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Kapitel 2

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Die Zusammenkunft fand am Abend auf dem Platz zwischen den Hütten statt, auf den die tief stehende Sonne lange Schatten warf. Die Siedler hatten sich im Halbkreis auf der Erde niedergelassen. Taran saß neben Gregorius, was ihr einen hasserfüllten Blick von Cailina einbrachte. Die Alten und die Fährtensucher nahmen den Siedlern gegenüber Platz. Der Hitze trotzend trug Aldo sein weißes Wolfsfell, das Zeichen des Dorfältesten. Alle anderen waren in ihrer gewöhnlichen Arbeitskleidung erschienen, wollenen Hemden, Hosen, Röcken oder Kleidern und schweren ledernen Stiefeln.

Stille legte sich über den Platz, als Aldo sich erhob. »Ich danke euch, dass ihr gekommen seid«, sagte er. »Wie ihr seht, sind Olwenus und seine beiden Jungs wieder da. Sie werden uns über die Bewegungen der Wajaren berichten. Dann müssen wir entscheiden, ob wir hierbleiben oder noch vor dem Winter weiterziehen.«

Cailinas Mutter sprang auf. »Wenn wir entscheiden, dass wir weiterziehen, dann sollten wir auch entscheiden, ob wir nicht endlich in die Städte gehen.« Einige der Siedler rollten ungehalten ihre Augen, doch Taran hielt die Luft an. Sicher, die Städte wurden immer wieder angesprochen und man hatte sich bisher dagegen entschieden. Aber vielleicht dieses Mal?

»Hier draußen sind wir unsere eigenen Herren!«, sagte Gregorius. »In den Städten werden die Männer gezwungen, den Herrschern als Soldaten zu dienen! Ich will nicht in eine Stadt!«

Viele der Männer nickten zustimmend und Tarans Hoffnungen sanken rapide. Sie machte sich nicht die Mühe, etwas auf Gregorius Einwurf zu entgegnen, sondern warf ihm nur einen entmutigten Blick zu. Gregorius zuckte mit den Schultern.

Wie um dies zu bestätigen, rief eine der Frauen: »In den Städten herrschen Laster und Unzucht! Die Männer vertrinken ihr Gold in den Tavernen! Junge Mädchen verkaufen ihre Körper, um zu überleben!«

Reihum nickten die Köpfe.

Aldo hob die Hand. »Wir haben uns in der Vergangenheit entschieden, nicht in Städte zu gehen. Dabei bleibt es. Wer gehen möchte, kann dies tun. Wir zwingen niemanden, bei uns zu bleiben. Was wir heute besprechen müssen ist, ob wir hier überwintern oder uns einen anderen Ort dafür suchen.«

Cailinas Mutter setzte sich mit missmutigem Gesicht hin. Sie sagte nichts gegen Aldos Schiedsspruch. Es war richtig, dass niemand gezwungen wurde, bei den Siedlern zu bleiben. Doch sich allein, ohne Teil einer größeren und gut bewaffneten Gruppe zu sein, auf den Weg in die Städte zu machen, war blanker Wahnsinn. Die blaue Stadt lag im Süden, jenseits der Grasländer, am Meer. Kaum jemand lebte in den Grasländern. Einige wenige Rinderhirten streiften mit ihren Herden durch die Steppe. Aber es gab Banditen. Sie lauerten Reisenden auf und töteten sie, um sich ihrer Habseligkeiten zu bemächtigen. Wer abseits der Wege reiste, musste sich außerdem vor den trügerischen Mooren in Acht nehmen und aufpassen, dass er sich in dieser Landschaft, die überall gleich aussah, nicht verirrte. Die beiden anderen Städte der Menschen, Insan und Quadin, lagen weit jenseits des Qanicengebirges. Um sie zu erreichen, musste man das Gebirge queren, wobei man fast sicher in die Hände der Vampire fallen und den Rest seines Lebens als Blutsklave verbringen würde. Reisende von und zu den Städten, insbesondere Insan und Quadin, gab es daher nur wenige. Meist handelte es sich um wagemutige Händler, Fallensteller oder Jäger, die im Urwald Bären, Hirsche und Rehe erlegten und Fleisch und Felle in den Städten verkauften.

Aldo räusperte sich. »Der Bericht der Fährtensucher bitte.«

Olwenus erzählte von seinem Streifzug. Er beschrieb, wie sie nach Norden gezogen waren, immer entlang den Wäldern des Niemandslandes, das gewaltige Gebirge am Horizont zu ihrer Rechten und die Steppen der Grasländer zu ihrer Linken. Sie waren an Zeugnissen der Vampirkriege vorbeigekommen, von Efeu und Gestrüpp überwucherte Ruinen abgebrannter Höfe und Klöster, Wüstungen, wo einmal Dörfer und kleine Städte gewesen waren. Sie entdeckten einen verlassenen Kohlenmeiler mitten im Urwald und hatten sich bis zu den Ausläufern des Gebirges vorgewagt. »Wir fanden keine Anzeichen von Wajaren, keine Spuren, keine Höhlen, die ihnen als Unterschlupf dienen könnten. Wir haben allerdings einen Fährtensucher getroffen, der uns berichtete, dass man Wajaren weiter im Norden gesichtet habe. Sie haben dort eine Siedlung überfallen. Wir denken, dass wir uns nicht in unmittelbarer Gefahr befinden«, schloss er seinen Bericht.

»Was für ein Fährtensucher war das? War er allein unterwegs?«, wollte eine der Alten wissen.

»Nein. Er sagte, er käme zusammen mit einer Gruppe weiterer Fährtensucher aus einer der Siedlungen in den Urwäldern. Wir haben die Gruppe allerdings nicht gesehen, nur ihn.«

»War er vertrauenswürdig?«

Olwenus wiegte nachdenklich den Kopf. »Nun, er machte einen redlichen Eindruck. Und warum hätte er uns belügen sollen? Er hat nichts von uns verlangt und hat uns bald wieder verlassen. Aber wir haben darauf geachtet, dass er uns nicht verfolgt.«

»Hatte er Neuigkeiten von den Vampirstämmen?«, fragte Rodica, die hinten im Schatten einer Hütte saß.

»Er sagte, dass die Stämme wieder einmal Krieg untereinander führen. Im letzten Herbst ist Raiden Tyr gegen Maksim D’Aryun ins Feld gezogen, um ihm die Insignien der Macht abzunehmen und die Herrschaft über die Stämme an sich zu reißen.«

»Im letzten Herbst?«, bohrte Rodica nach. »Wie ist das ausgegangen?«

»Das wusste er nicht. Er glaubte allerdings, dass sie sich noch immer befehden.«

Die Siedler warfen sich erleichterte Blicke zu. Wenn die Vampire untereinander Krieg führten, ließen sie die Menschen weitgehendst in Ruhe. Einige Stammesfürsten wie Raiden Tyr, dem ein Ruf von Willkür und Grausamkeit vorauseilte, scheuten sich nicht, Wajaren als Söldner zu verpflichten. Dies verringerte die Anzahl der Angriffe auf die Siedlungen.

»Wir haben also keine Veranlassung weiterzuziehen«, stellte Aldo fest.

»Ich denke nicht«, sagte Olwenus.

Das Gefühl der Erlösung, das sich unter den Siedlern verbreitete, war beinahe greifbar. Nun konnte man in Ruhe die Felder abernten und Vorbereitungen für den Winter treffen.

»Was denkt ihr?« Der Alte blickte fragend in die Runde. »Bleiben wir?«

Zustimmendes Kopfnicken war die Antwort. Aldo lächelte. »In Ordnung. Eine geruhsame Nacht allen.«

Leises Gemurmel erhob sich. Cailinas Eltern debattierten den Unwillen der Siedler, in die Städte zu gehen. Die Alten riefen Olwenus zu sich. Einige Männer scherzten und lachten leise.

Gregorius gähnte und reckte sich. »Ich muss zu meinem Vater«, sagte er. »Sehen wir uns morgen?«

»Ich werde auf den Feldern sein. Mutter hat unsere Hilfe beim Abernten angekündigt.«

»Ich werde auch da sein.« Er senkte die Stimme. »Wir sollten uns bald wieder nachts rausschleichen.«

Taran kicherte. »Falls du es schaffst, ungesehen zu entkommen.«

Bei ihrem letzten Versuch einer Liebesnacht war Gregorius von seinem Vater entdeckt worden, als er aus der Hütte schlich. Statt ein Schäferstündchen mit ihr zu verbringen, hatte er sich eine Standpauke über die Wajaren anhören müssen. Er verzog das Gesicht. »Ich werde mich bemühen. Heute Nacht klappt es nicht. Vater sagt, wir gehen früh zu Bett, damit wir zu Sonnenaufgang auf den Feldern anfangen können zu arbeiten. Lass uns das morgen bereden. Ich habe schon ein paar Ideen.« Er verabschiedete sich mit einem verschmitzten Lächeln von ihr.

Zurück in ihrer Hütte legte Rodica Feuerholz nach und starrte selbstvergessen in die Flammen, bevor sie sich zu Taran umdrehte, die das Abendmahl aus eingedickter Milch, Trockenfleisch und Brot auf den Tisch stellte. »Gregorius ist ein netter junger Mann.«

Tarans Wangen wurden heiß. »Das ist er.«

»Aki hat mich gefragt, was ich davon halte, wenn du Gregorius Frau wirst.«

Panik stieg in Taran hoch, ließ ihren Puls flattern. Sie würden im nächsten Sommer ihren zwanzigsten Jahrestag begehen, das Alter, in dem man sich einen Mann oder eine Frau aussuchte. Gregorius und sie waren sich dessen bewusst, hatten sich aber keine Gedanken darüber gemacht. Andere Dinge waren viel wichtiger! Es lag doch noch ein ganzer Winter vor ihnen, bis es so weit war! »Aber … ich … ich meine, Gregorius und ich … wir haben davon noch nicht gesprochen!«

»Glaubst du, er ist der Richtige für dich?«

Verblüfft sah sie ihre Mutter an. Ob Gregorius der Richtige war? »Ich ‒«, stammelte sie überrumpelt. Welche Antwort gab man seiner Mutter auf diese Frage? Sie beschloss, ehrlich zu sein. »Ich weiß es nicht.«

Sonderbarerweise schien Rodica über diese Antwort erleichtert. »Dann ist er es nicht. Wenn er es wäre, wüsstest du es.«

Taran sank auf den Stuhl. »Wie weiß man es? Dass es der Richtige ist?«

»Dein Herz wird es dir sagen. Ein Leben ohne ihn wäre unvorstellbar für dich.« Rodica lächelte wehmütig.

Ein Leben ohne Gregorius? Der Gedanke jagte ihr keine Angst ein. Sie mochte Gregorius und verbrachte gerne Zeit mit ihm. Aber er teilte ihre Träume nicht und sie nicht die seinen. Wenn sie ihre Träume leben wollte, dann ginge das nur ohne ihn. Und wie fühlte es sich an, wenn einem das Herz zuflüsterte, wer der Richtige war? Ihr Herz sagte nichts zu Gregorius. Sie wagte es, noch einmal nach ihm zu fragen, ihrem Vater. »War … war mein Vater der Richtige für dich?«

Der Schatten großen Schmerzes flog über Rodicas Gesicht. »Ja, das war er.« Sie lächelte, doch Taran konnte sehen, dass sie die Tränen nur mit Mühe zurückhielt. »Trotzdem ich ihn verloren habe, war die Zeit mit ihm die schönste meines Lebens. Die ich um nichts missen möchte.«

Taran war verwirrt. Mutter litt so sehr an der Erinnerung an ihren Vater und doch bereute sie es nicht, ihn geliebt zu haben? War die vergangene Liebe so groß, dass sie die Schmerzen wettmachte?

Rodica legte ihre Hand auf die Tarans. »Eines Tages wirst auch du den Richtigen finden. Ich werde Aki sagen, dass wir all dies im nächsten Sommer besprechen, dann hast du genügend Zeit, um dich zu entscheiden. Und nun lass uns essen.«

Unvergängliches Blut - Sammelband

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