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Persien Entwicklungen im 19. Jahrhundert

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Ähnlich wie das Osmanische Reich stand Persien im 19. Jahrhundert unter dem Druck der europäischen Mächte. Die Qajaren, die das Land seit 1779 regierten, waren nach der Niederlage gegen Russland von 1828 kaum in der Lage, die Grenzen des Landes zu schützen. Im Krieg hatte Persien seine kaukasischen Besitzungen verloren. Tiflis, Yerewan, Baku und Astrakhan fielen an Russland und die Zaren machten keinen Hehl daraus, dass sie danach strebten, die Grenzen ihres Reichs noch weiter nach Süden auszudehnen. Die christliche Bevölkerung der persischen Provinz Aserbaidschan, Armenier und Assyrer, diente ihnen dabei als Einfallstor. Gleichzeitig suchte England von Süden her seinen Einfluss auszudehnen.

Der Vertrag von Turkmanchay beendete 1828 den persisch-russischen Krieg von 1826–1828. Darin wurden erstmals in Form von Kapitulationen besondere Privilegien für Russen festgelegt, die später auf Angehörige anderer europäischer Nationen ausgedehnt wurden. Ausländer konnten demnach nur in Anwesenheit ihres Konsuls und des kārgozār, eines Vertreters des Außenministeriums, von persischen Gerichten verurteilt werden. Außerdem genossen sie Steuer- und Zollprivilegien.92 Der Vertrag sah vor, dass Christen aus Persien ungehindert in die von Persien an Russland abgetretenen Provinzen des Kaukasus auswandern durften. Russland förderte die Einwanderung von Armeniern in den Kaukasus aktiv und es heißt, dass von den 100.000 Armeniern, die damals in der Provinz Aserbaidschan (armenisch: Atrpatakan – Atropatene) lebten, rund die Hälfte Persien verließ.93 Der armenisch-orthodoxe Bischof von Aserbaidschan versuchte der russischen Werbung zur Abwanderung entgegenzutreten. Über die Auswanderung der Armenier besorgt war aber auch Kronprinz Abbas Mirza, der in Tabriz residierte (als Wirtschaftszentrum und größte Stadt Persiens der damaligen Zeit war Tabriz traditionell der Sitz des qajarischen Thronfolgers; dort residierten auch die meisten europäischen Gesandtschaften). Er ernannte seinen englischen Militärberater, Major Isaac Hart, zum „governor and protector of the Armenians“. Nach dessen Tod im Jahr 1830 folgte ihm auf Wunsch des Kronprinzen und der armenischen Gemeinschaft Dr. John Cormick, der irische Leibarzt des Prinzen im Amt (bis zu seinem Tod 1836). Abbas Mirza ging es darum, die Wirtschaftskraft der Armenier zu erhalten, und er gab dafür seinem Berater Autorität, die Armenier vor der Bedrückung durch Muslime zu schützen. Allerdings reichte diese Autorität kaum über das unmittelbare Umfeld von Tabriz hinaus.94 In Urmia ernannte der lokale Gouverneur seinen Arzt R. Bertoni zum Beschützer der lokalen Christen mit dem Titel eines qāżī al-masīḥī (Richter der Christen). Seine Aufgabe war es, die Christen der Region vor den Übergriffen der Landbesitzer aus den Reihen der persischen Notablen (Afsharen) zu schützen. Er musste sein Amt aber aufgrund von Drohungen der Notablen bereits 1842 aufgeben.95 Die Zahl der Assyrer und Chaldäer soll um 1830 etwa 60.000 betragen haben, 35.000 davon als viehzüchtende Stämme in den kurdischen Bergen (wobei hier die Abgrenzung von den Assyrern des Hakkari auf osmanischer Seite schwer zu machen sein dürfte), 25.000 als Bauern in der Ebene von Urmia (assyrisch: Urmi). Sie bearbeiteten als raʿayat, abhängige Bauern, den Boden muslimischer Landbesitzer.96

1830 trafen amerikanische Missionare in Tabriz ein und ließen sich 1835 in Urmia nieder. Von der Führung der nestorianischen und der chaldäischen Kirche wurden sie zunächst freundlich empfangen. Sie hatten bei ihrer Erkundungstour zugesagt, eine Druckerpresse für die assyrische Sprache (neu-ostsyrische Dialekte) zu installieren und religiöses Schriftgut zu drucken.97 Die Aktivitäten der europäischen und russischen Missionare profitierten vom Regime der Kapitulationen. Hinzu kam, dass Mohammad Schah den Katholiken 1840 Autonomie in Fragen des Personalstatuts zugestand sowie Eigentumsrechte an den Kirchen, die sie von nun an frei bauen und renovieren durften. Religionsfreiheit im Sinne des Religionswechsels von Muslimen gab es jedoch nicht.98 Konflikte zwischen lazaristischen Missionaren und Armeniern führten allerdings schon Ende 1842 dazu, dass Mohammad Schah (1834–1848) aufgrund einer Intervention des russischen Gesandten – Russland verstand sich als Schutzmacht der orthodoxen Armenier – einen Ferman erließ, der allen Untertanen der persischen Regierung den Wechsel von einer christlichen Konfession zu einer anderen verbot und Proselytismusversuche mit Strafe belegte.99

Der Wesir Amir Kabir (1848–1851) führte für den neuen Schah Naser al-Din (1848–1896) Reformen durch, die jedoch nur von kurzer Dauer waren. Neben der Gründung des Dār al-fonūn, einer technischen Schule, stand die Beschneidung des Einflusses der religiösen Würdenträger: er schuf neben der religiösen Gerichtsbarkeit (šarʿī) eine „Gewohnheitsgerichtsbarkeit“ (ʿorfī), die die religiösen Richter in ihren Funktionen beschneiden sollte. Außerdem schuf er das Asylrecht (bast) ab, wonach Straftäter in Moscheen oder Häusern von islamischen Gelehrten geschützt waren. Die traditionellen Feiern zum Gedenken an den Tod Imam Hosseins (al-Ḥusain ibn ʿAlī ibn Abī Ṭālib, 626–680) im Monat Moharram mit ihren Büßermanifestationen (taʿziya) versuchte er zurückzudrängen. Den religiösen Minderheiten gewährte er bestimmte Privilegien, so wurden Priester der christlichen Kirchen von der Steuer befreit und die Gründung von Schulen erlaubt. Gleichzeitig versuchte er, die wirtschaftlichen Privilegien der Russen und Briten am Kaspischen Meer und dem Persischen Golf zu beschneiden. Die meisten Reformen wurden jedoch nach seinem Sturz 1851 wieder zurückgenommen. 1851 ließ der Gouverneur von Aserbaidschan Christen für die Armee ausheben. Die amerikanischen Missionare und der britische Gesandte protestierten vergeblich. Die ausländische Intervention erhöhte das Misstrauen der persischen Behörden gegen die Christen in der ohnehin schon sehr angespannten Lage. Spannungen um die Kontrolle über Afghanistan zwischen Persien und England führten 1856 in den anglo-persischen Krieg und viele Perser sahen in den Christen die Getreuen Englands. Bereits im Vorfeld des Kriegs wurde 1855 das christliche Regiment auf Anweisung eines hohen Regierungsbeamten niedergemetzelt. Der Frieden von Paris, der 1857 den Krieg zwischen Persien und England beendete, stellte die Privilegien der Briten, die Amir Kabir aufgehoben hatte, wieder her.100

Die Missionstätigkeit von Protestanten und Katholiken in Aserbaidschan hatte schon zu Beginn der 1840er Jahre zu Spannungen mit den Armeniern geführt. In dieser Situation hatten sich der britische und der russische Konsul dafür eingesetzt, dass die Beziehungen zwischen den verschiedenen nicht-muslimischen Gemeinschaften sowie der Kontakt zu den muslimischen Behörden von einem eigenen Beamten geregelt wurden. Von der Regierung wurde dazu in den einzelnen Bezirken je ein Sarparast eingesetzt, meist aus den Reihen der Nicht-Muslime selbst. Der erste Sarparast in Urmia war ein Armenier, später wurde ein Sarparast für Dilman ernannt, 1881 auch für Hamadan. Da der Sarparast auch Abgaben von den Minderheiten erhob, war er oftmals bei den Minderheiten selbst, die er vertreten sollte, sehr unbeliebt. Mit der russischen Besetzung Urmias im Jahr 1912 erlosch das Amt; es fiel wieder mit dem des kārgozār zusammen, der die Beziehungen zwischen Ausländern und persischen Behörden regelte.101

Die besonderen Beziehungen der Assyrer zu den westlichen Ausländern, die Tätigkeit der Missionare in Aserbaidschan, die Privilegien der Ausländer und der wachsende Druck der Kolonialmächte England und Russland ließen in der persischen Bevölkerung das Misstrauen auf die Christen im Land wachsen. Die Türkei verstand es zusätzlich ab den 1890er Jahren, im Gebiet westlich des Urmia-Sees die Spannungen zwischen Kurden und Armeniern beziehungsweise Assyrern anzuheizen. Dies sollte den Boden bereiten für eine spätere Besetzung des Gebiets, das das Osmanische Reich als Ausgleich für die in Europa verlorenen Besitzungen für sich beanspruchte. Dass armenische Fedayi des Dashnak und Kämpfer des Hnchak von persischem Gebiet aus operierten, um Aktionen im türkischen Ostanatolien durchzuführen, diente der Regierung in Istanbul dabei als willkommene Begründung für Interventionen auf persischem Gebiet.102

Die Entwicklung für Christen in Persien während des 19. Jahrhunderts lässt sich wie folgt zusammenfassen. Durch den Einfluss der Missionsschulen öffneten sich viele Christen im persischen Aserbaidschan für modernes Gedankengut. Außerdem wurde die städtische armenische Bevölkerung durch sozialistische und revolutionäre Ideen aus dem Kaukasus beeinflusst. Dies schuf einen wachsenden kulturellen Abstand zur kurdischen und persischen Bevölkerung, die weiterhin an traditionellen Vorstellungen festhielt. Mit der Verbreitung moderner, westlicher Ideen wuchs auch die Unzufriedenheit von Christen mit ihrer seit Jahrhunderten bestehenden rechtlich minderwertigen Stellung. Wie im Osmanischen Reich galten für sie die Bestimmungen der ḏimma. Hinzu kamen einige Besonderheiten: So wurden sie im Erbrecht stark benachteiligt (wenn ein Familienangehöriger zum Islam übertrat, fiel ihm das gesamte Erbe des christlichen Erblassers zu, der christliche Teil der Familie ging leer aus). Außerdem galten Nicht-Muslime als unrein; diese Unreinheit übertrug sich nach traditionellen schiitischen Vorstellungen über Feuchtigkeit, so dass Nicht-Muslimen untersagt war, bei Regen auf die Straße zu treten. Zwar fanden diese Regeln in den meist rein christlichen Dörfern Aserbaidschans und den armenischen Siedlungen rund um Isfahan in der Praxis kaum Anwendung, dennoch wuchs mit dem wachsenden Bildungsstand vieler Christen das Bewusstsein für ihre Zurücksetzung. Dies ließ sie nach Protektoren unter den europäischen Mächten suchen, mit deren Hilfe die Eliten von Assyrern und Armeniern versuchten, ihre Rechtslage zu verbessern. Europäische Konsuln und Missionare der protestantischen und katholischen Kirche nahmen die Klagen bereitwillig auf, um bei den persischen Behörden Verbesserungen einzufordern. Dies führte zu einer weiteren Entfremdung zwischen Christen und der persisch-muslimischen Gesellschaft. Die christlichen Gemeinden selbst, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ausschließlich der armenisch-orthodoxen, assyrischen und chaldäischen Kirche angehört hatten, wurden durch den Einfluss der presbyterianischen Missionare und der russisch-orthodoxen Kirche untereinander gespalten und dadurch als Gemeinschaft geschwächt. Dennoch sind die Bildungsmaßnahmen der protestantischen Missionare in ihren positiven Wirkungen auf die Entwicklung der assyrischen Christen sehr zu würdigen. Aktivitäten der armenischen Fedayi, oft aus dem Kaukasus eingeschleust, verdarben zudem vielerorts die Beziehungen der ansässigen armenischen Bevölkerung zu den Kurden. Dies sollte in den folgenden Jahren schwerwiegende Folgen haben.

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