Читать книгу Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner - Страница 36

Kapitel 4

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Sie reisten des Nachts und rasteten tagsüber.

In der Nacht des Überfalls waren sie zügig am Rande der Grasländer nach Norden geritten, bis sie auf die ersten Ausläufer der Urwälder trafen. Als sich das Licht des Morgens ankündigte, brachten die Vampire ihre Gefangenen in eine feuchte Höhle, die gerade groß genug war, um ihnen Platz zum Schlafen zu bieten. Die Pferde wurden draußen zwischen Baumriesen, die von Schlingpflanzen und Moosen überwachsen waren, angebunden.

Taran ließ alles teilnahmslos mit sich geschehen. Rodicas lebloser Körper und der Anblick der Vampire beim Aussaugen ihrer Opfer standen ihr vor Augen. Die verzweifelten Schreie der Siedler gellten in ihren Ohren. Der Staub des Vampirs Agnar schien noch um sie zu schweben. Selbst ihr Haar hatte seine silbrige Farbe angenommen.

Eine Ewige. Der Gedanke erfüllte sie mit Abscheu. Es war kein Wunder, dass Rodica nichts von ihrem Vater erzählt hatte. Sie hatte bei einem Vampir gelegen, hatte sie, Taran, durch einen Blutsauger empfangen. Nur sehr selten konnte sich ein Vampir mit einem Menschen fortpflanzen, einen Ewigen zeugen. Ein Mischling, dessen Blut Vampire tötete und den die Menschen verachteten.

Man erzählte sich Schauermärchen über Ewige. Sie sollten ebenso wie Vampire Blut saugen. Um an Blut zu gelangen, stahlen sie Menschenkinder und mussten dafür noch nicht einmal auf die Nacht warten, da sie nicht sonnenempfindlich waren. Sie wiesen den Vampiren den Weg zu den Verstecken der Menschen, damit diese versklavt werden konnten. Sie hatten übermenschliche Kräfte, konnten einen Mann mit nur einer Hand töten.

Nun wusste Taran, dass diese Geschichten nicht wahr sein konnten. Sie hatte nie Blut getrunken, ein Kind entführt oder die Siedlung an Vampire verraten. Auch hatte ihr erfolgloser Widerstand gegen den Vampir Agnar gezeigt, dass sie keine übermenschlichen Kräfte besaß.

Aber hatte Rodica ihren Vater tatsächlich geliebt? Fast wollte sie glauben, dass ihre Mutter gegen ihren Willen bei ihm gelegen hatte, doch dann erinnerte sie sich an Rodicas Beteuerung, dass die Zeit mit ihrem Vater die schönste ihres Lebens gewesen war. Dass er ihr als Zeichen seiner Liebe die Kette geschenkt hatte, die Taran um den Hals trug. Wie konnte das sein? Mit einem Vampir? Einem, der so war, wie diese Wajaren, grausam, gewalttätig, blutgierig? Taran konnte es sich nicht erklären. Sie fühlte sich elend und beschmutzt in dem Wissen von einem Blutsauger abzustammen.

Die Gefangenen wurden im hinteren Teil der Höhle zusammengebunden. Gregorius rückte von ihr ab, soweit es die Fesseln zuließen. »Bleib weg von mir!«, zischte er.

Sie konnte nicht glauben, dass seine Augen sie noch vor Kurzem verliebt angeschaut hatten, blickten sie doch jetzt voller Hass und Ekel. Seine Lippen, die sie zärtlich geküsst hatten, waren zu einem harten Strich zusammengepresst. Hatte er ihr in ihren Liebesnächten nicht nahe genug sein können, tat er jetzt alles, um sie nicht berühren zu müssen. Sie senkte den Kopf, versuchte, Abstand zu halten, verstand sie doch, warum er sich so verhielt.

Ihrem Bewacher waren Gregorius Befindlichkeiten gleich. Er trat ihm mit seinen schweren Stiefeln brutal in die Seite. »Habe ich dir erlaubt zu sprechen, Sklave?«

Gregorius stöhnte und krümmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.

»Wenn du sie disziplinieren musst, dann pass auf, dass du keine Male hinterlässt, wo man es sieht«, sagte Kemp gelangweilt. »Keine Schläge ins Gesicht. Und keine Verletzungen an den Beinen, damit sie nicht hinken. Wir sind in drei Nächten bei Berko Sahade, wo wir ein paar von denen gut verkaufen können.«

Ihr Bewacher nickte und warf ihnen einen Schlauch Wasser und trockenes Brot hin. »Hier, esst das. Und wer pinkeln oder scheißen muss, sagt jetzt Bescheid oder hält es bis zur Dämmerung, ist das klar? Ich will keine Sauerei hier drinnen.«

Taran zog die Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Sie konnte nichts zu sich nehmen, nicht nachdem, was passiert war und was mit ihnen geschehen würde. Verkauft. Sie würde eine Sklavin sein. Für den Rest ihres Lebens. Ihres ewigen Lebens, geerbt von ihrem vampirischen Vater. Eine Ewige. Sie erstickte ihr Aufschluchzen in den Falten ihres Nachtkleids. So saß sie da, voller Angst und unfähig zu schlafen, während draußen die Vögel zwitscherten und die Sonne auf die bunt gefärbten Kronen der Bäume schien.

In der zweiten Nacht durchquerten sie die Urwälder, bevor sie sich nach Osten wandten, hin zum Gebirge. Im Mondlicht, das kaum den Waldboden erreichte, erschienen Taran die Bäume wie uralte Hexen. Ihre sich im leichten Wind biegenden Äste waren Arme, die bösartige Rituale zelebrierten. Das Schnauben der Pferde störte Tiere der Nacht auf, Käuze und Uhus, die sich aus den Baumkronen in die Lüfte erhoben, Füchse und Marder, die ins Unterholz flüchteten. Wie sehr wünschte sie sich, es ihnen gleich tun zu können. Doch die Vampire hatten sie auf dem Pferd festgebunden, das einer von ihnen hinter dem seinen herführte. Selbst falls es ihr gelänge, das Tier loszureißen, würde sie ihren Häschern auf den schmalen Pfaden, denen sie folgten, nicht entkommen.

In der zweiten Nachthälfte stieg der Pfad an. Erste mit Moos bewachsene Felsen wurden sichtbar. Zunächst stolperten die Pferde über faustgroße Steine, dann lagen mannshohe Gesteinsbrocken vor ihnen, und schließlich säumten Felsklippen ihren Weg. Die Bäume, Buchen, Fichten, Kiefern und Eichen, die nicht genug Platz hatten, um zu Riesen zu werden, waren dürr und verkrüppelt, klammerten sich in den Spalten und Löchern zwischen den Felsen fest. Am Horizont, beschienen vom bleichen Licht des Mondes, ragte das schwarze Qanicengebirge empor, über dem die Sterne wie Diamanten funkelten.

Sie verbrachten den Tag in einer Höhle, die von den Wajaren wohl des Öfteren genutzt wurde. Im hinteren Teil fanden sich Vorräte an Pferdefutter, Wasser und Trockenfleisch. Taran trank und aß nichts, was ihrem Bewacher entweder nicht auffiel oder gleich war. Er schien abgelenkt, musterte die Gefangenen mit einem seltsam glühenden Blick.

Kemp tat es ihm gleich und zeigte auf zwei der Mädchen. »Ihr da!«

Die Mädchen schrien erschrocken auf, als der Bewacher sie hochzog und eine von ihnen zu Kemp stieß. Die beiden Vampire packten sie mit festen Griffen und schoben ihr Haar beiseite. Dann verbissen sie sich in den Hälsen. In der Düsternis der Höhle glühten ihre Augen rot wie Kohlen. Die Mädchen schluchzten und versuchten, sich zu befreien, doch je mehr die Vampire von ihrem Blut tranken, desto schwächer wurde ihr Widerstand. Als sie zu den anderen zurückgestoßen wurden, konnten sie sich kaum auf den Beinen halten. Die Bisswunden bluteten leicht. Eines der Mädchen, Jolean, schluchzte heiser.

Taran dachte nicht nach, als sie zögernd die Hand hob und sie ihr tröstend auf den Arm legte. Jolean fuhr zusammen, doch sie zog den Arm nicht weg. Ihr Schluchzen verebbte. Gregorius und die anderen hingegen rückten von den Mädchen ab, als könnte eine Berührung oder Nähe dazu führen, dass sie als Nächstes ausgewählt werden würden. Sie fühlte Verachtung in sich aufsteigen. Gregorius war ihr stets mutig und anpackend erschienen. Nun konnte er sich noch nicht einmal zu einer Geste des Trostes aufraffen, selbst, nachdem er gesehen hatte, dass ihr Bewacher Taran nicht daran hinderte, Jolean zu berühren.

In der folgenden Nacht setzten sie den Aufstieg in die Berge fort. Die Landschaft aus Felstrümmern hatten sie hinter sich gelassen und gelangten in eine Schlucht, in der sich ein Fluss tief ins Gestein gefressen hatte. Zu ihrer Rechten ragten zerklüftete Felswände auf. Zu ihrer Linken schäumte das Wasser um im Flussbett liegende Steine. Die Pferde liefen am Ufer hintereinander her, die Knie der Reiter verfingen sich auf der Bergseite in Dornenranken und Efeu.

Taran fühlte eine befremdliche Erleichterung darüber, dass sie auf einem Pferd saß und den beschwerlichen Weg nicht zu Fuß machen musste. Nachdem sie zwei Tage und Nächte weder gegessen noch getrunken hatte, fühlte sie sich schwach. Vielleicht war es das Beste, der Tod durch Verhungern und Verdursten. Sie hatte alles verloren und wollte lieber sterben, als zur Sklavin zu werden.

Die Vampire wählten dieses Mal eine Ruine als Nachtquartier aus, die von Bäumen und Sträuchern umgeben war. Das Dach war eingestürzt und die grauen Steine der Mauern ragten in den heller werdenden Himmel. Ein zerbrochenes Mühlrad hing im Wasser des Flusses. Sie rasteten in einem der alten Kellerräume, in dem es muffig roch.

Tarans Beine gaben nach, als sie ihre Fesseln lösten und sie vom Pferd zogen.

»Was ist mit der Ewigen los?«, fragte Kemp stirnrunzelnd.

Ihr Bewacher zuckte uninteressiert mit den Schultern. »Weiß nicht.«

»Hat sie was gegessen oder getrunken?«

»Glaub nicht.«

»Du verdammter Schwachkopf!«, brüllte Kemp und riss Taran am Arm hoch. »Wie sollen wir sie an Raiden Tyr verkaufen, wenn sie verhungert oder verdurstet? Und du, komm mit!« Er schleppte sie durch die Bäume zum Flussufer, warf sie ins Wasser und watete hinter ihr hinein. »Du wirst essen und trinken, wenn wir es dir sagen, verstanden?« Er packte ihren Kopf und drückte ihn ins eiskalte Nass.

Wasser lief ihr in die Nase und den Mund, erstickte den Schrei, den sie ausgestoßen hatte. Sie bekam keine Luft, ruderte panisch mit den Armen. Sie musste atmen, ihre Lunge wollte schier bersten. Sie schluckte Wasser und atmete es ein. Ihr wurde schwarz vor Augen.

Kemp zog sie hoch. Taran hustete, sog pfeifend die Luft ein.

»Ob du das verstanden hast?«

Ihr Magen verkrampfte sich. Er war das kalte Wasser nach so langer Abstinenz nicht gewöhnt. Sie würgte.

Kemp tauchte sie noch einmal unter. In Todesangst krallte sie ihre Finger in seine Arme, sog wieder Wasser ein, sah die Luftblasen, die ihr Kampf verursachte, nach oben steigen. Sie wurde hochgezogen, würgte und spuckte, atmete dankbar die Luft ein.

»Ob du das verstanden hast?«

»Ja«, krächzte sie. Alles, nur nicht ins Wasser getaucht werden.

»Ja, was?«

»Ja, Herr.« Es war ihr gleich. Sie wollte atmen.

Kemp zog sie zur Ruine zurück und warf ihr Brot hin. »Iss das!«

Sie gehorchte. Ihr Körper zitterte, die Luft war kalt und ihr nasses Nachtkleid hing klamm an ihr. Erst als sie aufgegessen hatte, wandte sich Kemp an ihren Bewacher, der mit dümmlichem Gesicht daneben gestanden hatte. »Du sorgst gefälligst dafür, dass sie trinkt und isst, verstanden? Und gib ihr eine Decke. Eine Ewige mit Lungenentzündung ist weniger wert als eine ohne.« Am nächsten Abend rächte sich ihr Bewacher für den Anraunzer, indem er die Fesseln, die sie auf dem Pferd hielten, so festzurrte, dass sie ins Fleisch schnitten.

Ihr Weg führte sie weiter am Fluss entlang. Es war nach Mitternacht, als sie die Pferde in ein Seitental lenkten, das von einem schroffen Berggipfel überragt wurde, auf dem der ewige Schnee im Mondlicht glitzerte.

Vor ihnen lag eine kleine Festung. Sie hatte einen Turm und eine Wehrmauer. Als sie durch das offen stehende Tor ritten, konnten sie ein lang gezogenes Hauptgebäude sehen, an das sich ein Stall, Schuppen und Werkstätten schmiegten. Vampire mit wachsamem Blick und den Händen an den Schwertern kamen ihnen entgegen. »Was wollt ihr?«, fragte einer.

Kemp deutete auf die Gefangenen. »Ich verkaufe Blutsklaven.«

Der Mann trat näher. »Lass sehen.«

Die Vampire nahmen Gregorius und den anderen die Fesseln ab und hießen sie absteigen.

»Und die da?«, fragte der Mann mit einer Kopfbewegung in Tarans Richtung.

»Die steht nicht zum Verkauf.«

Der Mann zuckte mit den Schultern und begann mit der Musterung der Gefangenen. Gregorius musste den Mund öffnen, als seine Zähne geprüft wurden. Joleans langes Haar wurde mit einem beifälligen Nicken bedacht, genauso wie die Armmuskeln der drei älteren Männer. Niemand wehrte sich gegen diese entwürdigende Prozedur. Kemp und seine Männer hatten, was Gehorsam anging, ganze Arbeit geleistet.

»Die sehen nicht schlecht aus«, sagte der Mann schließlich. »Es wird immer schwieriger, gute Sklaven zu finden. Die beiden«, er deutete auf Gregorius und die stämmige Irma, »die können nicht nur Blut geben, sondern auch schwere Arbeiten verrichten. Was willst du für alle zusammen?«

»Zwei Goldstücke pro Sklave.«

»Zwei Goldstücke!« Der Mann lachte. »Ich gebe dir ein halbes für jeden.«

»Du hast selbst gesagt, dass es sich um gute Ware handelt. Nun gut, weil du sie mir alle abnimmst: Ein Goldstück pro Sklave.«

»Einverstanden. Lass mich das Gold holen.«

So kam es, dass Gregorius und die anderen auf der Festung in dem Seitental des Bergflusses zu Sklaven wurden. Als Taran mit den Wajaren zum Tor hinausritt, schlurfte er, eskortiert von seinen neuen Besitzern, mit hängenden Schultern ins Gebäude. Sie empfand bei seinem Anblick nichts mehr. Ihre Gefühle für den Jungen mit den weizenblonden Haaren waren an der grausamen Wirklichkeit zerbrochen.

Unvergängliches Blut - Sammelband

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