Читать книгу Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner - Страница 35

Kapitel 3

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Olwenus Einschätzung war falsch gewesen. Mit den ersten kalten Winden des Herbstes kamen die Wajaren. Das Laub der Bäume hatte sich bunt gefärbt und die Felder waren endlich abgeerntet. Es wurde schneller dunkel und die Siedler, die im Sommer abends lang draußen gesessen hatten, zogen sich immer früher in ihre Hütten zurück. Der kalte Wind schnitt in die Haut und ließ sie die wärmende Nähe der Feuer suchen.

In der Nacht, in der die Wajaren die Siedlung überfielen, träumte Taran von Pferden, von Rappen, Schimmeln, Braunen und Füchsen. Die Tiere jagten durch die Grasländer, die Mähnen und Schweife fliegend, das Stampfen der Hufe dumpf auf dem Boden. Sie stand auf einem Felsen und beobachtete sie, fasziniert von der Kraft ihrer Bewegungen. Die Herde schwenkte ab und galoppierte zum Horizont, an dem sich die Sonne feuerrot zur Erde neigte. Seltsamerweise wurde das Geräusch der Hufe lauter, je weiter sie sich entfernten.

Sie schreckte hoch und sah ihre Mutter wie erstarrt am Feuer stehen. Rodicas aufgerissene Augen spiegelten Entsetzen und Fassungslosigkeit wider.

Ein gellender Schrei ertönte. Hufgetrappel und triumphierendes Gebrüll.

»Lass’ den nich’ entkommen!«

»Her mit dir!«

Schreie. Weinen.

Taran sprang auf, rannte zum Eingang und schlug das Fell beiseite. Feuerschein flackerte auf. Er kam von brennenden Hütten. Unzählige Pferde und Reiter hoben sich als schwarze Schatten vor dem gelben Licht ab. Ein Reiter warf eine Fackel auf eine Hütte. Die trockenen Matten ging sofort in Flammen auf, die sein Gesicht beleuchteten. Es war hart, kantig, mit dunklen Augen. Eine Frau floh aus der Hütte. Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen und riss sie zu sich hoch. Cailina. Sie schrie. Der Reiter lachte und verschwand mit ihr zwischen den Bäumen. Taran presste entsetzt die Faust gegen den Mund.

Rodica erwachte aus ihrer Starre. »Wajaren! Wir müssen weg!«

Sie ergriff Tarans Hand und zog sie hastig nach draußen, weg von den Reitern und dem Feuer in die Dunkelheit hinter der Hütte. Sie stolperten über Grasbüschel und tote Äste. Die Kakofonie des Überfalls, Schreie, das Prasseln des Feuers und das Gebrüll der Vampire verfolgten sie unerbittlich. Tarans Nachtkleid verhedderte sich in niedrig hängenden Zweigen und spitze Steine und Dornen stachen in ihre nackten Füße. »Das ist die falsche Richtung!«, keuchte sie. »Da vorne sind die Felsen. An denen kommen wir nicht vorbei!«

Rodica beachtete sie nicht und eilte weiter. Plötzlich standen sie vor den Klippen, die schwarz und unbezwingbar vor ihnen aufragten. Der volle Mond hing über den Felszinnen und schien höhnisch zu ihnen hinunter zu grinsen. Als die Siedler diesen Platz ausgewählt hatten, dachten sie, die Felsen würden Schutz bieten. Für Rodica und Taran waren sie zur Falle geworden.

»Wir kommen nicht weiter!«, rief Taran verzweifelt.

»Gibt es denn gar keinen Spalt, in dem wir uns verstecken können?« Rodicas Blicke irrten über die glatten Steinflächen.

»Nein!«

»Dann müssen wir am Fels entlang in den Wald! Dort können wir uns verstecken!«

»Das geht nicht, Mutter! Das Unterholz ist zu dicht! Wir müssen zurück auf den Pfad!«

»Hier sind noch zwei!« Der frohlockende Ruf ließ sie zusammenfahren.

»Lauf!«, brüllte Rodica und rannte los.

Sie war nicht schnell genug. Der Reiter erschien vor ihnen wie aus dem Erdboden gewachsen. Er sprang vom Pferd und stürzte sich auf Rodica, begrub sie unter seiner riesenhaften Gestalt.

»Mutter!«

Taran schrie auf. Eine kräftige Hand umfasste ihren Oberarm und zog sie auf ein Pferd. Sie schlug nach dem Reiter. Der drehte ihr kurzerhand die Arme auf den Rücken und hebelte sie schmerzhaft nach oben. »Schön brav sein!«, zischte er.

Sie gab die Gegenwehr wimmernd auf. Ihr Fänger lenkte das Pferd zurück zu den brennenden Hütten. Die Siedler waren zusammengetrieben worden. Weinende Kinder krallten sich in die Röcke ihrer Mütter. Viele der Frauen schluchzten, die Männer standen mit versteinerten Mienen da. Die Reiter umkreisten sie wie eine Meute hungriger Wölfe, bereit sich jeden Moment auf sie zu stürzen.

»Was haben wir?« Ein hünenhafter Mann mit schwarzem zum Pferdeschwanz gebundenem Haar war abgestiegen und ging langsam an den Siedlern vorbei. Er trug Lederhosen, schwere Stiefel und ein dunkles Hemd, darüber eine Weste aus Schaffell. Ein Schwert steckte in seinem Gürtel. Nach einer Weile deutete er auf einige der jüngeren Frauen und Männer, unter ihnen Gregorius. »Die da.« Als er sprach, blitzten seine Fangzähne im Feuerschein auf.

Seine Männer packten die so Ausgewählten grob und fesselten sie. Gregorius setzte sich nicht zur Wehr. Seine Züge waren erstarrt. Serpil hingegen, ein schmächtiger Mann, versuchte, schützend vor seine Tochter zu treten. »Nein! Nicht Irma! Bitte, seid gnädig!«, flehte er.

Einer der Reiter knurrte ungehalten und zückte sein Schwert. Es zischte durch die Luft, durchschnitt Serpils Hals. Die Siedler schrien auf, als sein Kopf mit grotesk aufgerissenem Mund ins Gras fiel. Irmas Gesicht verzerrte sich in einem stummen Laut der Fassungslosigkeit und des Entsetzens. Jetzt wehrte sich niemand mehr und auch einige der Männer begannen zu weinen.

»Sollen wir ein paar Kinder mitnehmen, Kemp?«, fragte einer der Reiter.

Die Siedler stöhnten entsetzt auf. Frauen und Männer zogen ihre Kinder noch enger an sich.

»Nein. Die würden uns nur aufhalten und bringen nicht viel ein.« Der Anführer, Kemp, musterte die Siedler weiter. »Die da noch.« Er deutete auf drei Männer, einer davon Cailinas ältester Bruder. »Nicht als Blutsklaven, aber die können arbeiten.«

Ein Reiter kam auf die Lichtung, Rodica vor sich im Sattel haltend. Ihr Kleid war aufgerissen und ihr Körper von Bisswunden übersät. Der Reiter warf sie zur Erde, wo sie leblos und mit seltsam verdrehten Gliedern liegen blieb.

Taran schrie entsetzt auf. »Mutter!«

Kemp beugte sich über Rodica, hob ihren Kopf an und ließ ihn wieder fallen. »Du Schwachkopf!«, fuhr er den Reiter an. »Die hätten wir gut verkaufen können!«

Der Reiter grinste. »Es gibt genug hier, die wir verkaufen können. Ich brauchte etwas Entspannung.« Er fasste sich in den Schritt und machte eine anzügliche Bewegung mit der Hüfte. Die Vampire grölten.

»Mutter! Nein!« Taran bäumte sich auf, doch der Mann hinter ihr ließ sie nicht los. Tränen der Verzweiflung rannen ihr die Wangen hinunter.

Kemp deutete auf sie. »Die kommt auch mit. Sie sieht mir wie eine gute Blutsklavin aus. Das reicht dann für heute Nacht. Für mehr Sklaven haben wir nicht genug Pferde.«

»Ich bin schon gespannt, wie du schmeckst«, raunte der Mann, der Taran hielt, heiser. Er roch nach Schweiß und Pferd. »Wie alt bist du? Neunzehn, zwanzig? Genau das richtige Alter, würde ich sagen.«

»Worauf wartet ihr? Nährt euch!«, befahl Kemp. »Wir müssen bald aufbrechen, wenn wir die erste Höhle noch vor Sonnenaufgang erreichen wollen.«

»Na, also«, flüsterte der Mann hinter Taran.

Er umklammerte sie noch fester, bog ihren Kopf und strich ihr langes Haar beinahe zärtlich zur Seite. Sie stöhnte gequält auf, ihr fassungsloser Blick auf den reglosen Körper ihrer Mutter gerichtet.

»Ruhig, meine Schöne.« Er lachte. Dann spürte sie mit einem unwirklichen Gefühl des Grauens Zähne auf ihrer Haut. Ein scharfer Schmerz am Hals.

Alles verschwand, Rodicas Körper, die verängstigten Siedler, die Vampire. Bilder stürzten auf Taran ein, eine verwirrende Abfolge von Geschehnissen. Erst war es ein Junge, dann ein Mann. Es gab Bilder von Schlachten, von Blut. Von Morden, Plünderungen und Schändungen. Von Frauen. Von Burgen auf nebligen Gebirgszügen. Von Ritten durch Urwälder. Das Mädchen, das auf dem Pferd vor ihm sitzt, er beißt in ihren Hals, er trinkt ihr Blut, aber es verbrennt ihn, er brüllt die unerträglichen Schmerzen hinaus in die Welt, ...

Die Bilder versanken vor dem Hintergrund der brennenden Hütten und der in Hälse und Handgelenke von schluchzenden und schreienden Siedlern verbissenen Vampire.

Ein silbriger Staub hatte sich auf sie und die Mähne des nervös tänzelnden Pferdes gelegt. Niemand hielt sie mehr. Sie glitt vom Pferd, sank zu Boden. Die Schläge ihres rasenden Herzens dröhnten in ihren Ohren. Ihre Hand fuhr zitternd an die brennende Bissstelle am Hals. Als sie sie zurückzog, hingen tiefrote Blutstropfen an ihren Fingerspitzen.

»Was zur Hölle ...?!«

Taran sah benommen hoch. Die Wajaren ließen einer nach dem anderen von den Siedlern ab und versammelten sich um sie, riesige Männer, die sie drohend anstarrten.

Kemp ging vor ihr in die Knie und fasste sie hart am Kinn, zwang sie, ihn anzusehen. »Das gibt es doch nicht!«, flüsterte er.

Sie machte eine schwache Bewegung, um seine Hand abzuschütteln, doch er hielt sie fest. »Eine Ewige!« Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Eine verdammte Ewige!«

Ein Raunen ging durch die Vampire. Im Gegensatz zu ihrem Anführer grinsten sie nicht.

»Töte sie!«, verlangte einer aufgebracht. »Sie hat Agnar umgebracht!«

»Ja! Aber wir sollten vorher unseren Spaß mit ihr haben!«

»Das is’ ‘ne Ewige! Ich rühr’ die nich’ an!«

»Was denn? Ist doch nur das Blut, das gefährlich ist!«

»Woher will’ste das wissen?«

»Haltet eure Fressen!«, brüllte Kemp. Augenblicklich legte sich Stille über die Vampire.

»Eine Ewige.« Kemp ließ endlich ihr Kinn los und erhob sich. »Dich werden wir teuer verkaufen.«

»Aber, Kemp! Sie hat Agnar umgebracht!«

»Agnar war ein Idiot.« Ein gieriger Ausdruck war in Kemps Augen getreten. »Raiden Tyr wird viel Gold für sie bezahlen. Hölle, wie lange schon ist er auf der Suche nach Ewigen! Er hat jedes Menschenweib auf seiner Burg besprungen, um einen zu zeugen! Jetzt, wo er sich mit Hilfe der Insignien zum Herrscher gemacht hat, wird er uns viel Gold für einen geben! Die hier ist mehr wert als der ganze Haufen da!«

»Ehrlich?«, fragte einer staunend und begutachtete Taran wie eine Attraktion im Kuriositätenkabinett eines Jahrmarkts.

Kemp nickte bekräftigend. »Ja, die ist was wert. Fesselt sie und bringt sie zu den anderen Sklaven. Sobald sich alle genährt haben, reiten wir los.«

Einer der Räuber, ein dürrer hoch aufgeschossener Mann mit ungepflegtem Haar, räusperte sich. »Kemp«, sagte er. Seine tiefe und wohltönende Stimme passte so gar nicht zu seiner dünnen Gestalt. »Du willst tatsächlich zu Raiden Tyr?«

»Natürlich. Wie sonst soll ich ihm die Ewige verkaufen?«

»Na ja, nach der Schlacht im letzten Herbst dachte ich, dass wir ‒.«

»Tyr hat die Schlacht gewonnen, oder? Auch ohne uns! Er wird sich die Finger nach der Ewigen lecken und uns reich entlohnen! Jetzt fesselt sie endlich und nährt euch!«

Taran wehrte sich nicht mehr, als ein grobschlächtiger Mann sie hochzog und ihr ein Seil um die Handgelenke wickelte. Er zerrte sie zu den Pferden, auf denen Gregorius und die anderen schon festgebunden worden waren.

»Hoch mit dir!« Er griff Taran an der Hüfte und hob sie auf den Rücken eines Schimmels, als wäre sie nicht schwerer als eine Feder. Der Sattel hatte einen hohen Knauf, an dem der Mann das Seil festzurrte, das er um ihre Hände geschlungen hatte. »Und mach keine Dummheiten, verstanden? Du tust, was wir sagen«, sagte er warnend. Er nahm den Zügel des Tiers und band ihn hinter dem Sattel eines anderen Pferdes fest, auf das er sich dann schwang.

Taran zitterte noch immer. Sie konnte nicht erfassen, was geschehen war. Mutter! Sie drehte sich um, versuchte, einen Blick auf die am Boden liegende Gestalt zu erlangen, doch die Vampire und ihre Pferde schirmten sie wie eine Mauer ab. Sie öffnete den Mund, um nach ihr zu rufen. Ein belegtes Krächzen bahnte sich seinen Weg durch ihre Kehle. »Mutter«, flüsterte sie heiser.

Das Pferd tat einen Schritt vorwärts. Taran keuchte leise auf. Sie würden sie von hier wegbringen. Ins Qanicengebirge. Zu Raiden Tyr.

»Nein.« Sie zerrte kraftlos an dem Strick, aber weder ihr Bewacher noch einer der anderen Vampire beachteten sie. »Bitte, nein!« Verzweifelt sah sie sich um, suchte nach einem Halt, einem Trost. Gregorius!

Er saß mit fahlem Gesicht auf einem Rappen. Seine Augen irrten zu den Siedlern. Aki starrte ihn an, Tränen liefen ihm über die Wangen. Er sagte etwas, lautlos, und versuchte, zu Gregorius zu gelangen. Ein Vampir stieß ihn zurück. Aki stolperte, hielt sich aber auf den Beinen. Gregorius wandte den Kopf ab. Sein Blick fiel auf Taran, wurde kalt. Seine Züge verhärteten sich.

Sie schluchzte auf. Sie wusste, was er fühlte. Abscheu und Ekel. Sie konnte es ihm nicht verdenken.

Kemp brüllte den Befehl zum Abritt. Die Pferde setzten sich in Bewegung. Mutter! Sie zerrte an ihren Fesseln, drehte sich um, mit den Augen verzweifelt nach dem Körper Rodicas suchend. Doch das Letzte, was sie sah, als sie in die Finsternis unter den Bäumen ritten, waren die ihnen hinterherstarrenden Siedler, beleuchtet vom roten Licht der die Hütten verzehrenden Flammen.

Unvergängliches Blut - Sammelband

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