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Vorwort

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Ein Buch über die Christen des Orients: als der Verfasser mir bei einem Besuch in Bagdad von diesem Projekt erzählte, war ich sofort begeistert und habe spontan zugestimmt, ein Vorwort zu schreiben. Eine Darstellung der aktuellen Situation der Christen des Orients und ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert schien mir eine Lücke zu füllen und zu einem tieferen Verständnis dessen beizutragen, was sich derzeit in den Ländern des Nahen und Mittleren Osten abspielt.

Ich brauche hier nicht zu wiederholen, dass die Christen im Nahen Osten in unserer Zeit verfolgt sind und ihre Existenz bedroht ist. Die Auswanderung der Christen hat eine lange Geschichte, die noch vor dem 20. Jahrhundert begonnen hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: die wirtschaftliche Unterentwicklung und die Armut in bestimmten Regionen, Schikanen durch die staatlichen Behörden und gesellschaftliche Diskriminierung, die zahlreichen Staatsstreiche und eine Politik der Nationalisierung der Unternehmen in den 1950er und 60er Jahren, die Unterdrückung durch autoritäre politische Regime, die Kriege und der Terrorismus … Die Gewalt hat einen Höhepunkt erreicht nach der amerikanischen Invasion im Irak, mit der Schaffung von Milizen auf konfessioneller Basis und dem Aufstieg des Fundamentalismus und Terrorismus. Der Bürgerkrieg in Syrien hat die Gefährdung des Christentums im Orient noch erhöht. Galt Syrien lange als sicherer Hafen für die von Gewalt bedrohten Christen des Irak, ist es selbst zur Bühne eines blutigen Konflikts geworden, der viele Christen die Hoffnung auf eine Zukunft im Orient verlieren lässt. Die Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staats, die Bedrohung der Stadt Aleppo, des Zentrums des Christentums in Syrien, und die Besetzung Mossuls und der Niniveh-Ebene, der traditionellen Heimat des Christentums im Irak, werden wie ein Trauma in der Erinnerung der Christen des Orients bleiben. Die Schrecken des Krieges und der Fanatismus der Terroristen treffen die Bevölkerungen dieser beiden Länder ohne Ansehen ihrer Religion. Die Unsicherheit, die dort herrschte und die immer noch bestimmte Regionen beherrscht, hat aber in besonderer Weise die christlichen Gemeinden geschwächt. Seither erreichen die Zahlen von Christen, die diese Länder verlassen, eine Größenordnung, wie sie die Geschichte bisher nicht kannte. Der Exodus der Christen des Orients ist eine der größten Sorgen der orientalischen Patriarchen und Bischöfe. In diesem Zusammenhang scheint mir der Ansatz dieses Buches interessant zu sein: den Akzent auf die Integration der Christen in die Gesellschaften ihrer Länder und ihr Engagement auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu setzen. Diese Perspektive erinnert uns daran, dass die Christen des Orients trotz der zahlreichen Leiden, die sie im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert getroffen haben, nicht passive Opfer sind, sondern Handelnde, die den Gang der Geschichte beeinflussen. Sie haben in ihrem eigenen Interesse genauso gewirkt wie für das Wohl ihrer Länder, und sie wirken weiterhin in diesem Sinne.

Frieden und Stabilität sind die grundlegenden Bedingungen dafür, dass die Christen in ihren Ländern bleiben und dass diejenigen, die vor Fanatismus, Gewalt und Krieg geflohen sind, nach Hause zurückkehren können. Die Heftigkeit der Kriege und der Aufstieg terroristischer Gruppen im Irak und in Syrien wäre nicht möglich gewesen ohne das Mitwirken bestimmter Akteure auf regionaler und internationaler Ebene. Das Übel beruht vor allem auf dem Verkauf und der Verbreitung von Waffen, ein Übel, das der Heilige Vater (Papst Benedikt XVI. genauso wie Franziskus) und die orientalischen Patriarchen immer wieder angeprangert haben. Darunter leiden nicht nur die Christen, sondern die gesamten Bevölkerungen der von Krieg und Terrorismus betroffenen Länder. Ich lade alle dazu ein, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um den Fanatismus zu bekämpfen und den Frieden wiederherzustellen. Damit der Frieden aber dauerhaft sein kann, muss er von sozialer Gerechtigkeit und einem gegenseitigen Respekt zwischen den Menschen unterschiedlicher Religionen, Kulturen und Völkern begleitet sein, einer Verfassung, die auf gleicher Staatsbürgerschaft und nicht auf einer Religion beruht. Wir dürfen nicht mehr in den Kategorien von Minderheit und Mehrheit denken. Der einzige Standard muss die Staatsbürgerschaft sein. Die Christen des Orients verlangen, in ihrer Würde und ihren Menschenrechten geachtet zu werden. Das ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Um das zu erreichen, müssen wir den Muslimen helfen, den Islam mit der Modernität und der Idee einer Staatsbürgerschaft zu versöhnen, die auf der Gleichheit aller vor dem Gesetz beruht. Wir streben keinen laizistischen Staat an, der die Religion auf den Privatbereich beschränkt, sondern einen zivilen Staat, der eine positive Sicht auf die Religionen hat und die Zusammenarbeit zwischen den Anhängern unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und zwischen religiösen und politischen Führungspersönlichkeiten fördert.

Wir hoffen, in Zusammenarbeit mit unseren muslimischen Nachbarn eine Gesellschaft aufbauen zu können, die den Wert und die Würde jedes Einzelnen respektiert und in der die Einrichtungen des Staates tatsächlich den Menschen dienen. Wir erwarten von den Politikern, dass sie ihrer Verantwortung für die ganze Gesellschaft gerecht werden. Präsidenten, Regierungen, Parlamentsabgeordnete und Mitglieder der politischen Parteien, inklusive der christlichen Parteien, sind aufgerufen, im Sinne des Gemeinwohls zu arbeiten, anstatt ihren persönlichen Interessen zu dienen und denen ihrer Klientel und Stämme zulasten der anderen. Wie können wir auf ein dauerhaftes harmonisches Zusammenleben zwischen den verschiedenen Komponenten der Gesellschaft hoffen, wenn gleichzeitig Verantwortungslosigkeit, Ungerechtigkeit, Korruption und mangelndes Interesse an einem Funktionieren des öffentlichen Dienstes herrschen?

Harmonisches Zusammenleben mit unseren muslimischen Nachbarn und gegenseitiges Vertrauen sind unabdingbar für die Zukunft der Präsenz von Christen im Orient. Aber dieses Zusammenleben ist bedroht von bestimmten Richtungen im Islam, die leider heute sehr sichtbar sind und die die Überlegenheit der Muslime gegenüber den Anhängern anderer Religionen predigen. Aus diesem Grund müssen die muslimischen Autoritäten den religiösen Diskurs und die Programme der religiösen Erziehung reformieren mit dem Ziel, die Rechte jedes Einzelnen und die Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens zu verteidigen und zu schützen. Wir Christen wünschen uns, einen ehrlichen Partner zu finden in einem gemäßigten Islam, der auf seine menschlichen Werte vertraut und auf eine Spiritualität baut, die ihre Wurzeln in der koranischen Lehre hat, nach der die Christen die engsten Freunde der Muslime sind (siehe Koran 5,85). Aber wir müssen auch unsere eigenen Herzen bekehren, um unsere muslimischen Nachbarn als Geschwister und Mitbürger anzunehmen. Angesichts der Verletzungen durch die Ereignisse der letzten Jahre wird dies eine enorme Anstrengung erfordern und nicht ohne die Bitte um die Gnade Gottes möglich sein.

Schließlich ist die Einheit der Christen des Orients, die in so viele Kirchen und Gemeinschaften gespalten sind, ein großes Anliegen unserer Gläubigen. Sie wollen ihren eigenen Traditionen treu und ihrer besonderen Identität verhaftet bleiben, fühlen sich aber mehr und mehr geeint angesichts der Gefahren, die ihnen drohen. Sie empfinden die konfessionellen und ethnisch-nationalen Unterschiede oft als Barrieren, die sie daran hindern, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam die Herausforderungen der heutigen Zeit anzugehen. Wir, Patriarchen, Bischöfe und Pastoren, sind aufgerufen, mit einer Stimme zu sprechen und die Initiativen unserer Gläubigen für die Ökumene und die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen zu unterstützen. Mit Blick auf das staatsbürgerliche Engagement der Christen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir genug tun, um ihre Anstrengungen für das Gemeinwohl und die Ordnung des Staates im Lichte des Evangeliums und der kirchlichen Soziallehre zu fördern.

Damit wir Christen des Orients eine Zukunft in unserer Region, der Wiege des Christentums, haben, brauchen wir Stabilität und Frieden in den Ländern, die immer noch von Krieg und Gewalt erschüttert sind. Nicht zuletzt müssen wir für die Einheit der Christen des Orients beten, damit wir den Auftrag, der uns anvertraut ist, besser erfüllen können: Brückenbauer und Friedensstifter zu sein und eine Atmosphäre des Dialogs, des Respekts und des Zusammenlebens zu schaffen. Die Beziehungen mit unseren Freunden im Westen, ihre Solidarität und ihre Unterstützung ermutigen uns, in unseren Ländern zu bleiben, auf unserem Land und in unseren Kirchen. Wenn es im Orient keine Christen mehr gibt, wird das Christentum seiner Wurzeln beraubt sein. Wir brauchen eure menschliche und spirituelle Unterstützung sowie eure Solidarität, Freundschaft und Nähe, „bis das Unheil vorüber geht“ (Psalm 57,2). Ich hoffe, dass dieses Buch von Matthias Vogt dazu beiträgt, diese Beziehungen zu stärken, indem es die Kenntnis unserer Lebenswirklichkeit, unserer Traditionen und unserer Geschichte vertieft.

Louis Raphaël Card. Sako

Chaldäischer Patriarch von Babylon

Bagdad, Irak

Christen im Nahen Osten

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