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Naturwissenschaftliche Studien

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Es waren andere Wege, auf denen Carl in die Gemeinschaft und in die Realität zurückfand: Das Leben auf der Farm ermöglichte ihm, eigenständig Interessen zu entwickeln, die auch in seinem späteren Berufsleben wichtig wurden. In dieser von den Eltern eingerichteten pädagogischen Provinz war der einsame und eher introvertierte jugendliche Carl, angeregt durch ein Fachbuch, fasziniert von der ihn umgebenden Natur, die er zu studieren begann. Wie dies in vielen Lebensläufen von einsamen Kindern zu finden ist, so verstand auch Carl sich mit der Natur besser als mit den Menschen. Er beobachtete und sammelte große Nachtfalter, die in den nahe liegenden Wäldern der Farm heimisch waren und entwickelte sich zu einem Experten für diese exotischen Lebewesen. Er las alles über sie und begann sie selbst zu züchten. Er zog Raupen auf und beobachtete die Kokons während der langen Wintermonate. Sogar die Nachbarschaft nahm an seinen neuen Aktivitäten interessiert Anteil und bewunderte ihn. Als kleiner Experte für diese Falter stand Carl plötzlich im Mittelpunkt von Anerkennung und Bewunderung, die er gewiss sehr genoss. „In meiner kleinen und spezialisierten Welt wurde ich so etwas wie ein Biologe“, so schilderte er diese Erfahrung später. Hier wurde vermutlich der Grundstein für den späteren Forscher und Wissenschaftler Carl Roger gelegt.

Die naturwissenschaftliche Neigung von Carl wurden von seinem Vater gefördert. Walter Rogers selbst wollte ja seine Hobby-Farm so fortschrittlich wie möglich führen. Sie sollte ein Vorbild in neuen Methoden der wissenschaftlichen Landwirtschaft sein, und er lud oft Dozenten der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Chicago ein, um zu zeigen, wie er den Ertrag seiner Pflanzen steigern konnte oder welche neuen Saatzüchtungen ihm gelungen waren. In dieses ehrgeizige und anspruchsvolle Klima wurden seine Söhne mit eigenen Projekten einbezogen. So lernten die Jungen, Saatgut zu züchten und Kälber zu halten. Vater Walter hatte seinen Jungfarmern elf Kälber für ihre eigene Züchtung überlassen.

Wie kompliziert das Verhältnis zu seinem Vater dennoch war, oder auch wie gnadenlos von den Heranwachsenden bereits Selbständigkeit verlangt wurde, zeigt eine andere Geschichte, in der Carl als „Bücherwurm“ sich zu helfen wusste: Er fragte nicht etwa seinen Vater, wie man Kälber schlachtet, sondern schrieb an das Amt für Landwirtschaft und ließ sich von dort eine schriftliche Schlachtanleitung kommen.

Carl wurde durch diese pädagogisierte und religiös geprägte Lebensgestaltung schon sehr frühzeitig ein gewissenhafter Student der modernen wissenschaftlichen Landwirtschaft und lernte aus einem dicken Fachbuch ›Feeds and Feeding‹ von Morrison, wie landwirtschaftliche wissenschaftliche Experimente richtig durchzuführen sind. Ihm erschloss sich so ganz praktisch die Bedeutung von naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen und von experimentellen Kontrollgruppen. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder eignete er sich ein sehr umfangreiches Wissen an, das beide in den Stand setzte, einige Gemüse- und Getreidesorten als Überschuss zu erwirtschaften und auf dem örtlichen Markt zu verkaufen.

Insbesondere Carl und sein Bruder Walter waren hoch motiviert und arbeiteten methodisch kontrolliert und sehr erfolgreich. Als im Sommer das fünf Ar große Land in voller Blüte stand, wollte Vater Walter unerwartet sein Land zurückhaben. Er befürchtete, der Erfolg könnte den Jungen zu Kopf steigen und sah darin eine gefährliche Versuchung. Carl war wütend und enttäuscht. Er versuchte mit dem Vater zu verhandeln. Schließlich war die Farm sein Hobby, und es gab keine finanzielle Notwendigkeit für die Forderung des Vaters. Es half jedoch alles nichts: Vater Walter blieb stur und nahm sein Land zurück.

So hatten die schwierigen Zeiten für Carl nur ein kurze Unterbrechung gehabt, in der er etwas aufblühen konnte. Das Verhältnis zu seinen Eltern war und blieb konfliktbeladen. Bereits mit 15 Jahren hatte Carl ein ausgewachsenes Magengeschwür. Zwei seiner Geschwister ebenso.

In der Schule ging es Carl trotz des langen und beschwerlichen Schulwegs augenscheinlich noch immer besser als zu Hause. In einem Interview mit John K. Wood erzählte er 1970: „Meine Erfahrungen auf der High School waren sehr fragmentiert. Ich besuchte drei verschiedene Schulen in dieser Zeit, aber zu jeder dieser Schulen musste ich mit dem Pferdewagen, dem Auto, mit dem Zug oder mit einer Kombination von allem jeweils anreisen und auch wieder zurückreisen, um pünktlich zu Hause zu sein und dort meine häusliche Pflichten zu erledigen. Konsequenterweise konnte ich keine Freundschaften in irgendeiner Schule schließen. Ich war ein guter Schüler und hatte nie Schwierigkeiten mit den schulischen Anforderungen“ (Wood 1970: 18). Englische Literatur war sein Lieblingsfach, er hatte ebenfalls gute Noten in den Naturwissenschaften. Die Leistungsanforderungen, die zu Hause galten, waren aber in jedem Falle höher, und Carl wusste sich in vielerlei Hinsicht auch ohne Schule und Lehrer zu helfen, um die Zusammenhänge auf der Farm zu verstehen. Auch verhinderte der dreimalige Schulwechsel innerhalb von sechs Jahren, dass Carl sich in einer nicht von der Familie kontrollierten Umwelt einleben konnte.5

Das Problem mit den sozialen Kontakten blieb. In der Familie Rogers waren Besucher, z. B. Schulfreunde, nicht erwünscht: Keine Klassenkameraden und schon gar keine Mädchen! Carl schreibt, dass er etwa im Alter von 12 Jahren ein starkes Interesse an Sex entwickelte. Aber bis zum Alter von 17 Jahren konnte er wegen der rigorosen Mentalität in seiner Familie nicht einmal mit einem Mädchen ausgehen, und als sich zum ersten Mal eine Gelegenheit bot, geriet sein erstes „date“ zum Trauma, weil er so aufgeregt und ängstlich war.

Im selben Jahr hatte er unverhofft etwas Glück. Weil er keine Freunde,

Kumpels und „Seilschaften“ in der Klasse hatte, wurde er überraschend als Kompromisskandidat verschiedener Lager zum Klassensprecher gewählt. Nun hatte er ein Amt und damit ein Alibi, mit dem er zu Hause begründen konnte, dass er an den geselligen Veranstaltungen des Schullebens teilnehmen musste. Er lernte so, dass ein öffentliches Amt zu haben den Weg öffnen konnte, an der Kontrolle der Eltern vorbei soziale Kontakte zu knüpfen.

Am Ende der Schulzeit war Carl sich sicher, dass er in jedem Falle Farmer werden wollte – dies obwohl er ein ausgezeichnetes Examen gemacht hatte, das ihm den Zugang zu allen Studiengängen ebnete. Auch wenn seine berufliche Entwicklung später eine andere Richtung nehmen sollte, so kann man doch in seinem späteren psychologischen Werk sehr leicht die Liebe zur Natur und die Liebe zur experimentellen Beobachtung und zum (naturwissenschaftlichen) wissenschaftlichen Forschen wieder finden – ebenfalls eine Einstellung, die sich als „social engineering“ bezeichnen lässt und die in der pragmatischen Alltagsbewältigung des Landlebens ihre Wurzeln hat. Die Lebensform des intellektuellen, kulturell ambitionierten Stadtmenschen und Weltbürgers hat Carl Rogers in seiner Kindheit und Jugend gewiss nicht an der Wiege gestanden.

Carl Rogers

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