Читать книгу Vom Wind verweht - Маргарет Митчелл - Страница 15

KAPITEL 7

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Innerhalb von zwei Wochen war Scarlett verheiratet, und zwei Monate später war sie Witwe. Sie war der Fesseln rasch ledig, die sie sich so vorschnell und gedankenlos angelegt hatte, doch die unbeschwerte Freiheit ihrer Jungmädchenzeit sollte sie nie wieder erleben. Die Witwenschaft folgte der Ehe auf dem Fuß, doch zu Scarletts Bestürzung schloss sich bald die Mutterschaft an.

Wenn sie später an jene letzten Apriltage des Jahres 1861 zurückdachte, konnte sie sich nie recht an Einzelheiten erinnern. Die Zeit und ihre Ereignisse erschienen wie durch ein umgedrehtes Teleskop entrückt, durcheinandergewürfelt wie ein Albtraum, ebenso unwirklich und sinnlos. Bis zu ihrem Tod bildeten diese Tage eine Leerstelle in ihrem Gedächtnis. Besonders verschwommen waren ihre Erinnerungen an die Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit. Zwei Wochen! Eine solch kurze Brautzeit wäre in Friedenszeiten unmöglich gewesen. Damals hätte man eine schickliche Pause von einem Jahr oder mindestens sechs Monaten eingehalten. Aber im Süden war der Krieg entbrannt, die Ereignisse wirbelten wie von einem mächtigen Sturm angetrieben vorüber, und mit der Gemächlichkeit des früheren Lebens war es vorbei. Ellen hatte die Hände gerungen und zum Aufschub geraten, damit Scarlett sich die Sache länger überlegen konnte. Aber Scarlett verzog nur mürrisch das Gesicht und stellte sich taub, wenn Ellen ihr Vorhaltungen machte. Sie wollte heiraten! Und zwar schnell. Innerhalb von zwei Wochen.

Als sie erfuhr, dass Ashleys Hochzeit vom Herbst auf den ersten Mai vorverlegt worden war, damit er mit der Truppe aufbrechen konnte, sobald sie ihren Marschbefehl erhielt, legte sie ihre Hochzeit auf den Tag davor. Ellen protestierte, aber Charles setzte sich mit neugewonnener Beredtheit dafür ein, denn er wollte sich unbedingt Wade Hamptons Legion in South Carolina anschließen, und Gerald ergriff die Partei der jungen Leute. Er war vom Kriegsfieber erfasst und freute sich über Scarletts gute Partie, und wie hätte er sich einer jungen Liebe in den Weg stellen können, wenn Krieg war? Ellen gab schließlich entmutigt nach, wie so viele Mütter in den Südstaaten. In ihrer ehedem friedlichen Welt kehrte sich das Unterste zuoberst, und ihr Flehen, ihre Gebete und Ratschläge konnten nichts ausrichten gegen die gewaltigen Kräfte, die alles mit sich rissen.

Der Süden war trunken vor Begeisterung und Erregung. Man war sich sicher, dass der Krieg nach einer einzigen Schlacht entschieden sein würde, und jeder junge Mann meldete sich sofort freiwillig, ehe der Krieg vorbei war – und heiratete noch rasch seine Liebste, bevor er nach Virginia eilte, um den Yankees eine Schlappe beizubringen. Im County gab es Dutzende von Kriegstrauungen, und es blieb kaum Zeit für Abschiedsschmerz, denn man war zu beschäftigt und zu aufgeregt für feierliche Gefühle oder Tränen. Die Damen nähten Uniformen, strickten Socken und rollten Bandagen, die Männer exerzierten und schossen. Tagtäglich fuhren Züge voller Soldaten auf dem Weg nach Atlanta und Virginia durch Jonesboro. Manche Abteilungen trugen die farbenfrohen Paradeuniformen von Milizen, je nach Herkunft scharlachrot, hellblau oder grün, einige kleine Gruppen waren mit handgesponnenem, handgewebtem Stoff und Waschbärfellmützen gekleidet, andere trugen statt Uniformen feine Wollanzüge und Batisthemden. Alle waren halb ausgebildet, halb bewaffnet, rasend vor Aufregung und schrien durcheinander, als wären sie unterwegs zu einem Picknick. Der Anblick dieser Männer versetzte die Jungs aus dem County in Panik, denn sie fürchteten, der Krieg könnte schon vorbei sein, ehe sie Virginia erreichten. Deshalb wurden die Vorbereitungen für die Abreise der Truppe beschleunigt.

Mitten in diesem Chaos wurde Scarletts Hochzeit vorbereitet, und ehe sie sichs versah, stieg sie in Ellens Brautkleid und Schleier am Arm ihres Vaters die breite Treppe zur Halle von Tara hinab und blickte auf die dichtgedrängte Menge der Gäste. Später erinnerte sie sich noch wie aus einem Traum an Hunderte von brennenden Kerzen an den Wänden, an das Gesicht ihrer Mutter, liebevoll und ein wenig verstört, während sich ihre Lippen in einem stummen Gebet für das Glück ihrer Tochter bewegten, an Gerald, hochrot vom Branntwein und vor Stolz, dass seine Tochter Geld und einen vornehmen und noch dazu alten Namen heiratete – und an Ashley, der am Fuß der Treppe stand, Arm in Arm mit Melanie.

Als Scarlett seinen Gesichtsausdruck sah, dachte sie: Das kann einfach nicht wahr sein. Es kann nicht sein. Es ist ein Albtraum. Gleich wache ich auf und merke, dass alles ein Albtraum ist. Ich darf jetzt nicht daran denken, sonst fange ich vor all diesen Leuten zu schreien an. Ich kann jetzt nicht denken. Ich werde später nachdenken, wenn ich es aushalten kann – wenn ich seine Augen nicht sehe.

Alles war traumartig: wie die lächelnden Menschen eine Gasse bildeten, so dass sie hindurchgehen konnte, Charles’ knallrotes Gesicht und sein Stottern und ihre Antworten, so erschreckend klar, so kalt. Und die Glückwünsche danach und die Küsse und die Trinksprüche und das Tanzen – alles, alles wie ein Traum. Selbst das Gefühl von Ashleys zartem Kuss auf der Wange, selbst Melanies leise geflüstertes »Jetzt sind wir richtige Schwestern« waren unwirklich. Sogar die Aufregung, die durch die Ohnmacht von Charles’ rundlicher, rührseliger Tante, Miss Pittypat Hamilton, verursacht wurde, hatte etwas von einem Albtraum.

Aber als das Tanzen und die Trinksprüche schließlich aufhörten und der Morgen dämmerte, als all die Gäste aus Atlanta, die in Tara und dem Haus des Aufsehers untergebracht werden konnten, auf Betten, Sofas und Strohsäcken auf dem Boden schliefen und alle Nachbarn nach Hause gefahren waren, um sich auf die Hochzeit in Twelve Oaks am nächsten Tag vorzubereiten, da zerbarst die traumartige Trance vor der Wirklichkeit wie ein Kristallglas. Die Wirklichkeit war der errötende Charles, der im Nachthemd aus ihrem Ankleidezimmer kam und dem erschrockenen Blick auswich, den sie ihm über der hochgezogenen Bettdecke zuwarf.

Natürlich wusste sie, dass Verheiratete in einem Bett schliefen, aber daran hatte sie bis zu diesem Augenblick überhaupt nicht gedacht. Es kam ihr bei ihren Eltern vollkommen natürlich vor, aber für ihre eigene Person hatte sie das nie in Betracht gezogen. Jetzt begriff sie zum ersten Mal seit dem Barbecue, was sie sich aufgeladen hatte. Der Gedanke, dass dieser fremde Junge, den sie eigentlich gar nicht hatte heiraten wollen, zu ihr ins Bett kommen würde, während ihr das Herz brach vor Verzweiflung über ihre voreilige Entscheidung und vor Schmerz, dass sie Ashley nun für immer verlor, war einfach unerträglich. Als er sich zögernd dem Bett näherte, sprach sie in heiserem Flüsterton.

»Ich schreie, wenn du mir nahekommst. Wirklich. So laut ich kann! Geh weg! Wage nicht, mich anzufassen!«

Also verbrachte Charles Hamilton seine Hochzeitsnacht in einem Sessel in der Zimmerecke, was ihn nicht übermäßig unglücklich machte, denn er verstand oder glaubte zu verstehen, wie züchtig und zart besaitet seine Braut war. Er war bereit zu warten, bis ihre Angst verflog, bloß – bloß … Er seufzte, während er sich hin und her wälzte und eine bequeme Position suchte, denn schon so bald würde er in den Krieg ziehen.

War ihre eigene Hochzeit ein Albtraum, so war Ashleys Hochzeit noch schlimmer. Scarlett stand in ihrem apfelgrünen Kleid »für den zweiten Tag« im Salon von Twelve Oaks im Glanz von Hunderten von Kerzen im Gedränge derselben Menschenmenge wie am Abend zuvor und erlebte, wie das unscheinbare kleine Gesicht von Melanie Hamilton zu Schönheit erblühte, als sie Melanie Wilkes wurde. Nun war Ashley für immer verloren. Ihr Ashley. Nein, nicht mehr ihr Ashley. Hatte er je ihr gehört? Alles ging in ihrem Kopf durcheinander, und ihr Kopf war so müde, so verwirrt. Ashley hatte ihr seine Liebe gestanden, aber was hatte sie dann getrennt? Wenn sie sich doch nur darauf besinnen könnte. Sie hatte durch ihre Hochzeit mit Charles die Klatschmäuler im County zum Schweigen gebracht, aber was spielte das jetzt für eine Rolle? Es war ihr irgendwann sehr wichtig erschienen, aber jetzt war es vollkommen unwichtig. Nur Ashley war wichtig. Jetzt war er fort, und sie war mit einem Mann verheiratet, den sie nicht nur nicht liebte, sondern sogar aus tiefstem Herzen verachtete.

Oh, wie sie alles bereute! ›Sich ins eigene Fleisch zu schneiden‹ war für sie bisher nur eine Redensart gewesen. Jetzt wusste sie genau, was es bedeutete. Und mit ihrer wilden Sehnsucht, Charles loszuwerden und in die Geborgenheit Taras zurückzukehren und wieder ein unverheiratetes Mädchen zu sein, war untrennbar das Wissen verbunden, dass sie selbst an allem schuld war. Ellen hatte versucht, sie zurückzuhalten, aber Scarlett hatte nicht auf sie gehört.

So durchtanzte sie wie betäubt den Abend von Ashleys Hochzeitstag, unterhielt sich mechanisch und lächelte und staunte über die Torheit der Leute, die sie für eine glückliche Braut hielten und nicht sahen, dass ihr Herz gebrochen war. Gott sei Dank konnten sie es nicht sehen!

Nachdem Mammy ihr in dieser Nacht beim Auskleiden geholfen hatte und Charles, der sich fragte, ob er eine weitere Nacht auf dem Rosshaarsessel verbringen müsste, schüchtern aus dem Ankleidezimmer gekommen war, brach sie in Tränen aus. Sie weinte, bis Charles zu ihr ins Bett kam und sie zu trösten versuchte. Sie weinte ohne Worte, bis die Tränen versiegten, und schließlich lag sie da und schluchzte an seiner Schulter.

Wäre nicht Krieg gewesen, hätte sich eine Woche mit Besuchen im ganzen County angeschlossen, mit Bällen und Barbecues zu Ehren der beiden frischverheirateten Paare, bevor sie ihre Hochzeitsreisen nach Saratoga oder White Sulphur antraten. Wäre nicht Krieg gewesen, hätte Scarlett auch Kleider für den dritten, vierten und fünften Tag gehabt, die sie auf den Partys ihr zu Ehren bei den Fontaines, Calverts und Tarletons getragen hätte. Aber jetzt gab es keine Partys und keine Hochzeitsreisen. Eine Woche nach der Hochzeit reiste Charles ab, um in Oberst Wade Hamptons Legion einzutreten, und zwei Wochen später zogen Ashley und die Truppe ab und ließen das County verwaist zurück.

In diesen beiden Wochen sah Scarlett Ashley niemals alleine und sprach kein einziges vertrauliches Wort mit ihm. Nicht einmal im schrecklichen Augenblick des Abschieds, als er auf seinem Weg zur Eisenbahn in Tara vorbeikam, konnte sie unter vier Augen mit ihm reden. Melanie, mit Haube und Schultertuch und neuerworbener Matronenwürde, hing an seinem Arm, und alle, die auf Tara arbeiteten, schwarz wie weiß, liefen zusammen, um sich von Ashley zu verabschieden, bevor er in den Krieg zog.

Melanie sagte: »Du musst Scarlett einen Kuss geben, Ashley. Sie ist jetzt meine Schwester.« Und Ashley beugte sich mit angespanntem Gesicht herab und berührte mit kalten Lippen ihre Wange. Scarlett konnte sich kaum über den Kuss freuen, so verdross es ihr Herz, dass sie ihn Melly zu verdanken hatte. Beim Abschied erdrückte Melanie sie fast mit ihrer Umarmung.

»Du musst unbedingt nach Atlanta kommen und mich und Tante Pittypat besuchen! Ach Liebste, wir möchten dich so gerne bei uns haben. Wir wollen Charlies Frau besser kennenlernen.«

Fünf Wochen vergingen, in denen von Charles aus South Carolina schüchterne, ekstatische, liebevolle Briefe ankamen, worin er von seiner Liebe sprach, von seinen Zukunftsplänen für die Zeit nach dem Krieg, von seinem Wunsch, um ihretwillen zum Helden zu werden, und von seiner Bewunderung für seinen Kommandanten Wade Hampton. In der siebenten Woche kam ein Telegramm von Oberst Hampton persönlich und dann ein Brief, ein teilnahmsvolles, würdiges Beileidsschreiben. Charles war tot. Der Oberst hätte gerne früher telegrafiert, aber Charles, der seine Krankheit für unbedeutend hielt, wollte seine Familie nicht ängstigen. Der unglückliche Junge wurde nicht nur um die Liebe betrogen, die er glaubte gewonnen zu haben, sondern auch um seine hochfliegenden Hoffnungen auf Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld. Er war beschämenderweise ganz schnell an den Masern gestorben, die sich zu einer Lungenentzündung auswuchsen, ohne dass er den Yankees je näher gekommen war als in das Feldlager in South Carolina.

Zum erwarteten Termin wurde Charles’ Sohn geboren, und da es Mode war, kleine Jungen nach den Kommandanten ihrer Väter zu nennen, wurde er Wade Hampton Hamilton getauft. Scarlett hatte vor Verzweiflung geweint, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, und sich gewünscht, sie wäre tot. Aber sie trug das Kind ohne nennenswerte Unannehmlichkeiten aus, gebar es mit wenig Schmerzen und erholte sich so rasch, dass Mammy ihr erklärte, das sei eigentlich unstandesgemäß – Damen müssten mehr leiden. Sie hatte den Sohn nicht gewollt und nahm ihm seine Ankunft übel, und nun, da er auf der Welt war, konnte sie nicht recht glauben, dass er zu ihr gehörte, ja ein Teil von ihr war.

Zwar genas sie in peinlich kurzer Zeit von Wades Entbindung, doch sie blieb seelisch betäubt und krank. Sie war niedergeschlagen, obwohl die gesamte Plantage versuchte, sie aufzumuntern. Ellen lief mit sorgenzerfurchter Stirn umher, und Gerald fluchte noch öfter als sonst und brachte ihr aus Jonesboro nutzlose Geschenke mit. Selbst der alte Dr. Fontaine musste zugeben, dass er mit seinem Latein am Ende war, nachdem sein Stärkungstrank aus Schwefel, Melasse und Kräutern ihr nicht wieder auf die Beine half. Unter vier Augen erklärte er Ellen, Scarletts gebrochenes Herz mache sie abwechselnd so reizbar und lustlos. Wenn Scarlett hätte reden wollen, hätte sie ihnen sagen können, dass sie an ganz anderen, viel komplizierteren Beschwerden litt. Sie verriet nicht, dass es die entsetzliche Langeweile und Verwirrung über ihr ungewohntes Muttersein und vor allen Dingen Ashleys Abwesenheit war, was sie so gramgebeugt erscheinen ließ.

Die Langeweile war umfassend und wich nicht von ihr. Im County hatte es, seit die Truppe in den Krieg gezogen war, keinerlei Unterhaltung oder gesellschaftliches Leben gegeben. Alle interessanten jungen Männer waren fort – die vier Tarletons, die beiden Calverts, die Fontaines, die Munroes und alle aus Jonesboro, Fayetteville und Lovejoy, die jung und attraktiv waren. Nur die älteren Männer, die Krüppel und die Frauen waren übrig, und sie verbrachten ihre Zeit damit, zu stricken und zu nähen, mehr Baumwolle und Mais anzubauen und mehr Schweine und Schafe und Kühe für die Armee zu züchten. Nie bekam man einen richtigen Mann zu sehen, außer wenn einmal im Monat die Versorgungstruppe unter Suellens ältlichem Verehrer Frank Kennedy geritten kam, um Vorräte einzusammeln. Die Männer der Versorgungstruppe waren nicht sonderlich aufregend, und der Anblick von Franks schüchternem Werben ging Scarlett derartig auf die Nerven, dass es ihr schwerfiel, auch nur höflich zu ihm zu sein. Wenn er und Suellen es doch endlich hinter sich brächten!

Selbst wenn die Versorgungstruppe interessanter gewesen wäre, hätte das Scarletts Lage nicht aufgeholfen. Sie war Witwe und ihr Herz war ihrem Mann ins Grab gefolgt. Zumindest glaubte jedermann, es sei im Grab, und erwartete, dass sie sich entsprechend verhielt. Das ärgerte sie, denn sosehr sie sich auch bemühte, es kam ihr so gut wie keine Erinnerung an Charles, nur dass er wie ein sterbendes Kalb geschaut hatte, als sie ihm sagte, sie wolle ihn heiraten. Und selbst dieses Bild verblasste allmählich. Aber sie war Witwe und hatte sich auch als solche zu benehmen. Die Vergnügungen der unverheirateten Mädchen kamen ihr nicht zu. Sie musste tiefernst und auf Abstand bedacht sein. Das hatte Ellen in einem langen Vortrag betont, nachdem sie Franks Leutnant dabei erwischt hatte, wie er Scarlett, die vor Lachen jauchzte, in der Gartenschaukel anschubste. Voller Bestürzung hatte Ellen ihr erklärt, wie leicht man als Witwe ins Gerede kam. Eine Witwe musste doppelt so sehr auf ihr Betragen achten wie eine Matrone.

Und Matronen, dachte Scarlett, während sie gehorsam ihrer Mutter zuhörte, haben weiß Gott niemals auch nur ein bisschen Spaß. Witwen könnten also genauso gut tot sein.

Als Witwe musste man scheußliche schwarze Kleider tragen, ohne die Spur einer Borte, die sie ein bisschen aufgehellt hätte, ohne Blume, ohne Band oder Spitze, nicht einmal Schmuck war erlaubt, außer Trauerbroschen aus Onyx oder Halsketten aus dem Haar des Verstorbenen. Und der schwarze Crêpe-Schleier an ihrer Haube musste bis zu den Knien reichen, erst nach dreijähriger Witwenschaft konnte er auf Schulterhöhe gekürzt werden. Witwen durften nie vergnügt plaudern oder laut lachen. Selbst ihr Lächeln musste kummervoll und tragisch sein. Aber am schlimmsten war, dass sie nicht das geringste Gefallen an Männergesellschaft finden durften. Und sollte ein Herr je so unerzogen sein, sich für sie zu interessieren, musste sie ihn mit einer würdevollen, wohlformulierten Anspielung auf ihren verstorbenen Ehemann zum Erstarren bringen. O ja, dachte Scarlett trübselig, manche Witwen heiraten tatsächlich ein zweites Mal, aber erst wenn sie alt und runzlig sind. Weiß der Himmel, wie sie das anstellen, wo ihre Nachbarn sie immerfort beobachten. Und dann ist es meistens irgendein verzweifelter alter Witwer mit einer Riesenplantage und einem Dutzend Kindern.

Die Ehe war schon schlimm genug, aber für eine Witwe – oh, da war das Leben für immer vorbei. Wie dumm waren die Leute, wenn sie davon sprachen, was für ein Trost der kleine Wade Hampton für sie sein musste, nachdem Charles nicht mehr war. Wie dumm von ihnen zu sagen, jetzt habe sie etwas, wofür sie leben könne! Alle redeten davon, wie rührend es sei, dass sie nun ein posthumes Andenken an ihre Liebe habe, und natürlich belehrte sie sie nicht eines Besseren. Aber nichts lag ihr ferner als ein solcher Gedanke. Sie nahm nur sehr wenig Anteil an Wade, und manchmal musste sie sich mühsam daran erinnern, dass er tatsächlich ihr Kind war.

Jeden Morgen beim Aufwachen war sie einen schlaftrunkenen Augenblick lang wieder Scarlett O’Hara, und die Sonne schien hell auf den Magnolienbaum vor ihrem Fenster, und die Spottdrosseln sangen, und der herrliche Duft von gebratenem Speck stieg ihr in die Nase. Sie war wieder sorglos und jung. Dann hörte sie das fordernde Hungergeschrei, und immer – immer folgte eine Schrecksekunde, in der sie dachte: »Nanu, da ist ja ein Baby im Haus!« Dann erst fiel ihr ein, dass es ihr eigenes Baby war. Das war alles zutiefst verstörend.

Und Ashley! Ach, vor allen Dingen Ashley! Zum ersten Mal in ihrem Leben hasste sie Tara, hasste die lange, rote Straße, die bergab zum Fluss führte, hasste die roten Felder mit der aufschießenden grünen Baumwolle. Jeder Fußbreit Erde, jeder Baum und Bach, jeder Weg und Saumpfad erinnerte sie an ihn. Er gehörte einer anderen Frau, und er war in den Krieg gezogen, aber sein Geist spukte immer noch auf den Straßen in der Dämmerung und lächelte sie im Schatten der Veranda aus verträumten grauen Augen an. Und jedes Mal, wenn sie Hufschlag vom Fluss aus der Richtung von Twelve Oaks heraufkommen hörte, dachte sie einen süßen Augenblick lang – Ashley.

Inzwischen hasste sie Twelve Oaks, das sie einst so geliebt hatte. Sie hasste es, aber es zog sie magisch an, weil sie dort John Wilkes und die Mädchen über ihn reden hörte – und seine Briefe aus Virginia vorgelesen bekam. Das tat ihr weh, aber Scarlett musste sie hören. Sie mochte die hochnäsige India und die töricht plappernde Honey nicht, und sie wusste, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte, aber wegbleiben konnte sie auch nicht. Und jedes Mal, wenn sie aus Twelve Oaks nach Hause kam, legte sie sich verdrießlich auf ihr Bett und weigerte sich, zum Abendessen aufzustehen.

Diese Weigerung zu essen war das Besorgniserregendste für Ellen und Mammy. Mammy trug verführerische Essenstabletts herauf und gab Scarlett zu verstehen, dass sie jetzt als Witwe so viel essen könne, wie sie wolle, aber Scarlett hatte keinen Appetit.

Als Dr. Fontaine Ellen ernst erklärte, dass schwerer Kummer häufig zu körperlichem Verfall führe und dass manche Frauen sich bis in den Tod abhärmten, wurde Ellen kreidebleich, denn genau diese Furcht trieb sie um.

»Aber kann man denn gar nichts tun, Doktor?«

»Das Allerbeste für sie wäre ein Tapetenwechsel«, sagte der Arzt, der nur zu gerne eine unliebsame Patientin loswerden wollte.

Also reiste Scarlett freudlos mit ihrem Kind ab, zunächst zu ihren O’Hara- und Robillard-Verwandten in Savannah und dann zu Ellens Schwestern Pauline und Eulalie in Charleston. Doch einen Monat früher, als Ellen erwartet hatte, kehrte sie nach Tara zurück, ohne ihre Heimkehr zu erklären. Man hatte sich in Savannah rührend um sie gekümmert, aber James und Andrew und ihre Frauen waren alt und zufrieden damit, still herumzusitzen und über die Vergangenheit zu reden, für die Scarlett nicht das geringste Interesse aufbrachte. Genauso war es bei den Robillards, und Charleston fand Scarlett einfach schrecklich.

Tante Pauline und ihr Mann, ein kleiner alter Greis, der mit seinen formellen, spröden Umgangsformen und seiner Geistesabwesenheit wie ein Mann aus einem vergangenen Zeitalter wirkte, lebten auf einer Plantage am Fluss, die noch abgelegener war als Tara. Ihr nächster Nachbar wohnte zwanzig Meilen entfernt, erreichbar nur über finstere Wege durch stille Urwälder aus Zypressensümpfen und Eichen. Die Lebenseichen mit ihren wehenden Vorhängen aus grauem Moos waren Scarlett unheimlich und erinnerten sie immer an Geralds Erzählungen von irischen Geistern, die in schimmernden grauen Nebelschwaden spukten. Es gab nichts zu tun außer Stricken und abends Onkel Carey zuzuhören, wenn er aus den lehrreichen Werken von Mr. Bulwer-Lytton vorlas.

Eulalie, verborgen hinter einer hohen Gartenmauer in einem großen Haus auf der Battery in Charleston, war auch nicht unterhaltsamer. Scarlett, die an eine Aussicht über weites, rotes Hügelland gewöhnt war, fühlte sich wie im Gefängnis. Es gab dort zwar etwas mehr gesellschaftliches Leben als bei Tante Pauline, aber Scarlett mochte die Besucher nicht mit ihren Allüren und Traditionen und ihrem Familiendünkel. Sie wusste genau, dass sie von allen für das Kind einer Mesalliance angesehen wurde. Niemand konnte verstehen, wie eine Robillard je einen frisch eingewanderten Iren hatte heiraten können. Scarlett hatte das Gefühl, dass Tante Eulalie sich hinter ihrem Rücken für sie entschuldigen musste. Das machte sie wütend, denn eine vornehme Abkunft bedeutete ihr ebenso wenig wie ihrem Vater. Sie war stolz auf Gerald und alles, was er ohne äußere Hilfe, nur mit seinem schlauen irischen Schädel erreicht hatte.

Und die Leute in Charleston spielten sich derartig mit Fort Sumter auf! Lieber Himmel, begriffen sie denn nicht? Wenn sie nicht so dumm gewesen wären, den Schuss abzufeuern, der den Krieg auslöste, hätten irgendwelche anderen Dummköpfe es getan! Da sie an die forsche Sprechweise des Berglands in Georgia gewöhnt war, kam ihr die monotone, gedehnte Sprechweise des Tieflands affektiert vor. Sie hatte das Gefühl, wenn sie je wieder jemanden ›Paaamen‹ statt ›Palmen‹ oder ›Haaos‹ statt ›Haus‹ oder ›Moaa und Poaa‹ statt ›Ma und Pa‹ sagen hörte, müsste sie schreien. Aus Verdruss machte sie bei einem Anstandsbesuch zum Entsetzen ihrer Tanten Geralds irischen Akzent nach. Darauf kehrte sie nach Tara zurück. Immer noch besser, sich von Erinnerungen an Ashley quälen zu lassen als vom Akzent der Bewohner Charlestons.

Ellen, die Tag und Nacht damit zubrachte, die Produktivität Taras zur Unterstützung der Konföderation zu verdoppeln, war entsetzt, als ihre älteste Tochter abgemagert, bleich und schnippisch aus Charleston zurückkehrte. Sie kannte Liebeskummer aus eigener Erfahrung und grübelte Nacht für Nacht neben dem schnarchenden Gerald darüber nach, wie sie Scarletts Leid lindern könnte. Charles’ Tante, Miss Pittypat Hamilton, hatte ihr mehrmals geschrieben und sie gedrängt, Scarlett für einen längeren Besuch nach Atlanta fahren zu lassen, und nun zog Ellen dies zum ersten Mal ernsthaft in Betracht.

Miss Pittypat und Melanie lebten allein in einem großen Haus und »ohne männlichen Schutz«, so schrieb sie, »nun, da der liebe Charlie nicht mehr ist. Natürlich ist da noch mein Bruder Henry, aber er wohnt nicht bei uns. Aber vielleicht hat Scarlett Ihnen schon von Henry erzählt. Der Takt verbietet mir, mehr über ihn zu Papier zu bringen. Melly und ich würden uns so viel wohler und sicherer fühlen, wenn Scarlett bei uns wäre. Drei einsame Frauen sind besser als zwei. Und vielleicht würde die liebe Scarlett ein wenig Erleichterung in ihrem Kummer erfahren, wenn sie wie Melly unsere braven Jungs im hiesigen Spital pflegte – und natürlich sehnen Melly und ich uns danach, das süße Baby zu sehen …«

Also wurde Scarletts Trauergarderobe wieder in ihre Reisetruhe gepackt, und sie machte sich mit Wade Hampton und seinem Kindermädchen Prissy auf nach Atlanta, den Kopf voller Verhaltensmaßregeln von Ellen und Mammy und mit hundert Dollar in Banknoten der Konföderation von Gerald. Sie hatte keine besondere Lust, nach Atlanta zu fahren. Sie fand Tante Pitty eine schrecklich alberne alte Dame, und beim bloßen Gedanken, mit Ashleys Ehefrau unter einem Dach zu wohnen, graute ihr. Aber das County mit seinen Erinnerungen war mittlerweile unerträglich geworden, und jede Abwechslung war willkommen.

Vom Wind verweht

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