Читать книгу Vom Wind verweht - Маргарет Митчелл - Страница 14

KAPITEL 6

Оглавление

Sie überquerten den Fluss, und die Kutsche fuhr den Hügel hinauf. Noch bevor Twelve Oaks in Sicht kam, sah Scarlett Rauchschleier über den Wipfeln der hohen Bäume hängen, und sie roch den Duft von brennenden Hickory-Scheiten und von gegrilltem Schweine- und Hammelfleisch.

Die Barbecue-Feuerstellen, die seit dem Vorabend langsam vor sich hin brannten, mussten nun lange Tröge voll rotglühender Holzkohle sein, über denen sich das Fleisch an Spießen drehte, und der Saft tropfte zischend auf die Glut. Scarlett wusste, dass der Geruch von der hohen Eichengruppe hinter dem großen Haus herüberwehte. John Wilkes veranstaltete seine Barbecues immer dort, auf der sanft zum Rosengarten hin abfallenden Wiese, einer angenehm schattigen Stelle, angenehmer jedenfalls als der Ort, den die Calverts benutzten. Mrs. Calvert mochte gegrilltes Essen nicht und erklärte, die Gerüche setzten sich tagelang im Haus fest, und so durften ihre Gäste sich auf einer flachen unbeschatteten Stelle eine Viertelmeile vom Haus entfernt zu Tode schwitzen. John Wilkes, für seine Gastfreiheit im ganzen Staat gerühmt, verstand sich dagegen wirklich auf Barbecues.

Die langen, aufgebockten Tischplatten, gedeckt mit dem feinsten Leinen der Wilkes, standen immer im Schatten, mit schlichten Bänken ohne Rückenlehnen auf beiden Seiten sowie Stühlen und großen und kleinen Sitzpolstern aus dem Haus, die man für diejenigen Gäste auf der Lichtung verteilt hatte, die ungern auf den Bänken saßen. Die langen Feuergräben, wo das Fleisch schmorte und die riesigen eisernen Waschkessel standen, von denen die verführerischen Düfte von Barbecue-Soße und Brunswick Stew aufstiegen, befanden sich weit genug abseits, um den Rauch von den Gästen fernzuhalten. Mr. Wilkes hatte immer mindestens ein Dutzend Schwarze, die mit Tabletts hin und her eilten, um die Gäste zu bedienen. Hinter den Scheunen befand sich eine weitere Feuerstelle, wo die Hausbediensteten und die Kutscher und Dienstmädchen der Gäste ihren eigenen Festschmaus aus Maisfladen, Yams und Schweinekutteln bekamen, die die Schwarzen so gerne essen, und in der Reifezeit der Wassermelonen auch davon genug, um satt zu werden.

Als der Geruch von knusprigem Schweinefleisch zu ihr herüberwehte, krauste Scarlett genussvoll die Nase und hoffte, dass sie wieder Appetit haben würde, wenn es gar war. Sie war so vollgestopft und eng geschnürt, dass sie jeden Moment fürchtete, aufstoßen zu müssen. Das wäre überaus peinlich, denn nur alte Männer und sehr alte Frauen durften aufstoßen, ohne allgemeine Missbilligung zu erfahren.

Sie erreichten die Anhöhe, und vor ihr erhob sich in vollkommener Symmetrie das weiße Haus mit seinen hohen Säulen, breiten Veranden und seinem flachen Dach, schön wie eine Frau, die sich ihrer Reize so sicher ist, dass sie zu jedermann großzügig und liebenswürdig sein kann. Scarlett liebte Twelve Oaks noch mehr als Tara, weil es eine Schönheit und gelassene Alterswürde ausstrahlte, die Geralds Haus nicht besaß.

Die geschwungene Auffahrt war voller gesattelter Pferde und Kutschen sowie aussteigender Gäste, die ihren Freunden Grüße zuriefen. Strahlende Sklaven, aufgeregt wie immer bei einer Party, führten die Tiere in den Scheunenhof, um sie für den Tag auszuspannen und abzusatteln. Scharen von Kindern, schwarze und weiße, rannten johlend über den frühlingsgrünen Rasen, spielten Fangen und Himmel und Hölle und prahlten, welche Unmengen sie nachher verdrücken würden. Die große Halle, die vom Eingang bis zur Rückfront des Hauses reichte, wimmelte von Menschen, und als die Kutsche der O’Haras an der Vordertreppe vorfuhr, sah Scarlett Mädchen in Krinolinen, bunt wie Schmetterlinge, die eng umschlungen die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf- und hinunterschwebten, sich über das zierliche Geländer lehnten, lachten und den jungen Männern unten in der Halle etwas zuriefen.

Durch die offenen Verandatüren erhaschte sie Blicke auf die älteren Frauen, die würdevoll in dunklen Seidenkleidern im Wohnzimmer saßen, sich fächelten und über Babys und Krankheiten sprachen und wer wen warum geheiratet hatte. Tom, der Butler der Wilkes, eilte mit einem Silbertablett durch die Räume, verbeugte sich und strahlte, während er den jungen Männern in beigen und grauen Hosen und fein gerüschten Leinenhemden große Gläser anbot.

Auf der sonnigen Vorderveranda drängten sich die Gäste. Ja, das ganze County war hier, dachte Scarlett. Die vier Tarleton-Jungs und ihr Vater lehnten an den hohen Säulen, die Zwillinge Stuart und Brent, wie immer unzertrennlich, Seite an Seite, Boyd und Tom bei ihrem Vater James Tarleton. Mr. Calvert stand dicht neben seiner Yankee-Frau, die auch nach fünfzehn Jahren in Georgia noch nirgendwo dazuzugehören schien. Alle waren höflich und freundlich zu ihr, weil sie ihnen leidtat, doch niemand konnte vergessen, dass sie den Makel ihrer Herkunft noch dadurch verschlimmert hatte, dass sie die Erzieherin von Mr. Calverts Kindern gewesen war. Die beiden Calvert-Jungs, Raiford und Cade, standen mit ihrer umwerfenden blonden Schwester Cathleen zusammen und neckten den braunhäutigen Joe Fontaine und seine hübsche zukünftige Braut Sally Munroe. Alex und Tony Fontaine flüsterten Dimity Monroe etwas ins Ohr, was nicht enden wollendes Gekicher auslöste. Aus dem zehn Meilen entfernten Lovejoy, aus Fayetteville und Jonesboro waren Familien da, ein paar sogar aus Atlanta und Macon. Das Haus schien aus allen Nähten zu platzen vor Menschen, und ein unaufhörliches Plätschern von Gesprächen und Lachen, Gegacker und Kreischen wogte mal lauter, mal leiser nach draußen.

Auf den Verandastufen stand John Wilkes, weißhaarig und aufrecht, und verströmte seinen gemessenen Charme und eine Gastlichkeit, die so warm und verlässlich waren wie die Sommersonne in Georgia. Neben ihm stand Honey Wilkes, die so genannt wurde, weil sie ausnahmslos jeden – von ihrem Vater bis zu den Feldarbeitern – mit diesem Kosenamen ansprach, und begrüßte aufgeregt kichernd die ankommenden Gäste.

Honeys nervöses und leicht zu durchschauendes Bemühen, für jeden Mann in Sichtweite attraktiv zu erscheinen, stand in scharfem Kontrast zur Gelassenheit ihres Vaters, und Scarlett kam der Gedanke, dass vielleicht doch etwas dran war an Mrs. Tarletons Äußerungen. Gewiss hatten die Männer in der Wilkes-Familie das gute Aussehen gepachtet. Die dichten tiefgoldenen Wimpern, die die grauen Augen von John Wilkes und Ashley umrahmten, waren bei Honey und ihrer Schwester India spärlich und farblos. Honey hatte das seltsame wimpernlose Aussehen eines Kaninchens, und India ließ sich nur mit dem Wort reizlos beschreiben.

India war nirgendwo zu sehen, aber Scarlett wusste, dass sie wahrscheinlich dem Personal in der Küche letzte Anweisungen gab. »Die arme India«, dachte Scarlett, »sie hat so viel Mühe damit, den Haushalt zu führen, seit ihre Mutter gestorben ist, dass sie nie die Chance hatte, sich einen Verehrer zu angeln, mit Ausnahme von Stuart Tarleton, und es war sicher nicht meine Schuld, wenn er mich hübscher fand als sie.«

John Wilkes kam die Stufen herunter, um Scarlett den Arm zu reichen. Als sie aus der Kutsche stieg, bemerkte sie, dass Suellen geziert lächelte, weil sie anscheinend irgendwo in der Menge Frank Kennedy ausgemacht hatte.

Wenn ich keinen besseren Verehrer als diese alte Jungfer in Reithosen fände! dachte Scarlett voller Verachtung, als sie den Fuß auf den Boden setzte und John Wilkes dankbar anlächelte.

Frank Kennedy eilte zur Kutsche, um Suellen beim Aussteigen zu helfen, und Suellen warf sich derart in die Brust, dass Scarlett sie am liebsten geohrfeigt hätte. Frank Kennedy mochte mehr Land als sonst jemand im County besitzen und er mochte ein sehr gutes Herz haben, aber diese Dinge wogen nicht auf, dass er hager und nervös und schon vierzig war, einen schütteren roten Bart hatte und ein tantenhaft betuliches Benehmen an den Tag legte. Doch eingedenk ihres Plans unterdrückte Scarlett ihre Verachtung und warf ihm ein so bezauberndes Lächeln zu, dass er, seinen Arm schon zu Suellen ausgestreckt, kurz innehielt und Scarlett verwirrt und beglückt anstarrte.

Während Scarlett liebenswürdig mit John Wilkes plauderte, suchten ihre Augen in der Menge nach Ashley, aber er war nicht auf der Veranda. Ein Dutzend Stimmen riefen Begrüßungen, und Stuart und Brent Tarleton kamen auf sie zu. Die Munroe-Mädchen eilten herbei, um lautstark ihr Kleid zu bewundern, und prompt stand sie im Zentrum eines Kreises von Stimmen, die lauter und lauter wurden, um sich im Lärm vernehmbar zu machen. Aber wo war Ashley? Und Melanie und Charles? Sie versuchte, nicht allzu auffällig umherzuschauen und in die Halle zu spähen, wo lachende Menschen standen.

Während sie so schnatterte und lachte und mit raschen Blicken das Innere des Hauses und den Garten überflog, fiel ihr ein Fremder auf, der allein in der Halle stand und sie auf so lässig unverfrorene Weise anstarrte, dass sich sofort zwei widerstreitende Gefühle in ihr regten: einerseits schmeichelte es ihr, dass sie die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich gezogen hatte, andererseits aber war sie verlegen, weil ihr Kleid zu tief ausgeschnitten war. Er sah ziemlich alt aus, mindestens wie fünfunddreißig. Er war groß und kräftig gebaut. Scarlett hatte das Gefühl, noch nie einen Mann mit solch breiten Schultern gesehen zu haben, so muskelbepackt, fast zu kräftig für einen Gentleman. Als ihre Augen sich trafen, lächelte er, wobei animalisch weiße Zähne unter seinem kurzgestutzten schwarzen Schnurrbart zum Vorschein kamen. Er hatte eine dunkle Gesichtsfarbe, wettergegerbt wie die eines Piraten, und seine Augen waren so draufgängerisch und schwarz wie nur je die eines Freibeuters, der sich unschlüssig ist, ob er als Nächstes eine Galeone versenken oder eine Jungfrau entehren will. Sein Gesicht strahlte souveräne Verwegenheit aus, sein Lächeln hatte etwas Zynisches, und Scarlett hielt den Atem an. Sie spürte, dass ein solcher Blick eigentlich beleidigend für sie war, und ärgerte sich über sich selbst, dass sie sich keineswegs beleidigt fühlte. Sie hatte keine Ahnung, wer der Mann war, aber unzweifelhaft verriet sein dunkles Gesicht eine gewisse Vornehmheit. Das zeigte sich an der schmalen Hakennase über seinen vollen roten Lippen, an der hohen Stirn und den weit auseinanderstehenden Augen.

Sie wandte den Blick ab, ohne sein Lächeln zu erwidern, und er drehte sich um, als jemand rief: »Rhett! Rhett Butler! Komm mal her! Ich möchte dir das hartherzigste Mädchen in ganz Georgia vorstellen.«

Rhett Butler? Der Name kam ihr bekannt vor, irgendein reizvoller Skandal haftete ihm an, doch sie war innerlich mit Ashley beschäftigt, und so ließ sie den Gedanken fallen.

»Ich muss nach oben und meine Haare richten«, sagte sie zu Stuart und Brent, die versuchten, sie in Beschlag zu nehmen. »Ihr wartet auf mich und lauft mir nicht mit einem anderen Mädchen davon, sonst werde ich ernstlich böse.«

Sie merkte, dass Stuart heute nicht leicht zu handhaben sein würde, wenn sie mit einem anderen flirtete. Er hatte schon einiges getrunken und die herausfordernde, streitlustige Miene aufgesetzt, die, wie sie aus Erfahrung wusste, nichts Gutes verhieß. Sie blieb in der Halle stehen, um mit Freunden zu sprechen und India zu begrüßen, die aus den hinten liegenden Küchenräumen des Hauses kam, unfrisiert und mit winzigen Schweißperlen auf der Stirn. Arme India! Es war ja schon schlimm genug, farblose Haare und Wimpern und ein vorstehendes Kinn zu haben, das ein störrisches Wesen verriet – aber dann auch noch zwanzig Jahre alt und obendrein eine alte Jungfer! Scarlett fragte sich, ob India es ihr sehr übel nahm, dass sie ihr Stuart ausgespannt hatte. Viele Leute sagten, sie sei immer noch verliebt in ihn, doch andererseits wusste man nie, was eine Wilkes dachte. Wenn sie es übel nahm, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Vielmehr behandelte sie Scarlett mit der gleichen leicht reservierten, freundlichen Höflichkeit, mit der sie ihr immer schon begegnet war.

Scarlett wechselte ein paar nette Worte mit ihr und war im Begriff, die breite Treppe hinaufzugehen, als eine Stimme verhalten ihren Namen rief. Sie drehte sich um und erblickte Charles Hamilton. Er war ein gutaussehender junger Mann mit einem Busch weicher brauner Locken über der weißen Stirn und Augen, die so tiefbraun, so rein und arglos waren wie die eines Collies. Er war schick in senffarbene Hosen und ein schwarzes Jackett gekleidet, und sein plissiertes Hemd wurde von einer extrem breiten und hochmodischen schwarzen Krawatte gekrönt. Als sie sich zu ihm umdrehte, errötete er, denn er war Mädchen gegenüber schüchtern. Wie die meisten zurückhaltenden Männer bewunderte er aufgeschlossene, lebhafte, ungezwungene Mädchen wie Scarlett. Sie hatte ihm bisher nie mehr als flüchtige Aufmerksamkeit geschenkt, und als sie ihm nun zur Begrüßung freudestrahlend beide Arme entgegenstreckte, verschlug es ihm fast den Atem.

»Ach, Charles Hamilton, Sie alter Schwerenöter! Ich wette, Sie sind den ganzen Weg von Atlanta hergekommen, nur um mein armes Herz zu brechen!«

Charles stotterte fast vor Aufregung, hielt ihre warmen kleinen Hände in den seinen und sah in ihre strahlenden grünen Augen. So redeten die Mädchen mit anderen jungen Männern, aber niemals mit ihm. Er hatte nie verstanden, warum die Mädchen ihn immer wie einen jüngeren Bruder behandelten; sie waren zwar furchtbar nett, aber nie kamen sie auf die Idee, ihn zu necken. Er hatte sich immer danach gesehnt, dass sie mit ihm flirteten und scherzten, wie sie es mit anderen Jungs taten, die viel weniger gut aussahen und nicht so mit weltlichen Gütern gesegnet waren wie er. Doch bei den wenigen Gelegenheiten, die sich ergaben, fiel ihm keine Erwiderung ein, und er starb tausend Tode vor Verlegenheit. Dann lag er die ganze Nacht wach und dachte über all die galanten Sprüche nach, die er hätte anbringen können; aber er bekam nur selten eine weitere Chance, denn die Mädchen gaben ihn nach ein oder zwei Versuchen auf.

Selbst bei Honey, mit der eine stillschweigende Übereinkunft bestand, im nächsten Herbst zu heiraten, wenn er seinen Besitz antrat, war er unsicher und still. Manchmal hatte er das ungalante Gefühl, dass Honeys Koketterie und besitzergreifendes Verhalten eigentlich gar nicht ihm persönlich galten, denn sie war so auf Jungs versessen, dass er sich vorstellen konnte, sie würde sich gegenüber jedem Mann so geben, der ihr Gelegenheit dazu bot. Charles war nicht sonderlich begeistert über die Aussicht, sie zu heiraten, denn sie weckte in ihm keinerlei leidenschaftliche Gefühle, die, wie er aus seinen geliebten Büchern wusste, einem Liebenden eigentlich geziemten. Er hatte sich immer danach gesehnt, von einem schönen, umwerfenden Mädchen voller Feuer und Schalk geliebt zu werden.

Und jetzt zog ihn Scarlett O’Hara damit auf, dass er ihr das Herz brechen wolle!

Er überlegte eine Antwort, aber es fiel ihm keine ein, und insgeheim segnete er sie dafür, dass sie unaufhörlich weiterplauderte und ihn damit der Notwendigkeit einer Konversation enthob. Es war zu schön, um wahr zu sein.

»Also, Sie warten jetzt hier, bis ich wiederkomme, denn ich möchte mit Ihnen Barbecue essen. Und fangen Sie bloß nicht an, mit anderen Mädchen zu flirten, ich bin nämlich sehr eifersüchtig«, kamen die unglaublichen Worte von ihren roten Lippen, mit den Grübchen auf beiden Seiten. Und schnell senkten sich ihre schwarzen Wimpern sittsam über die grünen Augen.

»Natürlich nicht«, hauchte er endlich, ohne zu ahnen, dass er ihr wie ein Kalb vorkam, das auf den Schlachter wartet.

Sie tippte ihm mit ihrem geschlossenen Fächer leicht auf den Arm, doch als sie sich umdrehte, um die Treppe hinaufzusteigen, fiel ihr Blick wieder auf den Mann namens Rhett Butler, der wenige Schritte von Charles entfernt für sich alleine stand. Offenbar hatte er das ganze Gespräch mitgehört, denn er grinste sie boshaft an wie ein Kater, und erneut musterte er sie mit einem Blick, der jegliche Ehrerbietung vermissen ließ, die sie gewohnt war.

»Herrgott im Nachtgewand!« dachte Scarlett mit Geralds Lieblingsfluch. »Er guckt, als ob – als ob er wüsste, wie ich unter meinem Kleid aussehe.« Sie warf den Kopf zurück und ging die Treppe hinauf.

Im Schlafzimmer, wo die Umhängetücher ausgelegt waren, traf sie Cathleen Calvert, die sich vor dem Spiegel hübsch machte und auf ihren Lippen herumkaute, damit sie röter wurden. In ihrer Schärpe steckten frische Rosen von der Farbe ihrer Wangen, und ihre kornblumenblauen Augen sprühten vor Aufregung.

»Cathleen«, sagte Scarlett und versuchte, das Mieder ihres Kleids höher zu ziehen, »wer ist dieser grässliche Mann da unten, der Butler heißt?«

»Ach, sag bloß, das weißt du nicht?« flüsterte Cathleen aufgedreht, mit einem achtsamen Auge auf das angrenzende Zimmer, wo Dilcey und die Mammy der Wilkes-Mädchen sich austauschten. »Ich weiß nicht, wie Mr. Wilkes das aushält, dass er hier ist, aber er war auf Besuch bei Mr. Kennedy in Jonesboro – irgendwas mit einem Baumwollkauf –, und natürlich musste Mr. Kennedy ihn mitbringen. Er konnte ja nicht einfach weggehen und ihn zurücklassen.«

»Was ist denn mit ihm?«

»Meine Liebe, er ist nicht gesellschaftsfähig!«

»Ist das wahr?«

»Ja, wirklich.«

Scarlett verarbeitete diese Information schweigend, denn sie hatte sich noch nie mit jemandem unter einem Dach aufgehalten, der nicht gesellschaftsfähig war. Das war sehr aufregend.

»Was hat er denn gemacht?«

»O Scarlett, er hat einen schandbaren Ruf. Er heißt Rhett Butler und stammt aus Charleston, und seine Familie gehört zu den feinsten dort, aber sie reden nicht mal mit ihm. Caro Rhett hat mir letzten Sommer von ihm erzählt. Er ist nicht verwandt mit ihrer Familie, aber sie weiß alles über ihn, wie jeder. Er wurde aus West Point rausgeworfen. Stell dir das mal vor! Und zwar für Sachen, die so schlimm sind, dass Caro sie nicht einmal wissen darf. Und dann war da noch die Geschichte mit dem Mädchen, das er nicht geheiratet hat.«

»Erzähl mir davon!«

»Ach Schätzchen, weißt du denn gar nichts? Caro hat es mir letzten Sommer erzählt, und ihre Mutter würde tot umfallen, wenn sie wüsste, dass Caro es weiß. Tja, dieser Mr. Butler hat mit nem Mädchen aus Charleston einen Ausflug gemacht, in einem Einspänner. Ich hab nie erfahren, wer es war, aber ich habe einen Verdacht. Sie kann nicht sonderlich fein sein, sonst wäre sie doch nicht spät nachmittags mit ihm ohne Anstandswauwau losgefahren. Und, meine Liebe, sie sind fast die ganze Nacht weg gewesen und zu Fuß nach Hause gekommen und haben dann erzählt, das Pferd wäre durchgegangen und hätte den Wagen zertrümmert, und sie hätten sich im Wald verlaufen. Und jetzt rate mal, was …«

»Ich kann nicht raten. Erzähl’s mir«, sagte Scarlett begierig. Sie hoffte das Schlimmste.

»Am nächsten Tag hat er abgelehnt, sie zu heiraten!«

»Oh!« sagte Scarlett enttäuscht.

»Er sagte, er hätte – ähem – ihr nichts getan, und er sehe nicht ein, warum er sie heiraten solle. Und natürlich hat ihr Bruder ihn dann gefordert, und Mr. Butler sagte, lieber würde er sich erschießen lassen, als eine dumme Kuh zu heiraten. Also haben sie sich duelliert, und Mr. Butler hat ihren Bruder angeschossen, und er ist gestorben, und Mr. Butler musste Charleston verlassen, und jetzt will keiner mehr etwas mit ihm zu tun haben«, schloss Cathleen triumphierend und gerade noch rechtzeitig, denn Dilcey kam ins Zimmer zurück, um einen letzten Blick auf die Toilette ihres Schützlings zu werfen.

»Hat – sie ein Baby bekommen?« flüsterte Scarlett Cathleen ins Ohr.

Cathleen schüttelte heftig den Kopf. »Aber sie war trotzdem ruiniert«, zischte sie zurück.

Ich wünschte, ich hätte Ashley dazu gebracht, mich so zu kompromittieren, dachte Scarlett plötzlich. Er wäre zu sehr Gentleman, um mich dann nicht zu heiraten. Aber irgendwie keimte unversehens etwas wie Achtung für Rhett Butler in ihr auf, weil er es abgelehnt hatte, ein Mädchen zu heiraten, das ihm zu dumm war.

Scarlett saß hinter dem Haus im Schatten einer großen Eiche auf einer hohen Ottomane aus Rosenholz, ihre Volants und Rüschen bauschten sich um sie, und zwei Zoll ihrer Schuhe aus grünem Maroquinleder – gerade so viel, wie eine Lady zeigen konnte, um immer noch eine Lady zu bleiben – lugten darunter hervor. Sie hatte einen kaum berührten Teller in der Hand und sieben Kavaliere um sich herum. Das Barbecue hatte seinen Höhepunkt erreicht, und die warme Luft war erfüllt von Gelächter und Gesprächen, dem Klirren von Silber auf Porzellan und dem reichen, schweren Duft nach gebratenem Fleisch und würzigen Soßen. Gelegentlich, wenn der Wind sich drehte, schwebten Rauchschwaden von den langen Grillgräben über die Menge, worauf die Damen in gespieltem Entsetzen quietschten und die Palmettofächer heftig geschwungen wurden.

Die meisten jungen Frauen saßen mit ihren Partnern auf den Bänken an den langen Tischen, aber im Bewusstsein, dass ein Mädchen nur zwei Seiten hat und dass auf jeder Seite nur ein Mann sitzen kann, hatte Scarlett es vorgezogen, sich abseits zu lagern, um so viele Männer wie möglich um sich zu scharen.

Unter dem Blätterdach der Laube saßen die verheirateten Damen, deren dunkle Kleider einen züchtigen Kontrast zu der übermütigen Buntheit ringsumher bildeten. Matronen, gleich welchen Alters, schlossen sich immer zusammen, entfernt von ihren Töchtern mit den glänzenden Augen, von deren Verehrern und der allgemeinen Fröhlichkeit, denn mit verheirateten Schönheiten wurde im Süden nicht geflirtet. Von Grandma Fontaine, die das Privileg ihres Alters nutzte und zwanglos rülpste, bis zur siebzehnjährigen Alice Munroe, die mit der Übelkeit ihrer ersten Schwangerschaft kämpfte, steckten sie allesamt die Köpfe zusammen in endlosen Diskussionen über Genealogie und Geburtshilfe, die aus derartigen Zusammenkünften solch angenehme und lehrreiche Veranstaltungen machten.

Scarlett warf ihnen hin und wieder geringschätzige Blicke zu, denn sie kamen ihr vor wie ein Schwarm fetter Krähen. Verheiratete Frauen hatten nie den geringsten Spaß. Es kam ihr nicht in den Sinn, dass sie als Ashleys Ehefrau automatisch zu den biederen Matronen in dunklen Seidenkleidern in die Lauben und Salons verbannt würde, ebenso bieder und stumpf wie diese, statt an Spaß und Ausgelassenheit teilzuhaben. Wie bei den meisten Mädchen trugen ihre Phantasien sie bis zum Altar und nicht weiter. Außerdem war sie jetzt zu unglücklich, um solchen Nebengedanken nachzuhängen.

Sie senkte den Blick auf ihren Teller und knabberte anmutig an einem Blätterteigkeks, mit solcher Eleganz und solch einem Mangel an Appetit, dass sie Mammys ungeteilten Beifall gefunden hätte. Obwohl sie Verehrer im Überfluss hatte, fühlte sie sich so elend wie noch nie in ihrem Leben. Irgendwie waren ihre Pläne der vergangenen Nacht, soweit sie Ashley betrafen, vollkommen fehlgeschlagen, ohne dass sie verstand, warum. Sie hatte Dutzende von Verehrern angezogen, aber nicht Ashley, und all die Ängste des gestrigen Nachmittags bestürmten sie wieder, ließen ihr Herz erst schnell und dann wieder langsam schlagen und ihre Wangen erst hochrot und dann bleich werden.

Ashley machte keinen Versuch, sich dem Kreis um sie anzuschließen; sie hatte seit ihrer Ankunft nicht ein Wort mit ihm allein sprechen können, seit der ersten Begrüßung hatte sie überhaupt noch nicht mit ihm geredet. Er war auf sie zugekommen, um sie willkommen zu heißen, als sie in den Garten trat, aber er hatte Melanie am Arm gehabt, Melanie, die ihm kaum bis zur Schulter reichte.

Sie war ein extrem zierliches Mädchen und wirkte wie ein Kind, das sich mit den riesigen Reifröcken seiner Mutter verkleidet hat, ein Eindruck, der durch den schüchternen, fast verängstigten Ausdruck ihrer viel zu großen braunen Augen noch verstärkt wurde. Ihr Haar, eine Wolke krauser dunkler Locken, wurde so streng von einem Netz zusammengehalten, dass keine einzige vorwitzige Locke sich losmachen konnte. Und diese dunkle Masse mit ihrem spitzen Haaransatz auf der Stirn betonte die Herzform ihres Gesichts. Zu breit waren die Wangenknochen, zu spitz das Kinn, so dass es ein liebes und scheues, aber reizloses Gesicht war, und sie verfügte nicht über die weiblichen Verführungskünste, um ihre Reizlosigkeit überspielen zu können. Sie sah aus – und war – so einfach wie Erde, so gut wie Brot, so durchsichtig wie Quellwasser. Doch trotz der Unscheinbarkeit ihrer Züge und ihrer zierlichen Statur lag in ihren Bewegungen eine gesetzte Würde, die seltsam anrührend und viel reifer wirkte, als ihre siebzehn Jahre vermuten ließen.

Ihr graues Organzakleid mit der kirschroten Schärpe verdeckte durch seine aufgeblähten Rüschen, wie kindlich unentwickelt ihr Körper war, und der gelbe Hut mit den langen kirschroten Bändern gab ihrer blässlichen Haut eine leichte Tönung. Ihre schweren Ohrgehänge baumelten unter den Schlaufen ihrer vom Netz eingefassten Haare, die neben ihren braunen Augen schaukelten, Augen, die glänzten wie ein Waldteich im Winter, wenn braune Blätter durch das stille Wasser schimmern.

Sie hatte Scarlett schüchtern begrüßt und ihr schönes grünes Kleid bewundert. Scarlett war es schwergefallen, auch nur einigermaßen freundlich zu antworten, so begierig war sie auf ein Gespräch unter vier Augen mit Ashley. Seither saß Ashley auf einem Schemel zu Melanies Füßen, abgesondert von den anderen Gästen, und sprach leise mit ihr und lächelte das langsame, verträumte Lächeln, das Scarlett so liebte. Unter seinem Lächeln hatte sich zu allem Überfluss ein Glanz in Melanies Augen geschlichen, der selbst Scarlett zwang zuzugeben, dass sie beinahe hübsch aussah. Während Melanie Ashley anblickte, wurde ihr unscheinbares Gesicht von innerem Feuer erleuchtet, denn wenn sich je ein liebendes Herz in einem Gesicht gezeigt hatte, zeigte es sich jetzt in dem von Melanie Hamilton.

Scarlett versuchte, nicht zu den beiden hinzuschauen, aber es gelang ihr nicht, und nach jedem Blick verdoppelte sie ihren Übermut gegen ihre Kavaliere, lachte, äußerte gewagte Dinge, spottete, warf den Kopf hin und her, wenn sie ihr Komplimente machten, bis ihre Ohrringe tanzten. Sie sagte häufig »papperlapapp!«, erklärte, sie seien allesamt ausgemachte Schwindler, und schwor, sie würde nie etwas glauben, was ein Mann ihr sagte. Doch Ashley nahm überhaupt keine Notiz von ihr. Er blickte nur zu Melanie auf und sprach weiter, und Melanie blickte mit einem Gesichtsausdruck auf ihn herab, der deutlich verriet, dass sie ihm gehörte.

Also fühlte Scarlett sich elend.

Für einen Außenstehenden hatte kaum je ein junges Mädchen weniger Grund gehabt, sich elend zu fühlen. Sie war ohne Zweifel die Königin des Barbecue, das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass sie bei den Männern derartig Furore und den anderen Mädchen das Herz schwer machte, hätte ihr zu jedem anderen Zeitpunkt großes Vergnügen bereitet.

Charles Hamilton, ermutigt durch ihre Zuwendung, hatte sich fest zu ihrer Rechten installiert und ließ sich nicht einmal durch die vereinten Bemühungen der Tarleton-Zwillinge vertreiben. Er hielt ihren Fächer in der einen Hand und seinen unberührten Teller mit Grillfleisch in der anderen und weigerte sich standhaft, Honeys Blicken zu begegnen, die aussah, als wollte sie gleich in Tränen ausbrechen. Cade fläzte sich auf Scarletts linker Seite, zupfte an ihrem Rock, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und musterte Stuart mit angriffslustigem Blick. Die Luft zwischen ihm und den Zwillingen war bereits geladen, und sie hatten grobe Worte gewechselt. Frank Kennedy benahm sich wie eine Glucke mit einem einzigen Küken und lief zwischen der Eiche und den Tischen hin und her, um verlockende Leckerbissen für Scarlett zu holen, als stünden nicht ein Dutzend Dienstboten zu ebendiesem Zweck herum. Infolgedessen hatte Suellens mürrische Abneigung bereits den Punkt erreicht, wo sie sich nicht mehr damenhaft überspielen ließ, und sie starrte Scarlett hasserfüllt an. Die kleine Carreen hätte heulen können, denn trotz Scarletts aufmunternden Worten vom Morgen hatte Brent nicht mehr als »Hallo Schwesterchen« zu ihr gesagt und an ihrem Haarband gezupft, ehe er seine volle Aufmerksamkeit Scarlett zuwandte. Gewöhnlich war er so nett und behandelte sie mit selbstverständlicher Hochachtung, so dass sie sich ganz erwachsen vorkam und heimlich von dem Tag träumte, an dem sie die Haare hochstecken, den Rocksaum herunterlassen und ihn als richtigen Verehrer empfangen würde. Und jetzt schien es, als hätte Scarlett ihn erobert. Die Munroe-Mädchen verbargen zwar ihren Kummer über den Verrat der braungebrannten Fontaine-Jungs, aber sie waren verärgert darüber, wie Tony und Alex am Rand des Kreises standen, immer auf dem Sprung, um einen Platz in Scarletts Nähe zu ergattern, sollte einer von den anderen aufstehen.

Mithilfe leicht hochgezogener Brauen signalisierten sie Hetty Tarleton, wie sehr sie Scarletts Verhalten missbilligten. »Schamlos« war der einzig passende Begriff dafür. Gleichzeitig hoben die drei jungen Damen ihre Spitzensonnenschirme, bemerkten, sie hätten wirklich genug gegessen, danke schön, legten die Fingerspitzen leicht auf den Arm des nächststehenden Mannes und bettelten reizend darum, den Rosengarten, den Brunnen und das Sommerhaus gezeigt zu bekommen. Dieser strategisch geordnete Rückzug entging einer gewissen anwesenden Dame nicht, ließ die Männer aber kalt.

Scarlett kicherte, als sie bemerkte, wie drei Männer aus ihrem Dunstkreis entführt wurden, um Sehenswürdigkeiten zu erforschen, die alle Mädchen seit Kindertagen kannten, und wandte rasch den Blick, um zu sehen, ob Ashley es bemerkt hatte. Aber er spielte mit Melanies Schärpe und lächelte zu ihr empor. Der Schmerz zerriss Scarlett das Herz. Sie hätte Melanies Elfenbeinhaut bis aufs Blut zerkratzen können, und zwar mit Wonne.

Als ihre Augen sich von Melanie abwandten, begegnete sie dem Blick Rhett Butlers, der sich nicht unter die Gäste gemischt hatte, sondern abseits stand und mit John Wilkes sprach. Er hatte sie schon eine Weile beobachtet, und als sie zu ihm hinüberschaute, lachte er sie geradeheraus an. Scarlett hatte das ungute Gefühl, dass dieser nicht gesellschaftsfähige Mann der einzige Anwesende war, der den Grund ihres wilden Übermuts durchschaute, und dass ihm dies ein boshaftes Vergnügen bereitete. Auch ihm hätte sie mit Wonne das Gesicht zerkratzt.

Wenn ich dieses Barbecue wenigstens bis zum Nachmittag überlebe, dachte sie, dann gehen alle Mädchen nach oben und legen sich hin, um am Abend frisch zu sein, und ich werde unten bleiben und mit Ashley reden. Er muss doch sicher bemerkt haben, wie beliebt ich bin. Sie tröstete ihr Herz mit einer neuen Hoffnung: Natürlich muss er aufmerksam gegen Melanie sein, sie ist ja schließlich seine Cousine, aber sie ist überhaupt nicht beliebt. Wenn er sich nicht um sie kümmern würde, wäre sie bloß ein Mauerblümchen.

Bei diesem Gedanken schöpfte sie neuen Mut und verdoppelte ihre Bemühungen um Charles, dessen braune Augen sie gebannt anglühten. Es war ein wunderbarer Tag für Charles, ein Traumtag, und er hatte sich Hals über Kopf in Scarlett verliebt. Hinter diesem neuen Gefühl verlor sich Honey in dämmrigem Dunst. Honey war ein laut schimpfender Spatz, Scarlett ein schillernder Kolibri. Sie neckte ihn und zog ihn den anderen vor und stellte ihm Fragen, die sie selbst beantwortete, so dass er sehr klug wirkte, ohne ein Wort sagen zu müssen. Die anderen jungen Männer waren erstaunt und verärgert über ihr offensichtliches Interesse an ihm, denn Charles brachte vor Schüchternheit kaum zwei Worte hintereinander heraus, und sie mussten die ganze ihnen zu Gebote stehende Höflichkeit mobilisieren, um ihren wachsenden Zorn zu verbergen. Alle brodelten innerlich, und es hätte ein echter Triumph für Scarlett sein können – wenn Ashley nicht gewesen wäre.

Als die letzten Bissen Schweinefleisch und Hähnchen und Lamm aufgegessen waren, hoffte Scarlett, nun würde India aufstehen und den Damen vorschlagen, sich ins Haus zurückzuziehen. Es war zwei Uhr und die Sonne strahlte heiß am Himmel, aber India war erschöpft von den dreitägigen Vorbereitungen für das Barbecue und hochzufrieden, in der Laube sitzen zu bleiben und einem schwerhörigen alten Herrn aus Fayetteville Bemerkungen ins Ohr zu schreien.

Schläfrige Trägheit senkte sich auf die Gäste. Die Haussklaven räumten die langen Tische ab, auf denen die Speisen gestanden hatten. Das Gelächter und die Gespräche erstarben allmählich. Alle warteten darauf, dass die Gastgeberin das Zeichen zum Ende der vormittäglichen Festivitäten gab. Die Palmettofächer wedelten langsamer, und mehrere Herren waren infolge der Hitze und ihrer überfüllten Mägen eingenickt. Das Barbecue war vorbei, und man machte es sich, solange die Sonne hoch stand, bequem.

In dieser Pause zwischen der Vormittagsparty und dem abendlichen Ball wirkten alle heiter und friedlich. Nur die jungen Männer hatten die rastlose Energie nicht verloren, die noch kurz zuvor die gesamte Gästeschar erfüllt hatte. Sie schlenderten zwischen den Gruppen umher, unterhielten sich leise in ihrer gedehnten Sprechweise, hübsch wie junge Rassehengste und ebenso unberechenbar. Mittagsmüdigkeit hatte sich auf die Versammlung gelegt, aber darunter lauerte ein Feuer, das in Sekundenschnelle tödlich aufflackern und ebenso rasch wieder erlöschen konnte. Männer wie Frauen waren schön und wild, allesamt ein wenig gewaltbereit und ungezähmt unter dem Firnis ihrer liebenswürdigen Manieren.

Die Zeit schleppte sich dahin, während die Sonne immer heißer brannte, und nicht nur Scarletts Blick wanderte erneut zu India. Die Gespräche erstarben, als plötzlich Geralds aufgebrachte Stimme in die Stille platzte. Er stand in einiger Entfernung von den Barbecuetischen mit John Wilkes in einen Streit verwickelt, der gerade seinen Höhepunkt erreichte.

»Herrgott im Nachtgewand! Für eine friedliche Einigung mit den Yankees beten? Nachdem wir bei Fort Sumter auf die Schurken geschossen haben? Friedlich? Der Süden muss mit Waffen zeigen, dass er sich nicht beleidigen lässt und dass er aus der Union nicht mit der gnädigen Erlaubnis der Union austritt, sondern aus eigener Kraft!«

Du liebe Güte, dachte Scarlett. Er hat es wieder geschafft. Jetzt sitzen wir alle bis Mitternacht hier.

Im Nu war die Schläfrigkeit von den dösenden Gästen gewichen, und die Luft knisterte vor Spannung. Die Männer sprangen von den Bänken auf, gestikulierten mit den Armen und überschrien sich gegenseitig, um sich Gehör zu verschaffen. Den ganzen Vormittag war auf Mr. Wilkes’ Bitte, die Damen nicht zu langweilen, kein Wort über Politik oder den drohenden Krieg gefallen. Doch nun hatte Gerald mit lauter Stimme die Worte »Fort Sumter« gerufen, und schon vergaßen alle anwesenden Männer die Ermahnung ihres Gastgebers.

»Natürlich werden wir kämpfen« – »Diese Yankee-Diebe« – »Die erledigen wir in einem Monat« – »Ach, ein Südstaatler erledigt zwanzig Yankees« – »Denen werden wir’s zeigen, das vergessen sie nicht so schnell« – »Friedlich? Die lassen uns nicht friedlich ziehen« – »Nein, seht euch doch an, wie Mr. Lincoln unsere Gesandten beleidigt hat!« – »Ja, er hat sie wochenlang hingehalten und geschworen, er würde Fort Sumter räumen lassen!« – »Sie wollen den Krieg, und den werden sie dank uns gründlich sattbekommen« – und über allem donnerte Geralds Stimme. Scarlett hörte nur, wie er immer wieder »unser Recht als Staat, Herr des Himmels!« bölkte. Gerald unterhielt sich, im Gegensatz zu seiner Tochter, prächtig.

Sezession, Krieg – Scarlett konnte diese ständig wiederholten Worte nicht mehr hören, aber nun hasste sie ihren bloßen Klang, denn sie bedeuteten, dass die Männer jetzt stundenlang herumstehen und sich gegenseitig Vorträge halten würden, und sie bekäme keine Gelegenheit, mit Ashley allein zu sprechen. Natürlich würde es keinen Krieg geben, das wussten die Männer ja alle. Sie liebten es einfach, zu reden und sich selber reden zu hören.

Charles Hamilton war nicht mit den anderen aufgestanden, und da er sich so gut wie allein bei Scarlett befand, lehnte er sich näher zu ihr und flüsterte mit dem Wagemut neuer Liebe ein Geständnis.

»Miss O’Hara – ich – ich – habe schon vor einer Weile beschlossen, dass ich, wenn wir wirklich kämpfen, nach South Carolina gehe und mich dort den Truppen anschließe. Es heißt, dass Mr. Wade Hampton eine Kavallerietruppe aufstellt, und natürlich will ich mit ihm gehen. Er ist ein fabelhafter Mann und er war der beste Freund meines Vaters.«

Scarlett dachte: »Was soll ich jetzt machen – dreimal Hurra schreien?«, denn Charles’ Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er ihr die tiefsten Geheimnisse seines Herzens anvertraute. Ihr fiel nichts zu sagen ein, so dass sie ihn nur anschaute und sich fragte, wieso die Männer so töricht waren zu glauben, solche Dinge könnten eine Frau interessieren. Er deutete ihr Schweigen als verblüffte Anerkennung und fuhr hastig und noch beherzter fort:

»Wenn ich fahre – würde – würde Ihnen das leidtun, Miss O’Hara?«

»Ich würde jede Nacht in mein Kissen weinen«, sagte Scarlett, die spöttisch klingen wollte, doch er nahm die Antwort ernst und errötete vor Freude. Ihre Hand war in den Falten ihres Kleids verborgen, aber die seine schlängelte sich ihr vorsichtig entgegen und drückte sie, überwältigt von der eigenen Kühnheit und ihrem Einverständnis.

»Würden Sie für mich beten?«

Was für ein Blödmann, dachte Scarlett verbittert und ließ unauffällig den Blick schweifen in der Hoffnung, dass jemand sie aus diesem Gespräch befreite.

»Würden Sie?«

»Oh – ja sicher, Mr. Hamilton. Jeden Abend mindestens drei Rosenkränze.«

Charles sah sich kurz um, holte tief Luft und zog den Bauch ein. Sie waren de facto allein, und eine solche Chance würde nie wiederkommen. Und selbst wenn sich eine solche gottgesandte Gelegenheit wiederholte, könnte ihm der Mut versagen.

»Miss O’Hara – ich muss Ihnen etwas sagen. Ich – ich liebe Sie.«

»Hm?« erwiderte Scarlett geistesabwesend, denn sie versuchte gerade durch die Menge der debattierenden Männer Ashley zu erspähen, der immer noch Melanie zu Füßen saß und mit ihr redete.

»Ja«, flüsterte Charles, beglückt, dass sie weder gelacht noch aufgeschrien hatte oder in Ohnmacht gefallen war, nach seiner Vorstellung das übliche Verhalten junger Mädchen unter solchen Umständen. »Ich liebe Sie. Sie sind das schö… das schö …« und zum ersten Mal in seinem Leben wurde er beredt. »Das schönste junge Mädchen, das ich je kennengelernt habe, und die Liebste und die Netteste, und Sie sind so reizend und ich liebe Sie von ganzem Herzen. Ich darf nicht hoffen, dass Sie jemanden wie mich lieben können, aber, meine liebe Miss O’Hara, wenn Sie mir ein Zeichen der Ermutigung geben würden, dann tue ich alles in der Welt, um Ihre Liebe zu gewinnen. Ich werde …«

Charles brach ab, denn es fiel ihm keine Leistung ein, die schwierig genug war, um Scarlett die ganze Tiefe seines Gefühls zu beweisen, daher sagte er einfach: »Ich möchte Sie heiraten.«

Das Wort »heiraten« brachte Scarlett mit einem unsanften Ruck wieder auf die Erde zurück. Sie hatte von Heirat und Ashley geträumt und blickte Charles mit kaum verhülltem Ärger an. Warum musste dieser kalbsgesichtige Trottel sie ausgerechnet an diesem Tag mit seinen Gefühlen belästigen, wo sie vor Sorgen nahezu den Verstand verlor? Sie sah in die flehenden braunen Augen, und sie bemerkte darin nichts von der Schönheit der ersten Liebe eines schüchternen Jungen, von der Anbetung eines leibhaftigen Ideals oder vom rasenden Glück und der Zärtlichkeit, die ihn gleich einer Flamme durchfuhren. Scarlett war es gewohnt, dass Männer ihr Heiratsanträge machten, Männer, die weit anziehender waren als Charles Hamilton und mehr Feingefühl besaßen, als bei einem Barbecue um ihre Hand anzuhalten, wo sie mit Wichtigerem beschäftigt war. Sie sah nur einen Zwanzigjährigen, rot wie eine Rübe, der reichlich albern aussah. Sie wünschte, sie könnte ihm sagen, wie albern er aussah. Aber ganz automatisch kamen ihr die Worte auf die Lippen, die Ellen ihr für derlei Notfälle beigebracht hatte. Aus alter Gewohnheit senkte sie den Blick und murmelte: »Mr. Hamilton, ich bin mir bewusst, welche Ehre Sie mir mit Ihrem Antrag erweisen, aber das kommt alles so plötzlich, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll.«

Damit konnte man die Eitelkeit eines Mannes schonen und ihn zugleich am Gängelband halten, und Charles biss sofort an, als wäre ein solcher Köder etwas Neues und er der erste, der ihn schluckte.

»Ich würde ewig warten! Ich möchte Sie nur haben, wenn Sie ganz sicher sind. Bitte, Miss O’Hara, sagen Sie, dass ich hoffen darf!«

»Hm«, sagte Scarlett, die mit ihren scharfen Augen beobachtete, dass Ashley, der nicht aufgestanden war, um an dem Kriegsgerede teilzunehmen, zu Melanie emporlächelte. Wenn dieser Trottel, der nach ihrer Hand suchte, nur einen Moment den Mund hielte, könnte sie vielleicht hören, worüber sie sprachen. Sie musste es unbedingt hören. Was mochte Melanie sagen, dass er sie so fasziniert ansah?

Charles’ Worte verwischten die Stimmen, auf die sie angestrengt lauschte.

»Pscht!« zischte sie und kniff ihn in die Hand, ohne ihn auch nur anzusehen.

Erschrocken, zunächst auch beschämt, errötete Charles über die Zurückweisung, doch als er sah, dass ihr Blick auf seine Schwester geheftet war, lächelte er. Scarlett fürchtete, jemand könnte seine Worte hören. Sie war natürlich verlegen und scheu und hatte große Angst, belauscht zu werden. Ein Gefühl ungewohnter Männlichkeit stieg in Charles auf, denn zum ersten Mal in seinem Leben hatte er ein Mädchen in Verlegenheit gebracht. Das Gefühl war berauschend. Er gab seinem Gesicht einen, wie er glaubte, sorglos unbeteiligten Ausdruck und erwiderte vorsichtig Scarletts Kneifen, um ihr zu zeigen, dass er als Mann von Welt ihren Tadel verstand.

Sie spürte es nicht einmal, denn sie konnte die sanfte Stimme, die Melanies Hauptreiz ausmachte, deutlich hören: »Ich fürchte, deine Meinung zu den Werken von Thackeray kann ich nicht teilen. Er ist ein Zyniker. Ich fürchte, er ist nicht so ein Gentleman wie Dickens.«

Wie dumm, so etwas zu einem Mann zu sagen, dachte Scarlett und hätte vor Erleichterung fast losgekichert. Sie ist ja nichts als ein Blaustrumpf, und jeder weiß doch, was Männer von Blaustrümpfen halten … Man weckte bei einem Mann Interesse und hielt es wach, indem man über ihn sprach und dann allmählich das Gespräch auf sich selber lenkte – und dann bei diesem Thema blieb. Scarlett wäre alarmiert gewesen, wenn Melanie gesagt hätte: »Wie großartig du bist!« oder »Wie kommst du nur auf solche Gedanken? Mein kleines Gehirn würde platzen, wenn ich auch nur versuchen würde, so etwas zu verstehen!« Aber sie saß da, mit einem Mann zu ihren Füßen, und sprach so ernsthaft, als wäre sie in der Kirche. Scarletts Aussichten hatten sich verbessert, so sehr sogar, dass sie Charles aus purer Freude anstrahlte. Hingerissen von diesem Beweis ihrer Zuneigung, ergriff er ihren Fächer und wedelte mit solchem Eifer, dass ihr Haar in Unordnung geriet.

»Ashley, du hast uns deine Meinung noch gar nicht verraten«, rief Jim Tarleton aus der Gruppe lärmender Männer, und mit einer Entschuldigung gegenüber Melanie stand Ashley auf. Keiner der Anwesenden sah so gut aus, dachte Scarlett, während sie die Eleganz seiner nachlässigen Haltung bewunderte. Die Sonne glänzte auf seinem goldenen Haar und Schnurrbart, und sogar die älteren Männer verstummten, um seine Worte zu hören.

»Na klar, meine Herren, wenn Georgia in den Kampf zieht, ziehe ich mit. Weshalb wäre ich denn sonst in die Truppe eingetreten?« sagte er. Seine grauen Augen waren weit geöffnet, und ihre Verträumtheit hatte einer Intensität Platz gemacht, die Scarlett nie zuvor gesehen hatte. »Aber wie mein Vater hoffe ich, dass die Yankees uns in Frieden gehen lassen und dass es keinen Kampf gibt …« Er wehrte lächelnd mit der Hand ab, als sich von den jungen Tarletons und Fontaines ein babylonisches Stimmengewirr erhob. »Ja, ja, ich weiß, dass man uns beleidigt und belogen hat – aber wenn die Yankees versuchen würden, die Union zu verlassen, wie hätten wir uns an ihrer Stelle verhalten? Ziemlich genauso. Es hätte uns nicht gefallen.«

Typisch, dachte Scarlett. Immer versetzt er sich in andere Leute. Für sie stand das Recht in einer Auseinandersetzung immer nur auf einer Seite. Manchmal konnte man Ashley einfach nicht verstehen.

»Lasst uns nicht zu hitzköpfig sein und lasst uns keinen Krieg anfangen. Das meiste Elend auf der Welt ist durch Kriege entstanden. Und wenn dann die Kriege vorbei waren, wusste kein Mensch mehr, weshalb sie stattgefunden hatten.«

Scarlett rümpfte die Nase. Zum Glück hatte Ashley einen untadeligen Ruf, was seinen Mut anbetraf, sonst hätte es Probleme geben können. Während sie das noch dachte, ertönte um Ashley erzürnter Widerspruch.

In der Laube stieß der schwerhörige alte Mann aus Fayetteville India an.

»Worum geht’s? Was reden die da?«

»Krieg«, rief India, die Hände an den Mund gelegt, in sein Ohr. »Sie wollen gegen die Yankees kämpfen.«

»Also Krieg?« rief er und tastete nach seinem Stock. Er erhob sich mit solcher Energie aus seinem Sessel, wie er sie seit Jahren nicht mehr an den Tag gelegt hatte. »Ich werd ihnen was über Krieg erzählen.« Mr. McRae hatte nicht oft Gelegenheit, über den Krieg zu sprechen, weil seine Frauensleute ihn immer zum Schweigen brachten.

Er stapfte rasch zu den Männern hin, schwenkte seinen Stock und rief laut, und da er die Stimmen um sich herum nicht hören konnte, beherrschte er binnen kurzem das Feld.

»Ihr jungen Feuerfresser, hört mal zu. Ihr wollt nicht wirklich kämpfen. Ich habe gekämpft, und ich weiß, was das bedeutet. Ich bin in den Seminolenkrieg gezogen, und ich war blöd genug, auch noch am Mexikanischen Krieg teilzunehmen. Ihr wisst alle nicht, was Krieg ist. Ihr glaubt, da reitet ihr auf einem hübschen Pferd, und die Mädchen werfen euch Blumen zu, und ihr kommt als Helden nach Hause. So ist das aber nicht. Nein, Leute! Krieg heißt hungern und vom Schlafen in der Nässe Masern und Lungenentzündung kriegen. Und wenn es nicht Masern und Lungenentzündung sind, dann sind es eure Gedärme. Menschenskind, was der Krieg mit den Gedärmen macht – Ruhr und so weiter …«

Die Damen erröteten. Mister McRae war ein Überbleibsel aus rauheren Zeiten, wie Grandma Fontaine und ihre peinlich lauten Rülpser, aus Zeiten, an die niemand mehr erinnert werden wollte.

»Lauf und hol deinen Großvater«, zischte eine der Töchter des alten Herrn ein Mädchen in der Nähe an. »Ich muss schon sagen«, flüsterte sie den aufgeplusterten Matronen in ihrer Nähe zu, »er wird von Tag zu Tag schlimmer. Stellen Sie sich vor, heute Morgen hat er zu Mary gesagt – und sie ist erst sechzehn: ›Also, kleine Miss …‹« Doch die Stimme verlor sich in einem Wispern, als die Enkelin sich vordrängelte und Mr. McRae nötigte, an seinen Platz im Schatten zurückzukehren.

Unter all den Menschen, die sich unter den Bäumen ergingen, den Mädchen, die aufgeregt lächelten, und den Männern, die leidenschaftlich debattierten, gab es nur einen einzigen, der bei alledem gelassen wirkte. Scarlett schaute zu Rhett Butler hinüber, der an einen Baum gelehnt stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er stand allein, seit Mr. Wilkes sich jemand anderem zugewandt hatte, und beteiligte sich mit keinem Wort an dem zunehmend hitzigen Gespräch. Die roten Lippen unter dem schmalen schwarzen Schnurrbart verzogen sich spöttisch, und in seinen schwarzen Augen schimmerte ein Funke herablassender Belustigung – als hörte er den Prahlereien kleiner Kinder zu. Ein sehr unangenehmes Lächeln, dachte Scarlett. Er lauschte schweigend, bis Stuart Tarleton mit zerzausten roten Haaren und leuchtenden Augen wiederholte: »Mensch, wir könnten sie in einem Monat erledigen. Gentlemen kämpfen immer besser als dieses Pack. In einem Monat – ach was, in einer einzigen Schlacht …«

»Gentlemen«, sagte Rhett Butler, ohne sich von der Stelle zu rühren oder die Hände aus den Taschen zu nehmen, in der gedehnt monotonen Sprechweise, die seine Herkunft aus Charleston verriet, »darf ich ein Wort dazu sagen?«

Ein verächtlicher Zug lag in seinem Verhalten und in seinen Augen, überspielt von einer Courtoisie, die irgendwie ihrer aller Manieren parodierte.

Die Gruppe wandte sich ihm zu und erwies ihm die Höflichkeit, die einem Auswärtigen gebührt.

»Hat irgendeiner der Gentlemen je daran gedacht, dass es keine Geschützgießerei südlich der Mason-Dixon-Line gibt? Wie wenige Eisengießereien im Süden überhaupt existieren? Oder Wollwebereien und Baumwollspinnereien und Gerbereien? Haben Sie bedacht, dass wir nicht ein einziges Kriegsschiff besitzen und dass die Flotte der Yankees innerhalb einer Woche unsere Häfen absperren würde, so dass wir unsere Baumwolle nicht mehr ins Ausland verkaufen können? Aber – natürlich – die Gentlemen haben an all das gedacht.«

Was fällt ihm ein? Er hält die Jungs für einen Haufen Trottel! dachte Scarlett empört, und das Blut schoss ihr in die Wangen.

Offensichtlich war sie nicht die einzige, die auf diesen Gedanken kam, denn mehrere der Jungs reckten ihr Kinn. John Wilkes kehrte beiläufig, aber schnell an seinen Platz neben dem Sprecher zurück, wie um allen Anwesenden zu zeigen, dass dieser Mann sein Gast war und dass überdies Damen anwesend waren.

»Das Problem mit den meisten von uns Südstaatlern«, fuhr Rhett Butler fort, »ist, dass wir entweder nicht genug reisen, oder dass wir von unseren Reisen nicht genug mitnehmen. Natürlich sind Sie alle weit gereist, Gentlemen. Aber was haben Sie gesehen? Europa und New York und Philadelphia, und die Damen sind natürlich in Saratoga gewesen.« Er verbeugte sich leicht in Richtung der Gruppe unter den Bäumen. »Sie haben die Hotels und die Museen gesehen, die Bälle und die Casinos. Und sie sind heimgekehrt mit dem Glauben, dass nichts dem Süden das Wasser reichen kann. Was mich betrifft, so bin ich zwar in Charleston geboren, aber ich habe die letzten paar Jahre im Norden verbracht.« Er bleckte grinsend seine weißen Zähne, als wäre ihm klar, dass alle Anwesenden wussten, warum er nicht mehr in Charleston lebte, als wäre ihm das aber völlig egal. »Ich habe vieles gesehen, was Sie alle nicht gesehen haben. Tausende von Einwanderern, die mit Freuden für Essen und ein paar Dollars für die Yankees kämpfen würden – die Fabriken, die Gießereien, die Werften, die Eisen- und Kohlebergwerke – all die Dinge, die wir nicht haben. Lieber Himmel, wir haben nichts als Baumwolle und Sklaven und Arroganz. Sie würden uns binnen eines Monats erledigen.«

Einen angespannten Moment lang herrschte Schweigen. Rhett Butler zog ein feines Leinentaschentuch aus seiner Jackentasche und wischte nachlässig Staub von seinem Ärmel. Dann erhob sich ein bedrohliches Murmeln in der Menge, und aus der Laube ertönte ein Summen, so unmissverständlich wie das Summen eines aufgestörten Bienenschwarms. Obwohl ihr die heiße Zornesröte in die Wangen gestiegen war, erkannte Scarletts praktischer Verstand, dass dieser Mann die Wahrheit sagte und dass es vernünftig klang. Tatsächlich hatte sie noch nie eine Fabrik gesehen, und sie kannte auch niemanden, der schon mal eine gesehen hatte. Aber selbst wenn es stimmte, war es eines Gentlemans unwürdig, so etwas zu behaupten – und noch dazu auf einer Party, wo alle Spaß haben wollten.

Stuart Tarleton trat mit finster zusammengezogenen Augenbrauen vor, Brent gleich hinter ihm. Natürlich waren die Tarleton-Jungs gut erzogen und würden auf einem Barbecue keinen Streit vom Zaun brechen, selbst wenn sie übermäßig provoziert wurden. Dennoch empfanden alle Damen ein angenehmes Prickeln, denn sie erlebten so selten eine Szene oder einen Streit. Normalerweise erfuhren sie davon nur aus dritter Hand.

»Sir«, sagte Stuart mit Nachdruck, »was wollen Sie damit sagen?«

Rhett blickte ihn freundlich, aber mit leisem Spott an.

»Ich will damit sagen«, antwortete er, »was Napoleon – vielleicht haben Sie schon von ihm gehört? – einmal gesagt hat: ›Gott ist auf der Seite der stärkeren Bataillone!‹« Dann wandte er sich John Wilkes zu und sagte mit ungespielter Höflichkeit: »Sie hatten versprochen, mir Ihre Bibliothek zu zeigen, Sir. Wäre es unverschämt, jetzt darum zu bitten, sie sehen zu dürfen? Ich fürchte, ich muss am frühen Nachmittag nach Jonesboro zurück, wo Geschäfte auf mich warten.«

Er drehte sich schwungvoll zu den anderen um, schlug die Hacken zusammen und verneigte sich wie ein Tanzmeister, eine Verbeugung, die für einen so kräftigen Mann erstaunlich graziös und zugleich so frech wie eine Ohrfeige wirkte. Dann überquerte er erhobenen Hauptes zusammen mit John Wilkes den Rasen, und sein aufreizendes Lachen scholl zurück zu der Versammlung bei den Tischen.

Es folgte betretenes Schweigen, doch dann brach das Summen wieder los. India stand müde von ihrem Platz in der Laube auf und ging auf den wütenden Stuart Tarleton zu. Scarlett konnte nicht hören, was sie sagte, aber der Ausdruck ihrer Augen, als sie zu seinem gesenkten Gesicht aufblickte, verursachte Scarlett so etwas wie Gewissensbisse. Es war derselbe Ausdruck der Zusammengehörigkeit, den Melanie trug, wenn sie Ashley ansah, nur dass Stuart ihn nicht bemerkte. Also liebte India ihn tatsächlich. Scarlett dachte kurz, wenn sie vor einem Jahr bei der politischen Versammlung nicht so schamlos mit Stuart geflirtet hätte, dann hätte er India vielleicht längst geheiratet. Doch dann wurden die Gewissensbisse von dem beruhigenden Gedanken verdrängt, dass es nicht Scarletts Schuld war, wenn andere Mädchen ihre Männer nicht an sich binden konnten.

Schließlich lächelte Stuart India widerstrebend an und nickte. Wahrscheinlich hatte sie ihn gebeten, Mr. Butler nicht zu folgen und keinen Streit anzuzetteln. Unter den Bäumen begann ein kleiner Tumult, als die Gäste aufstanden und sich die Krümel abklopften. Die verheirateten Frauen riefen nach den Kindermädchen und sammelten ihre Brut, um abzufahren, und Mädchengruppen machten sich lachend zum Haus auf, um in den Schlafzimmern im Obergeschoss zu plaudern oder ein Schläfchen zu halten.

Alle Damen außer Mrs. Tarleton zogen sich aus dem Garten zurück und überließen den Schatten der Eichen und der Laube den Männern. Mrs. Tarleton wurde von Gerald, Mr. Calvert und den anderen festgehalten, weil sie eine Zusage wegen der Pferde für die Truppe von ihr wollten.

Ashley schlenderte halb versonnen, halb amüsiert zu dem Platz, wo Scarlett und Charles saßen.

»Was für ein arroganter Teufel!« bemerkte er und sah Butler hinterher. »Er sieht aus wie einer von den Borgias.«

Scarlett überlegte rasch, konnte sich aber an keine Familie dieses Namens im County oder in Atlanta oder Savannah erinnern.

»Die kenne ich nicht. Ist er mit ihnen verwandt? Wer ist das?«

Ein seltsamer Ausdruck stahl sich in Charles’ Gesicht, Unglaube und Scham im Kampf mit der Liebe. Die Liebe triumphierte, als ihm klar wurde, dass es für ein Mädchen genügte, lieb und sanft und schön zu sein, ohne dass ihre Reize von Bildung beeinträchtigt wurden, und er antwortete rasch: »Die Borgias waren Italiener.«

»Ach«, sagte Scarlett und verlor sofort das Interesse. »Ausländer.«

Sie wandte Ashley ihr hübschestes Lächeln zu, aber aus irgendeinem Grund sah er sie nicht an. Er blickte auf Charles und sein Gesicht verriet Verständnis, und ein wenig Mitleid.

Scarlett stand auf dem oberen Treppenabsatz und spähte vorsichtig über das Geländer nach unten in die verlassene Halle. Aus den Schlafzimmern im Obergeschoss drang das unaufhörliche Gesumm leiser Stimmen, wurde lauter und wieder leiser, hin und wieder unterbrochen von quiekendem Gegicker und: »Na, das hast du doch nicht wirklich!« und »Was hat er da gesagt?« Auf den Betten und Sofas der sechs großen Schlafzimmer ruhten sich die Mädchen aus; die Kleider hatten sie ausgezogen, ihre Korsetts gelockert, das Haar hing ihnen über den Rücken. Nachmittagsschläfchen waren auf dem Land Sitte, und sie waren nie so notwendig wie bei ganztägigen Partys, die früh am Morgen begannen und ihren Höhepunkt in einem Ball fanden. Eine halbe Stunde lang schwatzten und kicherten die Mädchen, dann machten die Dienstboten die Fensterläden zu, und im warmen Halbdämmer verlor sich das Gespräch in Geflüster und erstarb schließlich, bis die Stille nur noch von leisen, gleichmäßigen Atemzügen unterbrochen wurde.

Scarlett hatte sich vergewissert, dass Melanie sich mit Honey und Hetty Tarleton zu Bett gelegt hatte, ehe sie in den Flur schlich und die Treppe hinunterstieg. Vom Fenster des Treppenabsatzes konnte sie die Gruppe der Männer in der Laube sitzen und aus hohen Gläsern trinken sehen, und sie wusste, dass sie dort bis zum späten Nachmittag sitzenbleiben würden. Sie suchte die Gruppe mit den Augen ab, aber Ashley war nicht darunter. Dann lauschte sie und hörte seine Stimme. Wie sie gehofft hatte, stand er immer noch in der Einfahrt vor dem Haus und verabschiedete die abfahrenden Matronen und Kinder.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie die Treppe hinuntereilte. Wenn sie nun Mr. Wilkes begegnete? Wie sollte sie erklären, dass sie im Haus herumschlich, während all die anderen Mädchen ihren Schönheitsschlaf hielten? Nun, darauf musste man es ankommen lassen.

Als sie die unterste Stufe erreichte, hörte sie, wie die Dienstboten sich unter dem Kommando des Butlers im Speisezimmer zu schaffen machten und den Esstisch und die Stühle für den Ball nach draußen trugen. Auf der anderen Seite der großen Halle stand die Tür zur Bibliothek offen, und sie schlüpfte lautlos hinein. Dort konnte sie warten, bis Ashley seine Verabschiedung beendet hatte, und ihn dann ansprechen, wenn er ins Haus kam.

Die Bibliothek lag im Halbdunkel, denn die Vorhänge waren wegen der Sonne zugezogen. Der dämmrige Raum mit den deckenhohen Bücherwänden bedrückte sie. Es war nicht der Ort, den sie für ein Stelldichein, wie sie es sich erhoffte, ausgewählt hätte. Große Mengen von Büchern bedrückten sie immer, ebenso wie Leute, die gern viele Bücher lasen. Das heißt, alle außer Ashley. Die schweren Möbel erhoben sich im Zwielicht vor ihr, hochlehnige Sessel mit tiefen Sitzflächen und breiten Armlehnen für die hochgewachsenen Männer der Wilkes, niedrige weiche Samtsessel mit samtbezogenen Kissen davor für die Mädchen. Ganz am anderen Ende des langen Raums reckte das zwei Meter lange Sofa, Ashleys Lieblingsplatz, seine hohe Rückenlehne empor wie ein riesiges schlafendes Tier.

Sie schloss die Tür bis auf einen schmalen Spalt und bemühte sich, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie versuchte sich zu besinnen, was genau sie in der vergangenen Nacht geplant hatte, Ashley zu sagen, aber es fiel ihr nicht mehr ein. Hatte sie sich etwas ausgedacht und es vergessen – oder hatte sie bloß geplant, dass Ashley etwas zu ihr sagen würde? Sie konnte sich nicht erinnern, und plötzlich befiel sie eisiger Schrecken. Wenn ihr Herz doch bloß aufhören würde, in ihren Ohren zu hämmern, dann könnte sie sich überlegen, was sie sagen wollte. Doch das rasende Pochen nahm noch zu, als sie ihn ein letztes Abschiedswort rufen und dann in die Halle kommen hörte.

Ihr fiel nichts anderes ein, als dass sie ihn liebte – alles an ihm, von dem stolz gereckten goldenen Kopf bis zu seinen schmalen dunklen Stiefeln, sie liebte sein Lachen, auch in Momenten, wo sie es nicht verstand, liebte sein rätselhaftes Schweigen. Ach, wenn er einfach nur hereinkäme und sie in seine Arme schlösse, dann bliebe ihr erspart, etwas sagen zu müssen. Er musste sie lieben – »Vielleicht, wenn ich bete« –, sie presste fest die Augen zusammen und begann vor sich hin zu murmeln »Gegrüßetseistdumariavolldergnaden …«

»Nanu, Scarlett!« brach Ashleys Stimme durch das Rauschen in ihren Ohren und machte ihre Verwirrung vollständig. Er stand in der Halle und blickte sie mit einem verwunderten Lächeln durch die halboffene Tür an.

»Vor wem versteckst du dich, vor Charles oder vor den Tarletons?«

Sie schluckte. Also hatte er doch bemerkt, wie die Männer sie umschwärmt hatten. Wie unaussprechlich lieb er da mit erwartungsvollen Augen stand, ohne etwas von ihrer Aufregung zu bemerken. Sie konnte nicht sprechen, aber sie streckte die Hand aus und zog ihn in die Bibliothek. Er trat ein, erstaunt, aber neugierig. Sie wirkte angespannt und ihre Augen funkelten, wie er es nie zuvor gesehen hatte, und selbst im Dämmerlicht konnte er die rosige Glut ihrer Wangen erkennen. Automatisch schloss er die Tür hinter ihnen und ergriff ihre Hand.

»Was gibt’s?« fragte er fast flüsternd.

Als er ihre Hand berührte, begann sie zu zittern. Jetzt würde es geschehen, genau wie sie es sich erträumt hatte. Tausend unzusammenhängende Gedanken schossen ihr durch den Kopf, und sie konnte nicht einen einzigen festhalten und zu einem Wort formen. Sie konnte nur beben und ihm ins Gesicht blicken. Warum sprach er nicht?

»Was gibt’s?« wiederholte er. »Willst du mir ein Geheimnis verraten?«

Plötzlich fand sie ihre Sprache wieder, und ebenso plötzlich fielen die jahrelangen Lehren Ellens in sich zusammen und das forsche irische Blut Geralds sprach aus Scarletts Lippen.

»Ja – ein Geheimnis. Ich liebe dich.«

Einen Augenblick lang herrschte so tiefes Schweigen, als hielten beide den Atem an. Dann ließ das Zittern nach und Freude und Stolz erfüllten sie. Warum hatte sie das nicht schon früher getan? Wie viel einfacher war es als all die damenhaften Winkelzüge, die man ihr beigebracht hatte. Und dann suchte ihr Blick seine Augen.

In ihnen malte sich Bestürzung, Unglauben und noch etwas – was denn nur? Ja, Gerald hatte so ausgesehen, als sein Lieblingsjagdpferd sich das Bein gebrochen hatte und er es erschießen musste. Warum dachte sie gerade jetzt daran? So ein alberner Gedanke. Und warum sah Ashley so merkwürdig aus und sagte nichts? Dann senkte sich etwas wie eine gut eingeübte Maske über sein Gesicht und er lächelte galant.

»Genügt es dir nicht, dass du heute jedem zweiten Mann den Kopf verdreht hast?« fragte er mit dem alten spöttischen, zärtlichen Ton in der Stimme. »Willst du die Sache einstimmig haben? Weißt du, mein Herz hat schon immer dir gehört. Du hast dir die Zähne daran ausgebissen.«

Etwas war verkehrt – ganz verkehrt. In dem rasenden Wirbel der Gedanken in ihrem Kopf begann einer davon Form anzunehmen. Ashley benahm sich aus irgendeinem Grund so, als glaubte er, sie wolle nur mit ihm flirten. Aber er wusste, dass dem nicht so war. Da war sie sich sicher.

»Ashley – Ashley – sag mir – du musst – ach, mach dich nicht lustig über mich! Gehört mir dein Herz? Ach, mein Liebster, ich lie…«

Seine Hand fuhr schnell über ihre Lippen. Die Maske war verschwunden.

»Du darfst das alles nicht sagen, Scarlett! Du darfst nicht. Du meinst das doch gar nicht. Du wirst dich selbst dafür hassen, dass du es gesagt hast, und mich, weil ich es angehört habe!«

Sie riss heftig den Kopf zurück. Ein heißer Strom durchfloss sie.

»Ich könnte dich nie hassen. Ich sage dir, ich liebe dich, und ich weiß, es liegt dir etwas an mir, weil …« Sie brach ab. Noch nie zuvor hatte sie solche Verzweiflung in einem Gesicht gesehen. »Ashley, du empfindest etwas für mich, nicht wahr?«

»Ja«, sagte er tonlos, »ich empfinde etwas für dich.«

Hätte er gesagt, er verabscheue sie, wäre sie kaum erschrockener gewesen. Sprachlos zupfte sie an seinem Ärmel herum.

»Scarlett«, sagte er. »Können wir nicht gehen und vergessen, dass wir das alles je gesagt haben?«

»Nein«, flüsterte sie. »Das kann ich nicht. Was meinst du denn? Willst du – willst du mich nicht heiraten?«

Er erwiderte: »Ich werde Melanie heiraten.«

Plötzlich fand sie sich auf einem niedrigen Samtsessel, und Ashley saß auf dem Sitzkissen ihr zu Füßen und hielt ihre Hände mit den seinen ganz fest. Er sagte Dinge – Dinge, die keinen Sinn ergaben. Ihr Kopf war völlig leer, alle Gedanken, die noch einen Augenblick zuvor darin herumwogten, waren wie weggeblasen, und seine Worte hinterließen nicht mehr Eindruck als Regentropfen auf einer Fensterscheibe. Sie fanden kein Gehör, diese raschen, zärtlichen Worte, voller Mitleid, wie sie ein Vater zu seinem Kind spricht, das sich verletzt hat.

Melanies Name drang in ihr Bewusstsein durch, und sie blickte in seine kristallgrauen Augen. Darin sah sie die alte Reserviertheit, die sie immer vor Rätsel gestellt hatte – und so etwas wie Selbsthass.

»Vater wird die Verlobung heute Abend bekannt geben. Wir werden bald heiraten. Ich hätte es dir sagen sollen, aber ich dachte, du wüsstest es. Ich dachte, jeder wüsste es – schon seit Jahren. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass du – du hast so viele Anbeter. Ich dachte, Stuart …«

Sie wurde wieder lebendig, Gefühl und Verständnis kehrten zurück.

»Aber du hast doch eben gesagt, dass du etwas für mich empfindest.«

Seine warmen Hände taten ihr weh.

»Meine Liebe, willst du mich zwingen, Dinge zu sagen, die dir wehtun werden?«

Ihr Schweigen drängte ihn weiter.

»Wie kann ich dir das bloß begreiflich machen, meine Liebe? Wo du so jung bist und so gedankenlos, dass du gar nicht weißt, was Ehe bedeutet.«

»Ich weiß, dass ich dich liebe.«

»Liebe ist nicht genug für das Gelingen einer Ehe, wenn zwei Leute so verschieden sind wie wir beide. Du würdest einen Mann mit Haut und Haaren besitzen wollen, seinen Leib, sein Herz, seine Seele, seine Gedanken. Und wenn du das nicht bekämst, wärst du todunglücklich. Aber ich könnte mich dir nicht vollständig geben. Ich könnte mich niemandem vollständig hingeben. Und ich würde auch von dir nicht deine gesamten Gedanken und deine ganze Seele wollen. Und das würde dich verletzen, und dann würdest du anfangen, mich zu hassen, und wie! Du würdest die Bücher hassen, die ich lese, und die Musik, die ich liebe, wenn sie mich dir auch nur für einen Augenblick entziehen würden. Und ich – vielleicht würde ich …«

»Liebst du sie?«

»Sie ist wie ich, Blut von meinem Blut, und wir verstehen uns. Scarlett! Scarlett! Kann ich dir nicht begreiflich machen, dass eine Ehe nur friedlich verlaufen kann, wenn die Eheleute sich ähnlich sind?«

Das hatte jemand anderes auch schon gesagt: »Nur wenn Gleich und Gleich heiraten, kommt Glück dabei heraus.« Wer war das gewesen? Es schien eine Million Jahre her zu sein, seit sie es gehört hatte, aber es ergab immer noch keinen Sinn.

»Aber du hast gesagt, du empfindest etwas für mich.«

»Das hätte ich nicht sagen sollen.«

Irgendwo in ihrem Kopf begann ein Feuer zu glühen, und die Wut überlagerte alles andere.

»Nachdem du ein solcher Schuft warst, es zu sagen …«

Sein Gesicht wurde kreidebleich.

»Ich war ein Schuft, es zu sagen, denn ich werde Melanie heiraten. Ich habe dir unrecht getan und Melanie sogar noch mehr. Ich hätte es nicht sagen dürfen, denn ich wusste, du würdest es nicht verstehen. Wie konnte ich vermeiden, Gefühle für dich zu entwickeln – für dich, die all die Leidenschaft für das Leben hat, die mir fehlt? Für dich, die mit einer Gewalt hassen und lieben kann, die mir unmöglich ist? Du bist doch so elementar wie Feuer und Wind und wilde Tiere, und ich …«

Sie dachte an Melanie und sah plötzlich deren ruhige braune Augen mit ihrem in die Ferne schweifenden Blick vor sich, ihre friedlichen kleinen Hände in den schwarzen Spitzenhandschuhen, ihr mildes Schweigen. Und da brach ihr Zorn aus, derselbe Zorn, der Gerald zum Mord getrieben hatte und andere irische Vorfahren zu Verbrechen, die sie den Kopf gekostet hatten. Da war nichts mehr in ihr von den wohlerzogenen Robillards, die alles schweigend ertragen konnten, was die Welt ihnen aufbürdete.

»Sag’s doch, du Feigling! Du hast Angst, mich zu heiraten. Du möchtest lieber mit diesem kleinen Dummchen leben, die ihren Mund nicht aufkriegt, außer um ›ja‹ oder ›nein‹ zu sagen, und du willst mit ihr einen Haufen scheinheiliger Bälger in die Welt setzen, die genauso sind wie sie! Also …«

»So darfst du nicht über Melanie sprechen!«

»Steck dir dein ›du darfst‹ an den Hut! Wer bist du, mir zu sagen, ich dürfte etwas nicht? Du Feigling, du Schuft, du – du hast mich glauben lassen, du würdest mich heiraten …«

»Sei nicht ungerecht«, bat er sie. »Habe ich jemals …«

Sie wollte nicht gerecht sein, obwohl sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte kein einziges Mal die Grenze der Freundschaftlichkeit überschritten, und als sie daran dachte, stieg neue Wut in ihr auf, die Wut verletzten Stolzes und gekränkter Eitelkeit. Sie war ihm nachgelaufen und er wollte nichts von ihr wissen. Er zog ihr ein milchgesichtiges Dummchen wie Melanie vor. Oh, hätte sie nur Ellens und Mammys Lehren befolgt und nie, niemals verraten, dass sie ihn überhaupt leiden konnte – alles wäre besser, als sich dieser brennenden Scham ausgeliefert zu sehen!

Sie sprang auf, ihre Hände zu Fäusten geballt, und er erhob sich zu seiner vollen Größe, das Gesicht gezeichnet von der stummen Verzweiflung eines Menschen, der sich den Tatsachen stellen muss, während die Tatsachen Qual bedeuten.

»Ich werde dich hassen bis zum Ende meines Lebens, du Schuft – du mieser – mieser …« Was war das Wort, das sie suchte? Es fiel ihr kein Wort ein, das böse genug war.

»Scarlett – bitte …«

Er streckte ihr die Hand entgegen, und in diesem Moment schlug sie ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Es klang in dem stillen Raum wie ein Peitschenhieb, und plötzlich war ihre Wut verflogen, und ihr Herz war erfüllt von Trostlosigkeit.

Der rote Abdruck ihrer Hand war deutlich auf seinem bleichen, müden Gesicht zu sehen. Er sagte nichts, sondern hob ihre leblose Hand an seine Lippen und küsste sie. Und ehe sie noch etwas sagen konnte, war er fort und hatte die Tür leise hinter sich geschlossen.

Sie musste sich plötzlich wieder setzen, denn ihr waren nach ihrem Wutausbruch die Knie weich geworden. Er war fort, und die Erinnerung an sein gramerfülltes Gesicht sollte sie bis zu ihrem Lebensende verfolgen.

Sie hörte das leise, gedämpfte Geräusch seiner Schritte in der Halle verklingen, und da wurde ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Handelns klar. Sie hatte ihn für immer verloren. Nun würde er sie hassen, und jedes Mal, wenn er sie anschaute, würde er sich daran erinnern, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, ohne dass er ihr die geringste Veranlassung dazu gegeben hatte.

Ich bin nicht besser als Honey Wilkes, dachte sie plötzlich, als ihr einfiel, wie alle, und sie selbst mehr als alle anderen, verächtlich über Honeys dreistes Benehmen gelacht hatten. Sie sah Honeys peinliches Hüftwackeln vor sich und hörte ihr albernes Gekicher, wenn sie sich bei jungen Männern einhängte, und der Gedanke stachelte ihre Wut erneut an, Wut auf sich selbst, auf Ashley, Wut auf die ganze Welt. Weil sie sich selbst hasste, hasste sie alle mit der Raserei der enttäuschten und gedemütigten Liebe einer Sechzehnjährigen. Nur wenig echte Zärtlichkeit war in ihrer Liebe gewesen. In der Hauptsache hatte sie aus Eitelkeit und dem selbstgefälligen Vertrauen in ihre eigenen Reize bestanden. Nun war sie unterlegen, und größer noch als die Niederlage wog für sie die Angst, sich öffentlich zum Gespött gemacht zu haben. Hatte sie sich so auffällig verhalten wie Honey? Lachten alle sie aus? Bei diesem Gedanken begann sie zu zittern.

Ihre Hand sank auf einen Beistelltisch und spielte mit einer kleinen Rosenschale aus Porzellan, auf der zwei Putten lächelten. Der Raum war so still, dass sie am liebsten geschrien hätte, um das Schweigen zu durchbrechen. Sie musste irgendetwas tun, sonst würde sie verrückt. Sie nahm die Schale und schleuderte sie wutentbrannt quer durch den Raum gegen den Kamin. Sie flog gerade über die hohe Sofalehne und zersplitterte am Kaminsims.

»Jetzt reicht’s«, sagte eine Stimme aus den Tiefen des Sofas.

So erschrocken war sie noch nie in ihrem Leben, und ihr Mund wurde so trocken, dass sie keinen Laut von sich geben konnte. Sie hielt sich an der Sessellehne fest, denn ihre Knie gaben unter ihr nach, als Rhett Butler vom Sofa aufstand, auf dem er gelegen hatte, und sich übertrieben höflich vor ihr verneigte.

»Es ist schlimm genug, wenn ein Nachmittagsschläfchen durch eine Szene gestört wird, wie ich sie anhören musste, aber warum muss auch noch mein Leben in Gefahr gebracht werden?«

Er war es wirklich, er war kein Gespenst. Beim Allmächtigen, er hatte alles gehört! Mit letzter Kraft versuchte sie sich einen Anschein von Würde zu geben.

»Sir, sie hätten sich bemerkbar machen müssen.«

»Ach so?« Seine weißen Zähne blitzten und seine unverschämten dunklen Augen lachten sie an. »Aber Sie waren der Eindringling. Ich war gezwungen, auf Mr. Kennedy zu warten, und da es mir schien, als sei ich im Garten Persona non grata, habe ich aus Höflichkeit meine unwillkommene Anwesenheit hierher verlegt, wo ich hoffte, ungestört zu bleiben. Aber leider!« Er zuckte die Achseln und lachte in sich hinein.

Allmählich stieg wieder Zorn in ihr auf, als sie sich bewusst machte, dass dieser grobe, unverschämte Mann alles gehört hatte, Dinge gehört hatte, die sie nie im Leben hätte sagen dürfen.

»Der Lauscher an der Wand …«, begann sie wütend.

»Der Lauscher an der Wand hört oft höchst unterhaltsame und lehrreiche Dinge«, grinste er. »Aus meiner langen Erfahrung als Lauscher kann ich …«

»Sir«, sagte sie, »Sie sind kein Gentleman!«

»Eine treffende Beobachtung«, sagte er heiter. »Und Sie, Miss, sind keine Lady.« Er schien sie sehr amüsant zu finden, denn er lachte wieder leise. »Keine Frau, die gesagt und getan hat, was ich gerade gehört habe, kann weiter eine Lady sein. Ladys haben mich bislang allerdings nur sehr wenig interessiert. Ich weiß immer, was sie denken, aber sie haben nie den Mut oder den nötigen Mangel an Erziehung, zu sagen, was sie denken. Und das wird auf die Dauer langweilig. Aber Sie, meine werte Miss O’Hara, sind ein Mädchen von seltenem, bewunderungswürdigem Temperament, und ich ziehe den Hut vor Ihnen. Ich verstehe nur nicht, welche Anziehungskraft der elegante Mr. Wilkes auf ein Mädchen mit Ihrem stürmischen Charakter ausüben kann. Er sollte Gott auf Knien danken für ein Mädchen mit Ihrer – wie sagte er doch gleich? – ›Leidenschaft für das Leben‹, aber da er ein jämmerlicher Wicht ist …«

»Sie sind es nicht wert, ihm die Stiefel zu putzen!« schrie sie wütend.

»Sie wollten ihn doch bis an Ihr Lebensende hassen!« Er ließ sich auf das Sofa fallen und lachte laut.

Wenn sie ihn hätte umbringen können, hätte sie es getan. Stattdessen schritt sie möglichst würdevoll aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Sie rannte so schnell die Treppe hinauf, dass sie am oberen Treppenabsatz fürchtete, sie würde ohnmächtig. Sie hielt sich am Geländer fest, und ihr Herz schlug vor Zorn, Beschämung und Anstrengung so heftig, dass es schier ihr Mieder sprengen wollte. Sie versuchte, tief Atem zu holen, aber Mammy hatte sie zu fest geschnürt. Wenn sie nun in Ohnmacht fiel und man sie hier auf dem Treppenabsatz fand, was würden die Leute denken? Oh, sie würden alles Mögliche denken. Ashley und dieser ekelhafte Butler und die grässlichen Mädchen, die nur eifersüchtig waren. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie, sie hätte Riechsalz bei sich wie die anderen Mädchen, aber sie hatte nie ein Riechfläschchen besessen. Sie war immer so stolz darauf gewesen, dass ihr nie schwindelig wurde. Sie durfte jetzt einfach nicht ohnmächtig werden!

Allmählich ließ das Schwindelgefühl nach. In einer Minute würde sie sich wieder gut fühlen, und dann würde sie sich in das kleine Ankleidezimmer neben Indias Zimmer schleichen, ihr Korsett lockern und sich dann auf eins der Betten neben die schlafenden Mädchen legen. Sie versuchte ihr Herz zu beruhigen und ihr Gesicht zu glätten, denn ihr war bewusst, dass sie wahrscheinlich wie eine Wahnsinnige aussah. Wenn jemand von den Mädchen wach war, würden sie sofort wissen, dass etwas nicht stimmte. Und niemand durfte je erfahren, dass etwas vorgefallen war.

Durch das breite Erkerfenster auf dem Treppenabsatz konnte sie sehen, dass die Männer immer noch unter den Bäumen und im Schatten der Laube auf Stühlen herumlungerten. Wie sie sie beneidete! Wie herrlich war es, ein Mann zu sein und niemals solche Kümmernisse zu erleiden, wie sie sie gerade erlebt hatte. Während sie noch benommen und mit heißen Augen hinüberblickte, hörte sie Pferdegetrappel auf der vorderen Auffahrt, das Aufspritzen von Kies und eine aufgeregte Stimme, die den Sklaven eine Frage zurief. Wieder spritzte der Kies, und dann sah sie einen Reiter über den grünen Rasen zu den Müßiggängern unter den Bäumen galoppieren.

Irgendein später Gast, aber warum ritt er über den Rasen, auf den India so stolz war? Sie konnte ihn nicht erkennen, aber als er vom Pferd sprang und John Wilkes am Arm packte, verriet sich Aufregung in jeder Faser seines Körpers. Die Männer scharten sich um ihn, Gläser und Palmettofächer blieben auf den Tischen oder auf dem Boden zurück. Trotz der Entfernung konnte sie das Stimmengewirr aus Fragen und Rufen hören und die fiebrige Anspannung der Männer spüren. Dann erhob sich über dem Durcheinander Stuarts Stimme mit einem Jubelruf: »Jippiiijeh!«, als wäre er bei der Treibjagd. Ohne es zu wissen, hörte sie zum ersten Mal den Rebellenschrei.

Plötzlich lösten sich die vier Tarletons, gefolgt von den Fontaine-Jungs, aus der Gruppe, eilten auf den Stall zu und riefen im Laufen: »Jeems! Hey Jeems! Sattle die Pferde!«

Irgendwo muss es brennen, dachte Scarlett. Aber Feuer hin, Feuer her, sie musste ins Schlafzimmer zurück, ehe man sie entdeckte.

Ihr Herz war jetzt ruhiger, und sie schlich auf Zehenspitzen die Stufen zum stillen Flur hinauf. Eine schwere, warme Schläfrigkeit lag über dem Haus, als ruhte es wie die Mädchen bis zum Abend, wenn es mit Musik und Kerzenlicht zu voller Schönheit erwachen würde. Vorsichtig schob sie die Tür zum Ankleidezimmer auf und glitt hinein. Mit einer Hand hielt sie noch den Türknauf hinter sich, da ertönte Honey Wilkes’ Stimme leise, fast flüsternd durch den Spalt der gegenüberliegenden Schlafzimmertür.

»Ich finde, Scarlett hat sich heute so schamlos benommen, wie sich ein Mädchen überhaupt nur benehmen kann.«

Scarlett spürte, wie ihr Herz wieder wie verrückt zu rasen begann, und sie presste unbewusst die Hand dagegen, als wollte sie es zum Gehorsam zwingen. »Der Lauscher an der Wand hört oft sehr lehrreiche Dinge«, höhnte eine Erinnerung. Sollte sie sich wieder hinausschleichen? Oder sich bemerkbar machen und Honey in Verlegenheit bringen, wie sie es verdiente? Doch die nächste Stimme ließ sie innehalten. Keine zehn Pferde hätten sie wegbringen können, als sie Melanies Stimme hörte. »O Honey, nein! Sei nicht so unbarmherzig! Sie ist einfach lebendig und temperamentvoll. Ich fand sie sehr charmant.«

Oh, dachte Scarlett und grub die Fingernägel in ihr Mieder. Jetzt muss dieses heuchlerische kleine Biest sich auch noch auf meine Seite schlagen!

Das war noch schwerer zu ertragen als Honeys unverhohlene Gehässigkeit. Scarlett hatte keiner Frau je getraut und hatte auch keiner – außer ihrer Mutter – je andere als eigensüchtige Motive unterstellt. Melanie wusste sich im sicheren Besitz Ashleys und konnte sich daher solch christliche Barmherzigkeit gut leisten. Scarlett sah darin einfach nur Melanies Art, mit ihrer Eroberung zu prahlen und gleichzeitig noch als lieb und nett zu gelten. Scarlett hatte oft denselben Trick angewendet, wenn sie mit Männern über andere Mädchen sprach, und er hatte nie verfehlt, die törichten Männer von ihrem Liebreiz und ihrer Selbstlosigkeit zu überzeugen.

»Also, Missy«, sagte Honey eingeschnappt, »du bist wohl blind.«

»Pscht, Honey«, zischte Sally Munroes Stimme, »man hört dich im ganzen Haus!«

Honey senkte die Stimme, fuhr aber fort.

»Ihr habt doch gesehen, wie sie mit jedem Mann in ihrer Reichweite schamlos geflirtet hat – sogar mit Mr. Kennedy, dabei ist er der Verehrer ihrer eigenen Schwester. So was habe ich noch nie erlebt. Und sie hat sich auf jeden Fall an Charles rangemacht.« Honey kicherte verlegen. »Und ihr wisst, Charles und ich …«

»Wirklich?« flüsterten aufgeregte Stimmen.

»Naja, verratet es niemandem, Mädels – noch nicht!«

Man hörte noch mehr Kichern, und die Bettfedern ächzten, als jemand Honey drückte. Melanie murmelte, wie glücklich sie sei, dass Honey ihre Schwester würde.

»Tja, ich freue mich nicht, Scarlett zur Schwester zu kriegen, denn sie ist ein lockeres Mädchen, wie ich nur je eins gesehen habe«, ertönte die bekümmerte Stimme von Hetty Tarleton. »Aber sie ist schon so gut wie verlobt mit Stuart. Brent behauptet, sie hätte nicht das geringste bisschen für ihn übrig, aber natürlich ist auch Brent verrückt nach ihr.«

»Wenn ihr mich fragt«, sagte Honey mit geheimnistuerischer Wichtigkeit, »gibt es nur eine Person, für die sie etwas übrig hat, und das ist Ashley.«

Während das Geflüster mit Fragen und Unterbrechungen wild durcheinanderging, wurde es Scarlett eiskalt vor Angst und Scham. Honey war dumm und hatte keine Ahnung von Männern, aber sie besaß einen weiblichen Instinkt für andere Frauen, den Scarlett unterschätzt hatte. Die Beschämung und die Verletzung ihres Stolzes, die sie in der Bibliothek mit Ashley und Rhett Butler erlebt hatte, waren im Vergleich dazu bloße Nadelstiche. Bei Männern konnte man sich darauf verlassen, dass sie den Mund hielten, sogar Männer wie Mr. Butler, aber wenn Honey Wilkes anschlug wie ein Hund bei der Jagd, wusste das gesamte County bis sechs Uhr darüber Bescheid. Und Gerald hatte noch am Vorabend gesagt, er würde nicht dulden, dass das County seine Tochter auslachte. Und wie sie jetzt alle lachen würden! Kalter Schweiß begann ihr von den Achseln die Rippen hinunterzurinnen.

Melanies Stimme, gemessen und friedlich, erhob sich mit leichtem Tadel über die anderen.

»Honey, du weißt, dass das nicht stimmt. Und es ist einfach gemein.«

»Das ist es, Melly, und wenn du nicht immer so damit beschäftigt wärst, das Gute in Menschen zu suchen, an denen nichts Gutes ist, dann würdest du es sehen. Und ich bin froh darüber. Es geschieht ihr recht. Scarlett O’Hara hat nie etwas anderes getan, als Unruhe zu stiften und anderen Mädchen die Verehrer wegzuschnappen. Ihr wisst genau, dass sie India Stuart ausgespannt hat, und dabei wollte sie ihn nicht einmal. Und heute hat sie versucht, Mr. Kennedy und Ashley und Charles zu erobern …«

Ich muss nach Hause! dachte Scarlett. Ich muss sofort nach Hause!

Wenn sie doch bloß durch Zauberei nach Tara und in Sicherheit gebracht werden könnte. Wenn sie nur bei Ellen sein könnte, nur um sie zu sehen, sich an ihren Rock zu klammern, in ihrem Schoß zu weinen und ihr Herz auszuschütten. Wenn sie noch ein einziges Wort zu hören bekam, würde sie hineinstürzen und Honey das strähnige, bleiche Haar mit vollen Händen ausreißen und Melanie Hamilton anspucken, um ihr zu zeigen, was sie von ihrer Barmherzigkeit hielt. Aber sie hatte sich bereits ausgiebig danebenbenommen, wie weißes Lumpenpack – und darin steckte ihr gesamtes Problem.

Sie presste die Hände fest gegen ihre Röcke, damit sie nicht raschelten, und schlich verstohlen wie ein wildes Tier rückwärts wieder hinaus. Nach Hause, dachte sie, als sie durch den Flur eilte, vorbei an geschlossenen Türen und stillen Zimmern, ich muss nach Hause.

Sie war bereits auf der Vorderveranda, als ein neuer Gedanke sie innehalten ließ – sie konnte nicht nach Hause gehen! Sie konnte nicht weglaufen! Sie musste es durchstehen, die Gehässigkeit der Mädchen ertragen und ihre eigene Erniedrigung und ihren Liebeskummer. Wenn sie weglief, lieferte sie ihnen nur neue Munition.

Mit geballter Faust schlug sie gegen den hohen weißen Pfeiler, neben dem sie stand, und wünschte sich, Samson zu sein, so dass sie Twelve Oaks zum Einsturz bringen und alle Menschen darin töten könnte. Es würde ihnen noch leidtun. Sie würde es ihnen zeigen. Sie wusste noch nicht so recht, wie, aber sie würde es ihnen zeigen. Sie würde ihnen schlimmer wehtun als sie ihr.

Für den Augenblick war Ashley als Person vergessen. Er war nicht mehr der große, verträumte junge Mann, den sie liebte, sondern ein Angehöriger der Wilkes, von Twelve Oaks, dem County – und sie hasste sie alle, weil sie lachten. Mit sechzehn war die Eitelkeit stärker als die Liebe, und im Augenblick gab es in ihrem heißen Herzen nur Raum für Hass.

Ich gehe nicht nach Hause, dachte sie. Ich bleibe hier und zahle es ihnen heim. Und ich werde es Mutter nie sagen. Nein, ich werde es nie irgendjemandem sagen. Sie wappnete sich, um ins Haus zurückzukehren, die Treppe wieder hinaufzusteigen und in ein anderes Schlafzimmer zu gehen.

Als sie sich umwandte, sah sie Charles, der vom anderen Ende der langen Halle ins Haus kam. Als er sie bemerkte, eilte er ihr entgegen. Sein Haar war zerzaust und sein Gesicht fast geranienrot vor Erregung.

»Wissen Sie, was passiert ist?« rief er, noch bevor er bei ihr angekommen war. »Haben Sie es gehört? Paul Wilson ist gerade mit der Nachricht von Jonesboro herübergekommen!«

Atemlos blieb er vor ihr stehen. Sie sagte nichts und starrte ihn nur an.

»Mr. Lincoln hat Männer, Soldaten einberufen – ich meine Freiwillige – fünfundsiebzigtausend!«

Schon wieder Mr. Lincoln! Konnten Männer denn nie an irgendetwas denken, das wirklich wichtig war? Jetzt erwartete dieser Blödian, dass sie sich über Mr. Lincolns Kapriolen aufregte, während ihr Herz gebrochen und ihr Ruf so gut wie ruiniert war.

Charles verschlang sie mit den Augen. Ihr Gesicht war weiß wie Papier, und ihre zusammengekniffenen Augen sprühten wie Smaragde. Er hatte noch nie solches Feuer in einem Mädchengesicht gesehen, solche Glut in den Augen.

»Was bin ich für ein Stoffel«, sagte er. »Ich hätte es Ihnen behutsamer beibringen sollen. Ich hatte vergessen, wie zart besaitet Damen sind. Es tut mir leid, dass ich Sie so erschreckt habe. Fühlen Sie sich schwach? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«

»Nein«, sagte sie und brachte ein schiefes Lächeln zustande.

»Sollen wir uns auf die Bank setzen?« fragte er und nahm ihren Arm.

Sie nickte, und er stützte sie sorgsam auf dem Weg die Vordertreppe hinunter und führte sie über den Rasen zu einer Eisenbank unter der großen Eiche im Vorgarten. Wie zerbrechlich und zart Frauen sind, dachte er. Bei der bloßen Erwähnung von Krieg und Härte fallen sie in Ohnmacht. Dieser Gedanke gab ihm ein Gefühl von Männlichkeit, und er half ihr doppelt schonungsvoll auf den Sitz. Sie blickte so seltsam, aber es war eine wilde Schönheit in ihrem Gesicht, die sein Herz hüpfen ließ. Konnte es sein, dass die Vorstellung, er würde vielleicht in den Krieg ziehen, sie unglücklich machte? Nein, an solch einen eitlen Gedanken konnte er nicht glauben. Doch warum sah sie ihn so merkwürdig an? Und warum zitterten ihr die Hände, während sie ihr Spitzentaschentuch zerknäulte? Und ihre dichten, schwarzen Wimpern – sie bebten, wie die Augen der Mädchen in den Romanen, die er gelesen hatte, vor Schüchternheit und Liebe bebten.

Er räusperte sich dreimal, um zu sprechen, und dreimal misslang es ihm. Er senkte den Blick, denn ihre grünen Augen durchdrangen die seinen mit ihrem Blick, fast, als sähe sie ihn gar nicht.

Er hat eine Menge Geld, dachte sie rasch, während ein Gedanke und ein Plan durch ihren Kopf schossen. Und er hat keine lästigen Eltern, und er lebt in Atlanta. Und wenn ich ihn auf der Stelle heirate, dann denkt Ashley, dass er mir völlig egal ist – dass ich bloß mit ihm geflirtet habe. Und Honey würde glatt sterben. Sie kriegt nie, nie einen anderen Verehrer, und alle würden sich über sie totlachen. Und es würde Melanie verletzen, weil sie Charles so liebt. Und es würde Stu und Brent verletzen … Sie wusste eigentlich nicht, warum sie denen wehtun wollte, außer, weil sie gehässige Schwestern hatten. »Und es würde ihnen allen leidtun, wenn ich in einer feinen Kutsche auf Besuch käme mit jeder Menge schöner Kleider und einem eigenen Haus. Und sie würden mich nie, nie mehr auslachen.«

»Natürlich bedeutet das Kampf«, sagte Charles nach einigen verlegenen Anläufen. »Aber machen Sie sich keine Gedanken, Miss Scarlett, in einem Monat ist es vorbei und die verschwinden mit Heulen und Zähneklappern. Jawohl, mit Heulen und Zähneklappern! Das möchte ich für mein Leben nicht verpassen. Ich fürchte, mit dem Ball heute Abend wird es nichts, weil die Truppe in Jonesboro zusammenkommt. Die Tarleton-Jungs sind schon unterwegs, um die Nachricht zu verbreiten. Ich weiß, dass die Damen traurig sein werden.«

Sie sagte »oh«, weil ihr nichts Besseres einfiel, aber es genügte.

Allmählich wurde sie gelassener, und ihr Verstand sammelte sich. Reif lag auf all ihren Gefühlen, und es schien ihr, als würde sie nie wieder tief empfinden können. Warum nicht diesen hübschen, aufgeregten Jungen nehmen? Er war so gut wie jeder andere, und ihr war es egal. Nein, es würde ihr nie wieder irgendetwas wichtig sein, selbst wenn sie neunzig Jahre alt wurde.

»Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich in Mr. Wade Hamptons South Carolina Legion eintreten soll oder in die Gate City Guard von Atlanta.«

Wieder sagte sie »oh«, ihre Blicke trafen sich, und ihre bebenden Wimpern waren sein Untergang.

»Werden Sie auf mich warten, Miss Scarlett? Es – es wäre himmlisch, einfach zu wissen, dass Sie auf mich warten, bis wir sie erledigt haben!« Er hing atemlos an ihren Lippen, beobachtete, wie sie sich an den Mundwinkeln aufwärts bogen, bemerkte zum ersten Mal die Schatten darin und überlegte, was es bedeuten würde, sie zu küssen. Ihre schweißkalte Hand glitt in die seine.

»Ich möchte nicht warten«, sagte sie, und ihre Augen waren ganz verschleiert.

Er saß mit aufgerissenem Mund da und hielt ihre Hand fest in der seinen. Scarlett spähte unter ihren Wimpern hervor und dachte teilnahmslos, dass er wie ein aufgespießter Frosch aussah. Er stotterte mehrmals, schloss den Mund und öffnete ihn wieder und wurde erneut rot wie eine Geranie.

»Könnten Sie mich denn lieben?«

Sie sagte nichts und blickte in ihren Schoß, und Charles fiel erneut in einen Zustand der Ekstase und Verlegenheit. Vielleicht durfte ein Mann einem Mädchen solch eine Frage nicht stellen. Vielleicht war es nicht mädchenhaft, darauf zu antworten. Da Charles bislang nie den Mut aufgebracht hatte, sich in eine derartige Situation vorzuwagen, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Er hätte am liebsten geschrien und gesungen und sie geküsst und Freudensprünge auf dem Rasen vollführt und wäre dann losgelaufen, um allen, ob schwarz oder weiß, zu erzählen, dass sie ihn liebte. Aber er drückte bloß ihre Hand, bis ihre Ringe ihr in die Finger schnitten.

»Werden Sie mich bald heiraten, Miss Scarlett?«

»Hm«, sagte sie und spielte mit einer Falte ihres Kleids.

»Sollen wir eine Doppelhochzeit mit Mel…«

»Nein«, sagte sie hastig, und ihre Augen glitzerten unheilvoll. Charles wusste sofort, dass er einen Fehler gemacht hatte. Natürlich wollte ein Mädchen seine eigene Hochzeit haben – keinen geteilten Ruhm. Wie lieb sie seine Fehltritte übersah. Wenn es doch nur dunkel wäre und er, von Schatten ermutigt, ihre Hand küssen und alles sagen könnte, was er so gerne sagen wollte.

»Wann darf ich mit Ihrem Vater sprechen?«

»Je eher, desto besser«, sagte sie in der Hoffnung, dass er den schmerzhaften Druck auf ihre Ringe lösen würde, ehe sie ihn darum bitten musste.

Er sprang auf, und einen Augenblick lang dachte sie, er würde einen Purzelbaum schlagen, ehe er sich wieder zusammenriss. Er lächelte sie an, sein ganzes reines, einfaches Herz leuchtete aus seinen Augen. Niemand hatte sie je so angesehen, und nie würde ein Mann sie wieder so ansehen, aber in ihrer seltsamen Teilnahmslosigkeit fand sie nur, dass er aussah wie ein Kalb.

»Ich gehe jetzt Ihren Vater suchen«, sagte er und strahlte übers ganze Gesicht. »Ich kann nicht mehr warten. Entschuldigen Sie mich bitte – Liebste?« Das Kosewort war nur schwer herauszubringen, aber nachdem er es einmal gesagt hatte, wiederholte er es noch einmal voller Inbrunst.

»Ja«, sagte sie. »Ich warte hier. Es ist so schön kühl.«

Er überquerte den Rasen und verschwand hinter dem Haus, und sie blieb allein unter der rauschenden Eiche. Aus den Ställen strömten Reiter, die Sklaven direkt hinter ihren Herren. Die Munroe-Jungs trabten vorbei und schwenkten ihre Hüte, und die Fontaines und die Calverts ritten johlend die Straße hinunter. Die vier Tarletons stürmten auf ihren Pferden an ihr vorbei über den Rasen, und Brent rief: »Mutter gibt uns die Pferde! Jippiiijeh!« Die Erde spritzte auf, und schon waren sie fort, und Scarlett war allein.

Das weiße Haus ragte mit seinen hohen Säulen vor ihr auf und schien sich würdevoll vor ihr zurückzuziehen. Es würde also nie ihr Haus werden. Ashley würde sie nie als seine Braut über die Schwelle tragen. O Ashley, Ashley, was habe ich getan? Tief in ihr, unter Schichten von verletztem Stolz und kaltem Nutzendenken regte sich etwas Schmerzendes. Ein erwachsenes Gefühl wurde geboren, stärker als ihre Eitelkeit oder ihre launenhafte Selbstsucht. Sie liebte Ashley, das wusste sie, und sie hatte ihn nie so geliebt wie in dem Augenblick, als sie Charles in der Biegung des Kieswegs verschwinden sah.

Vom Wind verweht

Подняться наверх