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Ein Nest aus Spucke

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Eines der teuersten Gerichte der Welt, zumindest aber die teuerste Suppe, die die chinesische Küche zu bieten hat, besteht zu großen Teilen nur aus dem Speichel von Vögeln: die Schwalbennestersuppe. In der chinesischen Metropole Hongkong muss man zum Beispiel im Restaurant für ein Schälchen Schwalbennestersuppe bis zu 100 US-Dollar zahlen. Wer als Endverbraucher ein Kilogramm „Schwalbennest“ erwerben will, muss, je nach Qualität, sogar mit Preisen zwischen 2000 und 10.000 US-Dollar rechnen.

Dafür gibt es auch einen guten Grund: Schwalbennestersuppe gilt in der traditionellen chinesischen Medizin als wichtiges Heil- bzw. Nahrungsergänzungsmittel. Zudem sind auch viele Chinesen der Meinung, dass ein häufiger und reichlicher Verzehr von Schwalbennestersuppe den Alterungsprozess aufhält, da die Bestandteile der Suppe angeblich massiv die Kollagenproduktion der Haut anregen. Tatsächlich haben Analysen gezeigt, dass die Nester nachweislich große Mengen an Aminosäuren enthalten. Hinzu kommen noch reichlich wertvolle Mineralien wie Kalzium, Eisen oder Magnesium. Ob der Verzehr der Nester auch bei so unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen wie Verdauungsstörungen, Asthma oder ausgeprägter Sehschwäche hilft, soll hier dahingestellt sein – von einer Verbesserung der Libido oder der ewigen Jugend ganz zu schweigen.

Aber: Wo Schwalbennest draufsteht, ist nicht unbedingt auch ein Schwalbennest drin. Denn die Nester, die zu der berühmten Suppe verarbeitet werden, nicht etwa von Schwalben, sondern von zwei südostasiatischen Vogelarten, die eng mit unserem heimischen Mauersegler verwandt sind – der Weißnestsalange und der Schwarznestsalange. Die rund zwölf Zentimeter großen, dunkelbraun gefärbten Vögel nisten in großen Kolonien in dunklen Höhlen, die oft in großer Höhe an felsigen Küstensteilwänden zu finden sind. Die Kolonien können dabei gewaltige Dimensionen erreichen. So besteht zum Beispiel die Salangenkolonie in den Niah-Höhlen im malaysischen Bundesstaat Sarawak aus mehreren hunderttausend Individuen – trotz intensiver und regelmäßiger „Ernte“ der Nester.

Ihr halbschalenförmiges Nest, das ausschließlich aus dem gummiartigen Speichel der kleinen Vögel gebildet wird, legen die Salangen dabei immer an der Höhlendecke an. Zum Nestbau fliegen die Vögel, die sich im Dunkeln der Höhlen – ähnlich wie Fledermäuse – mittels Echopeilung orientieren, zunächst zur Höhlendecke. Dort setzen sie dann aus ihren während der Brutzeit stark vergrößerten Speicheldrüsen in einer hufeisenförmigen Linie große Speicheltropfen ab, die bei Luftkontakt zu einer Art „Nestzement“ aushärten. Auf dieser Basis errichten die Vögel nach und nach mit immer neuen Speichelschichten ihr napfförmiges Nest. Die einzelnen Speichelschichten sind später, beim fertigen Nest, als horizontale Streifen deutlich erkennbar. Der Nestbau nimmt im Schnitt etwa 35 Tage in Anspruch. Diese Leistung ist bei genauer Betrachtung beachtlich: Mit einem Gewicht von 14 Gramm wiegt das Nest fast so viel wie sein Erbauer, der es auf etwa 16 Gramm Körpergewicht bringt. Die einzelnen Nester der Kolonie liegen dabei sehr eng nebeneinander. Es wird jedoch stets ein Mindestabstand von fünf Zentimetern zwischen den Nestern eingehalten. Pro Jahr werden pro Vogel vier Nester gebaut.


Das Nest der Salangen besteht fast ausschließlich aus Speichel.

Der Verzehr von Schwalbennestern hat in China eine lange Tradition. Erstmalig wurden die Nester mit den angeblich so zahlreichen positiven Eigenschaften bereits am Hof der Tang-Kaiser (618–907) gegessen. Ende des 14. Jahrhunderts war der Nesterverzehr dann in ganz China weit verbreitet. Während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 unter Mao Zedong galt der Verzehr allerdings als bourgeois und dekadent und war deshalb behördlicherseits strengstens untersagt. Mit der Lockerung des Verbots in den 1980er-Jahren wurde die Speichelsuppe aber schnell wieder populär und die Nachfrage stieg enorm.

Da Salangen nicht in China brüten, ist man dort auf Importe aus Indonesien, Malaysia, Thailand und Vietnam angewiesen. Dabei war die „Ernte“ der Nester lange Zeit eine aufwendige und auch gefährliche Tätigkeit. Um den „Kaviar des Ostens“ von der Höhlendecke zu pflücken, mussten professionelle Sammler mithilfe eines oft unstabilen Systems aus Leitern und Seilen in schwindelerregende Höhen von 100 Metern und mehr klettern. Da blieben tödliche Unfälle nicht aus.

Um den immer größer werdenden Bedarf an Schwalbennestern zu decken, ging man deshalb in den 1990er-Jahren vor allem im Norden Sumatras dazu über, den Vögeln künstliche Nistgelegenheiten anzubieten – große mehrstöckige, an einen Wohnblock erinnernde Betonbauten, die von ihren Erbauern mit zahlreichen kleinen Einfluglöchern versehen wurden. Diese „Salangenhotels“, wie die riesigen Betonklötze bei den Einheimischen genannt werden, bieten in den meisten Fällen gleich mehreren zehntausend Vögeln eine sichere Unterkunft. Mit der Zeit entwickelte sich so in einigen Städten eine regelrechte Schwalbennesterindustrie. Zum Beispiel finden sich in Kisaran, einer ganz im Norden Sumatras gelegenen Kleinstadt, allein im Stadtzentrum über 300 „Salangenhotels“ – ein äußerst lukratives Geschäft. Ein vierstöckiges Salangenhotel kann seinem Besitzer bei vier Ernten im Jahr jährlich rund eine Million Dollar einbringen. Das ist kein schlechter Verdienst in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 245 US-Dollar liegt.

Ein kaiserliches Gericht?

Wir Europäer haben uns noch nie so richtig für das doch etwas gewöhnungsbedürftige Gericht „Schwalbennestersuppe“ begeistern können, obwohl es zumindest im deutschsprachigen Raum schon seit mindestens 250 Jahren bekannt ist. So berichtet der bayerische Historiker und Biograph des österreichischen Kaisers Joseph II., Felix Joseph Lipowsky, in seinem 1833 erschienen Werk „Leben und Thaten des Maximilian Joseph III.“, dass anlässlich der Vermählung des Monarchen mit der bayerischen Prinzessin Maria Josepha Antonia 1765 in München beim Hochzeitsmahl, als einer von vielen Gängen, auch Schwalbennestersuppe gereicht wurde: „Mittags war eine große offene Tafel bei Hofe, wo eine aus indianischen Vogel-(Schwalben-)Nestern verfertigte Suppe, als eine Seltenheit in Europa, aufgetischt ist worden, die 6000 Gulden gekostet hat, von der auch aus der Hof-Küche an Hof- und Staatsbeamte, dann an Honoratioren und Bürger Münchens zu halben und ganzen Massen abgegeben worden, um solche kostbare Suppe zu versuchen, daher hiervon in Bayern noch die Rede ist.“ Schwalbennestersuppe war also damals auch bei uns eine sehr kostspielige Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass das Jahreseinkommen eines Handwerkers in dieser Zeit zwischen 100 und 200 Gulden lag.


Heute deckt Indonesien rund 70 Prozent des weltweiten Bedarfs an Schwalbennestern, gefolgt von Malaysia mit 20 Prozent. Der weltweite Umsatz betreffend Schwalbennestersuppe liegt selbst nach konservativen Schätzungen bei über fünf Milliarden US-Dollar.

Die Zubereitung der Suppe ist relativ kompliziert und zeitaufwendig. Nach der Ernte werden die Nester zunächst sehr sorgfältig von Fremdkörpern wie Federn gereinigt und anschließend in kaltem Wasser eingeweicht. Da der Vogelspeichel kaum über Eigengeschmack verfügt, werden die Nester anschließend zusammen mit Kalbfleisch in einer kräftigen Hühnerbrühe gekocht. Durch diesen Vorgang lösen sich die Nester auf und verleihen der Suppe eine leicht gelatinöse Textur. Abgeschmeckt wird mit Sherry oder Brandy.

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