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Der militärische Traum einer Disziplinargesellschaft

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Foucaults Verdienst liegt darin, dass er in Überwachen und Strafen aufzeigt, wie die Geburt der Heeresdisziplin im 17. Jahrhundert den Traum entstehen lässt, auch die Gesellschaft könne wie eine Maschine geführt und kontrolliert werden:

Als Technik des inneren Friedens und der inneren Ordnung hat die Politik die perfekte Armee, die disziplinierte Masse, die gelehrige und nützliche Truppe, das Regiment im Lager und im Felde für das Manöver und die Übung angelegt und eingesetzt.54

Seit Ende des 18. Jahrhunderts wird anhand des militärischen Modells auch innerhalb der Staaten Frieden und Ordnung geschaffen. Genau wie in der Armee werden individuelle Körper und Kräfte der Gesellschaft einer minutiösen Taktik unterworfen, mit deren Hilfe sich jede Bewegung und Handlung verwalten und kontrollieren |48|lässt. Foucault zufolge ist der Traum von einer vollkommenen Gesellschaft aus diesem Grund nicht so sehr ein Produkt der Vorstellungen von Philosophen und Rechtsdenkern des 18. Jahrhunderts, wie die Historiker oft behaupten, sondern eher von den Militärs und den Disziplintheoretikern, die „ein Verfahren zur individuellen und kollektiven Bezwingung der Körper“ erarbeitet haben.55

Das führte dazu, dass die hierarchische und die militärische Kontrolle auf den Städtebau, die Krankenhäuser, Heime, Gefängnisse, Schulen und Internate angewendet wurden. Dadurch bildete sich eine Architektur heraus, mit deren Hilfe das Verhalten von Arbeitern, Kranken, Psychiatriepatienten, Schülern und Bürgern observiert, hierarchisch geordnet und korrigiert, kurz: mit deren Hilfe der Mensch dressiert werden konnte. Als weitere Folge davon hielt das für die Armee charakteristische Mikrostrafensystem Einzug in Beruf und Schule. Von der Armee entlehnte das Schulsystem die „Bestrafungen, die in den Bereich des Übens, des intensivierten, vervielfachten, wiederholten Lernens fallen“.56 Durch subtile Bestrafungs- und Belohnungsmaßnahmen wurden Arbeiter und Schüler dazu gebracht, die Arbeit nicht zu unterbrechen, pünktlich, aufmerksam und fleißig zu sein, die korrekte Körperhaltung einzunehmen, die richtigen Handlungen auszuführen und sich sittlich und anständig zu benehmen. Es entstand eine „Mikro-Ökonomie der Privilegien und Strafaufgaben“ mit einer „Strafbilanz“, anhand derer die Disziplinarinstitution „die ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Subjekte im Verhältnis zueinander“ hierarchisierte.57 Das „lückenlose Strafsystem“ erfasste, kontrollierte und klassifizierte, wodurch es „normend, normierend, normalisierend“ wirkte.58

Aus diesem Grund gehören Prüfungen inzwischen zum festen Bestandteil von Einrichtungen wie Krankenhaus, Schule, Gefängnis und Heimen. Ein Arzt auf Visite „prüft“ in den Krankenhäusern die Kranken: Er beobachtet sie, untersucht sie und vergleicht die Ergebnisse mit denen anderer Patienten. Ein Lehrer „prüft“ seine Schüler: Er inspiziert, vergleicht, beurteilt, bestraft und belohnt sie ständig. |49|Die Ergebnisse all dieser Prüfungen werden fortwährend analysiert und verglichen. In Schulen, Krankenhäusern, im Beruf und in den Gefängnissen entsteht ein quasi-militärischer Verwaltungsapparat, der die individuellen Daten verwaltet.

Mit der Umsetzung des militärischen Traums wurde erschaffen, was Foucault eine „Disziplinargesellschaft“ nennt. Zwar hatte es bereits früher ordnungschaffende Methoden gegeben, doch jetzt wurde „Disziplin“ zu einer allgemeinen Formel der Macht. Diese strebte die Instrumentalisierung des menschlichen Körpers durch Gehorsam an. In einer der faszinierendsten Passagen in Überwachen und Strafen schreibt Foucault:

So formuliert sich eine Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweisen kalkulieren und manipulieren. Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt. Eine „politische Anatomie“, die auch eine „Mechanik der Macht“ ist, ist im Entstehen. Sie definiert, wie man die Körper der anderen in seine Gewalt bringen kann, nicht nur, um sie machen zu lassen, was man verlangt, sondern um sie so arbeiten zu lassen, wie man will: mit den Techniken, mit der Schnelligkeit, mit der Wirksamkeit, die man bestimmt. Die Disziplin fabriziert auf diese Weise unterworfene und geübte Körper, fügsame und gelehrige Körper. Die Disziplin steigert die Kräfte des Körpers (um die ökonomische Nützlichkeit zu erhöhen) und schwächt diese selben Kräfte (um sie politisch fügsam zu machen). Mit einem Wort: sie spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine „Fähigkeit“, eine „Tauglichkeit“, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um. Wenn die ökonomische Ausbeutung die Arbeitskraft vom Produkt trennt, so können wir sagen, daß der Disziplinarzwang eine gesteigerte Tauglichkeit und eine vertiefte Unterwerfung im Körper miteinander verkettet.59

|50|Die Disziplinargesellschaft ist, zusammenfassend gesagt, eine Gesellschaft, die gehorsame und tüchtige Individuen hervorbringt.

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