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2.3.9 Vier-Personae-Theorie

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Nachdem die zentralen Bereiche des honestum (des Schicklichen) und die sich ergebenden Pflichten herausgearbeitet wurden, seien noch einige Anmerkungen zu Ciceros Vier-Personae-Theorie gemacht, da zwischen der Menschenwürde und der ersten persona ein unmittelbarer Bezug besteht.

Wie ein Mensch an seinen charakteristischen, aber nicht „an den fehlerhaften“ Eigenschaften festhalten kann (De off. I 110), was Cicero für wichtig erachtet, macht er anhand seiner Vier-Personae-Theorie deutlich, die „wesentliche Aspekte des Personenseins mit denen des Persönlichkeitsseins verbindet und den Weg zur Persönlichkeit über die Realisierung personaler Individualität im Rahmen des moralisch Guten und Unbedenklichen zeichnet“ (Forschner 1993, 68). „Cicero spricht von persona, ohne dass er dies explizit dartut, nur in Bezug auf vernunftfähige Wesen“ (Forschner 1993, 69). Alle Menschen hätten Anteil an der ersten persona, weil sie Vernunft und somit Würde in dem für uns relevanten Sinn haben, was ihnen „die Fähigkeit zu Einsicht und sittlichem Verhalten“ ermöglicht (Forschner 1993, 70). Indem wir uns um die Kardinaltugenden bemühen, erfüllen wir diese persona. Die Rolle zu realisieren, die die Natur für uns selbst zugedacht hat, sei die Aufgabe der zweiten persona. „Die dritte persona […] hat die gesellschaftliche und politische Position zum Inhalt, in der wir uns, durch Zufall und Zeitumstände bedingt, als Menschen vorfinden.[…] Mit der vierten und letzten persona ist offensichtlich das alte ethische Motiv der Lebenswahl angesprochen. An ihr sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Sie ist einmal das Ergebnis einer Entscheidung (nostro iudicio, a nostra voluntate proficiscitur), das Resultat der praktischen Reflexion auf die andern personae“ (Forschner 1993, 72f). Bei Cicero muss ein Mensch sich nicht zwischen einer Werde-wer-Du-bist-Theorie (Nietzsche) und einer Werde-wer-Du-sein-willst-Theorie (Sartre) entscheiden. Beide Aspekte finden sich innerhalb seiner Ethik. Nur die erste persona bezieht sich auf allgemeine Faktoren, die zweite, dritte und vierte hingegen sind abhängig sowohl vom kulturellen, politischen und persönlichen Umfeld als auch von der eigenen Persönlichkeit.

Zwar finden sich bei Cicero noch zahlreiche Anregungen bezüglich der verschiedenen Lebensphasen und sonstiger äußerer Güter64, jedoch sind diese eher von peripherer Bedeutung für seine Ethik, da das höchste Gut primär mit den vier Kardinaltugenden verbunden ist und nur diese notwendig und hinreichend für das gute Leben sind. Mit diesen Bemerkungen beschließen wir die Darstellung der Einbettung des Würdekonzeptes innerhalb der Ethik Ciceros, die deutlich gemacht hat, dass die Würde höchstens eine periphere Rolle spielt, ihr also mit Sicherheit keine grundlegende Bedeutung zukommt. Denn ausschließlich bei der Frage des Verständnisses der Anwendung mancher Tugenden in speziellen Situationen wird die Überlegung relevant, dass andere Menschen Träger der Würde in dem für uns relevanten Sinne sind. Die Pflichten eines Menschen gegenüber anderen Menschen, weil diese auch Menschen sind, sind innerhalb der Pflichtenhierarchie Ciceros nur von geringer Bedeutung. Ausschließlich in Bezug auf das höchste Gut kann man sagen, dass mit der universalen, unabstufbaren Menschenwürde auch für jeden individuell die Aufgabe verbunden ist, sich am höchsten Gut auszurichten, ohne dass einem die Würde abhanden kommt, falls man diese Aufgabe nicht erfüllt. Wenn man diesen Aspekt betonte, wäre der Konnex der Würde zum Zentralbegriff von Ciceros Ethik zwar sehr eng, trotzdem würde die Pflicht der Berücksichtigung eines anderen Menschen, nur weil er ein Mensch ist, dadurch nicht in Ciceros Pflichtenhierarchie aufsteigen.

Menschenwürde nach Nietzsche

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