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|41|2 Angst vor der Disziplin

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Die zweite Form der Disziplin, die in den sechziger und siebziger Jahren an den Pranger gestellt wurde, bestand aus dem Gehorsam gegenüber Vorschriften und Regeln, die von Institutionen und ordnenden Strukturen ausgingen. Seit dem Zweiten Weltkrieg fürchten viele Menschen diese Form der Disziplin, weil sie erfahren oder gelernt haben, dass der Gehorsam gegenüber Zucht und Ordnung in Extremfällen zu furchtbaren Grausamkeiten führen kann. Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman (* 1925) stimmte in Modernity and The Holocaust (1989, deutsch: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, 1992) dem amerikanischen Journalisten Dwight Macdonald (1906–1982) zu, der bereits 1945, als das Ausmaß der entsetzlichen Grausamkeiten des Holocaust allmählich zutage trat, behauptete, dass man „fortan jeden Gesetzestreuen mehr fürchten [müsse] als den Gesetzesbrecher“.43

Bauman behauptete, dass unter dem Druck einer „Ethik des Gehorsams“ normale Menschen zu den grausamsten Taten fähig seien. Er stützte seine These mit dem berühmten Experiment des amerikanischen Psychologen Stanley Milgram (1933–1984), in dem Probanden (als Lehrer fungierend) von einer Autoritätsperson den Auftrag erhielten, einem weiteren Probanden (Schüler) aufgrund einer nicht erbrachten Leistung einen Stromschlag zu versetzen. Die Probanden wussten nicht, dass die Autoritätsperson und der Schüler von Schauspielern dargestellt wurden und die Stromstöße fingiert waren, dennoch verabreichten mehr als neunzig Prozent der Versuchsteilnehmer ohne Zögern Stromschläge der höchsten Voltzahl, obwohl auf dem Bedienpult in diesem Bereich das Warnschild „sehr gefährlich“ angebracht war. Bauman schließt daraus, dass es dem |42|Menschen umso leichter fällt, einer anderen Person ein Leid zuzufügen, je rationaler und effizienter ein Prozess organisiert ist. Solange sich die Menschen lediglich für ein Glied in einer Handlungskette halten, sehen sie keinen Grund, sich der „Pflichterfüllung“ zu verweigern. Obwohl es den Versuchspersonen im Milgram-Experiment freistand, sich dem Befehl aus Gewissensgründen zu verweigern, drückten sie folgsam auf den Knopf und fühlten sich für den Inhalt des Befehls nicht verantwortlich. Offensichtlich kann man mit Hilfe eines technisch und rational überzeugend durchorganisierten Prozesses Personen unabhängig vom Bildungsstand problemlos die grausamsten Taten ausführen lassen.

Diese Erkenntnis nahmen viele zum Anlass, sämtliche institutionelle Disziplin abzubauen, wie dies in den sechziger und siebziger Jahren ja von vielen gefordert wurde. Doch wir Niederländer bauen lieber um statt ab.

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