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Die Geburt der modernen militärischen Disziplin

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Überraschenderweise ging diese historische Entwicklung von den Niederlanden aus. An der Wiege der modernen militärischen Dressur stand der niederländische Statthalter Moritz von Oranien (1567–1625). Er führte die sogenannte Oranische Heeresreform |45|durch, wofür Justus Lipsius (1547–1606) auf der Grundlage wiedergefundener griechischer und römischer Schriften eine Theorie erarbeitet hatte. Die Neuerungen bestanden aus waffentechnischem Drill und einer strengen Exerzierdisziplin, bei der die Soldaten lernten, sich wie eine Einheit zu bewegen und während des Marschierens das Gewehr zu laden, zu zielen und zu schießen.48 Dank dieser Dressur gewann Oraniens Armee eine Schlacht nach der anderen. Innerhalb weniger Jahrzehnte breitete sich Moritz von Oraniens Methode des soldatischen Drills über ganz Europa aus.49 In kürzester Zeit wuchs das Bewusstsein, dass auch eine Gesellschaft wie eine Maschine organisiert werden kann. Wer den früheren und heutigen Widerstand gegen disziplinierende Institutionen wie Armee oder Erziehungswesen verstehen will, kann auf die Lektüre von Foucaults Meisterwerk nicht verzichten. Foucault widmet sich ausführlich den Reformen in den Armeen des 17. und 18. Jahrhunderts. Es wurden Kasernen errichtet, die verhinderten, dass die Soldaten desertierten oder plünderten. Jeder Soldat bekam sowohl in der Kaserne als auch in seiner Einheit einen eigenen Platz zugeteilt. Diese räumliche Einteilung war nicht von der Tüchtigkeit oder der Kraft des einzelnen Soldaten abhängig, im Gegenteil: Er war innerhalb seines Rangs vollkommen austauschbar.50

Sämtliche Aktivitäten in der Armee wurden um der Effizienz willen präzise umschrieben und zeitlich festgelegt; die Soldaten wurden ausgebildet, sich einem strengen Zeitregime unterzuordnen. Handgriffe, Bewegung und Körperhaltung des einzelnen Soldaten mussten optimal auf die Handlungen der Kameraden abgestimmt werden, um so die Wirksamkeit und Schnelligkeit aller zu optimieren. Damit beispielsweise effektiv und schnell marschiert werden konnte, musste der Körper zum richtigen Zeitpunkt die passenden Schritte in genau vorgeschriebener Länge ausführen. Alles war darauf ausgerichtet, die Zielhandlung zu unterstützen: „Ein wohldisziplinierter Körper bildet den Operationskontext für die geringste Geste“, erklärt Foucault.51 Doch im Dienste der Erschaffung einer |46|Disziplinarkontrolle erfolgte nicht nur eine „Zusammenschaltung von Körper und Geste“, sondern auch von „Körper und Objekt“.52 Das geschieht auch heute noch. Der niederländische Dokumentarfilmer Geertjan Lassche (* 1976) begleitete in seinem Dokumentarfilm De uitverkorenen (2012, Die Auserkorenen) junge Marinesoldaten in der Ausbildung. Die Kamera beobachtete die Soldaten bei einer Übung, deren Schwierigkeit daraus bestand, mit dem Gewehr auf dem Rücken in ein kleines Zelt zu kriechen. Gelang ihnen das nicht sofort, wurden sie gezwungen, es so lange zu üben, bis sie in das Zelt kriechen konnten, ohne mit dem Gewehr die Zeltplane zu berühren. Der Körper wurde mittels der Wiederholung so lange gedrillt, bis sich die Waffe für die Soldaten wie ein Körperteil anfühlte.

Ein präzises Zeitreglement trägt dazu bei, dass die Maschinerie wie geschmiert läuft. Das fängt schon bei der Ausbildung an, in der wochen- oder monatelang spezifische Fertigkeiten geübt werden. Die Zeitordnung sorgt außerdem dafür, dass Serien entstehen. Nach jeder erfolgreich absolvierten Prüfung erreicht der Soldat den nächsten Rang, bei dem ihn neue Übungen und neue Prüfungen erwarten. Im Mittelpunkt dieser Ordnung von Zeitserien steht die „Übung“: eine Technik, die dem Körper Aufgaben auferlegt, die ständig wiederholt, verändert und intensiviert werden.

In der militärischen Maschinerie werden alle Kräfte gebündelt. Für jedes Element dieser Maschinerie wird festgelegt, wo, wie lange und wie oft es etwas tun muss, in welcher Reihenfolge, wo es sich befindet und in welchem Verhältnis es zu den anderen Elementen der Maschinerie steht. Alle Körper der Soldaten fügen sich zu einer in Zeit und Raum gut funktionierenden Maschinerie zusammen. Gehorcht der einzelne Soldat blind, erhöht das die Funktionsfähigkeit der Maschine. Dafür bedarf es aber eines minutiös austarierten Befehlssystems.53

Neben diesen Methoden und Techniken gibt es noch weitere spezifische disziplinarische Maßnahmen, wie zum Beispiel die strenge hierarchische Kontrolle, die wir auch heute noch in Form |47|der Truppeninspektion kennen. Zudem wird jeder Soldat, der von der Norm abweicht, bestraft oder belohnt. Kleine Abweichungen, wie zu spät zu kommen oder nicht nach Vorschrift gekleidet zu sein, werden unverzüglich sanktioniert. Bei jeder Missachtung der Regeln wird korrigierend eingegriffen, meistens, indem man den Soldaten eine Übung wiederholen lässt. Im Dokumentarfilm De uitverkorenen müssen die Soldaten, die ihr Zelt nicht schnell genug ab- und wieder aufbauen, diesen Umstand ihren Kameraden melden, so dass diese zu Zeugen ihres Scheiterns werden. Innerhalb der Truppe herrscht durch solche Maßnahmen eine hierarchische Ordnung, in der belohnt oder bestraft wird, wodurch die Soldaten fortwährend mit den Normen konfrontiert werden, die in der Armee herrschen. Mit einer abschließenden Prüfung beweisen sie der Armeeführung, dass sie zur absoluten Anpassung fähig sind.

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