Читать книгу Vom Wind verweht - Маргарет Митчелл - Страница 21

KAPITEL 12

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Der Krieg ging weiter, größtenteils auch erfolgreich, aber die Leute sagten nicht mehr: »Nur noch ein Sieg, dann ist der Krieg vorbei.« Und sie hatten aufgehört, die Yankees Feiglinge zu nennen. Mittlerweile hatte jeder eingesehen, dass die Yankees alles andere als feige waren und dass man mehr als einen Sieg benötigte, um sie zu überwinden. Dennoch gab es die Siege der Konföderation in Tennessee, die General Morgan und General Forrest errungen hatten, und am Triumph der zweiten Schlacht von Bull Run konnte man sich weiden wie an leibhaftigen Yankee-Skalps. Aber diese Skalps hatten einen hohen Preis. Die Lazarette und Privathäuser in Atlanta quollen förmlich über von Kranken und Verwundeten, und mehr und mehr Frauen trugen Schwarz. Die eintönigen Reihen der Soldatengräber auf dem Friedhof von Oakland wurden von Tag zu Tag länger.

Der Wert der Konföderationswährung war beängstigend gefallen und die Preise für Lebensmittel und Kleidung entsprechend gestiegen. Die Versorgungsstelle requirierte so viele Lebensmittel, dass in Atlanta immer weniger auf die Esstische kam. Weißmehl war rar und so teuer, dass allgemein Maisbrot gegessen wurde statt Biskuits, Brötchen und Waffeln. Die Metzgereien führten kaum Rindfleisch und nur sehr wenig Lamm, und dieses Lammfleisch kostete so viel, dass nur die Reichen es sich leisten konnten. Aber es gab immer noch ausreichend Schweinefleisch, ebenso wie Huhn und Gemüse.

Die Blockade der Yankees um die Häfen der Konföderierten war enger geworden, und Luxusgüter wie Tee, Kaffee, Seide, Fischbein, Eau de Cologne, Modemagazine und Bücher waren selten und kostbar. Selbst der Preis für die billigsten Baumwollstoffe war explodiert, und die Damen sahen sich gezwungen, eine weitere Saison mit ihren alten Kleidern auszukommen. Webstühle, die seit Jahren Staub angesetzt hatten, wurden von den Speichern geholt, und in fast jedem Wohnzimmer traf man selbstgewebte Stoffe aus handgesponnenem Garn an. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder und Sklaven, alle begannen Selbstgewebtes zu tragen. Grau als Farbe der Konföderiertenuniform verschwand praktisch ganz und wurde durch das Walnussbraun der selbstgewebten Stoffe ersetzt.

Den Lazaretten bereitete der Mangel an Chinin, Kalomel, Opium, Chloroform und Jod große Sorge. Leinen- und Baumwollbandagen waren inzwischen zu kostbar, um sie nach dem Gebrauch wegzuwerfen, und alle Frauen, die in den Lazaretten pflegten, brachten körbevoll blutige Stoffstreifen zum Waschen und Bügeln nach Hause, um sie für andere Leidende weiterzuverwenden.

Doch Scarlett, die gerade erst aus dem Kokon der Witwenschaft geschlüpft war, erlebte den Krieg als Zeit aufregender Vergnügungen. Selbst die kleinen Entbehrungen bei Nahrungsmitteln und Kleidern störten sie nicht, so glücklich war sie, wieder in der Welt zu sein.

Wenn sie an die Langeweile des vergangenen Jahres zurückdachte, als die Tage sich einer wie der andere dahinschleppten, schien sich das Leben unglaublich beschleunigt zu haben. Jeder Tag war ein spannendes Abenteuer, ein Tag, an dem sie neue Männer kennenlernte, die darum baten, sie besuchen zu dürfen, die sie hübsch fanden und sagten, es sei ein Privileg, für sie zu kämpfen und vielleicht zu sterben. Sie konnte und würde Ashley bis zum letzten Atemzug lieben, aber das hinderte sie nicht, anderen Männern den Kopf zu verdrehen, bis sie ihr Heiratsanträge machten.

Der allgegenwärtige Krieg im Hintergrund verlieh den gesellschaftlichen Beziehungen eine Zwanglosigkeit, die älteren Menschen allerdings zu weit ging. Mütter erlebten, wie fremde Männer ihre Töchter besuchten, Männer, die ohne Empfehlungsschreiben kamen und deren Vorleben man nicht kannte. Zu ihrem Entsetzen ertappten Mütter ihre Töchter beim Händchenhalten mit ebendiesen Männern. Mrs. Merriwether, die ihren Mann zum ersten Mal nach der Hochzeitszeremonie geküsst hatte, traute kaum ihren Augen, als sie Maybelle dabei erwischte, wie sie René Picard, den kleinen Zuaven, küsste, und ihre Empörung wurde noch größer, als Maybelle keinerlei Anstalten machte, sich zu schämen. Selbst dass René sofort um ihre Hand anhielt, verbesserte die Sache nicht. Mrs. Merriwether sagte oft, der Süden stehe vor einem vollständigen moralischen Zusammenbruch. Andere Mütter stimmten ihr aus tiefstem Herzen zu und schoben es auf den Krieg.

Doch ein Mann, der damit rechnen musste, in einer Woche oder einem Monat zu sterben, konnte kein ganzes Jahr warten, ehe er wagte, ein Mädchen mit dem Vornamen anzureden, natürlich mit dem obligaten »Miss« davor. Ebenso wenig machte man den Mädchen auf formelle und langwierige Weise den Hof, wie es die guten Sitten vor dem Krieg verlangt hatten. Gewöhnlich kam nach drei oder vier Monaten der Heiratsantrag. Und die Mädchen, die sehr wohl wussten, dass eine Dame einem Herrn die ersten drei Male einen Korb zu geben hatte, beeilten sich, gleich beim ersten Mal anzunehmen.

Diese Ungezwungenheit machte den Krieg für Scarlett ausgesprochen unterhaltsam. Abgesehen von der schmutzigen Plackerei des Pflegens und dem öden Bindenrollen konnte der Krieg ihretwegen immer so weitergehen. Sie ertrug inzwischen sogar das Lazarett mit Gleichmut, denn es war ein perfektes Jagdrevier. Die hilflosen Verwundeten erlagen kampflos ihrem Charme. Man erneuerte ihre Bandagen, wusch ihnen das Gesicht, klopfte das Kissen auf und fächelte ihnen Luft zu, und schon verliebten sie sich. Oh, nach dem vergangenen trübseligen Jahr war es der Himmel auf Erden!

Scarlett fühlte sich wieder wie vor ihrer Ehe mit Charles, und es war, als hätte sie ihn nie geheiratet, nie den Schock seines Todes erlebt und nie Wade geboren. Der Krieg und die Ehe und die Entbindung waren über sie hinweggegangen, ohne sie tief in ihrem Inneren zu berühren – sie war unverändert. Sie hatte zwar ein Kind, aber die anderen im roten Ziegelhaus kümmerten sich so gut um Wade, dass Scarlett ihn fast vergessen konnte. In Kopf und Herzen war sie wieder Scarlett O’Hara, die Schönheit des County. Ihr Denken und Tun war wie in den alten Zeiten, aber ihr Betätigungsfeld hatte sich beträchtlich erweitert. Ohne der Missbilligung durch Tante Pittys Freundinnen Beachtung zu schenken, verhielt sie sich, wie sie sich vor der Ehe verhalten hatte, sie ging zu Partys, tanzte, ritt mit Soldaten aus, flirtete, machte alles, was sie als Mädchen gemacht hatte, nur die Trauerkleidung legte sie nicht ab. Denn sie wusste, dass das der Tropfen war, der das Fass bei Pittypat und Melanie zum Überlaufen gebracht hätte. Sie war als Witwe ebenso charmant, wie sie es als Mädchen gewesen war, liebenswürdig, wenn alles nach ihrem Willen ging, entgegenkommend, solange damit keine Unannehmlichkeit für sie verbunden war, eingebildet auf ihr Aussehen und ihre Beliebtheit.

Sie war jetzt glücklich, obwohl sie vor nur wenigen Wochen noch verzweifelt gewesen war, glücklich mit den Verehrern, auf die ihr Charme wirkte wie eh und je, so glücklich, wie sie überhaupt sein konnte, solange Ashley mit Melanie verheiratet und in Gefahr war. Aber irgendwie war der Gedanke, dass Ashley einer anderen gehörte, aus der Entfernung leichter zu ertragen. Die Hunderte von Meilen zwischen Atlanta und Virginia ließen es manchmal so erscheinen, als gehöre er ihr genauso wie Melanie.

So vergingen die Herbstmonate des Jahres 1862, und Pflege, Tanzen, Ausfahrten und Bindenrollen füllten ihre gesamte Zeit aus, abgesehen von kurzen Stippvisiten in Tara. Diese Besuche waren enttäuschend, denn es fand sich wenig Zeit für die langen, ruhigen Gespräche mit ihrer Mutter, auf die sie sich so freute, wenn sie in Atlanta war. Es gab kaum Zeit, bei Ellen zu sitzen, während sie nähte, kaum Zeit, den zarten Duft von Zitronenverbene, der ihren raschelnden Röcken entstieg, aufzunehmen und selbst kaum Zeit für ihre sanften Liebkosungen.

Ellen sah abgehärmt und sorgenvoll aus. Von früh bis spät, wenn alle auf der Plantage schon schliefen, war sie auf den Beinen. Die Ansprüche der konföderierten Versorgungsstelle stiegen von Monat zu Monat, und sie musste dafür sorgen, dass Tara lieferte. Sogar Gerald arbeitete zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder, denn er konnte keinen Aufseher finden, der Jonas Wilkerson ersetzt hätte, und so ritt er selbst über seine Felder. Da Ellen zu beschäftigt war, um ihr mehr als einen Gutenachtkuss zu geben, und Gerald den ganzen Tag auf den Feldern verbrachte, langweilte Scarlett sich in Tara. Auch ihre Schwestern waren mit eigenen Dingen beschäftigt. Suellen hatte sich mit Frank Kennedy »verständigt« und sang When This Cruel War Is Over mit einer schalkhaften Bedeutung, die Scarlett nahezu unerträglich fand, und Carreen war zu sehr versunken in ihre Träumereien von Brent Tarleton, um eine anregende Gesellschaft abzugeben.

Obwohl Scarlett immer voller Freude nach Tara fuhr, bedauerte sie es nie, wenn die unvermeidlichen Briefe von Pitty und Melanie kamen, die ihre Rückkehr herbeisehnten. Bei diesen Gelegenheiten seufzte Ellen, denn der Gedanke, dass ihre älteste Tochter und ihr einziges Enkelkind sie verließen, machte sie traurig.

»Aber ich darf nicht nur an mich denken und dich hier festhalten, wenn du als Pflegerin in Atlanta gebraucht wirst«, sagte sie. »Nur – nur, mein Schatz, ich habe leider nie die Zeit, mit dir zu reden, und bevor ich das Gefühl habe, dass du wieder mein kleines Mädchen bist, fährst du schon wieder weg.«

»Ich bin immer dein kleines Mädchen«, sagte Scarlett dann und verbarg ihr Gesicht an Ellens Brust, denn ihr Gewissen regte sich. Sie verriet ihrer Mutter nicht, dass es das Tanzen und ihre Verehrer waren, die sie nach Atlanta zurücklockten, und nicht etwa der Dienst an der Konföderation. Es gab inzwischen vieles, was sie ihrer Mutter nicht sagte. Aber vor allem verschwieg sie, dass Rhett Butler häufig in Tante Pittypats Haus verkehrte.

In den Monaten nach dem Basar kam Rhett, wenn er in der Stadt war, jedes Mal zu Besuch. Er lud Scarlett zu Kutschfahrten ein, begleitete sie zu Tanz- und Wohltätigkeitsveranstaltungen und wartete vor dem Lazarett, um sie nach Hause zu fahren. Sie hatte keine Angst mehr, dass er ihr Geheimnis verraten könnte, aber im hintersten Winkel ihres Bewusstseins lauerte die Erinnerung, dass er sie in ihrem schlimmstmöglichen Zustand erlebt hatte und die Wahrheit über Ashley wusste. Deshalb hielt sie ihre Zunge im Zaum, wenn er sie reizte. Und das tat er oft.

Er war Mitte dreißig, älter als je ein Verehrer von ihr gewesen war, und hilflos wie ein Kind versuchte sie, ihn zu lenken und zu kontrollieren, wie sie ihre gleichaltrigen Verehrer gelenkt hatte. Er wirkte immer, als könnte ihn nichts je überraschen, aber vieles amüsieren, und wenn er es schaffte, sie in sprachlose Wut zu versetzen, kam es ihr vor, als fände er sie so amüsant wie nichts sonst auf der Welt. Nicht selten löste er mit seinen gezielten Provokationen Wutanfälle bei ihr aus, denn hinter dem täuschenden Liebreiz ihres Gesichts, das sie von Ellen geerbt hatte, steckte Geralds irisches Temperament. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich, außer in Ellens Gegenwart, nie bemüht, ihre Launen zu zügeln, und nun war es schmerzhaft, aus Furcht vor seinem belustigten Grinsen Worte hinunterzuschlucken. Wenn er doch wenigstens auch einmal aus der Haut gefahren wäre, dann hätte sie sich nicht so unterlegen fühlen müssen.

Nach Auseinandersetzungen mit ihm, aus denen sie selten als Siegerin hervorging, schwor sie sich, er sei unmöglich, unerzogen und kein Gentleman und sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Doch früher oder später kehrte er nach Atlanta zurück, besuchte vorgeblich Tante Pitty und überreichte Scarlett mit übertriebener Galanterie eine Schachtel Bonbons, die er ihr aus Nassau mitgebracht hatte. Oder er sicherte sich bei einem Hauskonzert den Platz neben ihr oder forderte sie zum Tanz auf, und gewöhnlich erheiterte seine unverhohlene Frechheit sie so sehr, dass sie lachte und über seine vergangenen Missetaten hinwegsah, bis es zur nächsten kam.

Trotz all seiner ärgerlichen Eigenschaften begann sie sich auf seine Besuche zu freuen. Er hatte etwas Erregendes an sich, dem sie nicht recht auf den Grund kam, etwas, das ihn von allen Männern, die sie je gekannt hatte, unterschied. Es war etwas Atemberaubendes an der Grazie seines großen Körpers, das geradezu eine Schockwelle auslöste, wenn er bloß das Zimmer betrat, und die Unverschämtheit und der sanfte Spott in seinen dunklen Augen weckten ihren Ehrgeiz, ihn zu unterwerfen.

Es ist fast, als wäre ich verliebt in ihn!, dachte sie verwirrt. Aber das bin ich nicht, und ich kann es einfach nicht verstehen.

Aber das aufregende Gefühl blieb. Wenn er zu Besuch kam, ließ seine vollendete Männlichkeit Tante Pittys wohlanständigen und damenhaften Hausstand klein, blass und ein wenig muffig erscheinen. Scarlett war nicht das einzige Mitglied des Haushalts, das seltsam und wider Willen auf seine Ausstrahlung reagierte, denn auch Tante Pitty versetzte er in gehörige Unruhe.

Pitty war sich wohl bewusst, dass Ellen seine Besuche bei ihrer Tochter missbilligen würde, und es war ihr ebenso bewusst, dass man den Bann, den Charlestons vornehme Gesellschaft gegen ihn ausgesprochen hatte, nicht leichtherzig missachten durfte, aber sie konnte seinen ausgefeilten Komplimenten und seinen Handküssen ebenso wenig widerstehen wie eine Fliege dem Honigtopf. Zu allem Überfluss brachte er ihr gewöhnlich ein kleines Geschenk aus Nassau mit, das er, wie er versicherte, speziell für sie gekauft und unter Lebensgefahr durch die Blockade geschmuggelt hatte – Nadelbriefchen, Knöpfe, Spulen mit Seidengarn und Haarnadeln. Es war inzwischen fast unmöglich, diese kleinen Luxusgüter zu erwerben – die Damen trugen holzgeschnitzte Haarnadeln und mit Stoff überzogene Eicheln als Knöpfe – und Pitty fehlte die moralische Energie, sie abzulehnen. Außerdem hegte sie eine kindliche Liebe für Überraschungen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, seine Geschenke zu öffnen. Wenn sie einmal geöffnet waren, wagte sie nicht mehr, sie abzulehnen, und wenn sie sie angenommen hatte, brachte sie es nicht mehr über sich, ihm zu sagen, dass seine Besuche bei drei einsamen Frauen, die keinen männlichen Beschützer hatten, aufgrund seiner Reputation höchst ungebührlich waren. Und immer, wenn Rhett Butler im Haus war, hatte Tante Pitty das Gefühl, einen männlichen Beschützer zu brauchen.

»Ich weiß nicht, was er an sich hat«, pflegte sie ratlos zu sagen. »Aber – ich glaube wirklich, er wäre ein netter und anziehender Mann, wenn ich nur den Eindruck hätte, dass – nun, dass er im Grunde seines Herzens die Frauen achtet.«

Seit Melanie ihren Ehering zurückbekommen hatte, hielt sie Rhett für einen Gentleman von seltenem Adel und Feingefühl, und daher fand sie die Bemerkung empörend. Er verhielt sich unfehlbar höflich ihr gegenüber, aber sie war ein wenig scheu in seiner Gegenwart, hauptsächlich weil sie bei jedem Mann scheu war, den sie nicht seit ihrer Kindheit kannte. Insgeheim tat er ihr leid, was ihn, hätte er es gewusst, zweifellos amüsiert hätte. Sie war sich sicher, dass irgendein Liebeskummer ihm das Leben vergällt und ihn hart und bitter gemacht hatte. Ihm fehlte einfach die Liebe einer guten Frau. In ihrem ganzen behüteten Leben hatte sie nie etwas Böses erlebt und konnte kaum glauben, dass es so etwas gab, und wenn hinter vorgehaltener Hand Dinge über Rhett und das Mädchen in Charleston geflüstert wurden, war sie schockiert und glaubte kein Wort. Und statt dass es sie gegen ihn eingenommen hätte, benahm sie sich auf ihre schüchterne Weise noch liebenswürdiger gegen ihn, aus Empörung, dass man ihm, wie sie meinte, unrecht tat.

Scarlett stimmte Tante Pitty insgeheim zu. Auch sie hatte das Gefühl, dass er vor Frauen keine Achtung hatte, außer vielleicht vor Melanie. Sie fühlte sich immer noch entblößt, wenn er seinen Blick von oben bis unten über ihre Gestalt gleiten ließ. Nicht, dass er je etwas Anzügliches gesagt hätte, dann hätte sie ihn mit scharfen Worten zur Rede gestellt. Es lag vielmehr daran, wie dreist seine Augen aus dem dunklen Gesicht blickten, mit einer unangenehmen Frechheit, als gehörten alle Frauen ihm und er könnte sie sich zu gegebener Zeit zu Willen machen. Nur gegenüber Melanie fehlte dieser Ausdruck. Es lag nie dieses Taxieren, dieser Spott in seinen Augen, wenn er Melanie ansah, und in seiner Stimme schwang ein besonderer Ton, wenn er mit ihr sprach, zuvorkommend, taktvoll, beflissen.

»Ich verstehe nicht, warum Sie zu ihr so viel netter sind als zu mir«, sagte Scarlett verdrießlich, als sich Melanie und Pitty eines Nachmittags zum Mittagsschlaf zurückgezogen hatten und sie mit ihm allein war.

Eine Stunde lang hatte sie zugesehen, wie Rhett die Wolle gehalten hatte, die Melanie aufwickelte, hatte seine ausdruckslose, undurchdringliche Miene beobachtet, als Melanie ausführlich und voller Stolz von Ashley und seiner Beförderung erzählte. Scarlett wusste, dass Rhett keine allzu hohe Meinung von Ashley hatte und dass ihm dessen Beförderung zum Major vollkommen gleichgültig war. Dennoch gab er einfühlsame Antworten und fand die richtigen Worte zu Ashleys Tapferkeit.

Aber wenn ich den Namen Ashley bloß erwähne, dachte sie verärgert, zieht er eine Augenbraue hoch und setzt dieses impertinente, wissende Grinsen auf!

»Ich bin viel hübscher als sie«, fuhr sie fort, »und ich sehe nicht ein, warum Sie zu ihr netter sind.«

»Darf ich zu hoffen wagen, dass Sie eifersüchtig sind?«

»Oh, bilden Sie sich das bloß nicht ein!«

»Wieder eine Hoffnung zerstört. Wenn ich ›netter‹ zu Mrs. Wilkes bin, dann liegt das daran, dass sie es verdient. Sie ist einer der ganz wenigen gütigen, aufrichtigen und selbstlosen Menschen, denen ich bisher begegnet bin. Aber vielleicht sind Ihnen diese Eigenschaften bisher entgangen. Und außerdem ist sie bei all ihrer Jugend eine der wenigen wirklich vornehmen Damen, die ich habe kennenlernen dürfen.«

»Wollen Sie etwa behaupten, dass ich keine vornehme Dame bin?«

»Ich dachte, wir hätten uns bei unserer ersten Begegnung geeinigt, dass Sie überhaupt keine Dame sind.«

»Wollen Sie etwa so gemein und unverschämt sein, das wieder aufs Tapet zu bringen! Wie können Sie mir diesen kindischen Wutausbruch immer noch vorhalten? Das ist doch lange her, und ich bin seitdem erwachsen geworden. Ich hätte die Sache längst vergessen, wenn Sie nicht immer darauf herumreiten und Andeutungen machen würden.«

»Ich glaube nicht, dass es ein kindischer Wutausbruch war, und ich bin durchaus nicht davon überzeugt, dass Sie sich verändert haben. Sie sind noch genauso fähig wie damals, Vasen zu schmeißen, wenn Sie Ihren Willen nicht bekommen. Nur bekommen Sie zurzeit meist Ihren Willen. Und deshalb besteht kein Anlass für zerbrochene Nippes.«

»Oh, Sie sind doch … Ich wünschte, ich wäre ein Mann! Dann würde ich Sie zum Duell fordern und …«

»Und sich für die Mühe erschießen lassen. Ich kann auf fünfzig Schritt Entfernung ein Loch in einen Groschen schießen. Bleiben Sie lieber bei Ihren eigenen Waffen – Grübchen, Vasen und Ähnliches.«

»Sie sind einfach ein Schuft.«

»Erwarten Sie, dass ich jetzt in Wut gerate? Da muss ich Sie leider enttäuschen. Sie können mich nicht ärgern, wenn Sie mir gerechtfertigte Bezeichnungen verpassen. Natürlich bin ich ein Schuft, warum denn nicht? Dies ist ein freies Land, und ein Mann darf ein Schuft sein, wenn er will. Nur Heuchlerinnen wie Sie, meine verehrte Dame, die genauso ein schwarzes Herz haben, es aber zu verbergen suchen, werden wütend, wenn man sie als das bezeichnet, was sie sind.«

Sie stand seinem Lächeln und seinen lässigen Bemerkungen machtlos gegenüber. Noch nie zuvor hatte sie jemanden kennengelernt, der so undurchdringlich war. Ihre üblichen Waffen – Verachtung, Kälte und Beschimpfungen – waren stumpf, denn nichts, was sie sagen konnte, brachte ihn in Verlegenheit. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass der Lügner fieberhaft seine Aufrichtigkeit verteidigt, der Feigling seinen Mut, der Unerzogene seine Vornehmheit und der Schuft seine Ehre. Aber nicht so Rhett. Er gab alles zu und lachte und forderte sie zu mehr heraus.

Er kam und ging in diesen Monaten, traf unangemeldet ein und verschwand, ohne sich zu verabschieden. Scarlett fand nie heraus, was für Geschäfte ihn nach Atlanta führten. Nur die wenigsten anderen Blockadebrecher hielten es für nötig, sich so weit von der Küste zu entfernen. Sie löschten ihre Ladung in Wilmington oder Charleston, wo sie von Schwärmen von Händlern und Spekulanten aus den ganzen Südstaaten erwartet wurden, die auf Auktionen die durchgeschmuggelten Waren kauften. Scarlett hätte sich gerne eingeredet, dass er diese Reisen unternahm, um sie zu sehen, doch selbst ihre übersteigerte Eitelkeit weigerte sich, das zu glauben. Hätte er sich je wie ein Liebhaber benommen, sich gegen die anderen Männer eifersüchtig gezeigt, die sie umschwärmten, hätte er versucht, ihre Hand zu halten, oder um ein Bild oder ein Taschentuch als Andenken gebeten, dann hätte sie mit ihrem Charme über ihn triumphiert. Aber er verabsäumte auf enttäuschende Weise, um sie zu werben, und zu allem Überfluss durchschaute er anscheinend auch all ihre Manöver, ihn auf die Knie zu zwingen.

Wann immer er in die Stadt kam, geriet die Damenwelt in Aufregung. Nicht nur hing ihm die romantische Aura des schneidigen Blockadebrechers an, sondern dazu gesellte sich noch der Kitzel des Verruchten. Was hatte er für einen üblen Ruf! Und sooft die Matronen Atlantas zum Tratsch zusammenkamen, wurde sein Ruf schlechter, was ihn für die jungen Mädchen nur noch glamouröser machte. Da die meisten von ihnen unschuldig waren, hatten sie kaum mehr gehört, als dass er »einen sehr lockeren Lebenswandel« hatte – und was ein Mann mit lockerem Lebenswandel genau machte, entzog sich ihrer Kenntnis. Sie hatten auch läuten hören, dass kein Mädchen bei ihm sicher war. Bei einer solchen Reputation war es seltsam, dass er keinem unverheirateten Mädchen auch nur die Hand geküsst hatte, seit er das erste Mal in Atlanta aufgetaucht war. Aber das machte ihn nur noch geheimnisvoller und faszinierender.

Abgesehen von den Helden in der Armee war er in Atlanta das Hauptgesprächsthema. Alle wussten Bescheid, dass man ihn aus West Point hinausgeworfen hatte, wegen Trunkenheit und »Weibergeschichten«. Der gewaltige Skandal wegen des Mädchens aus Charleston, das er kompromittiert und dessen Bruder er erschossen hatte, war ein offenes Geheimnis. Briefe von Freunden in Charleston erbrachten die zusätzliche Information, dass sein Vater, ein reizender alter Gentleman mit eisernem Willen und einem Rückgrat wie ein Ladestock, ihn als Zwanzigjährigen ohne einen Penny verstoßen und sogar seinen Namen aus der Familienbibel gestrichen hatte. Danach war er während des Goldrauschs 1849 nach Kalifornien gegangen, und von dort nach Südamerika und Kuba, und die Berichte über seine Umtriebe in diesen Gegenden waren nicht sonderlich appetitlich. Liebesaffären, Duelle, Waffenschmuggel für die Revolutionäre in Zentralamerika und, horribile dictu, gewerbsmäßiges Glücksspiel gehörten zu den Dingen, die in Atlanta über seine Karriere die Runde machten.

Es gab zwar kaum eine Familie in Georgia, die nicht zu ihrem Kummer mindestens ein männliches Familienmitglied oder einen Verwandten besaß, der spielte und Geld, Häuser, Land und Sklaven verlor, aber das war etwas anderes. Ein Mann konnte seinen ganzen Besitz verspielen und immer noch ein Gentleman bleiben, aber ein professioneller Spieler war gesellschaftlich verfemt.

Ohne den Kriegstrubel und seine Dienste für die Konföderationsregierung wäre Rhett Butler in keinem Haus in Atlanta empfangen worden. Doch mittlerweile brachte der Patriotismus selbst die sittenstrengsten Leute dazu, mehr Nachsicht zu üben. Die empfindsameren Seelen neigten zu der Ansicht, das schwarze Schaf der Familie Butler bereue seinen schlimmen Lebenswandel und versuche, seine Sünden wiedergutzumachen. Daher fühlten sich die Damen verpflichtet, ein Auge zuzudrücken, vor allem im Fall eines so unerschrockenen Blockadebrechers. Jeder wusste inzwischen, dass das Schicksal der Konföderation ebenso sehr vom Geschick der Schmuggelschiffe bei der Umgehung der Yankee-Flotte abhing wie von den Soldaten an der Front.

Es wurde gemunkelt, Captain Butler sei einer der besten Schiffslenker der Südstaaten, verwegen und ohne Nerven. Da er in Charleston aufgewachsen war, kannte er jeden Meeresarm, jede kleine Bucht, jede Untiefe und jeden Fels der Küste Carolinas in der Nähe dieses Hafens, und in den Gewässern um Wilmington war er gleichermaßen zu Hause. Er hatte noch nie ein Schiff verloren oder auch nur eine Ladung über Bord werfen müssen. Zu Beginn des Krieges war er aus dem Nichts mit genug Geld aufgetaucht, um ein kleines, wendiges Schiff zu kaufen, und nun, da Schmuggelgüter auf jede Ladung zweitausend Prozent Gewinn einbrachten, besaß er vier Schiffe. Er hatte fähige Steuerleute, die er gut bezahlte, und in dunklen Nächten stachen sie von Charleston und Wilmington aus in See, beladen mit Baumwolle für Nassau, England und Kanada. Die englischen Baumwollspinnereien standen still, und die Arbeiter hungerten, und jeder Blockadebrecher, der die Yankee-Flotte überlistete, konnte in Liverpool den Preis diktieren. Rhetts Schiffe waren vom Glück außerordentlich begünstigt, sowohl, wenn sie für die Konföderation Baumwolle ausführten, als auch, wenn sie das vom Süden so dringend benötigte Kriegsgerät zurückbrachten. Ja, die Damen konnten einem so tapferen Mann vieles vergeben und nachsehen.

Er war eine blendende Erscheinung, nach der sich die Leute auf der Straße umdrehten. Er gab das Geld mit vollen Händen aus, ritt einen feurigen schwarzen Hengst und trug nur hochmodische, fabelhaft sitzende Anzüge. Schon das war eigentlich genug, um die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, denn die Uniformen der Soldaten waren mittlerweile schäbig und abgetragen, und die Zivilisten hatten selbst in ihrem Festtagsstaat kunstvoll geflickte und gestopfte Stellen. Scarlett meinte, noch nie so elegante Hosen gesehen zu haben, wie er sie trug, rehbraun, mit schwarz-weißem Hahnentritt- und Karomuster. Und seine Westen waren unbeschreiblich schön, besonders die aus weißer Moiréseide mit winzigen aufgestickten rosa Rosenknospen. Und er trug diese Kleidungsstücke mit einer eleganten Lässigkeit, als sei ihm ihr Glanz gar nicht bewusst.

Nur wenige Damen konnten seinem Charme widerstehen, wenn er sich ein wenig ins Zeug legte, und schließlich wurde sogar Mrs. Merriwether weich und lud ihn zum Sonntagsdinner ein.

Maybelle Merriwether sollte ihren kleinen Zuaven heiraten, wenn er das nächste Mal Urlaub bekam, und sie weinte jedes Mal, wenn sie daran dachte, denn sie hatte sich in den Kopf gesetzt, in einem weißen Seidenkleid zu heiraten, und weiße Seide gab es in der ganzen Konföderation nicht. Nicht einmal leihen konnte sie sich ein Kleid, da alle seidenen Hochzeitskleider der vergangenen Jahre zu Feldstandarten umgearbeitet worden waren. Es war nutzlos, dass die patriotische Mrs. Merriwether ihrer Tochter Vorwürfe machte und sie darauf hinwies, dass für eine konföderierte Braut Selbstgesponnenes die angemessene Gewandung sei. Maybelle wollte Seide. Sie war bereit, ja sogar stolz darauf, um der Guten Sache willen auf Haarnadeln und Knöpfe und elegante Schuhe und Süßigkeiten und Tee zu verzichten, aber sie wollte ein seidenes Hochzeitskleid.

Rhett, der durch Melanie davon gehört hatte, brachte aus England meterweise schimmernde weiße Seide und einen Spitzenschleier mit und überreichte ihr alles als Hochzeitsgeschenk. Das stellte er so geschickt an, dass es undenkbar war, eine Bezahlung auch nur zu erwähnen, und Maybelle war so glücklich, dass sie ihn fast geküsst hätte. Mrs. Merriwether wusste, dass ein solch teures Geschenk – noch dazu in Gestalt von Kleidung – höchst ungehörig war, aber es fiel ihr keine Möglichkeit ein abzulehnen, als Rhett ihr in blumigsten Worten erklärte, nichts sei zu gut, die Braut eines unserer tapferen Helden festlich auszustaffieren. Also lud Mrs. Merriwether ihn zum Dinner ein und hatte das Gefühl, dass das Geschenk durch dieses Zugeständnis mehr als bezahlt war.

Nicht nur brachte er Maybelle die Seide, er war auch imstande, vortreffliche Ratschläge für den Schnitt des Hochzeitskleids zu geben. Diese Saison waren die Reifröcke in Paris weiter und die Röcke kürzer. Sie waren nicht mehr gerüscht, sondern bauschten sich in bogenförmigen Girlanden und ließen bortenbesetzte Unterröcke sehen. Er erwähnte auch, er habe keine langen Damenunterhosen mehr in den Straßen gesehen, also seien sie wahrscheinlich aus der Mode. Später sagte Mrs. Merriwether zu Mrs. Elsing, wenn sie ihn auch nur im Geringsten ermutigt hätte, dann hätte er vermutlich haarklein erzählt, was für Unterhosen die Pariserinnen gegenwärtig trugen.

Ohne seine so offensichtliche Männlichkeit wäre seine Begabung, sich in allen Einzelheiten an Kleider, Hauben und Frisuren zu erinnern, als weibisch geschmäht worden. Die Damen kamen sich immer ein wenig seltsam vor, wenn sie ihn mit Modefragen bestürmten, aber sie taten es trotzdem. Sie waren von der Modewelt so isoliert wie schiffbrüchige Seeleute, denn nur wenige Modemagazine kamen durch die Blockade. Soweit sie im Bilde waren, mochten die Französinnen sich die Köpfe rasieren und Waschbärfellmützen tragen, daher war Rhetts Gedächtnis für Tand und Flitter ein willkommener Ersatz für Godey’s Lady’s Book. Er konnte sich all die Kleinigkeiten merken, an denen Frauenherzen hingen, und nach jeder Auslandsreise fand man ihn umlagert von Damen, denen er berichtete, die Hauben seien dieses Jahr kleiner und säßen höher, so dass sie den Kopf nur oben bedeckten, man schmücke sie mit Federn und nicht mit Blumen, die Kaiserin von Frankreich habe den Chignon als Abendfrisur abgelegt und lasse sich das Haar auftürmen, so dass ihre Ohren ganz zu sehen seien, und die Abendkleider seien wieder schockierend tief ausgeschnitten.

Einige Monate lang war er die beliebteste und romantischste Gestalt in der Stadt – trotz seines früheren schlechten Rufs, trotz der leisen Gerüchte, dass er nicht nur als Blockadebrecher tätig war, sondern auch mit Lebensmitteln spekulierte. Leute, die ihn nicht mochten, ließen durchblicken, dass jedes Mal, wenn er nach Atlanta komme, die Preise um fünf Dollar stiegen. Aber auch wenn solcher Klatsch sich über geheime Kanäle verbreitete, hätte er seine Beliebtheit behaupten können, wäre sie ihm der Mühe wert gewesen. Stattdessen regte sich in ihm, nachdem er die Gesellschaft der gesetzten und patriotischen Bürger kennengelernt und ihren Respekt und ihre widerwillige Zuneigung erworben hatte, ein rebellischer Drang, sie mit aller Kraft vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu zeigen, dass sein Verhalten nur Maskerade gewesen war, und ihm nun keinen Spaß mehr machte.

Es war, als verachtete er alles und jeden in den Südstaaten, vor allem die Konföderation, und als habe er nicht im Geringsten vor, dies zu verbergen. Seine Bemerkungen über die Konföderation waren es, die die Bürger Atlantas veranlassten, ihm zunächst verblüfft, dann distanziert und schließlich mit unverhohlenem Zorn zu begegnen. Bereits vor dem Jahreswechsel von 1862 auf 1863 grüßten ihn die Männer mit vorbedachter Kälte, und die Frauen zogen ihre Töchter an sich, wenn er bei einem gesellschaftlichen Anlass erschien.

Es machte ihm offenbar Vergnügen, nicht nur die aufrichtige und glühende Loyalität Atlantas zu beleidigen, sondern sich selbst im schlechtesten Licht zu zeigen. Wenn wohlmeinende Leute ihm für seinen Mut beim Durchbrechen der Blockade Komplimente machten, erwiderte er ungerührt, er habe in gefährlichen Situationen immer Angst, genauso viel Angst wie die tapferen Jungs an der Front. Jedermann wusste, dass es feige konföderierte Soldaten einfach nicht gab, und so wirkte diese Aussage besonders provozierend. Er bezeichnete die Soldaten zwar immer als »unsere tapferen Jungs« oder »unsere Helden in Feldgrau«, aber auf eine Weise, die in höchstem Maße beleidigend wirkte. Wenn wagemutige junge Frauen in der Hoffnung auf einen Flirt ihm dafür dankten, dass er als einer der Helden für sie kämpfte, verneigte er sich und erklärte, dies sei nur bedingt der Fall, denn er würde dasselbe für die Frauen der Yankees tun, wenn sich damit ähnliche Geldsummen verdienen ließen.

Mit Scarlett hatte er in dieser Weise schon seit ihrer ersten Begegnung am Abend des Basars in Atlanta gesprochen, aber nun fand sich in seinen Gesprächen mit allen Leuten ein nur schwach verhüllter Ton des Spotts. Wenn man seine Dienste für die Konföderation pries, so antwortete er unfehlbar, das Brechen der Blockade sei für ihn ein Geschäft. Wenn er mit Regierungsverträgen genauso viel verdienen könnte, pflegte er Leuten, die Regierungsverträge hatten, ins Gesicht zu sagen, dann würde er sich den Gefahren des Blockadebrechens bestimmt nicht mehr aussetzen, sondern sich darauf verlegen, schlechte Stoffe, sandigen Zucker, verdorbenes Mehl und vergammeltes Leder an die Konföderation zu verkaufen.

Die meisten seiner Bemerkungen ließen keine Widerrede zu, was sie umso schlimmer machte. Um die Nutznießer von Regierungsverträgen hatte es bereits kleinere Skandale gegeben. Die Männer an der Front klagten in ihren Briefen ständig über Schuhe, die in einer Woche durchgelaufen waren, Schießpulver, das nicht zündete, Zaumzeug, das bei jeder Belastung riss, verdorbenes Fleisch und Mehl voller Getreidekäfer. Die Einwohner Atlantas versuchten sich einzureden, dass Männer, die der Regierung solches Zeug verkauften, Armeelieferanten aus Alabama oder Virginia oder Tennessee sein mussten, auf keinen Fall aber Leute aus Georgia. Denn zählten zu den Lieferanten nicht Männer aus den allerbesten Familien Georgias? Waren sie nicht die ersten, die für Lazarette und Soldatenwaisen spendeten? Jubelten sie nicht immer als erste, wenn Dixie gespielt wurde, und verlangten sie nicht am lautesten, zumindest verbal, nach Yankee-Blut? Noch war die volle Wut gegen die Kriegsgewinnler nicht entbrannt, und Rhetts Worte galten lediglich als Beweis seiner schlechten Erziehung.

Nicht nur provozierte er die Stadt, indem er einigen ihrer geachtetsten Mitglieder Korruption unterstellte und den Mut der Männer im Feld herabsetzte, er fand auch ein diebisches Vergnügen daran, die würdigen Bürger in peinliche Situationen zu bringen. Er konnte es ebenso wenig lassen, gegen den Dünkel, die Heuchelei und den flammenden Patriotismus in seiner Umgebung zu sticheln, wie ein kleiner Junge widerstehen kann, mit einer Nadel in einen Ballon zu piksen. Wichtigtuern nahm er den Wind aus den Segeln, Unwissen und Bigotterie stellte er bloß, indem er die Leute mit seinem scheinbar höflichen Interesse so geschickt aufs Glatteis führte, dass sie gar nicht merkten, wie ihnen geschah, bis sie sich als windige, hochtrabende und leicht lächerliche Figuren entlarvt hatten.

Während der Monate, in denen er in der Stadt wohlgelitten war, hatte Scarlett sich keinerlei Illusionen über ihn hingegeben. Sie wusste, dass all seine bemühte Galanterie und seine blumigen Reden ironisch gemeint waren. Sie wusste, dass er die Rolle des verwegenen und patriotischen Blockadebrechers nur deshalb spielte, weil sie ihm Spaß machte. Manchmal kam er ihr vor wie die Jungs vom Lande, mit denen sie aufgewachsen war, die wilden Tarleton-Zwillinge, die immer auf Streiche erpicht waren, die teuflischen Fontaines mit ihren Foppereien und ihrem Unfug, die Calverts, die nächtelang üble Scherze ausheckten. Aber es gab einen Unterschied, denn unter Rhetts scheinbarem Unernst lag etwas Boshaftes, in seiner sanften Brutalität etwas nahezu Unheimliches.

Obwohl sie seine Unaufrichtigkeit durchschaute, war ihr seine Rolle als romantischer Blockadebrecher deutlich lieber. Zumindest machte sie es ihr viel einfacher, mit ihm zu verkehren, als zu Anfang. So war sie zutiefst verärgert, als er die Maske fallen und nichts unversucht ließ, Atlanta gegen sich aufzubringen. Es erschien ihr töricht, und außerdem färbte einiges von der unnachsichtigen Kritik gegen ihn auf sie ab.

Auf Mrs. Elsings Wohltätigkeitskonzert zugunsten der Genesenden stellte sich Rhett sein eigenes Verbannungsurteil aus. An diesem Nachmittag war das Haus der Elsings voll von Soldaten auf Urlaub und Männern aus den Lazaretten, von Mitgliedern der Bürgerwehr und der Miliz, von Matronen, Witwen und jungen Mädchen. Alle Stühle im Haus waren belegt, und selbst die lange geschwungene Treppe war dicht an dicht mit Gästen besetzt. Die große Kristallschale, mit der der Butler der Elsings an der Tür stand, war zweimal mit Silbermünzen gefüllt worden. Schon das allein machte die Sache zum Erfolg, denn inzwischen war ein Silberdollar sechzig Dollar in Konföderationsscheinen wert.

Jedes Mädchen, das sich auf seinen Musikunterricht auch nur das Geringste zugutehielt, hatte gesungen oder Klavier gespielt, und die lebenden Bilder waren mit schmeichelhaftem Applaus begrüßt worden. Scarlett war sehr zufrieden mit sich, denn nicht nur hatten sie und Melanie ein rührendes Duett zum Besten gegeben, When the Dew Is on the Blossom, gefolgt von einer munteren Zugabe, Oh Lawd, Ladies, Don’t Mind Stephen!, sie war außerdem ausgewählt worden, im letzten lebenden Bild den Geist der Konföderation zu verkörpern.

Sie sah in der züchtig drapierten, rot und blau gegürteten griechischen Robe aus weißer Gaze bezaubernd aus. In der einen Hand hielt sie die Sterne und Streifen, mit der anderen reichte sie dem knienden Hauptmann Carey Ashburn aus Alabama den Säbel mit dem goldenen Griff, der Charles und seinem Vater gehört hatte.

Als ihr Bild vorbei war, konnte sie es sich nicht verkneifen, Rhetts Blick zu suchen, um zu sehen, ob er ihre hübsche Erscheinung gewürdigt hatte. Doch zu ihrer Verärgerung musste sie feststellen, dass er sich in einem Wortgefecht befand und sie wahrscheinlich nicht einmal bemerkt hatte. Scarlett konnte an den Gesichtern der Umstehenden erkennen, dass sie fassungslos waren über das, was er sagte.

Sie bahnte sich den Weg zu ihnen, und in einer jener seltsamen Gesprächspausen, die sich manchmal bei Gesellschaften ergeben, hörte sie Willie Guinan von der Miliz laut und deutlich sagen: »Verstehe ich Sie richtig, Sir, dass Sie der Meinung sind, die Gute Sache, für die unsere Helden gefallen sind, sei nicht heilig?«

»Wenn Sie von einem Zug überfahren werden, dann heiligt ihr Tod ja auch nicht die Eisenbahngesellschaft, oder?« fragte Rhett, als bäte er bescheiden um eine Schalterauskunft.

»Sir«, sagte Will mit bebender Stimme, »wären wir nicht unter diesem Dach …«

»Ich zittre, wenn ich mir vorstelle, was dann geschehen würde«, sagte Rhett. »Denn Ihre Tapferkeit ist ja weithin bekannt.«

Willie lief rot an, und die Gespräche erstarben. Alle waren peinlich berührt. Willie war kräftig, gesund und im dienstfähigen Alter, und dennoch war er nicht an der Front. Natürlich war er der einzige Sohn seiner Mutter, und schließlich musste ja auch jemand in der Miliz sein, um die Gebiete hinter der Front zu schützen. Aber von einigen genesenden Offizieren hörte man respektloses Kichern, als Rhett von Tapferkeit sprach.

Ach, warum hält er nicht den Mund! dachte Scarlett peinlich berührt. Er verdirbt die ganze Party!

Dr. Meades Augenbrauen drohten Unheil.

»Ihnen ist vielleicht nichts heilig, junger Mann«, sagte er mit der gleichen Stimme, mit der er seine Reden hielt. »Aber den patriotischen Männern und Frauen des Südens ist vieles heilig. Dazu gehört die Freiheit unseres Landes von Eindringlingen und die Rechte der Bundesstaaten und …«

Rhett blickte müde, und seine Stimme hatte eine seidenweiche, fast gelangweilte Färbung.

»Alle Kriege sind heilig«, sagte er, »für die, die sie ausfechten müssen. Wenn diejenigen, die Kriege anfangen, sie nicht für heilig erklärten, wer wäre dann so töricht zu kämpfen? Aber gleichgültig, welchen Schlachtruf die Redner den Dummköpfen einpeitschen, die kämpfen, gleichgültig, welche edlen Zwecke sie den Kriegen zuschreiben, es gibt immer nur einen Grund für Krieg, und das ist Geld. Alle Kriege sind in Wirklichkeit Geldstreitereien. Nur begreifen das sehr wenige Leute. Ihre Ohren sind zu voll vom Lärm der Fanfaren und Trommeln und von den feinen Worten der zurückgebliebenen Redenschwinger. Manchmal heißt der Schlachtruf ›Rettet das Grab Christi vor den Heiden!‹, manchmal ›Nieder mit dem Papismus!‹ und manchmal ›Freiheit!‹ und manchmal ›Baumwolle, Sklaverei und Rechte der Bundesstaaten!‹«

Was, zum Henker, hat der Papst damit zu tun? dachte Scarlett. Oder das Grab Christi?

Doch während sie zu der aufgebrachten Gruppe strebte, verneigte Rhett Butler sich nonchalant und ging durch die Gästeschar zur Tür. Sie wollte ihm nacheilen, aber Mrs. Elsing hielt sie am Rock fest.

»Lassen Sie ihn gehen«, sagte sie mit klarer, die angespannte Stille des Raums durchdringender Stimme. »Lassen Sie ihn gehen. Er ist ein Verräter, ein Spekulant! Er ist eine Natter, die wir am Busen genährt haben!«

Rhett stand mit dem Hut in der Hand in der Eingangshalle und hörte die ihm zugedachten Worte, drehte sich um und ließ den Blick einen Moment lang durch den Raum schweifen. Dann schaute er anzüglich auf Mrs. Elsings flache Brust, grinste unvermittelt und verließ mit einer Verbeugung den Raum.

Mrs. Merriwether fuhr in Tante Pittys Kutsche nach Hause, und kaum hatten die vier Damen ihre Sitze eingenommen, brach es aus ihr heraus.

»Da hast du’s, Pittypat Hamilton! Ich hoffe, du bist zufrieden!«

»Womit?« rief Pitty besorgt.

»Mit dem Betragen dieses grässlichen Butler, den du bei dir aufgenommen hast.«

Pittypat zuckte zusammen, von der Heftigkeit der Anklage zu verwirrt, um daran zu erinnern, dass auch Mrs. Merriwether bei verschiedenen Gelegenheiten Rhett Butlers Gastgeberin gewesen war. Scarlett und Melanie dachten zwar daran, aber da sie zur Höflichkeit gegen Ältere erzogen worden waren, erwähnten sie es nicht, sondern blickten unverwandt auf ihre behandschuhten Hände.

»Er hat uns alle beleidigt, und die Konföderation noch dazu«, sagte Mrs. Merriwether, und ihre imposante Büste wogte heftig unter ihren glitzernden, posamentenartigen Borten. »Zu behaupten, wir kämpften um Geld! Zu behaupten, unsere Anführer hätten uns belogen! Ins Gefängnis sollte man ihn stecken. Jawohl. Ich werde mit Dr. Meade darüber sprechen. Wenn Mr. Merriwether noch am Leben wäre, der würde ihm den Kopf waschen! Also, Pitty Hamilton, jetzt hör mir mal zu. Du darfst diesen Halunken nie wieder in dein Haus lassen!«

»Oh«, entfuhr es Pitty, und sie sah dabei aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken. Sie blickte flehend die beiden Mädchen an, die ihre Augen gesenkt hielten, und dann hoffnungsvoll auf Uncle Peters aufrechten Rücken. Sie wusste, dass er jedem Wort aufmerksam lauschte, und sie hoffte, er würde sich, wie so oft, umdrehen und ins Gespräch einmischen. Sie hoffte, er würde sagen: »Also Miss Dolly, jetzt lassen Sie Miss Pitty mal schön in Ruhe«, aber Peter rührte sich nicht. Er missbilligte Rhett Butler von Herzen, und das wusste die arme Pitty. Sie seufzte und sagte: »Ja, wenn du meinst, Dolly …«

»Und ob ich das meine!« erwiderte Mrs. Merriwether. »Es ist mir schleierhaft, was dich geritten hat, ihn überhaupt zu empfangen. Nach dem heutigen Nachmittag gibt es kein anständiges Haus mehr in der ganzen Stadt, wo er noch willkommen ist. Nimm endlich mal deinen Mut zusammen und verbiete ihm dein Haus.«

Sie warf den Mädchen einen strengen Blick zu. »Ich hoffe, ihr beide hört mir gut zu«, fuhr sie fort, »denn teilweise ist es eure Schuld, weil ihr so liebenswürdig zu ihm wart. Erklärt ihm höflich, aber entschieden, dass seine Anwesenheit und sein illoyales Gerede in eurem Haus unwillkommen sind.«

Scarlett kochte innerlich, sie wäre am liebsten hochgegangen wie ein Pferd, wenn es eine fremde, rauhe Hand an seinem Zügel spürt. Aber sie hatte Angst, etwas zu sagen. Sie konnte nicht riskieren, dass Mrs. Merriwether schon wieder einen Brief an ihre Mutter schrieb.

Du alte Kuh, dachte sie, und ihr Gesicht war feuerrot vor unterdrückter Wut. Wie himmlisch wäre es, dir mal tüchtig die Meinung über dich und deine Herrschsucht zu geigen!

»Ich hätte nie gedacht, dass ich mir in meinem Leben je solch ehrlose Worte über unsere Gute Sache anhören muss«, fuhr Mrs. Merriwether fort, die vor gerechtem Zorn förmlich übersprudelte. »Jeder Mann, der unsere Gute Sache nicht für gerecht und heilig hält, sollte aufgehängt werden! Ich will nicht hören, dass ihr beiden Mädchen je wieder mit ihm sprecht … Lieber Gott, Melly, was hast du denn?«

Melanie war bleich und ihre Augen waren weit aufgerissen.

»Ich werde mit ihm sprechen«, sagte sie leise. »Ich werde nicht unhöflich zu ihm sein. Ich werde ihm nicht das Haus verbieten.«

Mrs. Merriwether stieß ihren Atem so heftig aus, als hätte sie einen Faustschlag gegen die Brust bekommen. Tante Pittys dickes Mündchen klappte auf, und Uncle Peter drehte sich um und starrte sie an.

Wieso hatte ich nicht den Mut, das zu sagen? dachte Scarlett, wobei sich Eifersucht in ihre Bewunderung mischte. Wo hat dieses kleine Häschen bloß so viel Mumm her, sich gegen die alte Merriwether zu wehren?

Melanies Hände zitterten, aber sie sprach rasch weiter, als fürchtete sie, wenn sie zögerte, ihre Courage zu verlieren.

»Ich werde nicht unhöflich zu ihm sein, weil er diese Dinge gesagt hat, weil … Es war unhöflich von ihm, es laut auszusprechen … es war sehr unüberlegt … aber genau, genau das denkt Ashley auch. Und ich kann einem Mann nicht das Haus verbieten, weil er denkt, was mein Mann denkt. Das wäre ungerecht.«

Mrs. Merriwether war wieder zu Atem gekommen, und sie schlug zurück.

»Melly Hamilton, eine solche Lüge habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört! Nie hat es bei den Wilkes je einen Feigling gegeben …«

»Ich habe nie behauptet, dass Ashley ein Feigling ist«, sagte Melanie, und ihre Augen begannen zu funkeln. »Ich habe gesagt, er denkt das Gleiche, was Captain Butler denkt, nur drückt er es anders aus. Und er sagt es hoffentlich nicht auf Hauskonzerten. Aber er hat es mir geschrieben.«

Scarletts schlechtes Gewissen rührte sich, als sie sich zu erinnern versuchte, was Ashley geschrieben haben konnte, dass Melanie sich eine solche Behauptung herausnahm, aber die meisten Briefe waren vergessen, kaum dass sie sie gelesen hatte. Wahrscheinlich hatte Melanie einfach den Verstand verloren.

»Ashley hat mir geschrieben, dass wir die Yankees zu Unrecht bekämpfen. Und dass wir dazu verführt worden sind von Staatsmännern und Rednern, die Phrasen und Vorurteile geäußert haben«, sagte Melly hastig. »Er hat gesagt, nichts auf der Welt sei das wert, was dieser Krieg uns antun wird. Er hat gesagt, an Ruhm ist überhaupt nichts dran – es ist bloß Elend und Dreck.«

Ach! Der Brief, dachte Scarlett. Das hat er also gemeint?

»Das glaube ich nicht«, sagte Mrs. Merriwether bestimmt. »Du hast ihn falsch verstanden.«

»Ich verstehe Ashley nie falsch«, erwiderte Melanie ruhig, obwohl ihre Lippen zitterten. »Ich verstehe ihn vollkommen. Er meinte genau das Gleiche wie Captain Butler, nur hat er es nicht so drastisch ausgedrückt.«

»Du solltest dich schämen, einen feinen Mann wie Ashley Wilkes mit einem Schurken wie Captain Butler zu vergleichen! Ich nehme an, auch deiner Meinung nach ist die Gute Sache gar nichts!«

»Ich – ich weiß nicht, was meine Meinung ist«, begann Melanie unsicher, als das Feuer sie verließ und Panik wegen ihrer Freimütigkeit sie ergriff. »Ich, ich würde für die Gute Sache sterben wie Ashley. Aber, ich meine – ich meine, ich überlasse das Denken den Männern, denn sie sind so viel klüger.«

»So was habe ich ja noch nie gehört«, schnaubte Mrs. Merriwether. »Halt, Uncle Peter, du fährst an meinem Haus vorbei.«

Uncle Peter war so mitgenommen von dem Gespräch in seinem Rücken, dass er am Merriwether’schen Kutschstein vorbeigefahren war, und er ließ das Pferd rückwärts gehen. Mrs. Merriwether stieg ab, ihre Haubenbänder flatterten wie Segel im Sturm.

»Das wird euch noch leidtun«, sagte sie.

Uncle Peter gab dem Pferd die Peitsche.

»Ihr jungen Misses solltet euch was schämen, dass ihr Miss Pitty so aufregt«, schalt er.

»Ich bin nicht aufgeregt«, erwiderte Pitty zu aller Überraschung, denn sie war schon aus geringeren Anlässen in Ohnmacht gefallen. »Melly, mein Schatz, ich weiß, das hast du getan, um dich vor mich zu stellen, und ich war froh, dass mal jemand Dolly vom Sockel geholt hat. Sie ist so rechthaberisch. Wie hast du dich das bloß getraut? Aber meinst du, du hättest das über Ashley wirklich sagen sollen?«

»Aber es ist wahr«, antwortete Melly und begann leise zu weinen. »Und ich schäme mich nicht, dass er so denkt. Er hält den Krieg für völlig falsch, aber er ist bereit, trotzdem zu kämpfen und zu sterben, und dafür braucht es viel mehr Mut, als wenn man für etwas kämpft, das man für richtig hält.«

»Gott, Miss Melly, nich hier auf der Peachtree Street weinen«, stöhnte Uncle Peter und trieb sein Pferd an. »Das gibt nen Skandal. Warte, bis wir nach Hause kommen.«

Scarlett sagte nichts. Sie drückte nicht einmal die Hand, die Melanie trostsuchend in ihre gelegt hatte. Sie hatte Ashleys Briefe nur aus einem Grund gelesen – um sich zu versichern, dass er sie immer noch liebte. Jetzt hatte Melanie Briefstellen eine neue Bedeutung gegeben, die Scarlett kaum wahrgenommen hatte. Es verstörte sie, dass ein so absolut vollkommener Mann wie Ashley mit einem verkommenen Subjekt wie Rhett Butler Gedanken teilen konnte. Sie dachte: »Beide durchschauen sie diesen Krieg, aber Ashley ist bereit, dafür zu sterben, und Rhett Butler nicht. Ich finde, das zeigt Rhetts gesunden Verstand.« Sie hielt bestürzt inne, dass sie so etwas über Ashley gedacht hatte. »Sie erkennen beide dieselbe unangenehme Wahrheit, aber Rhett blickt ihr ins Auge und bringt die Leute zur Weißglut, indem er darüber redet – während Ashley es kaum erträgt, sich ihr zu stellen.«

Das war alles sehr verwirrend.

Vom Wind verweht

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