Читать книгу Vom Wind verweht - Маргарет Митчелл - Страница 19

KAPITEL 10

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Beim Waffelfrühstück am nächsten Morgen war Pittypat weinerlich, Melanie stumm und Scarlett trotzig.

»Mir macht es nichts aus, wenn sie tratschen. Ich wette, ich habe mehr Geld für das Lazarett verdient als irgendeins der anderen Mädchen – und auch mehr, als das alte Gelumpe eingebracht hat, das wir verkauft haben.«

»Lieber Himmel, was spielt das Geld für eine Rolle?« jammerte Pittypat und rang die Hände. »Ich hab meinen eigenen Augen nicht getraut, und dabei ist der arme Charlie kaum ein Jahr tot … Und dass dieser schreckliche Captain Butler dich so auf den Präsentierteller gehoben hat – er ist eine grässliche, grässliche Person, Scarlett. Mrs. Whitings Cousine, Mrs. Coleman, deren Mann aus Charleston stammte, hat mir von ihm erzählt. Er ist das schwarze Schaf einer guten Familie – mir unbegreiflich, wie die Butlers so jemanden großziehen konnten! Er wird in Charleston nirgendwo empfangen, und er hat einen ganz grauenhaften Ruf – da war etwas mit einem Mädchen – etwas so Schlimmes, dass Mrs. Coleman nicht einmal wusste, worum es ging …«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so schlimm ist«, sagte Melly sanft. »Er kam mir wie ein perfekter Gentleman vor, und denk doch mal, wie tapfer er die Blockade durchbrochen hat …«

»Er ist nicht tapfer«, sagte Scarlett störrisch und goss sich das halbe Kännchen Sirup über die Waffeln. »Er macht das bloß fürs Geld, hat er mir gesagt. Er gibt keinen Pfifferling auf die Konföderation, und er sagt, wir werden unterliegen. Aber er tanzt wie ein Gott.«

Ihre Zuhörerinnen waren sprachlos vor Entsetzen.

»Ich habe es satt, zu Hause zu sitzen, und ich mache das auch nicht mehr. Wenn sie sich gestern Abend alle den Mund über mich zerrissen haben, dann ist mein Ruf sowieso ruiniert, und es ist egal, was sie sonst noch sagen.«

Sie merkte nicht, dass sie damit Rhett Butlers Meinung wiederholte. So flott kam es ihr über die Lippen und so gut passte es zu ihren eigenen Gedanken.

»Oh, was wird deine Mutter sagen, wenn sie davon erfährt? Was wird sie von mir denken?«

Scarlett schlug das Gewissen, als sie sich Ellens Reaktion vorstellte, sollte sie je erfahren, wie skandalös sich ihre Tochter aufgeführt hatte. Aber dann dachte sie an die fünfundzwanzig Meilen zwischen Atlanta und Tara und fasste wieder Mut. Miss Pitty würde es Ellen ganz gewiss nicht erzählen. Das würde sie als Anstandsdame in zu schlechtes Licht setzen. Und wenn Pitty nicht plauderte, dann war Scarlett sicher.

»Ich glaube …«, sagte Pitty, »ja, ich glaube, ich sollte Henry einen Brief schreiben – sosehr es mir auch widerstrebt – aber er ist unser einziger männlicher Verwandter, und ich sollte ihn dazu bringen, dass er Captain Butler zur Rede stellt. – Ach Gott, wenn doch Charlie noch am Leben wäre. – Du darfst nie, nie wieder mit diesem Mann sprechen, Scarlett.«

Melanie hatte mit den Händen im Schoß still dagesessen, während die Waffeln auf ihrem Teller kalt wurden. Nun stand sie auf, stellte sich hinter Scarlett und legte ihr die Arme um den Hals.

»Liebste«, sagte sie, »sei ganz ruhig. Ich verstehe dich, du hast gestern Abend etwas Mutiges getan, und das wird dem Lazarett sehr helfen. Und wenn irgendwer wagt, auch nur ein Wort über dich zu sagen, dann kriegt er es mit mir zu tun … Tante Pitty, nicht weinen. Es war schlimm für Scarlett, dass sie nirgends hingehen konnte. Sie ist eben noch ein Kind.« Ihre Finger spielten in Scarletts schwarzem Haar. »Und vielleicht wäre es für uns alle besser, wenn wir gelegentlich zu Partys gehen würden. Vielleicht war es sehr egoistisch von uns, dass wir uns hier mit unserem Gram eingeschlossen haben. Kriegszeiten sind nicht wie andere Zeiten. Wenn ich an all die Soldaten in der Stadt denke, so weit weg von zu Hause und ohne Freunde, die sie abends besuchen können – und an die im Lazarett, denen es schon so gut geht, dass sie aufstehen können, aber nicht gut genug, um in die Armee zurückzukehren! – Nein wirklich, wir sind egoistisch gewesen. Wir sollten ab sofort drei Rekonvaleszenten in unserem Haus haben, wie alle anderen Leute, und jeden Sonntag ein paar Soldaten zum Dinner einladen. Komm, Scarlett, sei nicht traurig. Die Leute werden schon nicht reden, wenn sie es verstehen. Wir wissen doch, dass du Charlie geliebt hast.«

Scarlett war weit davon entfernt, traurig zu sein, und Melanies weiche Hände in ihrem Haar machten sie nervös und ärgerlich. Sie hätte sich am liebsten losgerissen und »Papperlapapp« gesagt, denn sie wärmte sich immer noch an der Erinnerung, wie die Bürgerwehr und die Miliz und die Soldaten aus dem Lazarett am vergangenen Abend darum gewetteifert hatten, mit ihr zu tanzen. Von allen Menschen auf der Welt wollte sie Melly am wenigsten als Verteidigerin haben, vielen Dank. Sie konnte sich selbst verteidigen, und wenn die alten Hexen zetern wollten – na schön, sie kam ganz gut ohne die alten Hexen aus. Es gab zu viele sympathische Offiziere auf der Welt, als dass sie sich um das Geschwätz alter Weiber scheren wollte.

Pittypat tupfte sich bei Melanies beschwichtigenden Worten die Augen, als plötzlich Prissy mit einem dicken Brief hereinkam.

»Für Sie, Miss Melly. Hat ’n kleiner Sklavenjunge gebracht.«

»Für mich?« sagte Melly erstaunt und riss den Umschlag auf.

Scarlett machte sich über ihre Waffeln her und bemerkte zunächst nichts, bis Melly in Tränen ausbrach. Als sie aufblickte, griff sich Tante Pittypat ans Herz.

»Ashley ist tot«, kreischte Pittypat, warf den Kopf zurück und ließ ihre Arme erschlaffen.

»O mein Gott!« rief Scarlett, der das Blut gefror.

»Nein! Nein!« rief Melanie. »Rasch! Ihr Riechsalz, Scarlett! Komm, komm, Liebste, geht es besser? Tief atmen! Nein, es ist nicht wegen Ashley. Es tut mir so leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich musste weinen, weil ich so glücklich bin.« Und plötzlich öffnete sie ihre Faust und presste einen Gegenstand an die Lippen. »Ich bin so glücklich.« Und wieder brach sie in Tränen aus.

Scarlett konnte flüchtig einen breiten Goldring erkennen.

»Lies«, sagte Melly und deutete auf den Brief, der zu Boden gefallen war. »Oh, wie nett, wie liebenswürdig von ihm!«

Scarlett hob verdutzt das Blatt hoch, auf dem in kühner, schwarzer Schrift geschrieben stand: »Die Konföderation braucht vielleicht das Lebensblut ihrer Männer, aber sie verlangt noch nicht das Herzblut ihrer Frauen. Nehmen Sie, gnädige Frau, dies Zeichen meiner Verehrung für Ihren Mut und fürchten Sie nicht, Ihr Opfer sei vergeblich gewesen, denn dieser Ring ist zum Zehnfachen seines Werts ausgelöst worden. Captain Rhett Butler.«

Melanie schob den Ring auf ihren Finger und betrachtete ihn liebevoll.

»Ich habe dir doch gesagt, dass er ein Gentleman ist«, sagte sie zu Pittypat, und ein Lächeln strahlte durch die Tränen auf ihrem Gesicht. »Nur ein vornehmer und aufmerksamer Gentleman konnte darauf kommen, dass es mein Herz gebrochen hat, den … Ich schicke meine Goldkette stattdessen. Tante Pittypat, du musst ihm eine Karte schreiben und ihn für Sonntag zum Dinner einladen, damit ich ihm danken kann.«

In der Aufregung schien keiner der beiden aufzufallen, dass Captain Butler nicht auch Scarletts Ring zurückgeschickt hatte. Aber sie merkte es und war verärgert. Denn sie wusste, dass nicht Captain Butlers Vornehmheit ihn zu einer solch ritterlichen Geste bewegt hatte. Vielmehr wollte er in Tante Pittypats Haus gebeten werden, und er hatte die sicherste Methode gewählt, um eine Einladung zu bekommen.

»Die Nachricht von Deinem jüngsten Auftreten hat mich über die Maßen betrübt«, begann Ellens Brief, und Scarlett, die ihn am Esstisch las, blickte finster drein. Schlechte Neuigkeiten reisten offensichtlich sehr schnell. Sie hatte in Charleston und Savannah oft sagen hören, dass die Leute in Atlanta mehr tratschten und sich mehr in die Angelegenheiten anderer einmischten als alle übrigen Südstaatler, und nun glaubte sie es. Der Basar hatte Montag Abend stattgefunden, und heute war erst Donnerstag. Welche der alten Hexen hatte sich aufgeworfen, an Ellen zu schreiben? Einen Augenblick lang hatte sie Tante Pittypat in Verdacht, ließ diesen Gedanken aber rasch wieder fallen. Die arme Pittypat hatte vor Angst geschlottert, dass man ihr die Schuld an Scarletts unbekümmertem Verhalten geben könnte, und sie wäre die letzte gewesen, die Ellen von ihrer eigenen ungenügenden Aufsicht berichtet hätte. Vermutlich war es Mrs. Merriwether.

»Es fällt mir schwer zu glauben, dass Du Dich und Deine Erziehung so vergessen konntest. Ich übergehe die Ungehörigkeit, sich in der Trauerzeit in Gesellschaft zu zeigen, denn ich verstehe Deinen tiefen Wunsch, dem Lazarett zu helfen. Aber zu tanzen, und dazu noch mit einem Mann wie Captain Butler! Ich habe viel über ihn gehört (wer hat das nicht?) und Pauline hat mir erst letzte Woche geschrieben, dass er einen schlimmen Leumund hat und nicht einmal von seiner eigenen Familie in Charleston empfangen wird, außer natürlich von seiner unglücklichen Mutter. Er ist ein durch und durch schlechter Charakter, der Deine Jugend und Unschuld ausgenutzt hat, um Dich und Deine Familie öffentlich zu kompromittieren. Wie konnte Miss Pittypat ihre Pflichten Dir gegenüber nur so vernachlässigen?«

Scarlett blickte über den Tisch zu ihrer Tante hinüber. Die alte Dame hatte Ellens Handschrift erkannt, und ihr dickes Mündchen war ängstlich verzogen wie bei einem kleinen Kind, das fürchtet, gescholten zu werden, und hofft, dies mit Weinen abzuwenden.

»Es bricht mir das Herz, dass Du anscheinend Deine Erziehung so schnell vergessen hast. Ich habe schon daran gedacht, Dich sofort nach Hause zu rufen, aber ich werde das dem Gutdünken Deines Vaters überlassen. Er wird Freitag in Atlanta sein, um mit Captain Butler zu sprechen und Dich nach Hause zurückzuholen. Ich fürchte, er wird trotz meiner Bitten streng zu Dir sein. Ich hoffe und bete, dass es lediglich Jugend und Gedankenlosigkeit waren, die ein solch dreistes Verhalten befördert haben. Niemand kann mehr als ich wünschen, unserer Guten Sache zu dienen, und ich möchte, dass meine Tochter genauso empfindet, aber Schande …«

Es folgte noch mehr dieser Art, aber Scarlett las nicht weiter. Ausnahmsweise hatte sie richtige Angst. Sie fühlte sich nicht mehr unbekümmert und aufbegehrend. Sie fühlte sich genauso jung und schuldig wie damals, als sie mit zehn Jahren Suellen bei Tisch mit einem gebutterten Biskuit beworfen hatte. Allein der Gedanke, dass ihre sanfte Mutter sie so scharf tadelte und ihr Vater in die Stadt kam, um mit Captain Butler zu reden! Der wahre Ernst der Angelegenheit wurde ihr allmählich bewusst. Gerald würde streng sein. Dieses Mal würde sie sich ihrer Strafe nicht entwinden können, indem sie sich auf seinen Schoß setzte und niedlich und keck war.

»Keine … keine schlechten Neuigkeiten?« fragte Pittypat bebend.

»Pa kommt morgen, und er wird sich auf mich stürzen wie eine Ente auf einen Junikäfer«, sagte Scarlett bekümmert.

»Prissy, such mein Riechsalz«, hauchte Pitty und schob ihren Stuhl von ihrer halbgegessenen Mahlzeit zurück. »Ich – ich fühle mich schwach.«

»Es is in Ihrer Rocktasche«, sagte Prissy, die hinter Scarletts Rücken stand und das aufregende Drama mit Interesse verfolgte. Wenn Mister Gerald in Wut geriet, war das immer aufregend, vorausgesetzt, die Wut richtete sich nicht gegen ihren Krauskopf. Pitty wühlte in ihren Rockfalten und hielt sich die Flasche unter die Nase.

»Ihr müsst mir alle beistehen und dürft mich keine Minute mit ihm allein lassen«, rief Scarlett. »Er mag euch beide so gern, und wenn ihr bei mir seid, kann er sich nicht so über mich aufregen.«

»Das schaffe ich nicht«, sagte Pittypat matt und erhob sich. »Ich – ich fühle mich krank. Ich muss mich hinlegen. Ich werde morgen den ganzen Tag liegen bleiben. Ihr müsst mich bei ihm entschuldigen.«

Feigling! dachte Scarlett und sah sie finster an.

Melly warf sich in die Bresche, obwohl sie bleich und ängstlich war bei der Vorstellung, dem feuerfressenden Mr. O’Hara entgegenzutreten. »Ich – ich werde dir helfen zu erklären, dass du es für das Lazarett gemacht hast. Das wird er gewiss verstehen.«

»Nein, das wird er nicht«, sagte Scarlett. »Und ich werde sterben, wenn ich mit Schande bedeckt nach Tara zurückmuss, wie Mutter droht.«

»Oh, du kannst nicht nach Hause fahren«, rief Pittypat und brach in Tränen aus. »Dann bin ich ja gezwungen – jawohl, gezwungen, Henry zu bitten, dass er zu uns zieht, und ihr wisst, dass ich mit Henry nicht zusammenleben kann. Ich bin nachts so nervös, wenn nur Melly im Haus ist, wo sich doch so viele fremde Männer in der Stadt aufhalten. Du bist so mutig, dass es mir nichts ausmacht, ohne Mann hier zu sein.«

»Aber er kann dich doch nicht nach Tara mitnehmen!« sagte Melly und sah aus, als würde auch sie im nächsten Augenblick anfangen zu weinen. »Du bist doch jetzt hier zu Hause. Was sollten wir denn ohne dich tun?«

Du würdest liebend gerne auf mich verzichten, wenn du wüsstest, was ich von dir denke, dachte Scarlett verdrießlich und wünschte sich jemand anderen als Melanie, der ihr gegen Geralds Zorn beistehen könnte. Es war abscheulich, von jemandem verteidigt zu werden, gegen den man eine solche Abneigung empfand.

»Vielleicht sollten wir unsere Einladung an Captain Butler zurücknehmen …«, begann Pittypat.

»Oh, das geht nicht! Das wäre der Gipfel der Unhöflichkeit!« rief Melly verzweifelt.

»Hilf mir ins Bett. Ich werde krank«, stöhnte Pittypat. »O Scarlett, wie konntest du mir das antun?«

Pittypat lag krank im Bett, als Gerald am folgenden Nachmittag ankam. Sie schickte ihm zahlreiche Botschaften des Bedauerns aus ihrem geschlossenen Zimmer und überließ es den beiden verängstigten Mädchen, über den Abendbrottisch zu präsidieren. Gerald schwieg unheilvoll, auch wenn er Scarlett einen Kuss gab und Melanie wohlwollend in die Wange kniff und sie mit »Cousine Melly« anredete. Scarlett hätte donnernde Flüche und Vorwürfe bei weitem vorgezogen. Ihrem Versprechen getreu hing Melanie an Scarletts Röcken wie ein kleiner, eiliger Schatten, und Gerald war zu sehr Gentleman, um seine Tochter vor ihr zur Rede zu stellen. Scarlett musste zugeben, dass Melanie ihre Sache sehr gut machte. Sie tat so, als hätte sie keine Ahnung, dass irgendetwas nicht stimmte, und es gelang ihr sogar, nachdem das Essen serviert war, Gerald in ein Gespräch zu verwickeln.

»Ich will alles über das County wissen«, sagte sie und strahlte ihn an. »India und Honey sind solch schlechte Briefschreiberinnen, und Sie wissen doch alles, was dort unten passiert. Bitte erzählen Sie uns von Joe Fontaines Hochzeit!«

Gerald erwies sich als empfänglich für ihre Schmeicheleien und berichtete, die Hochzeit sei eine stille Angelegenheit gewesen, »nicht wie ihr Mädels eine hattet«, denn Joe hatte nur ein paar Tage freibekommen. Sally, der kleine Monroe-Fratz, habe sehr hübsch ausgesehen. Nein, er konnte sich nicht an ihr Kleid erinnern, aber er hatte gehört, dass sie kein »Kleid für den zweiten Tag« gehabt habe.

»Was!« riefen die Mädchen ungläubig.

»Klar, weil sie keinen zweiten Tag hatte«, erklärte Gerald und brüllte vor Lachen, bis ihm einfiel, dass solche Bemerkungen sich vielleicht für weibliche Ohren nicht schickten. Scarletts Lebensgeister erwachten bei seinem Lachen wieder, und sie segnete Melanies Takt.

»Gleich am nächsten Tag ist Joe nach Virginia zurück«, fügte Gerald hastig hinzu. »Es gab keine Besuchsrunde und auch keine Tanzerei hinterher. Die Tarleton-Zwillinge sind zu Hause.«

»Das haben wir gehört. Geht es ihnen besser?«

»Sie waren nicht schlimm verwundet. Stuart hat es am Knie erwischt, und Brent hatte einen Schulterdurchschuss von einem Minié-Geschoss. Ihr habt wohl auch gehört, dass beide im Kriegsbericht wegen Tapferkeit erwähnt worden sind?«

»Nein! Das müssen Sie uns erzählen!«

»Verrückt – alle beide. Ich glaube, da ist was Irisches dabei«, sagte Gerald selbstgefällig. »Ich weiß nicht mehr, was sie gemacht haben, aber Brent ist jetzt Leutnant.«

Scarlett freute sich über ihre Heldentaten, freute sich mit einem gewissen Besitzerstolz. War ein Mann einmal ihr Verehrer gewesen, blieb er ihrer Überzeugung nach ihr Eigentum, und all seine guten Taten machten ihr Ehre.

»Und ich habe Neuigkeiten, da werdet ihr beide staunen«, sagte Gerald. »Es heißt, Stu hat sich wieder aufs Liebeswerben in Twelve Oaks verlegt.«

»Honey oder India?« fragte Melly neugierig, während Scarlett fast missmutig blickte.

»Miss India natürlich. Hatte sie ihn nicht schon so gut wie sicher, bis dieses Balg von mir ihm zugeblinzelt hat?«

»Oh«, sagte Melly etwas verlegen angesichts seiner unverblümten Ausdrucksweise.

»Und zudem hat der junge Brent angefangen, sich in Tara rumzutreiben. Also!«

Scarlett war sprachlos. Die Treulosigkeit ihrer Verehrer war fast beleidigend. Vor allem wenn sie daran dachte, wie die beiden sich aufgeführt hatten, als sie ihnen ihre Absicht, Charles zu heiraten, mitteilte. Stuart hatte sogar gedroht, er würde Charles erschießen oder Scarlett oder sich selbst oder alle drei. Es war hoch hergegangen.

»Suellen?« fragte Melly und lächelte erfreut. »Aber ich dachte, Mr. Kennedy …«

»Ach der?« sagte Gerald. »Frank Kennedy schleicht immer noch wie die Katze um den heißen Brei und fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten. Ich frage ihn demnächst mal nach seinen Plänen, wenn er den Mund nicht von selber aufkriegt. Nein, die Kleine ist es.«

»Carreen?«

»Sie ist doch noch ein Kind!« fauchte Scarlett, die ihre Sprache wiedergefunden hatte.

»Sie ist gerade mal ein Jahr jünger als du, Miss, als du geheiratet hast«, erwiderte Gerald. »Heißt das, du missgönnst deiner Schwester deinen alten Verehrer?«

Melly wurde rot, denn sie war solche Direktheit nicht gewohnt, und gab Peter ein Zeichen, den Süßkartoffel-Pie aufzutragen. Fieberhaft suchte sie nach irgendeinem anderen Gesprächsthema, das nicht so persönlich, aber doch geeignet war, um Mr. O’Hara vom Zweck seiner Reise abzulenken. Es fiel ihr nichts ein, aber nachdem Gerald einmal in Fahrt war, brauchte er keinen weiteren Ansporn außer einem Publikum. Er redete über die räuberische Requirierungsbehörde, die jeden Monat dreister wurde, die schurkische Dummheit von Jefferson Davis und über die ehrlosen Iren, die sich mit Handgeld in die Yankee-Armee locken ließen.

Als der Wein auf dem Tisch stand und die beiden Mädchen sich erhoben, um ihn allein zu lassen, sah Gerald seine Tochter unter zusammengezogenen Brauen streng an und verlangte, ein paar Minuten mit ihr allein zu sprechen. Scarlett warf einen verzweifelten Blick auf Melly, die hilflos ihr Taschentuch knetete und im Hinausgehen leise die Schiebetür zuzog.

»So, kleine Miss!« brüllte Gerald und goss sich ein Glas Portwein ein. »Da hast du dich ja mal fein benommen! Versuchst du dir einen neuen Ehemann zu angeln, kaum dass du Witwe bist?«

»Nicht so laut, Pa, die Dienstboten …«

»Die wissen das sowieso schon, alle Leute wissen von deiner Schande. Und deine arme Mutter hat sich deswegen ins Bett legen müssen, und ich kann mich nirgendwo mehr blicken lassen. Das ist schandbar. Nein, Puss, du brauchst nicht glauben, dass du mich diesmal mit Tränen rumkriegst«, sagte er schnell und mit banger Stimme, als Scarletts Lider zu flattern und ihr Mund zu zittern begann. »Ich kenne dich. Du würdest sogar bei der Totenwache deines Mannes flirten. Nicht weinen! Also, ich sage heute Abend nichts mehr, denn ich gehe noch zu diesem feinen Captain Butler, der mit der Reputation meiner Tochter so achtlos umgeht. Aber morgen früh – Komm jetzt, nicht weinen! Das nutzt dir nichts, gar nichts. Ich bin entschlossen, und du kommst morgen mit nach Tara, bevor du uns allen noch mal Schande machst. Nicht weinen, Kind. Schau, was ich dir mitgebracht habe! Ist das nicht ein hübsches Geschenk? Hier, schau! Wie kannst du mir so viele Umstände machen und mich den ganzen Weg hierher fahren lassen, wo ich so viel zu tun habe? Nicht weinen!«

Melanie und Pittypat waren schon vor Stunden schlafen gegangen, aber Scarlett lag mit schwerem, ängstlichem Herzen in der warmen Dunkelheit wach. Atlanta zu verlassen, wo das Leben gerade erst wieder angefangen hatte, und Ellen gegenüberzutreten! Sie würde lieber sterben, als ihrer Mutter unter die Augen zu kommen. Sie wünschte sich, tot zu sein, jetzt sofort, dann würde es allen leidtun, dass sie so gemein gewesen waren. Sie wälzte sich auf dem heißen Kissen hin und her, bis von ganz hinten auf der stillen Straße ein Geräusch an ihre Ohren drang. Es war ein merkwürdig vertrautes Geräusch, so undeutlich und verschwommen es auch klang. Sie schlüpfte aus dem Bett und trat ans Fenster. Die von Bäumen überwölbte Straße lag unter dem dämmrigen Sternenhimmel in tiefem, samtenen Schwarz. Das Geräusch kam näher, der Klang von Wagenrädern, Hufgetrappel und Stimmen. Und plötzlich musste sie schmunzeln, denn es erreichte sie eine wohlbekannte Stimme, stark gefärbt vom irischen Akzent und vom Whisky, die Peg in a Low-Backed Car sang. Hier war zwar nicht Jonesboro am Gerichtstag, aber Gerald kam in genau dem gleichen Zustand nach Hause.

Die dunkle Silhouette eines Einspänners hielt vor dem Haus und undeutliche Gestalten stiegen aus. Jemand war bei ihm. Zwei Gestalten blieben am Gartentor stehen, sie hörte den Riegel klappern, und deutlich ertönte Geralds Stimme:

»Jetzt sing ich dir noch das Lament for Robert Emmet. Das Lied solltest du kennen, mein Junge. Ich bring’s dir bei.«

»Ich möchte es gerne lernen«, erwiderte sein Kumpan mit einem Hauch Belustigung in seinem flachen, gedehnten Tonfall. »Aber nicht jetzt, Mr. O’Hara.«

O mein Gott, es ist dieser grässliche Butler! dachte Scarlett zunächst verärgert. Doch dann schöpfte sie Mut. Zumindest hatten sie sich nicht gegenseitig erschossen. Und sie mussten auf freundschaftlichem Fuß stehen, wenn sie zu dieser Stunde und in diesem Zustand zusammen nach Hause kamen.

»Ich werd es aber singen und du wirst mir zuhören, sonst erschieß ich dich, weil du so ’n Oranier bist.«

»Kein Oranier – ein Charlestonianer.«

»Das ist auch nicht besser. Das ist sogar schlimmer. Ich hab zwei Schwägerinnen in Charleston, ich kenn mich aus.«

Will er das der gesamten Nachbarschaft erzählen? dachte Scarlett entsetzt und griff nach ihrem Umhängetuch. Aber was konnte sie tun? Sie konnte um diese nächtliche Stunde nicht hinuntergehen und ihren Vater von der Straße hereinschleppen.

Ohne weitere Warnung warf Gerald, der sich am Tor festhielt, den Kopf zurück und begann in seinem röhrenden Bass das Lament zu schmettern. Scarlett stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und hörte widerwillig lächelnd zu. Es hätte ein wunderschönes Lied sein können, wenn ihr Vater nur die Töne getroffen hätte. Es war eins ihrer Lieblingslieder, und für einen Augenblick überließ sie sich der zarten Melancholie der Verse:

Sie ist ferne dem Land, wo ihr junger Held ruht,

Und Freier bedrängen sie seufzend.

Das Lied ging weiter, und in den Zimmern von Pittypat und Melly rührte sich etwas. Die Armen, sie würden sich sicherlich echauffieren. Sie waren an Vollblutmänner wie Gerald nicht gewöhnt. Als das Lied zu Ende war, verschmolzen die beiden Gestalten zu einer, kamen den Weg herauf und erklommen die Stufen. Es folgte ein leises Klopfen an der Tür.

»Ich fürchte, ich muss hinuntergehen«, dachte Scarlett. »Schließlich ist er mein Vater, und die arme Pitty würde eher sterben, als aufzustehen.« Außerdem wollte sie nicht, dass die Dienstboten Gerald in diesem Zustand sahen. Und wenn Peter versuchte, ihn ins Bett zu bringen, würde Gerald vielleicht ungebärdig. Pork war der einzige, der mit ihm umgehen konnte.

Sie schloss ihr Umhängetuch mit einer Anstecknadel dicht am Hals, zündete ihre Nachtkerze an und eilte die dunkle Treppe hinunter in die Halle. Dort stellte sie die Kerze auf den Ständer, schloss die Tür auf und erblickte im flackernden Licht Rhett Butler, geschniegelt und gebügelt, der ihren kleinen untersetzten Vater stützte. Das Lament war offensichtlich sein Schwanengesang gewesen, denn er hing seinem Kumpan im Arm. Sein Hut war fort, seine langen Locken waren zerzaust und formten eine weiße Mähne, seine Krawatte hing unter einem Ohr, und über seine Hemdbrust zogen sich Schnapsflecken.

»Ihr Vater, nehme ich an?« sagte Captain Butler, und seine Augen funkelten amüsiert aus dem dunklen Gesicht. Mit einem Blick, der ihr Umhängetuch zu durchdringen schien, weidete er sich an ihrem Négligé.

»Bringen Sie ihn herein«, sagte sie kurz, beschämt über ihren Aufzug und wütend auf Gerald, dass er sie in eine so unwürdige Lage gebracht hatte.

Rhett schob Gerald vorwärts. »Soll ich Ihnen helfen, ihn nach oben zu bringen? Sie können das nicht schaffen. Er ist ziemlich schwer.«

Der Mund blieb ihr offen stehen vor Schreck über diesen unverschämten Vorschlag. Man stelle sich nur vor, was Pittypat und Melly, die angstschlotternd in ihren Betten saßen, denken würden, wenn Captain Butler nach oben käme!

»Heilige Muttergottes, nein! Hier in den Salon aufs Kanapee!«

»Soll ich ihm die Stiefel ausziehen?«

»Nein. Er hat schon öfter damit geschlafen.«

Sie hätte sich die Zunge abbeißen können für diesen Lapsus, denn er lachte leise, während er Geralds Beine übereinanderlegte.

»Jetzt gehen Sie bitte!«

Er ging in die halbdunkle Halle und hob den Hut auf, den er auf der Schwelle hatte fallen lassen.

»Wir sehen uns Sonntag beim Dinner«, sagte er, ging hinaus und schloss die Tür lautlos hinter sich.

Scarlett stand um halb sechs in der Frühe auf, ehe die Dienstboten über den Hof kamen, um Frühstück zu machen, und schlich die Treppe hinunter ins stille Erdgeschoss. Gerald war wach und saß auf dem Kanapee. Seine Hände krallten sich in seinen runden Kopf, als wollte er ihn zwischen den Handflächen zerdrücken. Bei ihrem Eintreten blickte er verstohlen auf. Die Augenbewegung verursachte ihm unerträgliche Schmerzen, und er stöhnte.

»Was für ’n Tag!«

»Du hast dich ja schön aufgeführt, Pa«, zischte sie wütend. »Zu so später Stunde heimkommen und dann noch alle Nachbarn mit deinem Singen wecken.«

»Ich hab gesungen?«

»Gesungen! Du hast mit deinem Lament die Toten aufgeweckt.«

»Kann ich mich gar nicht dran erinnern.«

»Die Nachbarn werden sich ihr Leben lang daran erinnern und Miss Pittypat und Melanie ebenfalls.«

»Mutter der Schmerzen«, ächzte Gerald und fuhr sich mit seiner pelzigen Zunge über die ausgetrockneten Lippen. »Ich kann mich nur an wenig erinnern, nachdem das Spiel losging.«

»Spiel?«

»Dieses Butlerbürschchen hat geprahlt, er wäre der beste Pokerspieler in …«

»Wie viel hast du verloren?«

»Na, ich habe natürlich gewonnen. Ein oder zwei Drinks kommen meinem Spiel sehr zugute.«

»Schau in deine Brieftasche.«

Als müsste er bei jeder Bewegung Höllenqualen aushalten, holte Gerald die Brieftasche aus seinem Jackett und öffnete sie. Sie war leer, und er betrachtete sie in hoffnungslosem Unverständnis.

»Fünfhundert Dollar«, sagte er. »Damit sollte ich Sachen für Mrs. O’Hara von den Blockadebrechern kaufen, und jetzt hab ich nicht mal mehr das Fahrgeld bis Tara.«

Während Scarlett empört die Brieftasche anschaute, kam ihr plötzlich ein Gedanke, der rasch Form annahm.

»Ich kann mich in dieser Stadt nicht mehr blicken lassen«, begann sie. »Du hast Schande über uns alle gebracht.«

»Halt den Mund, Puss. Siehst du nicht, dass mir der Kopf platzt?«

»Betrunken mit einem Mann wie Captain Butler nach Hause kommen und so laut grölen, dass es alle hören, und das ganze Geld verlieren.«

»Der Mann ist zu geschickt mit den Karten, um Gentleman zu sein. Er …«

»Was wird Mutter sagen, wenn sie das erfährt?«

Er blickte bestürzt auf.

»Du wirst das doch deiner Mutter nicht erzählen und ihr Kummer machen, oder?«

Scarlett schürzte schweigend die Lippen.

»Denk mal, wie weh ihr das tun würde, und dabei ist sie doch so fein.«

»Und du hast dir gestern Abend rausgenommen zu sagen, ich hätte Schande über die Familie gebracht. Ich mit meinem armseligen kleinen Tänzchen, um Geld für die Soldaten zu sammeln. Oh, ich könnte heulen.«

»Bitte nicht«, flehte Gerald. »Das wäre mehr, als mein armer Kopf ertragen kann, und der ist schon jetzt am Platzen.«

»Und du hast gesagt, ich …«

»Komm, komm, Puss, nimm’s nicht so schwer, was dein armer alter Vater gesagt hat, wo er es doch gar nicht gemeint hat und auch nicht wusste, worum es geht. Sicher bist du ein feines Mädchen und meinst es gut, ganz sicher.«

»Und du wolltest mich mit Schande bedeckt nach Hause holen.«

»Ach Kind, das würde ich doch nie machen. Ich wollte dich bloß aufziehen. Du wirst doch das mit dem Geld deiner Mutter nicht verraten, wo sie sowieso schon so nervös ist wegen der Ausgaben.«

»Nein«, sagte Scarlett unverblümt, »das mache ich nicht, wenn du mich hierbleiben lässt und Mutter sagst, dass alles bloß Tratsch von alten Hexen war.«

Gerald sah seine Tochter traurig an.

»Das ist ja reine Erpressung.«

»Und das letzte Nacht war ein reiner Skandal.«

»Naja«, begann er begütigend, »wir vergessen das Ganze. Aber glaubst du, eine feine Dame wie Miss Pittypat hat vielleicht so was wie Brandy im Haus? Einen Schluck gegen den Kater …?«

Scarlett schlich auf Zehenspitzen durch die stille Halle ins Esszimmer, um die Brandyflasche zu holen, die sie und Melly hinter Pittypats Rücken die »Ohnmachtsflasche« nannten, weil Pitty immer einen Schluck daraus nahm, wenn ihr Herzflattern sie tatsächlich oder scheinbar in Ohnmacht fallen ließ. Triumph stand ihr ins Gesicht geschrieben und keine Spur von Scham für ihr respektloses Verhalten gegenüber Gerald. Nun würde Ellen mit Lügen beruhigt werden, wenn noch eine weitere Wichtigtuerin ihr schrieb. Nun konnte sie in Atlanta bleiben. Sie konnte nun beinahe tun, was sie wollte, da Pittypat eine so schwache Person war. Sie schloss das Flaschenschränkchen auf und blieb einen Augenblick lang stehen, Flasche und Glas an die Brust gedrückt.

Sie sah eine lange Reihe von Picknicks am plätschernden Peachtree Creek und Barbecues am Stone Mountain, Empfänge und Bälle, Tanztees, Kutschfahrten und Sonntagabendbuffets vor sich. Sie würde dabei sein, im Herzen der Ereignisse, mitten zwischen Männern. Und die Männer verliebten sich so leicht, wenn man ihnen im Lazarett etwas Gutes tat. Jetzt würde ihr das Lazarett nicht mehr so zuwider sein. Die Männer waren nach einer Krankheit so leicht erregbar. Sie fielen einem schlauen Mädchen in die Hände, genau wie die reifen Pfirsiche in Tara, wenn man die Bäume sanft schüttelte.

Mit dem belebenden Trunk kehrte sie zu ihrem Vater zurück und dankte dem Himmel, dass der berühmte O’Hara-Dickschädel das Trinkgelage der vergangenen Nacht nicht unbeschadet überstanden hatte. Und plötzlich fragte sie sich, ob dabei Rhett Butler die Hand im Spiel gehabt hatte.

Vom Wind verweht

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