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Die arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs Libanon

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Der Libanon nimmt innerhalb der osmanischen Provinzen eine Sonderstellung ein. Daher sei er hier als erstes betrachtet. Bereits im frühen 17. Jahrhundert hatte der Libanon unter den Emiren der drusischen Familie der Maʿn weitgehende Autonomie von der osmanischen Oberhoheit gewonnen. Emir Fakhr al-Din II. (1572–1635, regierte mit Unterbrechungen ab 1590) dehnte sein Herrschaftsgebiet von seinem Stammsitz, dem Chouf, in etwa auf das Gebiet des heutigen Staats Libanon sowie etwas darüber hinaus aus. Am Ende des 17. Jahrhunderts ging die Herrschaft von den Maʿn auf die Familie der Shihab über. Sie sicherten die Autonomie des Mont Liban gegen Versuche der Osmanen, das Gebiet wieder der Herrschaft eines von Istanbul ernannten Gouverneurs zu unterstellen. 1756 ergab sich eine entscheidende Wende: der drusische Emir der Shihab entschloss sich, Maronit zu werden; mit ihm zentrale Teile seiner Familie. Damit verschob sich das Schwergewicht der Macht im Mont Liban von den Drusen zu den Maroniten. Emir Bashir II. (1767–1850, regierte 1788–1840) gelang es in seiner außergewöhnlich langen Regierungszeit die ausgeprägten Rivalitäten zwischen Maroniten und Drusen trotz zahlreicher Konflikte immer wieder auszugleichen. In Beit al-Din, dem Ort im Zentrum des Mont Liban, wo die überwiegend drusischen Siedlungsgebiete im Süden mit den maronitischen Gebieten im Norden zusammenstießen, errichtete er seinen Palast. Er gilt bis heute als Symbol der Unabhängigkeit des Libanon und mit seiner Kapelle und Moschee als Ort des Zusammenlebens der Religionen.41

Ab Mitte der 1820er Jahre verschlechterten sich jedoch die Beziehungen der Emire zu den Drusen: 1825 schlug Emir Bashir eine drusische Revolte nieder. Während der Besetzung Syriens und des Libanon durch ägyptische Truppen (1830–1841) leisteten die Drusen Widerstand, während Emir Bashir den aus Ägypten entsandten Statthalter Ibrahim Pascha unterstützte. Dieser hob in Syrien die traditionellen islamischen Restriktionen gegenüber Christen und Juden auf, zog sich damit aber den Unmut von Muslimen und Drusen zu. Als Drusen in großer Zahl für die ägyptische Armee rekrutiert werden sollten, revoltierten sie 1837/38 im Hauran. Emir Bashir stand an der Seite Ibrahim Paschas bei der Niederschlagung des Aufstands. 1840 erhoben sich schließlich Drusen, Maroniten, Griechisch-Orthodoxe und katholische Melkiten gemeinsam gegen die von Bashir geforderte Ablieferung ihrer Waffen. Auch diese Revolte wurde niedergeschlagen. Aber die Ägypter wurden im September 1840 von den europäischen Mächten gezwungen, sich aus Syrien, dem Libanon und Palästina zurückzuziehen. Europa wollte das Osmanische Reich nicht dem aufstrebenden ägyptischen Herrscher Mehmed (Muhammad) Ali überlassen. Mit dem Rückzug der ägyptischen Truppen fiel auch Emir Bashir II. Seinem Nachfolger, Bashir III. (1775–1860, reg. 1840–1842), gelang es nicht, allgemeine Unterstützung zu finden. Vor allem die Drusen wehrten sich gegen seine Herrschaft. Die Veränderungen des Feudalsystems hatten Spannungen mit sich gebracht: Die Maroniten bildeten zwar den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung des Mont Liban, aber die meisten waren Bauern, die auf dem Land drusischer Feudalherren arbeiteten. Nur im Keserwan waren auch die Feudalherren Maroniten. Als der Patriarch dann die maronitischen Bauern des Chouf dazu aufrief, sich von ihren drusischen Feudalherren loszusagen, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Drusen begannen, maronitische Dörfer im Chouf zu plündern, Christen zu vertreiben und umzubringen. Osmanische Truppen begannen erst spät, dem Morden Einhalt zu gebieten. Tausende Maroniten kamen ums Leben oder wurden vertrieben. Mit der Intervention Istanbuls endete auch die Zeit des Emirats.42

Konstantinopel suchte wieder selbst die Kontrolle zu übernehmen, stieß aber auf den Widerstand der Libanesen und der europäischen Mächte. Frankreich unterstützte offen die Maroniten, England suchte in den Drusen einen lokalen Verbündeten. Schließlich wurde der Mont Liban in zwei Verwaltungsbezirke (Qāʾimmaqāmate) eingeteilt: einen nördlichen für die Maroniten und einen südlichen für die Drusen. Die Straße von Beirut nach Damaskus bildete die Grenze. An der Spitze stand jeweils ein Qāʾimmaqām, eine Art Untergouverneur, aus den Reihen der Maroniten beziehungsweise Drusen. Ihm zur Seite stand ein Gremium aus Richtern und Beratern aus den einzelnen Gemeinschaften. Aber beide Qāʾimmaqāme unterstanden ihrerseits dem osmanischen Gouverneur mit Sitz in Saida (Sidon). Die Übernahme der Macht durch die Qāʾimmaqāme und der Rechtsprechung durch die Räte bedeuteten einen schweren Schlag für die Feudalherren des Mont Liban. Es konnte daher nicht wundernehmen, dass die Konflikte wieder zunahmen. Die traditionell mächtigen Familien wehrten sich gegen das Schwinden ihres Einflusses, und die osmanischen Paschas schürten Konflikte, um Europa zu zeigen, dass der Libanon für eine Selbstverwaltung nicht bereit war. 1859 griffen Drusen Deir al-Qamar sowie maronitische Dörfer im Chouf und Jazzin an. Plünderungen und Mord waren an der Tagesordnung. 1860 stürmten bewaffnete Drusen die christlichen Wohnhäuser in Hasbaya und Rashaya, anschließend griffen sie Dörfer in der Bekaa-Ebene und schließlich die christliche Hochburg Zahlé an. Der maronitische Notable Yusuf Karam (1823–1889) machte sich zwar mit einer Schar von Kämpfern zur Verteidigung von Zahlé auf, kam aber zu spät. Im Juli 1860 erzwang der osmanische Pascha einen Frieden zwischen Drusen und Christen. Aber bereits wenige Tage später, am 9. Juli 1860, stürmten Muslime das christliche Viertel von Damaskus und töteten Tausende Christen. Der osmanische Pascha intervenierte zunächst nicht. Erst als die europäischen Mächte sich auf die Landung französischer Truppen in der Levante verständigten, machte der Pascha von Damaskus dem Morden ein Ende. Den Christen Syriens und des Libanon sollten die Massaker von 1860 über Jahrzehnte im Gedächtnis bleiben. Sie waren eines der Argumente für ein christliches Refugium im Libanon und sind bis heute als traumatisches Ereignis Teil des kollektiven Gedächtnisses von den Christen der gesamten Region.43

Die Ereignisse von 1860 bildeten für die europäischen Mächte den Anlass, die Hohe Pforte zu einer Veränderung des Status des Libanon zugunsten der Maroniten zu drängen. 1861 wurde das Règlement organique erlassen. Danach wurde das Libanon-Gebirge, in dem die Maroniten die eindeutige Bevölkerungsmehrheit bildeten, eine autonome Provinz, mutaṣarrifiyya. Sie wurde von einem nicht-libanesischen, osmanischen Christen regiert. Dieser Gouverneur (mutaṣarrif) wurde von der Hohen Pforte eingesetzt, musste aber von den europäischen Garantiemächten bestätigt werden. Dem Gouverneur stand ein Conseil administratif zur Seite, der konfessionell zusammengesetzt war: vier Maroniten, drei Drusen, zwei Griechisch-Orthodoxe, ein Melkit, ein Schiit und ein Sunnit. Die mutaṣarrifiyya hatte ein eigenes Budget und verfügte über eigene Sicherheitsorgane, die von französischen Offizieren trainiert wurden. Die osmanische Regierung durfte nur eine sehr begrenzte Zahl von Soldaten in der mutaṣarrifiyya stationieren.44

Trotz der weitgehenden Autonomie kam es bereits 1866 zu einem Aufstand, der vom maronitischen Notablen Yusuf Karam geführt und vom niederen maronitischen Klerus unterstützt wurde. Yusuf Karam hatte sich gegen Ende des Qāʾimmaqāmats Hoffnung auf den Gouverneursposten gemacht, wurde aber enttäuscht. Er rief die Bauern im Keserwan zur Revolte gegen die Steuerforderungen des neuen Systems auf. Der Aufstand schwelte zwar ein ganzes Jahr, wurde dann aber von osmanischen Truppen niedergeschlagen. Als Volksheld wurde Yusuf Karam die zentrale Figur des christlichen libanesischen Nationalismus.45

Streit gab es auch 1876, als Sultan Abdülhamid II. die Verfassung in Kraft setzte und Wahlen abgehalten werden sollten. Ein Teil der Libanesen, vor allem Sunniten, Schiiten und Drusen, befürwortete die Teilnahme an den angekündigten Parlamentswahlen, ein großer Teil des maronitischen Klerus hingegen und mit ihm viele maronitische Laien lehnten dies ab. Sie befürchteten, dies würde die Autonomie des Mont Liban in Frage stellen. Am Ende nahm der Libanon nicht an den Wahlen teil und war damit auch nicht im (ohnehin kurzlebigen) ersten osmanischen Parlament vertreten.46

Die erste, konstitutionelle Phase der Herrschaft der Jungtürken (1908–1912) nutze der Conseil administratif des Mont Liban, um, unterstützt durch französischen Druck, eine Reform des Règlement organique zu fordern. Am 22. Dezember 1912 trat ein neues Protokoll in Kraft, nach dem die Autonomie der mutaṣarrifiyya weiter gestärkt wurde: Das Wahlsystem zum Conseil administratif wurde verändert und die Maroniten erhielten darin einen zusätzlichen Sitz. Ein Handelsgericht für den Mont Liban wurde eingerichtet, was die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Entwicklung stärkte. Der Bau zweier Häfen – einer in Jounieh im maronitischen und einer in Nabi-Younis im drusischen Teil – machte den Mont Liban unabhängiger vom Hafen von Beirut. Die geforderte Ausweitung der Grenzen wurde allerdings nicht umgesetzt.47

Die weitgehende Autonomie des Mont Liban, die engen Kontakte der Maroniten zu Frankreich, die rasche Hebung des Bildungsstands unter den Christen, die Übernahme westlicher kultureller Vorstellungen und der wirtschaftliche Aufschwung der Christen – oft bedingt durch bevorzugte Handelskontakte mit europäischen Partnern – führten zu einer wachsenden Kluft zwischen den Christen des Libanon und den Muslimen. Viele Muslime begannen zu befürchten, dass Christen, unterstützt von den europäischen Mächten, die Region unter ihre Kontrolle bringen und aus dem Osmanischen Reich ausgliedern könnten. Dementsprechend hart war die Reaktion der osmanischen Behörden beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Anfang 1915 wurde der Conseil administratif aufgelöst, ein Teil seiner Mitglieder verhaftet, der Rest ins Exil geschickt. Im Sommer 1915 wurde anstelle des zurückgetretenen letzten christlichen Gouverneurs ein Muslim ernannt. Die Autonomie des Mont Liban wurde aufgehoben und der Libanon als gewöhnliche Provinz der direkten osmanischen Herrschaft unterstellt. Ein Teil des Klerus wurde verhaftet und ins Exil geschickt, darunter der maronitische Bischof von Beirut. Patriarch Elias Hoyek gelang es nur durch vehemente Intervention des Heiligen Stuhls und Österreich-Ungarns, eines Verbündeten des Osmanischen Reichs, dem Druck der türkischen Behörden, sein Amt niederzulegen, standzuhalten. Die Entbehrungen des Kriegs, vor allem eine schlimme Hungersnot, der rund ein Fünftel der Bevölkerung zum Opfer fiel, trafen den Libanon besonders schwer. Christen klagten, Cemal Pascha, der Kommandeur der 5. Armee, die die Südflanke des Osmanischen Reichs gegen die vorrückenden Briten verteidigen sollte, hungere den Libanon absichtlich aus, um die christliche Bevölkerung zu dezimieren. Erst am Ende des Kriegs kamen die Mitglieder des Conseil administratif aus ihrem anatolischen Exil zurück, um die Verwaltung des Mont Liban wieder aufzunehmen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte der maronitische Patriarch Elias Hoyek bereits die politische Vertretung des Mont Liban übernommen.48

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