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Carls Kindheit in Oak Park

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Als Carl 1902 geboren wurde, gab es bereits den dreijährigen Bruder Ross, die fünfjährige Schwester Julia und den neunjährigen Bruder Lester. Vater Walter hatte sich kurz zuvor mit einem Kollegen selbstständig gemacht und die „Bates & Rogers Construction Company“ gegründet. Beide Firmeneigener hatten gute Kontakte zu Industrie, Handel und Technologie. Walter schrieb Aufsätze für einschlägige ingenieurwissenschaftliche Fachzeitschriften und die Geschäfte gingen gut. Walter Rogers konnte seiner Familie ein finanziell angenehmes und gesichertes Leben bieten. Mutter Julia tat das ihre, um das Familienleben und die Erziehung der Kinder in ehrfürchtige und gottgefällige Bahnen zu lenken.

In den Kindertagen war Carls Gesundheit schlecht, und in der ansonsten „robusten“ Familie galt er als kränklich und leicht übersensibel, zumal er dazu neigte, gleich in Tränen auszubrechen. „Du wirst jung sterben!“, so wurde ihm vorausgesagt, und in den letzten Jahren seines Leben, immer noch sehr rüstig und weltweit in missionarischen Aktivitäten unterwegs, bereitete es ihm augenscheinlich eine große Genugtuung, auf diese Prophezeiung zurückzukommen und dieser nun seine eigene Bedeutung zu geben: Er werde in der Tat jung sterben. Selbst als 82-jähriger Mann, im Angesicht des näher rückenden Todes, fühle er sich jung und aktiv. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Carl in seinen jungen Jahren kränklich und nervös war, zeigte er sich intellektuell begabt und früh an allem interessiert, was mit Lesen und Schreiben zu tun hatte. Die Eltern waren stolz darauf, dass Carl bereits im Alter von vier Jahren Geschichten aus der Kinderbibel vorlesen konnte und die Texte verstand. Als er zur Schule kam und der Lehrer feststellte, dass Carl bereits lesen konnte, schlug er vor, ihn direkt in die zweite Klasse zu geben. So entging er einem etwas finster erscheinenden Lehrer und kam direkt in die zweite Klasse zu Miss Littler, einer freundlichen Lehrerin, in die er sich sofort „verliebte“. Ihr zuliebe brach er dann auch erstmals den Gehorsam gegenüber den strengen Regeln seiner Mutter. Er musste immer sofort nach Hause kommen, wenn die Schule zu Ende war: „Keine Spiele und kein Geschwätz mit den anderen Kindern“, so lauteten Julias strenge Anweisungen. Trotzdem half er Miss Littler nach dem Unterricht noch lange beim Aufräumen (Cohen 1997: 25).

Er sprach später oft von sich selbst als einem einsamen Kind, das wenig Gelegenheiten hatte, Freunde außerhalb der Familie zu finden, und deshalb Trost in Büchern suchte. In jeder freien Minute, die Mutters strenge Tagesplanung zuließ, las er und ertrug dafür auch die Meckereien der Eltern: „Da bist du ja schon wieder und hast die Nase im Buch!“ Insgesamt tolerierten sie seine Leseleidenschaft allerdings. Dennoch beschwert sich Carl in vielen autobiographischen Hinweisen darüber, dass er als Kind gnadenlos diesen ewigen Hänseleien in der Familie ausgesetzt war und sieht dies als Grund dafür, dass er sich oft aus dem Kontakt mit den anderen Familienmitgliedern zurückgezogen hat. Diese nannten den kränklichen und vergesslichen, ewig abwesenden und zurückgezogenen Carl gerne nach einer Zeichenfigur aus der damaligen Zeit: „Professor Moony“.

Carl war, angetrieben von den vielen strengen Regeln in seiner Familie, sicherlich etwas zerstreut. Deshalb bemühte er sich ganz besonders, alles richtig zu machen und versuchte sein Gedächtnis dadurch zu unterstützten, dass er alles aufschrieb. Er machte sich unzählige Notizen von allem und jedem, um sicher zu sein, dass er nichts vergaß. Für seine Eltern und Geschwister zeigte Carl viele Anzeichen eines „Problemkindes“. Auch das Verhältnis zu seinen Geschwistern war kompliziert. Der älteste Bruder Lester war neun Jahre älter und zu „weit weg“ für Carls kindliches Interesse an Abenteuerspielen. Ross, drei Jahre älter, war für Carl ein heftiger Konkurrent beim Ringen um die Zuneigung der anderen. Carl glaubte, dass seine Eltern seinen Bruder Ross mehr lieben würden als ihn, und er entwickelte sogar die Vorstellung, dass er ein Adoptivkind sei, jedenfalls nicht das Kind dieser Eltern. Er wagte es aber nicht, seinen Eltern eine klärende Frage zu stellen, und blieb so mit diesen Phantasien und negativen Gefühlen allein. Vielleicht waren diese auch durch die Geburt seiner Brüder Walter (1907) und John (1908) ausgelöst worden, die Carl im Alter von 5 Jahren aus der Rolle des Jüngsten verdrängten – vielleicht wurden seine Phantasien auch durch die frühe Lektüre seiner Abenteuerromane verfestigt. Wie dem auch sei, Carl blieb für den Rest seiner Lebens ängstlich und scheu und tat sich schwer, unangenehme Gefühle zu äußern und anderen mitzuteilen. Als er selbst Vater war, so erinnert sich sein Sohn David, erwartete er von seinen Kindern, dass sie negative Gefühle mit sich selbst ausmachen sollten. Sie durften erst dann wieder aus dem Kinderzimmer kommen, wenn sie sich wieder im Griff hatten (Cohen 1997: 26).

In der Schule schien sich Carl wohl zu fühlen, die schulischen Anforderungen bereiteten ihm keine Probleme. Aber die soziale Kluft zwischen ihm und seinen Mitschülern war groß, nicht zuletzt auch, weil Carl ihnen im Lesen um Jahre voraus war. Dass er gleich nach der Schule nach Hause kommen musste, vergrößerte diese Kluft, die von den Eltern letztlich auch gewollt war. Die Rogers spielen nicht nutzlos herum, so der Familienkodex, sie trinken nicht, rauchen nicht, spielen nicht mit Karten, gehen nicht ins Theater und sie zeigen kein Interesse an anderen Menschen und schon gar nicht an denen des anderen Geschlechts. Sexualität und körperliche Sinnlichkeit waren in diesen protestantischen Pioniersfamilien tabu. Carl berichtet in seinen autobiographischen Schriften später, dass sich ab dem 12. Lebensjahr sein Interesse an Sexualität entwickelte – aber wie sollte er in dieser „engen“ Umgebung damit umgehen? Als Carl in der Grundschule ein Mädchen kennen lernte, Helen Elliott, nahm er für den Schulweg ihretwegen das Fahrrad, um so trotz einiger Minuten gemeinsamen Schulwegs pünktlich zu Hause sein zu können.

Bereits in diesen frühen Jahren zeichneten sich die Umrisse eines einsamen, unsicheren, eingeengten, aber intelligenten Kindes deutlich ab, dessen Bedürfnisse nach persönlicher Nähe und Geselligkeit weitgehend unbefriedigt blieben. In eigenen Berichten sieht Rogers hierin eine Wurzel für sein Motiv, später als Berater und Psychotherapeut zu arbeiten, um in diesem Rahmen die unerfüllten Bedürfnisse nach Nähe und authentischem Kontakt in einem kontrollierten Rahmen erleben zu können.

Carl Rogers

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