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Sozialer Wohnungsbau Die Vogelwohnanlage

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Was Siedelweber wohnungsmäßig auf die Beine stellen, braucht den Vergleich mit einem modernen Wohnblock in einer Großstadt nicht zu scheuen. Die kleinen, eher unscheinbar braun gefärbten etwa sperlingsgroßen Vögel, die zur Familie der Webervögel gehören, bauen sogenannte Gemeinschaftsnester, in denen bis zu 150 Familien Platz finden. Dabei verfügt jede Familie selbstverständlich über ihr eigenes Appartement. Daher wundert es nicht, dass die Siedelweber, die ausschließlich in Namibia, in Teilen Botswanas und im Westen Südafrikas zu Hause sind, im englischen als social weaver und in der südafrikanischen Landessprache Afrikans als Familievoel, also Familienvögel, bezeichnet werden.

Bei einer derart gewaltigen Zahl an Bewohnern kann eine solche Vogelwohnanlage riesige Dimensionen annehmen: Bis zu sieben Meter lang und vier Meter breit bzw. hoch können die Gemeinschaftsnester der Siedelweber werden. Mit diesen Ausmaßen sind diese Nester nicht nur die größten in der Vogelwelt bekannten Gemeinschaftsnester, sondern gehören auch zu den größten von Vögeln geschaffenen Bauten überhaupt. Ein derart riesiges Gebilde kann eine Tonne und mehr auf die Waage bringen.

Bevor mit dem Bau des Gemeinschaftsnests begonnen werden kann, müssen die kleinen Vögel jedoch zunächst einen geeigneten Baum finden. Dieser Baum muss vor allem über die nötige Stabilität verfügen, um später nicht unter dem Gewicht des künftigen Gigantennests zusammenzubrechen. Deshalb werden Kameldornbäume, dank ihres vergleichsweise harten Holzes, von Siedelwebern als Nestplattform bevorzugt.

In Gebieten wie der Kalhari-Wüste, in denen Bäume Mangelware sind, greifen Siedelweber auch auf Telefon- oder Strommasten als Fundament für ihr Nest zurück. Diese „menschengemachten“ Nestplattformen sind jedoch keineswegs Verlegenheitslösungen, sondern bieten einen überaus wichtigen Zusatzeffekt: Die Oberfläche der Masten ist so glatt, dass sie von Schlangen wie der Kap-Kobra, einer berüchtigten Nesträuberin, nicht erklommen werden können. Dieser Vorteil ist für das Wachstum der Kolonie nicht zu unterschätzen: Immerhin fallen bei einem Baum als Nestträger fast 70 Prozent der Nestlinge Schlangen zum Opfer. Für die namibischen Strom- und Telefongesellschaften sind die riesigen Nester auf den Masten allerdings nicht gerade ein Grund zu überschäumender Freude: Nur allzu oft brechen die Masten unter dem gewaltigen Gewicht der Riesennester zusammen, was in ganzen Landesteilen zu Leitungsunterbrechungen bzw. Stromausfällen führen kann.

Konstruktion und Bauweise des Gemeinschaftsnest folgen einem festen Muster: Es wird immer von oben nach unten gebaut. Zunächst bauen zwei bis drei Siedelweberbrutpaare in der Krone des Baums ein kuppelförmiges Dach aus Gras und Zweigen, das die Aufgabe hat, Regenwasser abzuleiten und vor zu viel Sonnenstrahlung zu schützen. In die Unterseite des Dachs weben die Siedelweber dann eine dichte Grasmatte. In diese Matte werden senkrecht so lange Grashalme hineingesteckt, bis sie eine kurze, nach unten offene Wohnröhre bilden, in der ein einziges Brutpaar Unterschlupf findet. Schließen sich dann weitere Brutpaare der Kolonie an, können auf diese Art und Weise letztendlich bis zu 150 Einzelappartements entstehen. Dabei hat jedes Brutpaar seine eigene Kammer, die keine Verbindung zur Nachbarkammer hat.


Die Gemeinschaftsnester der Siedelweber können gewaltige Dimensionen erreichen.

Am unteren Ende ihrer Appartementröhre bringen die Siedelweber noch einige spitze Grashalme oder Stacheln an, die durch ihre diagonal abwärts weisende Positionierung Fressfeinden den Zutritt erschweren sollen. Aber das Nest bedarf auch nach der Fertigstellung immer noch einer täglichen Wartung. Oft müssen größere Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt werden, an denen sich alle Koloniemitglieder fleißig beteiligen. Da ist es kein Wunder, dass manche Gemeinschaftsnester ein geradezu biblisches Alter von 100 Jahren und mehr erreichen. Aber auch der stärkste Baum bricht zusammen, wenn er drei Gemeinschaftsnester oder mehr tragen muss. Dann heißt es für die obdachlos gewordenen Siedelweberkolonien, möglichst schnell einen neuen Baum zu finden und erneut ein Nest zu bauen.

Übrigens hat die Bezeichnung „sozialer Wohnungsbau“ bei Siedelwebern noch eine andere Bedeutung: Während die meisten Singvogelarten das erste Mal bereits brüten, wenn sie noch nicht einmal ein Jahr alt sind, brüten Siedelweber nur äußerst selten vor dem Erreichen des zweiten Lebensjahres. Daher treiben sich im Gemeinschaftsnest immer auch eine Menge noch nicht geschlechtsreife Jungvögel herum, die eine wichtige Aufgabe haben: Sie unterstützen ihre Eltern nicht nur bei der Fütterung ihrer jüngeren Geschwister, sondern sorgen auch dafür, dass die Wohnröhren bequem ausgepolstert sind. Aber auch die Vogeleltern haben eine soziale Seite und versorgen manchmal den Nachwuchs der Nachbarschaft mit Futter, wenn es notwendig ist. Sind die Jungen nach zwei Jahren geschlechtsreif, müssen sie das Nest nicht verlassen, sondern lediglich das Appartement wechseln. Sie ziehen dann in eine leerstehende Röhre in der Nachbarschaft.

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