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1.2 Gesellschaftliche Transformation VERKNAPPUNG DER ZEITRESSOURCEN, SOZIALE BESCHLEUNIGUNG

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Zeitknappheit

Die Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft können in verschiedener Hinsicht analysiert werden. Im Blick auf Bildungsvorgänge Erwachsener, zumal im Blick auf religiöse Bildung, scheinen uns Analysen besonders weiterführend, die nach der zeitlichen Struktur der Post- bzw. Nachmoderne fragen. Das allgemeine subjektive ebenso wie kollektive Zeitgefühl der Menschen aus den westlichen Industrienationen, zunehmend aber auch aus den sich enorm entwickelnden östlichen und südlichen „Schwellenländern“, ist ein Gefühl der sich immer mehr beschleunigenden Lebenswelt. „Wo ist nur die Zeit geblieben?“ „Mir fehlt die Zeit für…“ „Die Jahre sind im Nu verflogen!“ etc. sind typische Aussagen von Individuen, die ihr Zeit- und Lebensgefühl ausdrücken und oft schmerzlich darunter leiden, dass sie in einer Situation der Zeitknappheit stecken. Das Tempo des Lebens hat erheblich zugenommen. Allenorts klagen Menschen über Zeitnot, Zeitdruck, zu viel verplante, durchterminierte Zeit. Es bleibt kaum noch Zeit für Müßiggang und fröhlichen, unbeschwerten „Zeitvertreib“. Obwohl wir im Überfluss Zeitgewinnen und Zeit sparen – z.B. durch digitale Kommunikationstechnologien und rasante Steigerung der Transportgeschwindigkeit – gleitet uns die Zeit wie Sand durch die Finger. Unsere derzeitige Generation ist geplagt von „Verpassungsangst“, die allem hinterher jagt, was getan werden muss, darin jedoch immer mehr Zeit verliert anstatt sie zu gewinnen. Michael Ende hatte dies bereits in den 1970er Jahren in seinem berühmten Buch „Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“ eindrucksvoll auf den Punkt gebracht: Zeitsparen bedeutet keine Bereicherung, sondern eine Verarmung in zwischenmenschlicher Hinsicht; das Leben wird immer ärmer, gleichförmiger und kälter, insbesondere für Kinder hat niemand mehr Zeit. „Je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.“ (Ende 1973, S. 72)

Dieses persönliche „Zeitbewusstsein“, die individuellen Zeitbestimmungen und Zeitwahrnehmungen spiegeln sich in soziologischen Analysen der Gegenwart (umfassend: Rosa 2012). „Die Überzeugung, dass alle Ereignisse, Objekte und Zustände in der sozialen Welt dynamischer und prozessualer Natur sind und Zeit daher eine Schlüsselkategorie für jede angemessene Analyse darstellt, ist inzwischen nahezu zu einem Allgemeinplatz in den Sozialwissenschaften geworden.“ (ebd., S. 19) Die zeitsoziologischen Neubeschreibungen der Gesellschaft bestätigen eine grundlegende Veränderung der Zeitstrukturen in der modernen, industrialisierten Welt, die mit dem Leitbegriff der „Beschleunigung“ charakterisiert wird: Dieser Begriff ist soziologisch nicht ganz leicht zu bestimmen, da sich nicht einfach alles beschleunigt, sondern es auch wieder zu gegenläufigen Tendenzen kommt, bei denen sich die Abläufe verlangsamen (Verkehrsstau, Reformstau). Dennoch gilt seit der Industrialisierung Europas, aber vor allem durch die gesteigerte Mobilität der Gesellschaft und die schier unendlichen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation: „Die Erfahrung der Modernisierung ist eine Erfahrung der Beschleunigung.“(ebd., S. 51; kursiv im Original) Die Soziologie spricht insbesondere von sozialer Beschleunigung, die drei „Dimensionen“ hat (ebd., insbes. S. 124–138; 161ff.):

• technische Beschleunigung

• Beschleunigung des sozialen Wandels

• Beschleunigung des Lebenstempos

Die Zeiträume, die uns zur Verfügung bleiben, scheinen zu schrumpfen („Gegenwartsschrumpfung“), die Handlungs- bzw. Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit steigern sich kontinuierlich, Pausen verringern und verkürzen sich, wir sind dazu gezwungen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun (Multitasking). Insgesamt kann man unzweifelhaft von einer Verknappung der Zeitressourcen in der Gegenwart sprechen.

Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung

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