in Wilmington, dem Haupthafen der Blockadebrecher, das Ausmaß eines veritablen Skandals erreicht. Wilmington wimmelte nur so vor Spekulanten, die über flüssige Geldmittel verfügten und ganze Bootsladungen aufkauften, um sie dann zurückzuhalten, bis die Preise stiegen. Die Preissteigerung ließ nicht lange auf sich warten, denn bei der zunehmenden Verknappung lebensnotwendiger Güter stiegen die Preise Monat für Monat. Die Zivilbevölkerung musste sich entweder einschränken oder zum Preis der Spekulanten kaufen, so dass Arme und Menschen in bescheidenen Umständen zunehmend zu leiden hatten. Aufgrund der Teuerung sank der Wert der Konföderationswährung, und wegen ihres raschen Verfalls erhob sich eine ungezügelte Leidenschaft für Luxusgüter. Die Aufgabe der Blockadebrecher war es eigentlich, lebensnotwendige Güter zu besorgen, und es war ihnen nur nebenher gestattet, auch mit Luxuswaren zu handeln, doch inzwischen waren ihre Schiffe mit teuren Luxusartikeln gefüllt statt mit den Dingen, die die Konföderation dringend brauchte. Die Menschen stürzten sich mit dem Geld, das sie heute besaßen, auf die Luxusartikel, denn sie fürchteten, morgen würden die Preise noch erheblich höher und das Geld weniger wert sein.

Zu allem Übel gab es nur eine einzige Eisenbahnlinie von Wilmington nach Richmond, und während Tausende von Mehlfässern und Kisten mit Speck mangels Transportmöglichkeiten auf den Zwischenstationen vergammelten, hatten Spekulanten, die Wein, Taft und Kaffee verkaufen wollten, anscheinend keine Probleme, ihre Waren zwei Tage nach deren Ankunft in Wilmington nach Richmond zu transportieren.

Ein zunächst hinter vorgehaltener Hand verbreitetes Gerücht wurde mittlerweile offen ausgesprochen: Rhett Butler war nicht nur mit seinen eigenen vier Schiffen im Geschäft und verkaufte deren Ladung zu unerhörten Preisen, sondern er kaufte auch die Ladungen anderer Schiffe auf und hielt sie zurück, um Preissteigerungen abzuwarten. Es hieß, er sei der Chef eines Kartells, das über mehr als eine Million Dollar verfügte und seinen Sitz in Wilmington hatte, um Blockadegüter gleich am Kai aufkaufen zu können. Sie hatten Dutzende von Lagerhäusern in der Stadt und in Richmond, so hieß es, und die Lagerhäuser barsten von Lebensmitteln und Kleidung, die zurückgehalten wurden, um die Preise in die Höhe zu treiben. Soldaten wie Zivilisten spürten bereits die Not und beschwerten sich bitterlich über Rhett und seine Mitspekulanten.

»Es gibt viele tapfere und patriotische Männer unter den Blockadebrechern der konföderierten Flotte«, schrieb der Arzt am Ende seines Briefes, »selbstlose Männer, die ihr Leben und all ihren Besitz riskieren, damit die Konföderation überleben kann. Sie haben einen Platz im Herzen aller loyalen Südstaatler, und niemand missgönnt ihnen den knappen Gewinn, den sie für ihr Risiko einnehmen. Das sind selbstlose Gentlemen, und wir ehren sie. Von ihnen spreche ich hier nicht.

Aber es gibt andere, Schurken, die unter der Maske des Blockadebrechers für ihren eigenen, egoistischen Gewinn arbeiten, und auf diese Geier in Menschengestalt rufe ich den gerechten Zorn und die Rache eines Volkes herab, das für die gerechteste Sache kämpft, denn sie bringen Satin und Spitze, während unsere Männer aus Mangel an Chinin sterben, sie beladen ihre Schiffe mit Tee und Wein, während unsere Helden sich aus Mangel an Morphium quälen. Ich verabscheue diese Vampire, die den Männern, die Robert Lee nachfolgen, das Lebensblut aussaugen – diese Leute, die schon das Wort Blockadebrecher zu einem Gestank in den Nasen aller Patrioten machen. Wie können wir diese Aasfresser mit ihren Lackstiefeln in unserer Mitte dulden, wenn unsere Jungs barfuß in die Schlacht ziehen? Wie können wir sie mit ihrem Champagner und ihrem Paté de Strasbourg ertragen, wenn unsere Soldaten am Lagerfeuer frieren und an verschimmeltem Speck nagen? Ich rufe alle loyalen Konföderierten auf, sie aus der Gemeinschaft auszustoßen.«

Die Bürger Atlantas lasen und erkannten, dass das Orakel gesprochen hatte, und als loyale Konföderierte beeilten sie sich, Rhett zu verstoßen.

Unter allen Häusern, in denen er im Herbst 1862 verkehrt hatte, war Miss Pittypats Haus beinahe das einzige, das er 1863 noch betreten konnte. Und ohne Melanie wäre er wahrscheinlich auch dort nicht empfangen worden. Tante Pitty war jedes Mal, wenn er in der Stadt war, völlig aus dem Häuschen. Sie wusste nur zu gut, was ihre Freundinnen sagten, wenn er bei ihr Besuche abstattete, aber sie brachte nicht den Mut auf, ihm zu sagen, dass er nicht mehr willkommen sei. Immer, wenn sie von seiner Ankunft in Atlanta hörte, presste sie ihren dicken Mund zusammen und erklärte den Mädchen, sie würde sich ihm an der Tür in den Weg stellen und ihm den Eintritt verwehren. Doch wenn er dann kam, ein Päckchen in der Hand und ein Kompliment für ihren Charme und ihre Schönheit auf den Lippen, gab sie jedes Mal klein bei.

»Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll«, jammerte sie dann. »Er schaut mich bloß an und ich – ich habe Todesangst, was er tun könnte, wenn ich es ihm sage. Er hat so einen schlechten Ruf. Meint ihr, er würde mich schlagen oder, oder … Ach Gott, wenn nur Charlie noch am Leben wäre! Scarlett, du musst ihm sagen, er soll nicht mehr herkommen – sag es auf nette Weise. Ach herrje! Ich glaube, du ermunterst ihn noch, und die ganze Stadt redet schon, und wenn deine Mutter es herausbekommt, was wird sie dann sagen? Melly, du darfst nicht so freundlich zu ihm sein. Sei kühl und auf Abstand bedacht, das wird er verstehen. O Melly, meinst du, ich sollte vielleicht Henry ein paar Zeilen schreiben und ihn bitten, mit Captain Butler zu reden?«

»Nein«, sagte Melanie. »Und ich werde auch nicht unhöflich zu ihm sein. Ich finde, die Leute benehmen sich in Bezug auf Captain Butler wie aufgescheuchte Hühner. Ich bin sicher, dass er nicht so schlecht ist, wie Dr. Meade und Mrs. Merriwether ihn machen. Er wird doch Hungernden das Essen nicht verwehren. Er hat mir ja sogar hundert Dollar für die Waisen gegeben. Ich bin sicher, er ist genauso loyal und patriotisch wie wir alle, aber er ist einfach zu stolz, um sich zu verteidigen. Du weißt doch, wie stur Männer sind, wenn man sie zur Weißglut treibt.«

Tante Pitty hatte keine Ahnung von Männern, ob in Weißglut oder sonst wie, und sie konnte nur hilflos mit ihren dicken kleinen Händen wedeln. Scarlett ihrerseits hatte sich schon lange mit Melanies Neigung abgefunden, in allen Menschen das Gute zu sehen. Melanie war naiv, aber dagegen konnte man nichts machen.

Scarlett wusste, dass Rhett nicht patriotisch war, und – auch wenn sie lieber gestorben wäre, als es zuzugeben – es war ihr egal. Für sie waren die kleinen Geschenke, die er ihr aus Nassau mitbrachte, Kleinigkeiten, die eine Dame mit Anstand annehmen konnte, am wichtigsten. Wo in aller Welt hätte sie bei diesen Preisen Nadeln und Konfekt und Haarnadeln herbekommen sollen, wenn sie ihm das Haus verbot? Nein, es war einfacher, die Verantwortung Tante Pitty zuzuschieben, die schließlich Hausherrin, Anstandsdame und moralische Instanz war. Scarlett wusste, dass in der Stadt über Rhetts Besuche getratscht wurde, aber sie wusste ebenso, dass Melanie Wilkes in den Augen Atlantas nichts falsch machen konnte, und wenn Melanie Rhett verteidigte, dann hatten seine Besuche immer noch einen Hauch von Schicklichkeit.

Dennoch wäre das Leben angenehmer gewesen, wenn Rhett seine ketzerischen Äußerungen widerrufen hätte. Dann hätte sie nicht mit ansehen müssen, wie er offen geschnitten wurde, wenn sie mit ihm die Peachtree Street entlangging.

»Selbst wenn Sie so etwas denken, warum müssen Sie es denn sagen?« schalt sie. »Sie könnten doch einfach denken, was Sie wollen, aber den Mund halten, dann wäre alles so viel netter.«

»Das ist Ihr System, stimmt’s, meine grünäugige Heuchlerin? Scarlett, Scarlett! Ich hatte mir mehr Mut von Ihnen erwartet. Ich dachte, die Iren sagen, was sie denken, ohne Rücksicht auf Verluste. Sagen Sie mal ehrlich: Könnten Sie nicht manchmal platzen, wenn Sie immer den Mund halten müssen?«

»Naja, schon«, gestand Scarlett zögernd. »Es langweilt mich fürchterlich, wenn die Leute morgens, mittags und abends von der Guten Sache reden. Aber lieber Himmel, Rhett Butler, wenn ich das zugeben würde, dann würde niemand mehr mit mir reden, und keiner der Jungs würde mit mir tanzen.«

»Ach ja, und es muss um jeden Preis getanzt werden. Tja, ich bewundere ihre Selbstbeherrschung, aber ich für meinen Teil bin dazu nicht in der Lage. Und ich kann auch nicht die Maske des romantischen Patrioten tragen, so bequem das auch wäre. Es gibt genug dumme Patrioten, die jeden Cent, den sie besitzen, in der Blockade riskieren, und die aus diesem Krieg als Armenhäusler hervorgehen werden. Ich brauche mich ihnen nicht anzuschließen, weder um das Ansehen des Patriotismus zu mehren, noch um die Zahl der Armenhäusler zu erhöhen. Sollen sie doch ihre Heiligenscheine haben. Sie verdienen sie – das meine ich ausnahmsweise einmal ehrlich –, und außerdem werden sie in etwa einem Jahr kaum etwas anderes haben als ihren Heiligenschein.«

»Ich finde es wirklich hässlich von Ihnen, so etwas auch nur anzudeuten, wo Sie doch sehr wohl wissen, dass es gar nicht mehr lange dauert, bis England und Frankreich auf unserer Seite in den Krieg eintreten und …«

»Aber Scarlett! Sie haben ja Zeitung gelesen! Ich muss mich wirklich wundern. Tun Sie das nicht wieder. Das macht die Frauen nur konfus. Zu Ihrer Information, ich war vor kaum einem Monat in England, und ich will Ihnen mal was sagen: England wird niemals der Konföderation beistehen. England setzt nie auf den Verlierer. Deshalb ist es ja England. Außerdem ist die dicke Deutsche, die da auf dem Thron sitzt, eine gottesfürchtige Seele und billigt die Sklaverei nicht. Lass die englischen Textilarbeiter ruhig verhungern, weil sie keine Baumwolle von uns bekommen können, aber brich niemals eine Lanze für die Sklaverei. Und was Frankreich angeht, so ist diese schwache Imitation von Napoleon viel zu sehr mit der Eroberung Mexikos beschäftigt, als dass er sich mit uns abgeben wollte. Er begrüßt diesen Krieg sogar, weil der uns davon abhält, seine Truppen aus Mexiko zu vertreiben … Nein, Scarlett, die Idee der Hilfe aus dem Ausland ist bloß eine Zeitungsente, um die Kampfmoral der Südstaaten hochzuhalten. Die Konföderation ist dem Untergang geweiht. Jetzt zehrt sie noch wie ein Kamel von ihrem Höcker, aber selbst die größten Höcker sind nicht unerschöpflich. Ich rechne mit vielleicht sechs weiteren Monaten Blockadebrecherei, dann ist Schluss. Es wird dann einfach zu riskant. Ich werde meine Schiffe irgendeinem dämlichen Engländer verkaufen, der glaubt, er kann sie durchschmuggeln. Aber so oder so macht mir das nichts aus. Ich habe genug Geld verdient, und es ist in englischen Banken und in Gold angelegt. Dieses wertlose Papier ist nichts für mich.«

Wie immer erschien ihr, was er sagte, sehr plausibel. Andere Leute hätten seine Äußerungen vielleicht als Hochverrat bezeichnet, aber für Scarlett klangen sie schlicht vernünftig und wahr. Freilich wusste sie, dass das vollkommen unmoralisch war, dass sie schockiert und wütend hätte reagieren müssen. Eigentlich war sie weder das eine noch das andere, aber sie konnte so tun als ob. Dadurch fühlte sie sich respektabler und damenhafter.

»Ich finde, was Dr. Meade über Sie geschrieben hat, war richtig, Captain Butler. Sie können das nur wiedergutmachen, wenn Sie sich freiwillig melden, sobald Sie Ihre Schiffe verkauft haben. Sie sind doch ein West Pointer und …«

»Sie klingen wie ein Baptistenprediger, der eine Rekrutierungsrede hält. Nehmen wir mal an, ich will gar nichts wiedergutmachen? Warum sollte ich kämpfen, um das System zu stützen, das mich ausgestoßen hat? Ich werde mit Freuden zusehen, wie es zerschlagen wird.«

»Ich habe noch nie etwas von einem System gehört«, gab sie zurück.

»Nein? Und doch gehören Sie ihm an, so wie ich früher, und ich wette, Sie mögen es genauso wenig wie ich. Warum bin ich denn das schwarze Schaf der Familie Butler? Aus keinem anderen Grund, als dass ich nicht zu Charleston gepasst habe und mich auch nicht anpassen konnte. Und Charleston ist der Süden, nur in Potenz. Ist Ihnen überhaupt klar, wie langweilig er ist? So viele Dinge, die man tun muss, weil sie schon immer getan wurden. So viele völlig harmlose Dinge, die man aus demselben Grund nicht tun darf. So viele Dinge, deren Sinnlosigkeit mich geärgert hat. Dass ich die junge Dame, von der Sie wahrscheinlich schon gehört haben, nicht geheiratet habe, war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Warum hätte ich eine langweilige Ziege heiraten sollen, nur weil ein Unfall mich daran hinderte, sie vor dem Dunkelwerden nach Hause zu bringen? Und warum hätte ich mich von ihrem tobenden Bruder erschießen lassen sollen, obwohl ich besser schießen konnte? Natürlich, als Gentleman hätte ich mich von ihm töten lassen, um das Familienwappen der Butlers wieder reinzuwaschen. Aber ich lebe nun mal gerne. Also habe ich gelebt und eine Menge Spaß dabei gehabt … Wenn ich an meinen Bruder denke, der unter den heiligen Kühen Charlestons lebt und ihnen große Ehrerbietung entgegenbringt, und an seine spießige Frau und seine Cäcilienbälle und seine ewigen Reisfelder – dann wird mir der Lohn für den Bruch mit dem System erst richtig klar. Unser Südstaaten-Lebensstil ist so antiquiert wie das mittelalterliche Feudalsystem, Scarlett. Es ist ein Wunder, dass er sich überhaupt so lange gehalten hat. Er musste verschwinden, und jetzt verschwindet er. Und dennoch erwarten Sie, dass ich Schwätzern wie Dr. Meade zuhöre, die mir erzählen, unsere Sache sei gut und heilig? Und dass die Trommelwirbel mich so erregen, dass ich eine Muskete ergreife und nach Virginia ziehe, um mein Blut für Marse Robert zu vergießen? Für was für einen Dummkopf halten Sie mich? Den Knüppel zu küssen, der mich schlägt, ist meine Sache nicht. Der Süden und ich sind jetzt quitt. Der Süden hat mich einst auf die Straße gesetzt, damit ich verhungere. Ich bin nicht verhungert, und ich verdiene so viel Geld mit dem Todeskampf der Südstaaten, dass ich für mein verlorenes Geburtsrecht entschädigt bin.«

»Ich finde Sie schändlich und geldgierig«, sagte Scarlett, aber diese Bemerkung rutschte ihr mehr oder weniger automatisch heraus. Das meiste, was er sagte, ging über ihren Horizont, wie jedes Gespräch, das sich nicht um Persönliches drehte. Aber zum Teil ergab es Sinn. Das Leben unter gesellschaftlich anerkannten Leuten brachte so viele sinnlose Dinge mit sich. So zu tun, als wäre ihr Herz im Grab, wo es gar nicht stimmte. Und wie entsetzt alle gewesen waren, als sie auf dem Basar getanzt hatte. Und wie missbilligend die Leute die Augenbrauen hochzogen, wenn sie etwas sagte oder tat, das sich nur geringfügig von dem unterschied, was alle anderen jungen Frauen sagten oder taten. Dennoch wollte es ihr nicht gefallen, dass er genau die Traditionen angriff, die sie selbst am meisten ärgerten. Sie hatte zu lange unter Menschen gelebt, die sich aus Höflichkeit verstellten, um nicht darüber verstört zu sein, ihre eigenen Gedanken ausgesprochen zu hören.

»Geldgierig? Nein, ich bin bloß weitsichtig. Obwohl das vielleicht ein Synonym für geldgierig ist. Zumindest werden Leute, die nicht so weitsichtig waren wie ich, es so nennen. Jeder loyale Konföderierte, der 1861 tausend Dollar in bar besaß, hätte dasselbe tun können wie ich, aber wie wenige waren geldgierig genug, um ihre Möglichkeiten zu nutzen! Zum Beispiel habe ich direkt nach dem Fall von Fort Sumter, noch bevor die Blockade eingerichtet wurde, mehrere Tausend Ballen Baumwolle für einen Spottpreis gekauft und nach England verschifft. Sie liegen immer noch in einem Lagerhaus in Liverpool. Ich habe sie nicht verkauft. Ich halte sie zurück, bis die englischen Textilfabriken dringend Baumwolle brauchen und mir jeden Preis zahlen. Es sollte mich nicht wundern, wenn ich einen Dollar pro Pfund bekäme.«

»Sie kriegen einen Dollar pro Pfund, wenn die Elefanten in Bäumen nisten!«

»Ich glaube, das kriege ich. Die Baumwolle steht schon bei zweiundsiebzig Cent das Pfund. Ich werde ein reicher Mann sein, wenn dieser Krieg vorbei ist, Scarlett, weil ich weitsichtig war – pardon, geldgierig. Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, dass es zwei Zeitpunkte gibt, um richtig viel Geld zu verdienen, einer ist beim Aufbau eines Landes und einer bei seiner Zerstörung. Langsames Geld beim Aufbau, schnelles Geld beim Zusammenbruch. Merken Sie sich das. Vielleicht kann es Ihnen eines Tages einmal nützlich sein.«

»Ich schätze gute Ratschläge über die Maßen«, sagte Scarlett so sarkastisch wie möglich. »Aber Ihre Ratschläge brauche ich nicht. Glauben Sie, mein Pa ist ein Armenhäusler? Er hat alles Geld, das ich je brauchen werde, und dann habe ich ja auch noch das Erbe von Charles.«

»Ich könnte mir vorstellen, dass die französischen Aristokraten genau dasselbe gedacht haben – bis zu dem Augenblick, als sie den Schinderkarren besteigen mussten.«

Häufig machte Rhett Scarlett darauf aufmerksam, wie widersinnig es war, dass sie schwarze Trauerkleidung trug und zugleich an allen gesellschaftlichen Aktivitäten teilnahm. Er mochte leuchtende Farben, und Scarletts Begräbniskleider und der Kreppschleier, der von ihrer Haube bis zu den Fersen reichte, erschienen ihm lächerlich und beleidigend. Aber sie klammerte sich an ihre glanzlosen schwarzen Kleider und den Schleier, denn sie wusste, wenn sie sie vor Ablauf einiger Jahre gegen Buntes austauschte, würde man sich in der Stadt noch mehr den Mund zerreißen als so schon. Und außerdem, wie sollte sie das je ihrer Mutter erklären?

Rhett sagte ihr ins Gesicht, der Kreppschleier verleihe ihr das Aussehen einer Krähe, und die schwarzen Kleider machten sie um zehn Jahre älter. Diese ungalante Behauptung trieb sie sofort vor den Spiegel, um nachzusehen, ob sie wirklich wie achtundzwanzig statt wie achtzehn aussah.

»Ich hätte gedacht, Sie wären zu stolz, um Mrs. Merriwethers Aussehen nachzuahmen«, neckte er sie. »Und Sie hätten mehr Geschmack, als mit diesem Schleier einen Kummer zur Schau zu stellen, den sie mit Sicherheit nie empfunden haben. Ich schlage Ihnen eine Wette vor. Ich werde binnen zweier Monate diese Haube und diesen Schleier auf ihrem Kopf gegen eine Pariser Kreation austauschen.«

»Auf keinen Fall, wir wollen über dieses Thema nicht mehr sprechen«, sagte Scarlett, die sich über seine Anspielung auf Charles ärgerte. Rhett war im Begriff, nach Wilmington zu fahren, um wieder einmal ins Ausland zu reisen, und verließ sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

An einem strahlenden Sommermorgen, einige Wochen später, sprach er mit einer farbig bedruckten Hutschachtel in der Hand vor, und als er hörte, dass Scarlett allein zu Hause war, öffnete er sie. Sie enthielt, eingewickelt in mehrere dünne Stoffschichten, eine Haube, die ihr beim Herausnehmen den Ausruf entlockte: »Oh, wie süß!« Ausgehungert, wie sie war, nach dem Anblick oder gar der Berührung neuer Kleider, erschien sie ihr als die entzückendste Haube, die sie je gesehen hatte. Sie war aus dunkelgrünem Taft, gefüttert mit Moiréseide in hellem Jadeton. Die Bänder, mit denen man sie unter dem Kinn befestigen konnte, waren so breit wie ihre Hand, und auch sie waren blassgrün. Und um die Krempe dieser Kreation ringelte sich die flotteste aller grünen Straußenfedern.

»Setzen Sie sie auf!« sagte Rhett lächelnd.

Sie eilte quer durchs Zimmer zum Spiegel und stülpte sich die Haube auf den Kopf, strich sich die Haare zurück, um ihre Ohrringe zum Vorschein zu bringen, und band die Bänder unter dem Kinn fest.

»Wie sehe ich aus?« rief sie, drehte sich um die eigene Achse und warf den Kopf hin und her, so dass die Feder tanzte. Aber sie wusste schon, dass sie hübsch ausschaute, noch ehe sie die Bestätigung in seinen Augen sah. Sie sah entzückend kess aus, und das Grün des Futters ließ ihre Augen wie Smaragde blitzen.

»O Rhett, wem gehört die Haube? Ich kaufe sie. Ich gebe Ihnen jeden Cent dafür, den ich besitze.«

»Sie gehört Ihnen«, sagte er. »Wer sonst kann dieses Grün tragen? Finden Sie nicht, dass ich Ihre Augenfarbe gut im Gedächtnis behalten habe?«

»Haben Sie sie wirklich extra für mich besetzen lassen?«

»Ja, und auf der Schachtel steht ›Rue de la Paix‹, falls Ihnen das etwas sagt.«

Das sagte ihr nichts, sie lächelte nur ihr Spiegelbild an. In diesem Augenblick war ihr alles egal, außer dass sie einfach reizend aussah in der ersten hübschen Haube, die sie seit zwei Jahren aufgesetzt hatte. Was sie in dieser Haube alles anstellen konnte! Und dann verblasste ihr Lächeln.

»Gefällt sie Ihnen nicht?«

»Oh, sie ist ein Traum, aber – ach, wie schrecklich, dass ich das schöne Grün mit Krepp abdecken und die Feder schwarz färben muss.«

Im Nu war er neben ihr und löste mit geschickten Fingern die breite Schleife unter ihrem Kinn. Und schon war die Haube zurück in der Schachtel.

»Was machen Sie da? Sie haben gesagt, sie gehört mir.«

»Aber nicht, um zu einer Trauerhaube umgearbeitet zu werden. Ich suche mir eine andere reizvolle Dame mit grünen Augen, die meinen Geschmack zu würdigen weiß.«

»O nein! Ich sterbe, wenn ich sie nicht bekomme. Oh, bitte, Rhett, seien Sie nicht so gemein! Geben Sie sie mir.«

»Um sie in so ein Schreckensding zu verwandeln wie Ihre anderen Hauben? Nein.«

Sie klammerte sich an die Schachtel. Dieses süße Teil, in dem sie so jung und zauberhaft aussah, sollte ein anderes Mädchen bekommen? Niemals! Einen Augenblick lang dachte sie an Pittys und Melanies Entsetzen. Und wenn sie sich vorstellte, was Ellen sagen würde, fröstelte es sie. Aber ihre Gefallsucht trug den Sieg davon.

»Ich werde sie nicht ändern, das verspreche ich. Jetzt geben Sie sie mir zurück!«

Er reichte ihr die Schachtel mit einem leicht ironischen Lächeln und sah ihr zu, wie sie die Haube wieder aufsetzte und sich zurechtmachte.

»Was kostet sie?« fragte sie plötzlich, und ihr Gesicht wurde ernst. »Ich habe nur fünfzig Dollar, aber nächsten Monat …«

»In Konföderationswährung würde sie etwa zweitausend Dollar kosten«, sagte er grinsend, weil sie eine so erschrockene Miene machte.

»Du lieber Himmel – na, wenn ich Ihnen vielleicht jetzt die fünfzig gebe, und dann kriege ich ja …«

»Ich will kein Geld dafür«, sagte er. »Das ist ein Geschenk.«

Scarlett blieb der Mund offen stehen. Es gab eine strenge, sorgfältig gezogene Grenze, was Geschenke von Männern anging.

»Süßigkeiten und Blumen, mein Schatz«, war Ellen nicht müde geworden zu betonen, »und vielleicht ein Buch mit Gedichten oder ein Album oder ein Fläschchen Florida-Wasser sind die einzigen Dinge, die eine Dame von einem Gentleman annehmen darf. Niemals, wirklich niemals ein teures Geschenk, nicht einmal von deinem Verlobten. Und nie Schmuck oder Kleidung, nicht einmal Handschuhe oder Taschentücher. Wenn du je so etwas als Geschenk annimmst, dann wissen die Männer, dass du keine Dame bist, und nehmen sich Freiheiten heraus.«

»Du liebes bisschen«, dachte Scarlett und warf erst einen Blick auf ihr Spiegelbild und dann auf Rhetts undurchdringliches Gesicht. »Ich bringe es nicht fertig, ihm zu sagen, dass ich sie nicht annehme. Sie ist zu schön. Mir – mir wäre es fast lieber, er nähme sich eine Freiheit heraus, wenn es eine ganz kleine ist.« Dann erschrak sie über sich selbst, weil sie solch einen Gedanken zugelassen hatte, und sie wurde rot.

»Ich, ich gebe Ihnen die fünfzig Dollar …«

»Dann werfe ich sie in die Gosse. Oder besser, ich kaufe Messen für Ihr Seelenheil. Ihre Seele könnte sicher ein paar Messen vertragen.«

Sie lachte wider Willen, und das lachende Spiegelbild unter der grünen Krempe überzeugte sie auf der Stelle.

»Was haben Sie mit mir vor?«

»Ich führe Sie mit schönen Geschenken in Versuchung, bis Ihre kindischen Ideale sich abgenutzt haben und Sie mir ausgeliefert sind«, sagte er. »›Nimm von Gentlemen nichts an außer Süßigkeiten und Blumen‹«, flötete er, und sie musste kichern.

»Sie sind ein durchtriebener Schuft mit einem rabenschwarzen Herzen, Rhett Butler, und Sie wissen genau, dass diese Haube zu hübsch ist, um sie abzulehnen.«

Seine Augen sprühten vor leisem Spott und gleichzeitig vor Bewunderung für ihre Schönheit.

»Natürlich können Sie Miss Pitty sagen, dass Sie mir eine Probe Taft und grüne Seide gegeben und mir die Haube aufgemalt haben und dass ich Ihnen dafür fünfzig Dollar abgepresst habe.«

»Nein, ich sage hundert Dollar, und sie erzählt es allen in der Stadt, und alle werden grün vor Neid und tratschen über meine Verschwendungssucht. Aber, Rhett, Sie dürfen mir nicht noch einmal etwas so Teures mitbringen. Das ist furchtbar nett von Ihnen, aber ich kann so etwas wirklich nicht noch einmal annehmen.«

»Tatsächlich? Tja, ich werde Ihnen Geschenke bringen, solange ich Lust dazu habe und solange ich Dinge sehe, die Ihre Reize zur Geltung bringen. Ich werde Ihnen dunkelgrüne Moiréseide mitbringen für ein Kleid, das zu der Haube passt. Und ich warne Sie, ich bin kein guter Mensch. Ich führe Sie mit Hauben und Armreifen in Versuchung und locke Sie in eine Falle. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich nie etwas ohne Grund tue und nie etwas verschenke, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Ich lasse mich immer bezahlen.«

Seine schwarzen Augen suchten in ihrem Gesicht und wanderten zu ihren Lippen. Scarlett senkte den Blick, erfüllt von Erregung. Jetzt würde er versuchen, sich Freiheiten herauszunehmen, wie Ellen vorausgesagt hatte. Er würde sie küssen oder es versuchen, und sie konnte sich in ihrer Verwirrung nicht recht entscheiden, welches von beidem es werden sollte. Wenn sie sich weigerte, würde er ihr vielleicht die Haube vom Kopf reißen und sie irgendeinem anderen Mädchen geben. Wenn sie ihm andererseits ein keusches Küsschen gestattete, dann würde er ihr vielleicht weitere schöne Geschenke bringen in der Hoffnung, noch einen Kuss zu bekommen. Männern lag so viel an Küssen, wusste der Himmel warum. Und ganz oft verliebten sie sich nach einem Kuss Hals über Kopf in das betreffende Mädchen und führten die lächerlichsten Kapriolen auf, vorausgesetzt, das Mädchen war schlau und zierte sich nach dem ersten Mal. Es wäre so aufregend, wenn Rhett Butler in sie verliebt wäre und es ihr gestehen und um einen Kuss oder ein Lächeln betteln würde. Ja, sie würde ihm erlauben, sie zu küssen.

Aber er machte keine Anstalten, sie zu küssen. Sie warf ihm unter ihren Wimpern einen Blick von der Seite zu und murmelte aufmunternd:

»Sie lassen sich also immer bezahlen? Und was erwarten Sie sich von mir?«

»Das werden wir sehen.«

»Also, wenn Sie glauben, ich heirate Sie für die Haube, dann täuschen Sie sich«, sagte sie herausfordernd und warf kess den Kopf zurück, so dass die Feder wippte.

Seine weißen Zähne leuchteten unter seinem schmalen Schnurrbart.

»Madam, da überschätzen Sie sich. Ich will weder Sie noch sonst jemanden heiraten. Ich bin kein Mann fürs Heiraten.«

»Wirklich?« rief sie, überrascht und nun völlig überzeugt, dass er sich eine Freiheit herausnehmen würde. »Ich habe nicht einmal vor, Sie zu küssen.«

»Warum spitzen Sie dann so albern die Lippen?«

»Oh!« rief sie erschrocken, als sie einen Blick auf sich selbst erhaschte und sah, dass ihre roten Lippen tatsächlich kussbereit wirkten. »Oh!« rief sie noch einmal und stampfte mit dem Fuß auf. »Sie sind der grässlichste Mann, der mir je begegnet ist, und es macht mir gar nichts, wenn ich Sie nie wieder sehe!«

»Wenn das wirklich Ihre Meinung wäre, dann würden sie auf der Haube herumtrampeln. Meine Güte, was für ein Wutanfall, und der steht Ihnen sehr gut, wie Sie wahrscheinlich wissen. Kommen Sie, Scarlett, trampeln Sie auf der Haube herum und zeigen Sie mir, was Sie von mir und meinen Geschenken halten.«

»Wagen Sie nicht, diese Haube anzurühren«, sagte sie, während sie langsam rückwärts ging und die Schleife festhielt. Er folgte ihr, lachte leise und nahm ihre Hände in die seinen.

»Ach, Scarlett, Sie sind so jung, es ist einfach herzzerreißend«, sagte er. »Und ich werde Sie küssen, da Sie es anscheinend erwarten.« Er beugte sich ungeniert hinunter und ließ seinen Schnurrbart zart ihre Wange streifen. »Haben Sie jetzt das Gefühl, dass Sie mir eine Ohrfeige geben müssen, um den Anstand zu wahren?«

Mit rebellischen Lippen blickte sie zu ihm auf und traf in den dunklen Tiefen seiner Augen auf so viel Heiterkeit, dass sie in Lachen ausbrach. Was war er doch für ein Spötter, er brachte sie einfach auf die Palme. Wenn er sie nicht heiraten und sie nicht einmal küssen wollte, was wollte er denn dann? Wenn er nicht verliebt in sie war, warum kam er dann so oft zu Besuch und brachte ihr Geschenke mit?

»Das ist schon besser«, sagte er. »Scarlett, ich bin ein schlechter Einfluss für Sie, und wenn Sie Ihren Verstand beieinanderhaben, dann werfen Sie mich hinaus – wenn Sie können. Es ist sehr schwer, mich loszuwerden. Aber ich bin schlecht für Sie.«

»Finden Sie?«

»Merken Sie das nicht? Seit wir uns auf dem Basar getroffen haben, hat Ihr Weg eine höchst anstößige Richtung genommen, und daran bin hauptsächlich ich schuld. Wer hat Sie zum Tanzen ermutigt? Wer hat Sie gezwungen zuzugeben, dass Sie unsere ruhmreiche Sache weder ruhmreich noch heilig finden? Wer hat Ihnen das Geständnis entlockt, dass in Ihren Augen Männer nur aus Dummheit für hochtönende Prinzipien sterben? Wer hat Sie dabei unterstützt, den alten Damen jede Menge Stoff für Klatsch zu liefern? Wer holt Sie mehrere Jahre zu früh aus der Trauerkleidung? Und wer hat all dem noch die Krone aufgesetzt, indem er Sie verlockt, ein Geschenk anzunehmen, das keine Dame annehmen kann, wenn sie eine Dame bleiben will?«

»Sie überschätzen sich, Captain Butler. Ich habe nichts derart Skandalöses gemacht, und ich hätte alles, was Sie aufgezählt haben, auch ohne Ihre Hilfe getan.«

»Das bezweifle ich«, sagte er, und sein Gesicht war plötzlich still und ernst. »Sie wären immer noch die untröstliche Witwe von Charles Hamilton und berühmt für Ihre guten Taten unter den Verwundeten. Irgendwann, allerdings …«

Aber sie hörte gar nicht zu, denn sie betrachtete sich wieder wohlgefällig im Spiegel und überlegte, dass sie noch diesen Nachmittag die Haube im Lazarett tragen und den genesenden Offizieren Blumen bringen würde.

Dass seine letzten Worte zutrafen, kam ihr nicht in den Sinn. Sie erkannte nicht, dass Rhett das Gefängnis ihrer Witwenschaft aufgebrochen und sie befreit hatte, so dass sie unverheiratete Mädchen ausstechen konnte, während ihre Tage als Ballschönheit lange hätten vorbei sein müssen. Auch erkannte sie nicht, dass sie sich weit von Ellens Lehren entfernt hatte. Die Veränderung war so schleichend vor sich gegangen, die Missachtung einer kleinen Konvention schien keine Verbindung mit der Missachtung der nächsten zu haben und beide keine zu Rhett. Sie erkannte nicht, dass sie mit seiner Ermunterung viele der Anstandsgebote ihrer Mutter ignoriert und die anstrengenden Lektionen der Damenhaftigkeit vergessen hatte.

Sie sah nur, dass ihr noch nie eine Haube so gut gestanden hatte wie diese, dass sie keinen Penny kostete und dass Rhett in sie verliebt sein musste, ob er es zugab oder nicht. Und sie hatte fest vor, ihn dazu zu bringen, dass er es gestand.

Am nächsten Tag stand Scarlett vor dem Spiegel, einen Kamm in der Hand und den Mund voller Haarnadeln, und versuchte sich an einer Frisur, die nach Maybelles Aussage, die ihren Mann in Richmond besucht hatte, in der Hauptstadt der letzte Schrei war. Sie hieß Cats, Rats and Mice und war sehr kompliziert. Das Haar wurde in der Mitte gescheitelt und auf beiden Seiten in drei Rollen aufgesteckt. Die größte, die dem Scheitel am nächsten lag, war die »Katze«. Die »Katze« und die mittelgroße »Ratte« waren leicht festzustecken, aber die kleinen »Mäuse« rutschten zu Scarletts Verzweiflung immer wieder aus den Haarnadeln. Dennoch war sie entschlossen, die Frisur zustande zu bringen, denn Rhett war zum Abendessen eingeladen, und er sah immer sofort jede Neuerung an Kleidung oder Frisur und kommentierte sie.

Während sie, mit Schweißperlen auf der Stirn, ihre buschigen, widerspenstigen Locken zu bändigen versuchte, hörte sie in der Eingangshalle rasche leichte Schritte und wusste, dass Melanie vom Lazarett heimgekommen war. Dann hörte sie sie die Treppe hinaufhasten, immer zwei Stufen auf einmal, und hielt mit erhobenen Haarnadeln inne, denn sie spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Melanie bewegte sich sonst immer eher gemessen wie eine alte Dame. Scarlett riss die Tür auf, und Melanie stürzte herein, mit hochrotem, verstörtem Gesicht, wie ein schuldbewusstes Kind.

Auf ihren Wangen waren Tränen, ihre Haube hing an den Bändern um ihren Hals, und ihr Reifrock schwang heftig. Sie hielt etwas fest in der Hand, und mit ihr kam der Geruch nach einem schweren, billigen Parfum in den Raum.

»O Scarlett«, rief sie, schloss die Tür und sank auf das Bett. »Ist Tantchen schon zu Haus? Nein? Gott sei Dank! Scarlett, ich schäme mich so, ich könnte sterben! Ich bin fast in Ohnmacht gefallen und, Scarlett, Uncle Peter hat gedroht, es Tante Pitty zu erzählen!«

»Was denn?«

»Dass ich mit dieser, mit Miss, Mrs. …«, Melanie fächelte sich das heiße Gesicht mit ihrem Taschentuch. »Diese Frau mit den roten Haaren, die Belle Watling heißt.«

»Aber Melly!« rief Scarlett so schockiert, dass sie Melanie nur mit weit aufgerissenen Augen anstarren konnte.

Belle Watling war die rothaarige Frau, die sie am Tag ihrer Ankunft in Atlanta auf der Straße gesehen hatte und die inzwischen ohne Zweifel die verrufenste Frau in der ganzen Stadt war. Viele Prostituierte waren im Gefolge der Soldaten nach Atlanta gekommen, aber Belle hob sich mit ihrem flammend roten Haar und ihren übertrieben modischen Kleidern von den anderen ab. Sie ließ sich selten auf der Peachtree Street oder sonst in einer respektablen Gegend sehen, aber wenn sie doch einmal auftauchte, wechselten die anständigen Frauen sofort die Straßenseite, um ihr nicht zu nahe zu kommen. Aber Melanie hatte mit ihr geredet. Kein Wunder, dass Uncle Peter empört war.

»Ich sterbe, wenn Tante Pitty das erfährt! Du weißt, sie wird weinen und es allen Leuten in der Stadt erzählen, und dann bin ich geächtet«, schluchzte Melanie. »Und es war doch gar nicht meine Schuld! Ich – ich konnte doch nicht vor ihr wegrennen. Das wäre so unhöflich gewesen. Scarlett, sie – sie tat mir leid. Findest du mich verworfen, weil ich so empfunden habe?«

Aber Scarlett interessierte sich nicht für die moralische Seite der Angelegenheit. Wie die meisten unschuldigen und wohlerzogenen jungen Frauen war sie von Neugier zerfressen, was Prostituierte anging.

»Was wollte sie denn? Wie redet sie?«

»Oh, sie drückt sich furchtbar aus, aber ich habe gemerkt, dass sie sich größte Mühe gab, elegant zu wirken, das arme Ding. Ich kam aus dem Lazarett, und Uncle Peter war nicht mit dem Wagen da, deshalb dachte ich, ich gehe nach Hause. Und als ich an Emersons Garten vorbeikam, hatte sie sich dort hinter der Hecke versteckt! Oh, dem Himmel sei Dank, dass die Emersons in Macon sind! Und sie sagte: ›Bitte, Mrs. Wilkes, nehmen Sie sich eine Minute für mich.‹ Ich weiß nicht, woher sie meinen Namen kannte. Mir war klar, dass ich eigentlich hätte wegrennen müssen, so schnell ich konnte, aber – weißt du, Scarlett, sie sah so traurig aus und – naja, irgendwie flehend. Und sie trug ein schwarzes Kleid und eine schwarze Haube und war nicht geschminkt, und sie sah eigentlich ganz anständig aus, abgesehen von den roten Haaren. Und bevor ich antworten konnte, sagte sie: ›Ich weiß, dass ich Sie nicht ansprechen sollte, aber ich habe versucht, mit dieser alten Krampfhenne Mrs. Elsing zu sprechen, und die hat mich vom Lazarett vertrieben.‹«

»Hat sie sie wirklich Krampfhenne genannt?« fragte Scarlett und lachte.

»Bitte, nicht lachen. Es ist kein bisschen komisch. Anscheinend wollte Miss, also diese Frau, etwas für das Lazarett tun – kannst du dir das vorstellen? Sie hat angeboten, jeden Vormittag als Pflegerin zu arbeiten, und natürlich muss Mrs. Elsing bei dieser Idee beinahe tot umgefallen sein, und so hat sie sie weggeschickt. Und dann hat sie gesagt: ›Ich will auch was leisten. Bin ich nich ne Konföderierte so gut wie Sie?‹ Und Scarlett, es hat mich richtig gerührt, dass sie helfen wollte. Weißt du, sie kann nicht durch und durch schlecht sein, wenn sie der Guten Sache helfen will. Findest du es unmoralisch, dass ich so empfinde?«

»Himmel noch mal, Melly, das ist doch egal, ob du unmoralisch bist. Was hat sie noch gesagt?«

»Sie sagte, sie hätte die Damen beobachtet, die auf dem Weg zum Lazarett vorbeikamen, und sie meinte, ich hätte ein – ein freundliches Gesicht, und deswegen hat sie mich angesprochen. Sie hatte Geld bei sich und wollte, dass ich es nehme und für das Lazarett ausgebe und keiner Seele erzähle, woher es stammt. Sie sagte, Mrs. Elsing würde nicht erlauben, dass es gebraucht wird, wenn sie wüsste, was für eine Sorte Geld es ist. Was für eine Sorte Geld? Da dachte ich, ich falle in Ohnmacht! Ich war so durcheinander und wollte nur noch weg, dass ich bloß gesagt habe: ›Ja, wirklich, wie lieb von Ihnen‹ oder etwas ähnlich Idiotisches, und sie lächelte und sagte: ›Das ist aber echt christlich von Ihnen‹ und drückte mir dieses schmutzige Taschentuch in die Hand. Puh, riechst du das Parfum?«

Melanie hielt ein gebrauchtes, stark parfümiertes Herrentaschentuch hoch, in das ein paar Münzen eingeknotet waren.

»Sie sagte gerade Danke und dass sie mir jetzt jede Woche Geld bringen will, und genau in dem Moment kam Uncle Peter angefahren und hat mich gesehen!« Melly brach in Tränen aus und legte ihren Kopf aufs Kissen. »Und als er sah, wer neben mir stand, da – Scarlett, da brüllte er mich an! Niemand hat mich je in meinem ganzen Leben angebrüllt. Und er sagte: ›Du steigst sofort in die Kutsche ein!‹ Das habe ich natürlich getan, und auf dem ganzen Weg hat er mich beschimpft und mich nichts erklären lassen und gesagt, er erzählt es Tante Pitty. Scarlett, bitte geh hinunter und bitte ihn, es ihr nicht zu erzählen. Vielleicht hört er auf dich. Es würde Tantchen umbringen, wenn sie erfährt, dass ich jemals mit dieser Frau ein Wort gewechselt habe. Tust du das?«

»Ja, das tu ich. Aber lass doch mal sehen, wie viel Geld da drin ist. Es fühlt sich schwer an.«

Sie machte den Knoten auf, und eine Handvoll Goldmünzen kullerten aufs Bett.

»Scarlett, das sind fünfzig Dollar! Und in Gold!« rief Melanie, als sie die glänzenden Münzen gezählt hatte. »Sag mal, meinst du, es ist in Ordnung, diese Sorte – also Geld, das – hmm – so verdient wurde, für die Jungs zu verwenden? Meinst du nicht, Gott versteht vielleicht, dass sie helfen wollte, und es ist ihm egal, ob es besudelt ist? Wenn ich daran denke, wie viele Dinge das Lazarett braucht …«

Aber Scarlett hörte nicht zu. Sie betrachtete das schmutzige Taschentuch, und Beschämung und Wut stiegen in ihr auf. In einer Ecke war das Monogramm »R. K. B.« eingestickt. In ihrer obersten Kommodenschublade lag ein ebensolches Taschentuch, das Rhett Butler ihr erst gestern geliehen hatte, um die Stiele der wilden Blumen einzuwickeln, die sie zusammen gepflückt hatten. Sie wollte es ihm am Abend zurückgeben, wenn er zum Essen kam.

Also machte Rhett sich mit dieser widerlichen Watling-Kreatur gemein und gab ihr Geld. Daher kam die Spende für das Lazarett. Blockade-Gold. Zu denken, dass Rhett die Stirn hatte, einer anständigen Frau ins Gesicht zu sehen, nachdem er bei diesem Frauenzimmer gewesen war! Und zu denken, dass sie sich eingebildet hatte, er sei in sie verliebt! Hier war der Beweis, dass das nicht sein konnte.

Käufliche Frauen und alles, was damit zusammenhing, waren eine geheimnisvolle und abstoßende Vorstellung für sie. Sie wusste, dass Männer diese Frauen für Zwecke aufsuchten, die keine Dame erwähnen durfte, oder dann nur hinter vorgehaltener Hand und in unbestimmten Euphemismen. Sie hatte immer geglaubt, nur gewöhnliche, ordinäre Männer würden solche Frauen besuchen. Vor diesem Augenblick war es ihr nie in den Sinn gekommen, dass nette Männer – also Männer, die sie in anständigen Häusern traf und mit denen sie tanzte – jemals solche Dinge tun konnten. Das eröffnete ein völlig neues Gedankenfeld, das grauenerregend war. Vielleicht taten das alle Männer! Es war schlimm genug, dass sie ihre Frauen zwangen, solche ungehörigen Dinge zu tun, aber tatsächlich gefallene Frauen aufzusuchen und sie für solche Dienste zu bezahlen! Oh, die Männer waren alle so schlecht, und Rhett Butler war der schlimmste von allen!

Sie würde dieses Taschentuch nehmen und es ihm ins Gesicht schleudern und ihm die Tür weisen und nie, nie wieder mit ihm sprechen. Aber nein, natürlich konnte sie das nicht. Sie konnte ihn nie, nie wissen lassen, dass sie auch nur ahnte, dass solche Frauen existierten, und noch viel weniger, dass er sie besuchte. Eine Dame konnte das niemals tun.

Oh, dachte sie voller Ingrimm, wenn ich doch bloß keine Dame wäre, was würde ich diesem Schuft nicht alles ins Gesicht sagen!

Sie zerknüllte das Taschentuch in der Hand und ging die Küchentreppe hinunter auf der Suche nach Uncle Peter. Als sie am Herd vorbeikam, warf sie das Taschentuch in die Flammen und sah in ohnmächtiger Wut zu, wie es verbrannte.

Vom Wind verweht

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