Читать книгу Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner - Страница 37

Kapitel 5

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Vier Nächte nach Gregorius Verkauf standen sie auf einer Bergkuppe und sahen auf eine Burg, die auf einem Höhenzug auf der anderen Seite eines tief eingeschnittenen Tals thronte.

Nachdem sie die Festung Berko Sahades verlassen hatten, waren sie dem Fluss tiefer in die Berge gefolgt. Das Fortkommen wurde einfacher. Die Felsen der Schlucht wichen zurück, wurden zu sanft ansteigenden Hängen, die hoch über ihren Köpfen in Geröll und Fels und schließlich in ewigen Schnee übergingen. Der Fluss schlängelte sich durch den Talgrund, mit üppigen Wiesen zu beiden Seiten, über die sie im Galopp hinwegfegten. Als der Fluss zum Bach wurde, bogen sie in finstere Täler mit dichten Urwäldern ab, in denen mehr als einmal Bären, Füchse und sogar Wölfe ihren Weg kreuzten. Es folgten Aufstiege auf Hochebenen, deren Ränder steil abfielen und über die der kalte Nebel kroch, wenn sie sich am frühen Morgen in Höhlen zurückzogen. Über all dem wachten die schwarzen Bergriesen mit ihren schneebedeckten Kuppen, die sich in einer unendlichen Abfolge bis zum Horizont erstreckten.

Taran hatte gewusst, dass das Qanicengebirge riesig war, doch die Gewaltigkeit der Berge, wie sie sie jetzt erlebte, erschlug sie. Sie bezweifelte, dass man jemals aus ihnen hinausgelangte, ganz gleich, wie weit man ritt. Selbst die Grasländer, die ihr so grenzenlos vorgekommen waren, erschienen ihr nun wie eine Lichtung inmitten eines großen Urwalds. Dies war das Land der Stämme, über dem Raiden Tyr herrschte und das zu ihrem Gefängnis werden sollte. Der Gedanke flößte ihr Angst und Entsetzen ein, doch es gab kein Entrinnen. Ihr Schicksal rückte mit jedem Schritt des Pferdes unaufhaltsam näher.

Im Laufe des Ritts waren die Sklavenjäger unruhig geworden. Sie rissen zotige Witze über die Frauen auf Burg Tyr, mit denen sie liegen wollten, und tauschten sich über Blutsklaven aus. Die Gier in ihren Augen war unübersehbar. Taran war zum ersten Mal seit der grausamen Wendung ihres Schicksals froh, eine Ewige zu sein. Sie war sich sicher, dass sie erleiden würde, was die Wajaren den Frauen und Sklaven auf der Burg zudachten, wäre sie kein Mischling mit tödlichem Blut. Gleichzeitig wuchs ihre Anspannung. Was wollte Raiden Tyr von ihr, dass er so viel Gold für sie bezahlen würde? Ihr Blut tötete Vampire, also konnte sie nicht zur Blutsklavin gemacht werden. Vielleicht würde er sie als Arbeitssklavin kaufen. Doch warum hatten sie die Wajaren dann nicht schon zusammen mit den anderen an diesen Berko Sahade verkauft? Nichts, was Kemp oder einer der Wajaren sagte, konnte diese Fragen beantworten.

Nun standen sie hier und blickten auf Burg Tyr. Die mächtigen Mauern aus schwarzem Stein waren uneinnehmbar auf steil abstürzenden Felsklippen erbaut. Hohe Türme ragten in den klaren Nachthimmel. Auf ihnen flackerten Lichter, Feuerkörbe, die den Wachen Wärme spendeten. Die Dächer der Gebäude der Burg duckten sich hinter der Wehrmauer. Der Wind trug die Geräusche von Gelächter, klirrenden Schwertklingen und Hundegebell zu ihnen. Im Gegensatz zu der Festung, in die man Gregorius und die anderen verschleppt hatte, erschien diese Burg imponierend und bedrohlich zugleich.

Taran zog fröstelnd die Schultern hoch. Es war ein verzweifelter wie vergeblicher Versuch, sich im kalten Nachtwind zu wärmen. Sie betete zu den Göttern. Sie flehte sie an, ihr den Tod zu gönnen, das Pferd stürzen und sie unter sich begraben zu lassen. Doch die Götter erhörten sie nicht. Ehe sie es sich versah, hatten sie das Tal durchquert, den Anstieg zur Burg gemacht und waren durch das Tor auf einen weiten gepflasterten Burghof gelangt. Ein Fallgatter fuhr rasselnd herunter und die hölzernen, mit Eisen beschlagenen Torflügel schlossen sich unheilvoll knarrend hinter ihnen. Zu ihrer Rechten lag das Torhaus, dahinter Hundezwinger, dann eine Halle mit hell erleuchteten bunten Fenstern. Wohngebäude schlossen sich an. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes lagen Stallungen und Werkstätten. Am anderen Ende ein Bau mit vergitterten Fenstern, vor ihm der Brunnen, ein Kampfplatz und daneben eine Reihe von rostigen mannshohen Käfigen. Ringsherum standen die Türme, von denen aus Wachposten zu ihnen hinuntersahen. All dies war aus dem schwarzen Stein der Berge errichtet worden. Die Fackeln, die in eisernen Halterungen an den Mauern hingen, vermochten kaum, gegen die Dunkelheit der Steine und der Nacht anzukommen.

Sie versuchte, sich auf ihrem Pferd klein und unsichtbar zu machen. Da waren hochgewachsene Krieger in Rüstungen aus Leder und Eisen, die ihre Kampfübungen abbrachen und sich ihnen mit gezückten Waffen näherten. Edel gekleidete Frauen und Männer, die aus der Halle geströmt kamen, und sie aus sicherer Entfernung begutachteten. Schwer bewaffnete Torwächter mit großen wolfsähnlichen Hunden, die geifernd an ihren Ketten zerrten. Und Sklaven mit eingefallenen Gesichtern in einfachen Arbeitskitteln.

»Kemp.« Einer der Schwertkämpfer, ein riesiger Vampir mit muskulösem Körper, kahl geschorenem Kopf und finsteren Zügen musterte den Anführer der Wajaren aus dunklen Augen. Er strömte eine ruhige tödliche Macht aus, wie ein Feuer speiender Berg, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Taran schauderte. Dieser Mann war gefährlicher als alle Wajaren um sie herum.

»Was willst du? Dich gegen Gold wieder als Söldner andienen, um in der Schlacht vor dem Feind zu fliehen?«

»Damien.« Der Anführer nickte knapp. »Nun, wir können lange debattieren, ob der geordnete Rückzug in besagter Schlacht sinnvoll war oder nicht.«

Der Vampir, der Damien hieß, schnaubte verächtlich und einige der Krieger um ihn stießen Verwünschungen aus. »Nenne es, wie du willst, du bist nicht willkommen.« Sein Blick wanderte über die Wajarengruppe. Taran zuckte zusammen, als er sie ansah und sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildete, was ihn noch furchterregender aussehen ließ.

»Ah«, sagte Kemp lächelnd. »Ich bin hier, um deinem Vater ein Geschäft vorzuschlagen. Wo ist er?«

»Mein Sohn hat dir bereits gesagt, dass du nicht willkommen bist, Kemp.« Ein hagerer Mann kam die Treppe, die zur Halle führte, hinunter. Er war in Hosen, Wams und einem Hemd aus grauer Seide gekleidet. Sein langes dunkles Haar umrahmte ein Gesicht, das an einen Falken erinnerte.

»Raiden.« Kemp deutete eine Verbeugung an. »Sei gegrüßt. Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.«

»Warum sollte ich mit dir Geschäfte machen? Du hast mich betrogen.«

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte Kemp diese Wendung der Dinge nicht vorhergesehen. Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und deutete auf Taran. »Ich habe hier eine Ewige, Raiden. Die ich dir anbiete.«

»So, eine Ewige?« Der spöttische Unterton in Raidens Stimme war unüberhörbar.

Kemp nickte eifrig. »Wir fanden sie in einer Siedlung. Einer meiner Männer wollte sich von ihr nähren. Er ist zu Staub zerfallen! Sieh das Haar des Mädchens!«

Der Herrscher der Vampire zuckte mit den Achseln. »Zeig sie mir.«

Bevor Taran wusste, wie ihr geschah, löste einer der Wajaren ihre Fesseln und zog sie vom Pferd. Kemp packte sie am Arm und zerrte sie zu Raiden. Der Herrscher der Vampire ergriff ihr Haar und ließ es langsam durch die Finger gleiten. Sie stand da, starr vor Angst wie ein Kaninchen vor dem hypnotisierenden Blick einer Schlange. »Nach dem ersten Biss färbt sich das Haar der Ewigen silbern wie das Mondlicht«, sagte Raiden langsam. Der saure Geruch von Wein in seinem Atem schlug ihr entgegen. »Aber wer sagt mir, dass es sich bei dir nicht um ein einfaches Mädchen handelt, dessen Haar nach einem schrecklichen Erlebnis ergraut ist? Bedenke, du hattest es mit Kemp und seinen … Kämpfern zu tun, da verfärben sich auch die Haare Normalsterblicher.«

Ein paar Vampire lachten. Kemp lächelte gezwungen. »Sie ist eine Ewige, das kann ich beschwören.«

Raiden kniff die Augen zusammen, als er Taran von Kopf bis Fuß begutachtete. »Was willst du für sie?«

»Zehn Goldstücke.«

Die Krieger und der Herrscher der Vampire lachten laut auf. »Du beliebst zu scherzen, Kemp«, sagte Raiden.

Kemp zog Taran aus seiner Reichweite. »Nein, das tue ich nicht. Du weißt, dass sie es wert ist.«

»Männer.« Dieser Befehl Raidens, gegeben mit kühler Stimme, war alles, was es brauchte. Die Krieger kesselten die Wajaren mit wenigen schnellen Schritten ein. Taran stöhnte auf, als sich ihr die Klingen von Schwertern entgegenstreckten. Kemps Finger an ihrem Arm verkrampften sich.

»Ich habe einen anderen Vorschlag, Kemp.« Raidens Stimme war gefährlich leise geworden. »Du wurdest für Söldnerdienste angeheuert und bist desertiert. So, wie ich das sehe, schuldest du mir Gold, und zwar weit mehr als zehn Goldstücke. Das Mädchen ist Teil der Wiedergutmachung. Ziehen wir zehn Goldstücke von deiner Schuld für sie ab. Den Rest wirst du mir hier und jetzt zahlen und du und deine Männer dürft gehen.«

Kemp trat einen weiteren Schritt zurück, Taran mit sich ziehend, die vor Angst zitterte. Die Krieger sahen aus, als würden sie im nächsten Moment zuschlagen. Schon meinte sie zu fühlen, wie eine scharfe Klinge in ihre Brust gestoßen wurde. Der riesige Vampir, Damien, stand ihr am nächsten. Seine dunklen Augen bohrten sich kurz in die ihren, bevor er Kemp wieder ins Visier nahm.

»Wenn du sie nicht willst, dann finde ich einen anderen Käufer.«

Raiden legte den Kopf schief und grinste. »Ach, Kemp. Also, was sagst du zu meinem Vorschlag?«

»Nein«, erwiderte Kemp wütend. »Ich werde dir das Mädchen nicht überlassen und dir ganz bestimmt kein Gold zahlen!«

Die Krieger traten wie auf Kommando einen Schritt vor, drängten die Wajaren zusammen. Taran hörte Kemp hektisch neben sich atmen. »Also gut«, sagte er. Mit einer schnellen Bewegung umfasste er sie und zog sie vor sich, sie zwischen sich und die Krieger bringend. Im nächsten Augenblick spürte sie kaltes Eisen an ihrem Hals. Sie schrie auf. »Wenn ihr uns nicht gehen lasst, dann stirbt sie! Und du musst dich wieder auf die Suche nach einem Ewigen machen, Raiden!«

Raiden erwiderte darauf nichts, sondern nickte seinem Sohn zu. »Lass das Mädchen los«, sagte der ruhig.

Kemp lachte verächtlich auf. Die Klinge seines Schwertes presste sich an Tarans Hals. Sie stöhnte verzweifelt.

»Lass. Das. Mädchen. Los«, wiederholte Damien, jedes Wort einzeln betonend.

»Verdammter Sohn einer Ratte!«, zischte Kemp.

Es ging rasend schnell. Im nächsten Moment flog etwas an Tarans Ohr vorbei, traf Kemp in die Schulter. Der heulte auf, ließ sein Schwert fallen. Jemand riss sie von ihm fort. Ein starker Arm hatte sie um ihre Mitte gefasst und presste sie gegen einen harten Oberkörper. Sie konnte das Leder und Eisen der Rüstung durch ihr Nachtkleid spüren. Der Mann zog sie zurück, in die Sicherheit der Schatten des Hofes, das Schwert abwehrbereit in der anderen Hand haltend, während sich Raidens Kämpfer brüllend auf die Wajaren stürzten. Klingen blitzten im Licht der Fackeln, zischten durch die Luft. Dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, fielen abgeschlagene Köpfe mit einem dumpfen Klatschen auf das Pflaster. Kemp wurde vor ihr zu Boden gerungen, schrie und stieß vulgäre Flüche aus. Sie versuchte, zurückzuweichen, von dem sich windenden Wajaren fortzukommen, doch der Mann hinter ihr hielt sie fest gepackt.

»Ruhig«, befahl er. Es war die Stimme Damiens. »Der tut dir nichts mehr.«

Sie schluchzte auf und gehorchte. Gegenwehr war soundso zwecklos. Sie war umgeben von Vampiren, das Tor war geschlossen.

»Nehmt sie und steckt sie in die Käfige. Sie sollen in der Sonne schmoren«, sagte Raiden kühl, der das Ganze aus einiger Entfernung beobachtet hatte.

Die Krieger brachten die Wajaren in den hinteren Teil des Hofes, zu den Käfigen. Die Sklavenjäger wurden einzeln oder zu zweit eingesperrt. Ihre Schreie, Flüche und ihr Widerstand blieben unbeachtet. Raiden drehte sich währenddessen zu Taran um. »Nun zu dir. Schauen wir, ob du wirklich eine Ewige bist oder nur eine einfache Blutsklavin.«

»Vater«, hörte sie Damien leise sagen. Er hatte sein Schwert eingesteckt und hielt sie an den Oberarmen gepackt.

Raiden schnitt, was auch immer sein Sohn hatte sagen wollen, mit einer knappen Geste ab. »Folgt mir.«

Er ging ihnen voraus in das Halbdunkel der Mauer, eine ausgetretene Steintreppe hinunter, die an einem Gitter endete, das von einem Wächter geöffnet wurde. Der Wächter entzündete eine Fackel. Sie stiegen weitere Stufen hinab. Feuchte und kalte Luft schlug ihnen entgegen. Taran spürte die nassen und glitschigen Steine unter ihren nackten Füssen. Es stank nach Schimmel und Fäkalien.

Sie zitterte vor Angst. Als aus der Finsternis vor ihnen ein viehisches Brüllen ertönte, schrie sie auf und wehrte sich erfolglos gegen die Griffe des Vampirs Damien. Diesmal sagte er ihr nicht, dass sie ruhig bleiben sollte.

Der Wächter blieb vor einem weiteren Gitter stehen. Die Fackel beleuchtete riesige weiße Hände, die durch die Eisenstäbe nach ihm griffen. Taran starrte entsetzt auf diese Pranken. Sie wollte nicht wissen, zu welcher Bestie sie gehörten. Sie wollte weit weg von ihr sein.

»Verdammt«, fluchte Damien. »Hilf mir, sie zu halten.«

Es griff noch jemand nach ihr. Jetzt hielten Damien und ein zweiter Krieger sie fest zwischen sich, ihre panischen Abwehrbewegungen ignorierend.

Der Wächter nahm sein Langschwert und begann, durch die Gitterstäbe nach dem Wesen im Verlies zu stechen. Es brüllte, die Pranken wurden zurückgezogen.

»Vater«, sagte Damien, »aber wenn er sie ‒.«

»Das wird er nicht«, unterbrach Raiden ihn unwirsch. »Ihr Blut wird ihn sofort töten. Er bekommt keine Gelegenheit, sich in sie zu verbeißen.«

»Falls sie eine Ewige ist.«

»Genau, falls sie eine ist.«

Sie würden sie zu der brüllenden Bestie in das Verlies stecken. Sie wollten, dass die Bestie sie biss. Taran machte einen letzten verzweifelten Versuch. »Nein! Bitte, nein! Lasst mich, Herr! Bitte!«

Die Vampire ignorierten sie. Der Wächter stach weiter nach der Bestie im Verlies, während Raiden den Schlüssel von ihm nahm. »Ich mache jetzt auf«, sagte er gleichmütig. »Stoßt sie dann zu ihm hinein.«

»Nein!« Tarans Flehen steigerte sich zu einem schrillen Schreien. »Nein! Bitte!«

Raiden öffnete das Gitter. Ein heftiger Stoß. Das Gitter schloss sich scheppernd hinter ihr. Sie stolperte und fiel. Sah eine riesige Schattengestalt vor sich. Roch den Gestank, der von ihr ausging. Die Bestie schnaufte. Ihre Augen glommen.

Taran konnte nicht mehr schreien. Ihr Füße bewegten sich frenetisch auf dem nassen glatten Steinboden, versuchten, sie von der Bestie wegzuschieben. Die Bestie stand einen Augenblick da, als zögerte sie. Dann brüllte sie. Taran schrie, als sie sich auf sie stürzte, sie hochriss und zubiss, die Fangzähne durch ihr Nachtkleid in ihre Schulter bohrte. Ein heißer Schmerz durchfuhr sie.

Das Verlies, der Gestank, verschwanden, als Bilder kamen. Ein kleiner Junge, der mit seinem Vater spielt. Sein erstes Pferd. Schwertübungen, die ihn zum Krieger machen. Die Schlachten, die er besteht. Seine Ernennung zum Mitglied des Rates. Seine Streitgespräche mit Raiden. Seine Beratungen mit Damien. Sein geheimer Treueschwur gegenüber dem wahren Herrscher der Stämme. Sein letzter Streit mit Raiden. Er wird in das Verlies gebracht. Sie versagen ihm Blut. Er verfällt der Tobsucht. Sie bringen ihm dieses Mädchen. Ihr Haar. Eine Ewige. Er darf sie nicht beißen, er darf nicht. Er versucht, zu widerstehen. Er darf nicht. Er stürzt sich auf sie, trinkt ihr Blut. Es brennt in seinen Adern, … Die Bestie brüllte auf. Ein helles Licht erleuchtete das Verlies, als sie in silbrigem Staub verging.

Taran spürte kaum, wie sie sie aus dem Kerker zogen. Ihr Körper, selbst die Bisswunde, waren taub, so groß war ihr Entsetzen. Ihre Beine versagten. Nur die Griffe der Krieger hielten sie noch aufrecht.

»Hervorragend«, sagte Raiden zufrieden. »Das sollte renitente Stammesfürsten zur Räson bringen. Wenn sie sich weigern, mir die Treue zu schwören, füttere ich sie mit deinem Blut.« Seine Finger strichen müßig über ihre Wangen, nahmen eine Strähne ihres Haares. Sie war zu erschöpft und entsetzt, um ihr Gesicht abzuwenden. »Damien, bring sie in die Zellen der Sklaven. Der Aufseher soll ihr etwas zu essen und Kleidung geben. Sie soll Hausarbeit verrichten, bis ich sie wieder brauche. Vielleicht die Wäscherei. Dann komm in die Halle, ich berufe eine Ratssitzung ein.«

Damien brachte sie aus dem Verlies zu dem Gebäude mit den vergitterten Fenstern. Dort drückte ihr eine verhärmte Frau ein einfaches Kleid, ein geflochtenes Lederband und dünne Schuhe in die Hand mit der Anweisung, dies alles in der nächsten Nacht anzuziehen. Sie bot ihr etwas zu essen und zu trinken an, was Taran verweigerte, und betupfte die Bisswunde mit einer kühlenden Essenz. »Es verheilt schon wieder«, murmelte die Frau.

Damien, der die Versorgung der Wunde schweigend beobachtete, nickte kurz.

Ein weiterer Vampir erschien, klein und dick und gekleidet in Hosen und Hemd aus Seide. »Das ist die Ewige, über die jeder spricht?«, fragte er und betrachtete Taran wie ein zum Verkauf angepriesenes Stück Vieh auf dem Markt.

»Sieh zu, dass sie eine Zelle für sich hat. Vater wünscht, dass sie Hausarbeit verrichtet, in der Wäscherei«, wies Damien ihn an. Er wandte sich an Taran. »Dies ist Bence, er beaufsichtigt die Sklaven. Wie ist dein Name?«

Sie erwachte aus ihrer Apathie, sah verängstigt zu ihm hoch. Er erwiderte ihren Blick mit regloser Miene. »T ... Taran«, flüsterte sie mit gebrochener Stimme.

»Taran.« Damien wandte sich zum Gehen. Einen Moment meinte sie, Mitleid in den Augen des furchterregenden Kriegers gesehen zu haben, doch da verließ er den Raum schon mit schweren Schritten.

Bence brachte sie in eine Kammer mit einem vergitterten Fenster, die gerade groß genug für einen Strohsack mit einer Decke war. »Es wird bald Tag«, knurrte der Aufseher, bevor er die Tür hinter sich schloss. »Morgen Nacht hole ich dich wieder. Dir werden dann Arbeiten zugewiesen.« Ein Riegel wurde vorgeschoben.

Ihre Beine gaben nach. Sie sank auf den Strohsack und ließ die Kleidung achtlos auf den Boden fallen. Das Verlies, der Gestank, die Bestie. Die Bilder. Sie vermochte nicht zu erfassen, was geschehen war, in welcher Hölle sie sich befand.

Die Wajaren draußen in den Käfigen riefen und fluchten. Das erste Licht des Morgens fiel durch das Fenster. Je heller es wurde, desto lauter wurden sie, begannen zu schreien.

Taran stand schwankend auf. Das Fenster ging hinaus auf den Kampfplatz und die Käfige. Mit Ausnahme der Wajaren, die verzweifelt versuchten, der Sonne zu entgehen, war niemand zu sehen. Die Qualen der am frühen Morgen noch schwachen Strahlen mussten unermesslich sein. Kemp, in einem Käfig am Anfang der Reihe eingesperrt, riss sich kreischend die Kleidung vom dampfenden Leib. Seine Haut verfärbte sich rot, warf Blasen und rollte sich auf wie brennendes Papier. Das darunterliegende Fleisch kochte. Er fiel auf die Knie, versuchte mit dem rohen Fleisch seiner Arme die Augen zu schützen, warf sich brüllend auf den Boden. Sein Fleisch verdampfte und legte Knochen frei, die in der Sonne allmählich zu Asche zerfielen. Irgendwann hörte er auf zu schreien, so, wie seine Männer in den Käfigen neben ihm. Ihre Asche wurde vom Wind über die Mauer in die Berge geweht.

Taran fühlte nichts, als sie ihnen beim Sterben zusah, weder Genugtuung, noch Entsetzen oder Abscheu. Sie war in ihrem eigenen Martyrium aus Trauer, Angst und Schmerz gefangen. Ein trockenes Schluchzen brach aus ihr heraus. Sie glitt an der Wand hinunter, bis sie auf dem kalten Lehmboden saß, wo sie sich zusammenrollte und den Tränen, die sie all die Tage und Nächte nicht hatte weinen können, ihren ungehemmten Lauf ließ.

Unvergängliches Blut - Sammelband

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