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Palästina

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Nach dem Rückzug der Ägypter kamen Palästina und Syrien 1841 wieder unter die Kontrolle des osmanischen Sultans. Nicht zuletzt auf russischen Druck hin wurde der Sanjak (Verwaltungsbezirk) Jerusalem direkt dem Sultan in Istanbul unterstellt. Der Gouverneur hatte unter anderem die Aufgabe, für den Schutz der Christen und der christlichen Pilger zu sorgen, von denen eine große Zahl aus Russland kam.63 Allerdings wurde diese Regelung schnell wieder aufgehoben und der Sanjak Jerusalem wieder der Provinz Akko unterstellt. Ein zweiter Anlauf im Jahr 1854 war ebenfalls von kurzer Dauer. Auch die im Jahr 1872 anvisierte Bildung einer Provinz Jerusalem, bestehend aus den Sanjaks Akko, Nablus/Balqa’ und Jerusalem, kam nicht zustande. Dafür wurde der Sanjak Jerusalem im Jahr 1874 wieder und diesmal dauerhaft direkt dem Sultan in Istanbul unterstellt. Er umfasste allerdings nur den südlichen Teil Palästinas westlich des Jordans mit den Hauptorten Jerusalem, Hebron, Jaffa und Gaza.64

Bereits unter ägyptischer Herrschaft war 1838 ein englischer Konsul nach Jerusalem entsandt worden. Es entsprach nur britischer Politik, dass auch kurz darauf das anglo-preußische Bistum Jerusalem entstand und so neben den Juden Palästinas eine Gruppe protestantischer Christen geschaffen wurde, die England protegieren und so Einfluss auf die osmanische Politik in Palästina nehmen konnte. Nicht zufällig wurde erster protestantischer Bischof der ehemalige Jude Michael Solomon Alexander. Im Sinne der in England entstandenen Bewegung für die „Restoration of the Jews“ in Palästina, sollte er sich in Fortsetzung der Bemühungen der London Society for Promoting Christianity amongst the Jews (LSPCJ, gegründet 1809) um die Konversion der Juden des Heiligen Landes bemühen.65 Für den 1843 installierten französischen Konsul, der die katholischen Christen protegierte, war es hingegen ein schwerer Rückschlag, dass der erste Amtsinhaber des 1847 geschaffenen lateinischen Patriarchats Jerusalem kein Franzose, sondern ein Untertan des Königs von Sardinien-Piemont war (Joseph Valerga, er war allerdings ein langjähriger Orientmissionar und exzellenter Kenner der Region). Das Königreich Sardinien als Vorläufer des geeinten Italien bemühte sich neben Frankreich ebenfalls um Protektion der Katholiken im Heiligen Land.66

Das unverhohlene Eingreifen der europäischen Konsuln zugunsten der Christen und das teilweise taktlose Gebaren einiger Missionare und einheimischer Konsularagenten führten 1856 in Nablus zu Angriffen auf Konsulareinrichtungen und Kirchen. Der anglikanische Bischof Samuel Gobat hatte unmittelbar nach der Verlesung des Ḫaṭṭ-ı hümāyūn eine Glocke über der protestantischen Schule der Stadt aufhängen lassen und so den Unmut der muslimischen Bevölkerung über diese – nach traditionell islamischen Vorstellungen bisher verbotene – Maßnahme hervorgerufen. Nach einem Zwischenfall zwischen einem englischen Missionar und einem Bettler, bei dem sich aus der geladenen Waffe des Engländers ein Schuss löste und den Bettler tötete, kam es zum Aufstand. Der Mob plünderte und zerstörte die Häuser der französischen und britischen Konsularagenten, die protestantische Schule, das Haus des englischen Missionars, die griechisch-orthodoxe Kirche und das Haus des zugehörigen Diakons. Der Vater des preußischen Konsularagenten (ein einheimischer Protestant) wurde im Haus des britischen Agenten getötet. Allerdings trat schnell wieder Ruhe ein und die osmanischen Behörden ließen sowohl für die Tötung des Bettlers als auch für den Tod des Konsularagenten Reparation bezahlen. Die Ereignisse zeigen aber, wie Muslime Palästinas auf die Reformen der Tanzimat-Zeit und die Versuche der europäischen Konsuln, für ihre jeweiligen Protégés die neuen Rechte durchzusetzen, reagierten: mit Unverständnis, teilweise Hass und Gewalt. Die folgenden Jahre blieben aber, auch dank der in Palästina vorangetriebenen Durchsetzung der osmanischen Staatsmacht, ruhig. Auch die Ereignisse des Jahres 1860 im Libanon und Damaskus hatten keine Auswirkungen in Palästina.67

Ein neues Phänomen für Palästina stellten ab 1882 die zionistischen Einwanderer dar. Als eine Art Vorläufer können die christlichen Templer betrachtet werden, eine chiliastisch-pietistische Gruppe aus Schwaben, die ab 1868 mehrere Siedlungen (vier zwischen 1868 und 1873 und zwei weitere zwischen 1902 und 1907) in Palästina gründeten und den Anspruch erhoben, in Vorbereitung auf die Wiederkunft Jesu Christi die rechtmäßigen Besitzer des Heiligen Landes zu sein. Ihre Zahl überstieg aber nie 2.200 (im Jahr 1906). 1870 erwarb die Alliance Israélite Universelle, eine 1860 in Frankreich gegründete philanthropische Gesellschaft zur Unterstützung der Juden im Nahen Osten und Nordafrika, ein Stück Land bei Jaffa und richtete dort eine Landwirtschaftsschule für jüdische Einwanderer ein (Mikweh Yisrael). Sie war ursprünglich für die Hebung des Lebensstandards der einheimischen Juden gedacht, sollte dann aber Pionierarbeit bei der Einrichtung landwirtschaftlicher Siedlungen der zionistischen Einwanderer leisten. Am Vorabend der ersten Aliya, wie die Einwanderungswellen von Juden nach Palästina genannt wurden, lebten nur 24.000 Juden in Palästina, fast ausschließlich in den vier „heiligen Städten“ der Juden: Jerusalem, Tiberias, Safed und Hebron.68 1882 entstand mit Rishon le-Zion die erste zionistische Siedlung. Mit der ersten Aliya kamen in den Jahren 1882 bis 1903/04 20.000 bis 30.000 Juden nach Palästina. Nicht alle stammten aus Europa, eine beachtliche Zahl kam auch aus Kurdistan, dem Jemen und Nordafrika. Die meisten ließen sich in den Städten nieder, nur etwa 5.500 in ländlichen Siedlungen. Erst mit der zweiten und dritten Aliya (1904/05–1914 und 1918/19–1923) kamen die von Theodor Herzls politischem Zionismus geprägten Juden ins Land, die sich vom „Alten Yishuv“, den traditionell in Palästina ansässigen Juden, abgrenzten. Sie propagierten das Bild der jüdischen Landarbeiter und vertraten oftmals sozialistische Ideen. Von den osmanischen Behörden wurde die Einwanderung von Juden nach Palästina bis zur Balfour-Erklärung von 1917 nicht ungern gesehen, schließlich brachten sie Kapital ins Land, machten bisher nicht bebauten Boden nutzbar und trugen somit zur Erhöhung der Steuereinnahmen bei. Unter der arabischen Bevölkerung Palästinas gab es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nur vereinzelten Widerstand gegen die jüdische Einwanderung. In diesem Zusammenhang verdient eine Petition von Jerusalemer Notablen gegen die jüdische Kolonisation aus dem Jahr 1891 Beachtung sowie eine ebenfalls von Jerusalemer Notablen eingerichteten Kommission zur Überwachung des Landverkaufs an Juden. Eine breite Wirkung scheinen beide Initiativen aber nicht entfaltet zu haben. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem durch die Gründung zahlreicher Zeitungen als Ergebnis der konstitutionellen Revolution von 1908, wuchsen Bewusstsein für die Gefahr durch den Zionismus und Widerstand. Christen spielten dabei als Herausgeber vieler Zeitungen eine nicht zu unterschätzende Rolle.69

Innerkirchlich nahm in Palästina genauso wie in Damaskus der Streit zwischen arabischen Laien und der griechischen Hierarchie im griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zu. In Jerusalem konnte die rein griechische Bruderschaft vom Heiligen Grab aber ihren Einfluss bewahren. Im Fahrwasser der jungtürkischen Revolution 1908 kam es dann aber doch zum Aufstand. Arabische Christen revoltierten gegen die Vormacht des griechischen Patriarchen und der Bruderschaft vom Heiligen Grab. Unter Berufung auf Artikel 111 der osmanischen Verfassung, der die Einrichtung von Gremien zur Verwaltung der Angelegenheiten der Gemeinschaften statuierte, forderten sie die Wahl eines gemischten Rates aus Klerikern und Laien. Im Priesterseminar sollten auch arabische Kandidaten aus den Pfarreien Palästinas aufgenommen werden und nicht nur Griechen. Demonstranten besetzten Kirchen in Jerusalem und Jaffa und boykottierten die Weihnachtsmesse in Bethlehem. Die Heilige Synode beschloss Strafmaßnahmen wie die Einführung von Mieten für bisher kostenlos an lokale Mitglieder der Gemeinden vergebene Häuser und Wohnungen. Im Februar 1909 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen arabischen und griechischen Gläubigen in Jerusalem, die sich zu einem allgemeinen Aufstand auszuweiten drohten. Erst 1910 beruhigte sich die Lage wieder, so dass Wahlen für einen Gemeinderat abgehalten werden konnten. Allerdings stellte der Rat seine Arbeit bereits 1913 wieder ein.70

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