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Das „Problemkind“ macht Karriere: 1920 – 1939

Neue Freiheiten am College: Von der Landwirtschaft zur Theologie

Für das Studium der Landwirtschaft wählten Carl und seine Familie die Universität von Wisconsin in Madison aus. Dort schrieb er sich 1920 ein. Er folgte damit einer Familientradition: Auch Vater und Mutter hatten in Wisconsin studiert. Carls Studienmotivation und Ziel waren identisch mit den Idealen seines Vaters: Auch er wollte eine Farm nach den neuesten und modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen führen.

Der Schritt in die neuen Freiheiten, die das Studium bedeutete, war für Carl sicherlich bedeutungsvoll. Er schrieb in dieser Zeit intensiv Tagebuch und bewahrte diese Notizen auf, so dass detaillierte Stimmungsberichte aus dieser Zeit in Rogers’ Nachlass zu finden sind. Ebenso streng wie seine bisherige Erziehung war auch das finanzielle Arrangement mit seinen Eltern. Sie erwarteten selbstverständlich von ihm, dass er seinen Lebensunterhalt für das Studium selbst verdienen musste. Nur zum High-School-Abschluss erhielt er ein Geschenk von 50 Dollar.

Also musste Carl, noch bevor das Studium am College anfing, den Sommer über arbeiten und Geld verdienen. Sein Vater hatte ihm bei seinen Brüdern einen Job in einem Sägewerk an der kanadischen Grenze besorgt. Carl war dort für drei Monate bei Verwandten in Kenmore, in North Dakota, untergebracht, die ebenso streng lebten, wie er es von zu Hause kannte. Die Arbeit war schwer, der Kontakt zu der Verwandtschaft distanziert und steril. Sein Onkel schien nicht an ihm interessiert zu sein. Einzig einer der Vorarbeiter lud ihn zweimal mittags zum Essen ein. Von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr musste Carl Bauholz ab- oder aufladen. Hier war er noch einsamer als zu Hause. In weiser Voraussicht hatte er für die 50 Dollar viele Bücher gekauft, die er mitnahm, um die einsamen Tage in der Fremde zu überstehen. Es waren zumeist die zu Hause verpönten Abenteuerromane, aber auch „richtige“ Weltliteratur von Charles Dickens, Victor Hugo, Edgar Allan Poe und anderen Romanciers, in denen freilich auch das Abenteuer „tobte“.

Auf der anderen Seite war das Alleinsein für Carl auch eine Befreiung. Er konnte nun in seiner Freizeit ungestört und ohne Vorhaltungen der Eltern in die Abenteuerwelten seiner Bücher eintauchen. So schrieb er in sein Tagebuch: „Wenn ich endlich den Schluss der Geschichte erreicht hatte, konnte ich das Buch zur Seite legen und wusste nicht mehr, welcher Tag es war und was ich hier machte.“

Umso mehr muss Carl danach das soziale Leben auf dem Campus des Colleges genossen haben. Nach drei Monaten Einsamkeit begann mit dem Studium ein neuer Lebensabschnitt, in dem Carl überraschende Entwicklungen und Veränderungen durchlebte. Mit seinem Bruder Ross teilte er ein Zimmer im YMCA-Heim. Bereits während seines ersten Studienjahres wurde er Mitglied einer Vereinigung christlicher Landwirtschaftsstudenten, die von Professor George Humphrey geleitet wurde. Humphrey war ein sehr ungewöhnlicher Professor: In reformpädagogischem Eifer motivierte er die einzelnen Gruppenmitglieder, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und weigerte sich, in seinen Veranstaltungen die konventionelle Leitungsposition des Lehrers einzunehmen. Rogers berichtete später voller schwärmender Begeisterung von seinen Erfahrungen als Mitglied in dieser Gruppe und bezeichnete Humphreys Führungsverhalten als ein ausgezeichnetes Beispiel für das von ihm später selbst proklamierte „facilitating leadership“ (Burton, 1972: 36).

Die ersten selbstbestimmten Lernerfahrungen begannen nun, sein bisher strenges und autoritäres Verständnis vom Lernen zu unterwandern. Humphreys Stil und Intention waren so ganz anders als der zwar gut gemeinte, aber stets kontrollierende erzieherische Einfluss von Rogers’ Eltern. Carl war von der Meinungsfreiheit, die sich hier für ihn auftat, und den daraus entstehenden Gesprächen und Diskussionen auch emotional tief bewegt. Außerdem war er in dieser Gruppe zum ersten Mal in der Lage, mit jungen Leuten, die nicht zu seinem Familienkreis gehörten, Freundschaften zu schließen. Der „emotionslose“ Carl entdeckte in diesem besonderen pädagogischen Klima aus Intellektualität, Begeisterung und sozialer Verbundenheit eine neue und andere Lebensqualität.

Von diesen Erlebnissen ermutigt hatte er Helen Elliott, seiner früheren Freundin aus der Grundschule in Oak Park, geschrieben und sich ein paar Mal mit ihr getroffen. Sie studierte, überraschenderweise auch in Wisconsin, Angewandte Kunst und Design.

Während der ersten Weihnachts-Freizeit besuchte Carl eine Missionarskonferenz in Des Moines in Iowa. Das Motto dieser Konferenz lautete: „Die Welt in unserer Generation missionieren!“ Carl fühlte sich angesprochen und war fasziniert. So fand er Zugang zur christlichen Missionsarbeit. Er wechselte daraufhin die Studienrichtung und belegte das Fach Geschichte, um sich für ein theologisches Studium vorzubereiten. Er wollte ein Mann Gottes werden!

Zwei protestantische Religionsgründer waren in diesen religionsgeschichtlichen Studien besonders interessant für ihn: John Wyclif und Martin Luther. Er setzte sich mit ihren Thesen und mit ihrem Leben auseinander und war von ihren Botschaften beeindruckt. Luther stand für die Überzeugung, dass Menschen direkt mit Gott in Verbindung treten konnten und dazu nicht einen Priester als Vermittler und Experten brauchen, sondern alleine durch das Studium der Heiligen Schrift und durch die eigene Erfahrung zum rechten Glauben gelangen konnten. John Wyclif beeindruckte ihn als sozialrevolutionärer Pazifist und Märtyrer. Diese Studien führten dann dazu, dass Carl die sozialen und religiösen Aktivitäten der Studierenden auf dem Campus sehr bald noch spannender als seine landwirtschaftlichen Studien fand. Er nutzte viele der angebotenen Gelegenheiten, vom Gottesdienst über die YMCA-Freizeiten bis hin zu Wiedersehensfeiern mit ehemaligen Studierenden und hörte prominenten Sprechern und Verkündern der „frohen Botschaft“ auf dem Campus zu. Zugleich übernahm er Führungsrollen in der Arbeitsgemeinschaft „Triangel“ und im YMCA-Sommer-Camp an der Sturgeon Bay in Wisconsin. Nach einer Veranstaltung, auf der „Dad Wolfe“ zum Thema „Eine Lebensaufgabe wählen!“ sprach, schrieb Carl in sein Tagebuch: „Oh! Es ist wunderbar zu spüren, dass Gott mich wirklich durch meine Lebensaufgabe hindurch führen wird, und ich weiß, er wird es tun, denn er hat mich nie enttäuscht.“ Fünf Monate später steht dort: „Während Eddys Morgenansprache reifte in mir der Entschluss, in die Arbeit der Kirche einzutreten und Pfarrer zu werden. Und während der Nachmittagsansprache traf ich die endgültige Entscheidung. Gott möge mir helfen, dies alles zu bewahren!“ (Kirschenbaum 1995: 4).

Carl Rogers

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